Veronika Bellmann (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages

»Ärzte sollen heilen, nicht töten helfen«

Es ist wichtig, Sterbenden die bestmögliche Pflege zukommen zu lassen, meint Veronika Bellmann. Sie befürchtet einen Dammbruch, wenn die Beihilfe zum Suizid nicht bestraft wird.

Foto: Foto-AG Gymnasium Melle / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0 (Ausschnitt)
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FreieWelt.net: Im Bundestag werden gegenwärtig vier Gesetzentwürfe zur Regelung der Beihilfe zum Suizid diskutiert. Sie unterstützen den von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger. Was hat er den anderen voraus?

Veronika Bellmann: Unser Gesetzentwurf möchte ich durchaus überschreiben mit den Worten des Philosophen Robert Spaemann: »Es gibt kein gutes Töten.« Er sieht ein umfassendes Verbot jeglicher Suizidbeihilfe, mittels eines neuen § 217 StGB Anstiftung und Beihilfe zu einem Selbstmord zu vor. Die guten Erfolge der Palliativmedizin und im Hospizwesen sollen mehr anerkannt und gefördert werden. Nur mit einer solchen klaren und hinreichend bestimmten Regelung kann die Suizidbeihilfe verfassungskonform und zum Schutz des Lebens geregelt werden.

Gleichzeitig kann die Anpassung der Rechtslage an die der europäischen Länder, in denen es ebenfalls ein generelles Verbot der Suizidbeihilfe gibt, verhindern, dass ein selbst nicht zu Selbstmord fähiger Mensch erst durch die aktive Mitwirkung Dritter getötet wird. Außerdem wird durch unseren Gesetzentwurf verhindert, dass sich in Deutschland ein organisiertes, gewerbliches, kommerzielles oder gar ärztliches und privates selbstverständliches Angebot entwickelt, in extremen Lebenssituationen einen tödlichen Ausweg durch assistierten Suizid zu suchen.

Bekommen wir für unseren Gesetzentwurf keine Mehrheit, befürchte ich einen Dammbruch, demnach zuerst anstelle des ausdrücklichen Willens des Patienten nur noch der mutmaßliche Wille und zuletzt das gesellschaftlich geforderte Sollen tritt.

FreieWelt.net: Sie legen Wert auf die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Was ist denn da der Unterschied und warum ist dieser Unterschied so wichtig?

Veronika Bellmann: Bei der aktiven Sterbehilfe verabreicht jemand einem Patienten ein unmittelbar tödlich wirkendes Mittel. Der Patient nimmt es also nicht selbst zu sich, was der Unterschied zu assistiertem Suizid ist. Wer aktive Sterbehilfe betreibt, setzt bewusst und vorsätzlich einen Prozess in Gang, der unmittelbar und kurzfristig zum Tod führen soll.

Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Sie ist mindestens als sogenannte Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis 5 Jahren zu bestrafen. Besteht beim Patienten erkennbare Unzurechnungsfähigkeit, Depression oder äußerer Druck ist sogar eine Verurteilung nach § 212 StGB wegen Totschlags denkbar.

Passive Sterbehilfe ist der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder deren Beendigung, entweder weil sie in der Sterbephase medizinisch nicht mehr geboten sind oder der Patient solche Maßnahmen ablehnt. Dies kann in einer Patientenverfügung bestimmt sein.

Gesetzliche Regelungen zur Patientenverfügung ausreichend

Medizinisch begleitetes Sterbenlassen sind demnach Unterlassung oder Abbruch von künstlicher Ernährung und Beatmung, Behandlung mit Antibiotika und andere mehr, wobei dem natürlichem Krankheits- und Sterbeprozess sein Lauf gelassen wird.

Passive Sterbehilfe ist, wenn es dem Willen des Patienten entspricht (BGH-Urteil bis 2010); das ist in Deutschland erlaubt.

Problematisch ist der Begriff passive Sterbehilfe allerdings, weil er auch Handlungen umfasst, die nach dem allgemeinen Verständnis von »Nichtexperten« als »aktiv« bezeichnet werden kann, etwa das Abschalten des Atemgerätes. Mittlerweile ist aber ebenfalls durch ein BGH-Urteil aus dem Jahre 2010 geklärt, dass das Abschalten genauso zu werten ist, wie das Nichtbeginnen der Beatmung.

Die Unterscheidung ist uns wichtig, da es uns nicht um irgendwelche Einschränkungen der passiven Sterbehilfe geht, also der Beendigung einer medizinisch nicht mehr angezeigten oder vom Patienten nicht mehr gewünschten Therapie. Das wäre in der Tat ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, die meist via Patientenverfügung ihren Willen kundgetan haben.

Dieser Bereich ist ausdiskutiert und insofern auch kein rechtsfreier Raum mehr oder eine rechtliche Lücke, die noch geschlossen werden müsste. Die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung sind ausreichend. Sie sind verbindlich und haben eine hohe Reichweite.

FreieWelt.net: Was ist eigentlich der Anlass für die Debatte im Bundestag über ein neues Gesetz? Ist das überhaupt notwendig?

