Bruder Laurentius Kapuzinerkloster Stühlingen

Auszeit im Kloster: Interview mit Bruder Laurentius

Die Lebensweise klösterlicher Gemeinschaften übt auf viele Menschen eine große Faszination aus. Nicht wenige dürften davon träumen, für eine gewisse Zeit ihren Alltag hinter sich zu lassen, zur Ruhe zu finden und ihre Gedanken auf wesentliche Lebensfragen zu fokussieren. Neben vielen anderen Klöstern bietet auch das Kapuzinerkloster in Stühlingen am Südrand des Schwarzwaldes die Möglichkeit, für einen kurzen Zeitraum das bürgerliche Dasein gegen ein Leben im Kloster zu tauschen. Wie es sich dort lebt, fragte FreieWelt.net den Leiter des Kapuzinerklosters Stühlingen, Bruder Laurentius.

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FreieWelt.net: Bruder Laurentius, dass Klöster Gäste beherbergen, ist eine uralte Tradition...

Bruder Laurentius: ...gerade für uns Kapuziner. Schließlich lebten die ersten Brüder unserer Gemeinschaft im 16. Jahrhundert als Wanderprediger. Zudem pflegt unser Orden seit jeher die Nähe zu den Menschen. Allerdings, dass wir Gäste in unser alltägliches Leben integrieren und sie begleiten in ihren Anliegen, das ist ein Projekt, das wir seit 25 Jahren in Stühlingen haben. Mit Menschen ein kleines Stück ihres Weges gehen und für sie da zu sein, erlebe ich als einen schönen, wenn auch manchmal herausfordernden Dienst.

FreieWelt.net: Fragt man Menschen aus der Eltern- oder Großelterngeneration, die mit klösterlichen Gemeinschaften in Berührung gekommen sind, dann heißt es oft: Die Brüder oder Schwestern mussten stets getrennt von uns essen.

Bruder Laurentius: Das ist bei uns nicht so. Wir sind tatsächlich ein Kloster zum Mitleben. Die Menschen, die zu uns kommen, haben die Möglichkeit, für kurze Zeit mit uns fünf Kapuzinerbrüdern und drei Schwestern von der Kongregation der Reuter Franziskanerinnen die Klostergemeinschaft zu bilden. Sie nehmen teil an unserem Leben, an Gebet, Arbeit und den Mahlzeiten und leben so mit uns im Geist des heiligen Franziskus.

FreieWelt.net: Dass Eure Klostergemeinschaft aus Männern und Frauen besteht, ist schon mal ungewöhnlich. Was unterscheidet Stühlingen noch von anderen Klöstern, die man besuchen kann?

Bruder Laurentius: Andere Klöster setzen andere Schwerpunkte. Wir sind weder Tagungshaus noch Meditationszentrum, weder Jugendherberge noch Ferienkloster, weder Beleghaus noch Schullandheim, weder Exerzitienhaus noch Bildungsstätte. Wir führen auch keine Therapien oder Rehabilitationen durch. Bei uns können Menschen, gleich welchen Alters, Geschlechtes, Berufes oder Konfession einfach Mitleben. Dass wir dabei mit den Franziskanerinnen zusammenarbeiten können, ist ein großer Gewinn, denn sie bringen nicht nur andere Talente mit als die Kapuziner, sondern sind häufig auch gern gesuchte Ansprechpartnerinnen für unsere weiblichen Mitbewohner auf Zeit. Was uns von den anderen Klöstern zum Mitleben unterscheidet, ist, dass die Gäste sozusagen in dieser Zeit des Mitlebens weitgehend in unseren Klosteralltag integriert sind, wir sozusagen in dieser Zeit einander Schwestern und Brüder sind.

FreieWelt.net: Wie kam die Idee, ein Kloster zum Mitleben zu kreieren?


