Zur Verteidigung des Nationalstaates – aus konservativer und aus kapitalismuskritischer Perspektive: Wolfgang Streeck und Roger Scruton

Die Autoren der beiden Bücher, die hier besprochen werden sollen, könnten unterschiedlicher nicht sein.

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Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 271 S. 24,95 Euro (ISBN: 978-3-518-58592-4)

Rober Scruton, How to be a Conservative, Bloomsbury, London 2014, 195 S., £ 17,99 (ISBN 9781472903778)

Der eine, Roger Scruton, ist ein konservativer Philosoph, der sich in den 1980er Jahren durch die offene Unterstützung für die damalige Regierung der Tories, also für Mrs. Thatcher, aber auch durch seine Intervention in Debatten, in denen es um die mangelnde Integrationsbereitschaft von Einwanderern ging, den tiefen Haß der politischen Linken zuzog. Er gab am Ende, da er zunehmend unter Druck gesetzt wurde, eine konventionelle akademische Karriere in England auf und suchte zeitweilig an konservativen Instituten und Hochschulen in Amerika Zuflucht. Der Soziologe Wolfgang Streeck ist hingegen ein Wissenschaftler, der sich selbst zumindest zum Teil in der Tradition des Marxismus sieht und der der Überzeugung ist, daß die fundamentale Systemkrise des Kapitalismus, die seine Kritiker vorhergesagt hatten, seit den 1970er Jahren nur in einem fort vertagt, aber nicht gelöst wird.

Warum werden die Bücher dieser beiden ganz konträren  Autoren, hier nebeneinandergestellt? Was verbindet sie? Scruton und Streeck sind beide zutiefst skeptisch gegenüber dem Versuch, einen europäischen Superstaat zu schaffen und die Nationalstaaten abzuschaffen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Aber so wie die EU in ihrer jetzigen Form als ein supranationales Gebilde, das Regierungshandeln von dem Zwang, sich demokratisch zu legitimieren, faktisch befreit, die Bürokratie und Einheitswährung gewordene Verwirklichung des Traumes zweier ganz unterschiedlicher Gruppen ist, so kommt auch die Kritik sowohl von links wie von rechts. Welche Eliten haben den europäischen Einigungsprozeß in den letzten 25 Jahren vorangetrieben? Eher linke Politiker und Intellektuelle, die den Nationalstaat als Überbleibsel alter Partikularismen ablehnen und große, teils deutsche, teils multinationale Konzerne sowie Banken, die den Nationalstaat nur als Hemmnis für ihr Geschäftsmodell sahen. So wie ein Bündnis von Habermas bis Ackermann den europäischen Einigungsprozeß vorangetrieben hat, so ist es auch nur angemessen, daß ihm – zumindest auf der intellektuellen Ebene -  eine Front der Kritiker von Scruton bis Streeck gegenübertritt.

Kommen wir zunächst zu Scruton. Sein Buch ist in dreizehn knappe Kapitel gegliedert und setzt sich mit der ökologischen Bewegung ebenso auseinander wie mit dem Kapitalismus, dem Multikulturalismus oder den gegenwärtigen Perspektiven des Konservatismus. Die letzten drei Kapitel sind überschrieben: „Realms of Value“, „Practical Matters“ und „A Valediction forbidding mourning but admitting loss“.