Veronika Bellmann: Weltweit sowie in vielen europäischen Ländern ist sowohl assistierende Suizid als auch jede andere, organisiert gewerbliche oder private Mitwirkung am Suizid aus gutem Grunde kulturell geächtet und untersagt. In Deutschland ist das aus rechtsformalen Gründen bisher nicht der Fall, da Suizid selbst keine Straftat und damit auch die Beihilfe bisher nicht strafbewehrt ist. Die Gesetzeslücke muss geschlossen werden, da in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten ein vermeintlich neu entstandenes Bedürfnis nach Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid zunimmt und Rechtssicherheit für alle Beteiligten hergestellt werden muss. So zum Beispiel für Ärzte, für die in einigen Bundesländern lediglich das Standesrecht regelt, ob Suizid assistiert werden darf oder nicht.  

Wir stellen auch klar, dass Suizid und Beihilfe zum Suizid verschiedene Rechtsgüter sind. In den anderen Gesetzentwürfen wird darauf abgestellt, dass der Suizid nicht strafbar ist, also darf es auch die Beihilfe nicht sein. Wir aber sagen, dass der Suizid das eigene Leben betrifft und deshalb nicht bestraft werden kann. Die Beihilfe zum Suizid betrifft aber das Leben eines anderen und ist deshalb unsrer Meinung nach zu verbieten und eine strafbare Handlung.

FreieWelt.net: Häufig entwickeln die Menschen ihre ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Strafbarkeit, was man zum Beispiel bei der Abtreibungsfrage beobachten kann. Welche praktischen Konsequenzen wird – vor diesem Hintergrund betrachtet – ein Gesetz zur Regelung der Beihilfe zum Suizid haben?

Veronika Bellmann: Deutschland verfügt über ein zwar noch nicht ausreichend flächendeckendes aber doch anerkanntes Angebot der Palliativ- und Hospizbegleitung für Schmerzpatienten und Sterbende. Das muss zwar noch weiter ausgebaut werden, ermöglicht aber heute schon dort wo es vorhanden ist ein Sterben in Würde. Das ist das Anliegen von Millionen Pflegenden, die privat oder professionell schwerkranke Menschen betreuen und sie selbstlos bis zum Tod begleiten. Beides kenne ich aus eigener Erfahrung – wir pflegen in der Familie unsere schwerkranke 93-jährige Mutter. Außerdem bin ich Schirmherrin und Mitbegründerin des ersten stationären Hospizes in Mittelsachsen in der sogenannten »Schustervilla« in Oederan.

Wir können zwar nicht jedem Menschen ein gutes, schmerzfreies und schnelles Sterben garantieren. Aber wir können ein Sterben in Würde und die tatsächliche Selbstbestimmung des Patienten dadurch sichern, dass ihm kein schneller Tod und assistierte Suizidbeihilfe, sondern bestmögliche Hilfe jeder Art angeboten wird.

Nicht erst die Nachfrage nach Tötungsmitteln schaffen

Wir wollen nicht, dass »Nachfrage« entsteht und Ärzte oder Pflegende bedrängt werden, Unterstützung beim Suizid zu leisten, verschreibungsfähige Tötungsmittel zu verschaffen und den Todeszeitpunkt mit zu planen. Einen Tod auf Rezept kann und darf es nicht geben. Ärzte und Angehörige sind die letzten, die den Weg zum Suizid öffnen sollten. Ärzte sind Lebens-, keine Sterbehelfer!

Wir wollen nicht, dass der Suizid der »billige« Ausstieg aus dem Leben wird, weil man Mitmenschen nicht zur Last fallen will. Beste Pflege und Betreuung und Hilfe durch den medizinischen Fortschritt für alle, statt Tötungsangebote! Ärzte sollen heilen, begleiten, nicht töten helfen. Alte und schwerkranke Menschen sollen sich nicht gedrängt fühlen, keine Kosten mehr zu verursachen, weil der gesellschaftliche Druck wachsen könnte oder die Hilfe zum Suizid zur Normalität wird. Die Erfahrungen im Nachbarland Belgien finde ich alarmierend. Dort wird immer öfter auch ohne den ausdrücklichen Wunsch des Patienten Sterbehilfe geleistet.

FreieWelt.net: Viele Menschen betonen, dass sie ein Recht hätten, Zeitpunkt und Umstände ihres Todes selbst bestimmen zu können. Ich finde, dass der Wunsch nach Autonomie verständlich und legitim ist. Sind Sie etwa anderer Meinung?

Veronika Bellmann: Darauf antworte ich mit einem klaren »Ja«. Selbsttötung ist Willkür statt Freiheit. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben hat meines Erachtens auch Grenzen, die nicht wir Menschen bestimmen. Den Menschen das assistierte Sterben mit Begriffen wie Freitod, Autonomie und Würde »schmackhaft« zu machen, halte ich für absolut fehlgeleitet. Jeder Mensch ist von eigener Würde. Aus meiner Sicht als Christ verbieten sich hier schnelle Urteile.