Bruder Laurentius:
Wir Kapuziner sind seit 1743 in Stühlingen. Ab 1927 wurden hier viele Novizen ausgebildet und die Anlage entsprechend erweitert. Als Stühlingen dann kein Noviziatskloster mehr war, hatte das Haus zehn Jahre lang keine besondere Aufgabe und vielleicht hätte man es geschlossen, hätten da nicht einige junge Kapuziner eine gute Idee gehabt. In Assisi, wo der heilige Franziskus lebte und wirkte, gab es einen alten Gutshof, wo jungen Leuten die Möglichkeit gegeben wurde, die franziskanische Lebensweise selbst auszuprobieren und darüber nicht nur bei Führungen zu hören. Das wollten sie auch in Deutschland ausprobieren und Stühlingen war der ideale Ort dafür. Bald darauf stießen dann die Reuter Franziskanerinnen hinzu, denen die Kapuziner seit langem verbunden sind.

FreieWelt.net: Und das Konzept funktioniert?


Bruder Laurentius: Seit dem Start im Jahr 1983. Für uns ist es zum Erfolgsmodell geworden. Wir sind das ganze Jahr über zu 75 Prozent ausgebucht. Das zeigt, dass wir mit dem Kloster zum Mitleben ein echtes Bedürfnis vieler Menschen von heute getroffen haben, die einfach mal aus ihrem familiären und beruflichen Alltag aussteigen möchten, in Gemeinschaft zur Ruhe kommen und wieder die Nähe zu sich selber spüren und das eigene Leben mit seinen Höhen und Niederungen aus der Distanz und vielleicht im Einzelgespräch mit einer Schwester oder Bruder anschauen, den Weg wieder klarer im Blick haben. Es gibt auch Gäste, die eine intensivere Beziehung zu Gott suchen und die christliche Spiritualität als eine heilsame und stützende Lebenshilfe entdecken. Vielen Gästen tut unser Tagesrhythmus gut und der Wechsel von gemeinschaftlichem Gebet, Essen, Arbeit, Gespräche und Erholungszeiten.

FreieWelt.net: Ein gängiges Klischee ist: Ins Kloster auf Zeit begeben sich vor allem gestresste Manager. Gibt es den typischen Klosterbesucher? Sind es überhaupt bestimmte Berufsgruppen oder sind es möglicherweise eher heterogene Gäste, aber mit ähnlichen Motiven? Und ganz wichtig: Braucht man den Geldbeutel eines Managers, um zu Euch zu kommen?

Bruder Laurentius: Wir haben aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen Besucher bei uns, wir haben auch Gäste, die gerade keine Arbeit haben oder auch von Harz IV leben, oder hin und wieder auch fitte Rentner. Und gerade auch diese Mischung macht es aus: davon lebt unser Projekt und das ist Teil unserer franziskanischen Spiritualität, dass wir versuchen, jeden so anzunehmen, wie er ist. Alle suchen im Wesentlichen das Gleiche: die Stille und das Runterkommen vom Stress im Alltag, Entschleunigung, einmal auf Distanz zu allem gehen und bei sich sein können und dabei nicht in ein Loch fallen, deswegen ist auch die Gemeinschaft wichtig und unsere Tagesstruktur.
Wenn wir feste Tagssätze verlangen würden, dann könnten viele nicht mehr zu uns kommen. Für die gut Verdienenden wäre es ein Trinkgeld und für die, die mit Wenig auskommen müssen, wäre es viel oder zu viel. Für uns ist soziale Gerechtigkeit: Wer viel verdient kann viel geben und wer wenig verdient, gibt eben wenig; jeder entscheidet selber, ob und wie viel er uns als freiwillige Spende gibt. Natürlich benötigt das Kloster auch Geld, sonst können wir unsere normalen Unkosten nicht bestreiten und irgendwann wird das Kloster aufgelöst, und das wäre schade.  

FreieWelt.net: Wie sieht ein typischer Tag in Stühlingen aus?

Bruder Laurentius: Wir beginnen für die, die das mögen schon früh mit Wahrnehmungsübungen für den Körper und stille Meditation. Alle kommen dann zum anschließenden Morgenlob zusammen. Der Vormittag ist dann geprägt von der Arbeit in der Küche, der Wäscherei oder Schneiderei, im großen Garten oder bei der Versorgung der Tiere. Um die Mittagszeit halten wir wieder inne zu einer kleinen Gebetszeit und dem anschließenden Mittagessen. Der Nachmittag ist ganz unterschiedlich: mal haben die Gäste frei, dann haben wir ein Bibelgespräch,  ein Gruppengespräch und auch einmal eine angeleitete Stille Zeit. Am Abend halten wir das Abendgebet und danach ist eine Stunde Stille und an manchen Tagen auch die gemeinsame Eucharistiefeier. Nach dem Abendessen haben die Gäste wieder eine Zeit für sich oder sie verbringen sie gemeinsam am offenen Kamin bei einem Glas Wein. Am Schluss den Tages kommen wir ein letztes Mal zusammen zum kurzen Nachtgebet bei Kerzenschein und Tagesreflexion.

FreieWelt.net: Wie empfinden die Mitlebenden diesen Rhythmus aus Gebets- und Arbeitszeiten?

Bruder Laurentius: Für die meisten Menschen ist dieser Rhythmus sehr wohltuend, da sie nicht ständig selber überlegen brauchen, was jetzt dran ist. Wichtig ist uns auch, dass die Arbeit unterbrochen wird, wenn die Glocke zum Gebet ruft, auch wenn sie noch nicht ganz abgeschlossen ist. So bleibt der Tag in einer guten Balance. Dazu kommt, dass wir auch den Freitag als Stillen Tag haben, an dem nicht gearbeitet wird sondern jeder Gast für sich bleibt in der Stille. Hier haben die Gäste nochmals eine gute Gelegenheit eine gute Nähe zu sich zu finden und auch im Gebet eine Nähe zu Gott aufzubauen bzw. sie zu vertiefen. Dieser Tag ist für viele Gäste der eigentliche Höhepunkt der Woche. Manche Gäste malen an diesem Tag ein Bild und drücken darin ihre Erfahrungen aus, andere schreiben in ihr Tagebuch, andere lesen in der Bibel und beschäftigen sich mit dem geistlichen Impuls, den es für diesen Tag immer gibt. Die allermeisten gehen in die Natur und genießen einen Spaziergang.

FreieWelt.net: Sicher geben Euch manche Mitbewohner auf Zeit später noch ein Feedback. Gelingt es ihnen, etwas von der franziskanischen Lebensweise mit in den Alltag zu nehmen?

Bruder Laurentius: Fast jede Woche kommen Feedbacks über Mails, Postkarten, Briefe oder Anrufe von Gästen zu uns, die sich nochmals für die Zeit bei uns ausdrücklich bedanken und uns erzählen, dass ihnen diese Zeit sehr gut getan hat und sie bestimmt einmal wiederkommen werden, was viele dann auch tatsächlich tun. Einige der Gäste schreiben uns auch, dass sie eine Gebetszeit sozusagen mit uns halten, indem sie sich einmal am Tag zur selben Zeit wie wir fürs Gebet reservieren und auch aus dem kleinen Stundenbuch die entsprechende Psalmen und biblischen Texte beten. Das hilft ihnen, das Gebet in den Alltag zu retten und auch die Nähe zu sich selbst und zu Gott aufrecht zu halten, was nicht so einfach ist. Deshalb kommen viele Gäste schon seit vielen Jahren ein- oder zweimal im Jahr, um bei uns wieder sozusagen aufzutanken und sich wieder eine oder zwei Wochen in unserer Klostergemeinschaft mit anderen Gästen zu gönnen.

FreieWelt.net: Wir danken für das Gespräch.

Mehr Informationen über das Kloster zum Mitleben finden Sie bei Kapuziner.org

Das Interview führte Holger Müller

Foto: Holger Müller/FreieWelt.Net

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