Die theologische und philosophische Kernfrage ist hier doch die: Hängt die Würde daran, dass der Mensch alles machen kann, was er will? Hier gibt es von mir ein »Nein« und den Spruch meiner Großmutter »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, zur Antwort. Und ich ergänze »Der Herr gibt dir kein schwereres Kreuz auf, als das du tragen kannst« und »Einer trage des anderen Last«.

Trotz unseres gegenüber den anderen restriktivsten Gesetzesentwurfes weiß ich aber auch, das Gesetzgebung nur die Bojen setzt, innerhalb derer sich der Lebensfluss seine unberechenbaren Bahnen suchen kann und wird.

Bei der Frage nach einem menschenwürdigen Sterben dürfen wir auch nicht immer auf den Tod sehen. Insofern ist das Wort »Sterbehilfe« schon schlecht gesetzt. Denn schließlich leben wir bis zum Schluss. Wenn das Leben bis zum Ende unter würdevollen Bedingungen möglich ist, dann wird der Wunsch nach einem Suizid, ob unbegleitet oder nicht, nicht den Wunsch nach Leben überlagern. Deshalb ist auch unserer Gesetzentwurf quasi auch der Rat, immer einen wachen Blick auf das eigene Umfeld zu haben, auf den Nächsten: seine Sorgen und Ängste, aber auch das, was das Leben lebenswert macht und selbst im Leiden und Sterben noch Stärke und Zuversicht gibt.

Dank an alle, die Schwerstkranke und Sterbende begleiten

FreieWelt.net: Sie haben einmal gesagt, dass der Wunsch nach Suizid nicht der Wunsch nach Beendigung des Lebens, sondern nach Beendigung des Leidens sei. Tun Sie oder »die Politik« denn etwas dafür, dass das Leiden auf dem letzten Weg verringert wird?

Veronika Bellmann: Der medizinische Fortschritt gibt uns viele Instrumente in die Hand, die den Patienten die Schmerzen lindern oder gar nehmen können. Und es gibt Menschen, die sich bei Betreuung und Pflege und Sterbebegleitung mit großer Hingabe den Patienten zuwenden.

Außerdem kann ich an die in der vorherigen Frage beschriebene Nächstenliebe anknüpfen und sie in Beziehung zur Gesetzgebung stellen. Weil uns klar ist, dass eine chronisch unterfinanzierte Pflege auch Zeit und notwendige Zuwendung bei Pflegebedürftigen erschwert, also der Menschenwürde (Artikel 1 GG) widerspricht, werden wir demnächst endlich das sogenannte »Pflegeverstärkungsgesetz« beschließen. Die Hospiz- und Palliativbetreuung erfährt ebenfalls eine bessere finanzielle Ausstattung.

Gleiches gilt für das Personal. Hier sind zusätzliche Anstrengungen nötig, den Menschen zu helfen, aus ihrer Nächstenliebe Beruf und Berufung zu machen. Das beginnt bei der Ausbildung im eigenen Land und erfordert aufgrund des Fachkräftemangels aber auch Ausbildung ausländischer Betreuer, Pfleger und medizinischen Personals. Hier helfe ich ganz konkret in meinem Wahlkreis dabei mit, den Kooperationsvertrag mit Vietnam umzusetzen.

Des Weiteren unterstütze ich zwei ambulante Hospizvereine, von denen bereits eines ebenfalls ein stationäres Hospiz betreibt, sehr tatkräftig.

Zu guter Letzt lande ich im Privatleben bei meinem lieben alten Mütterlein. Sie ist der beste Beweis für meine Aussage vom Leiden statt das Leben beenden. Meine Mutter war immer eine sehr taffe und selbständige Frau bis ins hohe Alter von 91 Jahren. Dann ereilten sie mehrere Krankheiten und Operationen. Sie wurde gebrechlich und schwach. Sie war solange unruhig und verzweifelt, depressiv, wollte nicht mehr leben, bis sie spürte, dass sich Pflegedienste, liebe Menschen und ihre Familie immer um sie kümmern, Medikamente und gute Betreuung schmerzlindernd wirkten. Da hat sie ihren Frieden mit sich und der Welt gemacht, und ist ausgeglichen wie nie zuvor. Vom Sterbenwollen spricht sie nicht mehr. Sie ist irgendwie zum Mittelpunkt unserer großen Familie geworden, wobei die Hauptlast der Pflege meine Schwester trägt. Wenn ich das auf diesem Wege darf, möchte ich ihr, meinem Schwager und meinem Mann ganz herzlich für ihre selbstlose Hilfe danken.

Diesen Dank darf man auch ruhig auf alle die ausweiten, die Schwerstkranke und Sterbende auf ihrem letzten Weg ein lebenswertes würdevolles Leben bereiten und selbstlos bis zum Schluss begleiten.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview.

Veronika Bellmann (CDU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie vertritt den Wahlkreis Mittelsachsen, wo sie direkt gewählt wurde.

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