In der Einleitung zu seinem Buch, die ein Rückblick auf seinen eigenen politischen Lebensweg ist, stellt Scruton programmatisch fest: „Those experiences helped to convince me that European civilization depends upon the maintenance of national borders, and that the EU, which is a conspiracy to dissolve those borders, has become a threat to European democracy.“ (14). Warum ist der Nationalstaat so wichtig? Weil er es Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen erlaubt, friedlich zusammenzuleben, solange sie durch ein Gefühl der Loyalität gegenüber dem Territorium, das sie bewohnen, und durch eine gemeinsame säkulare Rechtsordnung geeint sind. Menschen können, das zeigt das Beispiel Amerikas, ganz unterschiedlicher Herkunft sein und dennoch als Nachbarn in einem Territorium durch das Bekenntnis zu einer gemeinsamen Geschichte und den damit verbundenen Meistererzählungen verbunden sein. Diese Erzählungen mögen zum Teil einen mythischen, jedenfalls nicht streng historischen Charakter haben, werden aber dennoch von den Bürgern respektiert, mögen sie auch unterschiedlich interpretiert werden. Während Amerika nach Scruton  auf diese Weise zu einer Gemeinschaft von Bürgern wurde, die sich als Nation verstehen, ist der europäische Einigungsprozeß eher der Versuch, ein Reich (empire) zu schaffen, das letztlich keine klaren territorialen Grenzen besitzt und eher durch Verwaltungsstrukturen und den Willen von Eliten als durch ein gemeinsames historisches Narrativ zusammengehalten wird. Warum ist diese Abwendung vom Nationalstaat so gefährlich? Weil Sie die Bürger nötigt, nach anderen kollektiven Identitäten zu suchen. Diese können sie z. B. in ethnischen, letztlich auf Herkunft und Verwandtschaft beruhenden Personenverbänden und Netzwerken, aber auch in religiösen Bekenntnisgemeinschaften finden.  Scruton thematisiert in diesem Kontext auch die gegenwärtige Entwicklung des Islam. Für ihn ist der Islam eine Religion, die die Legitimität von Nationalstaaten an sich als problematisch betrachten muß, weil ein Moslem sich in allererster Linie als Miglied der Umma, der brüderlichen Gemeinschaft aller Gläubigen sehen muss. Hinzu kommen die Vorbehalte gegenüber einem rein weltlichem Recht. Zwar, das betont Scruton, sei die Scharia eben gerade kein Kodex fester Regeln, dazu sei sie viel zu sehr ein von Rechtskundigen unter Berufung auf die Überlieferung geschaffenes „case law“, aber die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit des modernen säkularen Rechts fehle dieser Tradition eben, oder wie Scruton schreibt: „When God makes the law, the laws become as mysterious as God is.“ (35). Scruton sieht überdies den Versuch sehr kritisch, jede Kritik an anderen kulturellen Traditionen, die mit den Werten einer freien Gesellschaft nicht verträglich sind, als Rassismus zu brandmarken, wie das ja heute weithin üblich ist. Für ihn ist es andererseits ganz selbstverständlich, daß ein Mensch sich mehr als einer kulturellen Tradition zugehörig fühlen kann, und noch selbstverständlicher ist es für ihn, daß die Herkunft nicht die kulturelle Identität bestimmen muß. Der bedeutende Indologe Max Müller (1823-1900), ein Deutscher, der in England lebte und mit der klassischen Kultur Indiens besser vertraut war als viele gebildete Inder selber, wäre für ihn ein Beispiel für das zuhause Sein in mehr als einer Kultur. Er führt für die Unabhängigkeit der kulturellen Identität von der Herkunft auch den Fall des Komponisten und Wiederentdeckers Bachs, Felix Mendelssohn-Bartholdy an. Wagners antisemitische Angriffe auf Mendelssohn und sein angeblich typisch jüdisches musikalisches Werk sind für Scruton ein Vorläufer der heutigen Versuche, die Menschen vor allem über ihre Herkunft und „Rasse“ zu definieren, mag auch die dahinterstehende Absicht heute scheinbar, aber eben nur scheinbar, wohlwollender sein (90). Insgesamt ist die Zeitdiagnose Scrutons eine tief pessimistische, denn zumindest im Europa hat der Westen das Vertrauen in seine eigene Tradition verloren und Institutionen wie die EU sind so angelegt, daß sie letztlich jede Kritik an ihren Zielsetzungen – der Schwächung und Zerstörung der Nationalstaaten – neutralisieren können, das erleben wir ja täglich. Das Kapitel The Truth in Conservatism läßt trotzdem noch eine gewisse Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte einer freien Gesellschaft erkennen. Am Ende bleibt aber doch ein stark pessimistischer Grundton.  Hinter diesem Pessimismus stehen mehr als nur politische Überlegungen. Letztlich ist es für Scruton die Säkularisierung von Gesellschaft und Kultur, die eine unendliche Leere hinterlassen hat. Nicht zufällig setzen sich die philosophischen Werke Scrutons aus den letzten 10 Jahren zunehmend auch mit religiösen Problemen auseinander und sind dabei auch von einer spürbar, wenn auch nicht ausschließlich christlichen Perspektive geprägt. Am Ende bleibt für Scruton freilich zumindest im öffentlich Raum am ehesten noch das ästhetische Erleben als Trost in einer Welt, die ihre Orientierung verloren hat. Er schließt mit dem elegischen Satz: „We should live in the spirit of our Remembrance Sundays [der Tag, an dem in England der Toten der Weltkriege gedacht wird] seeing our losses, as sacrifices that have purchased the reprieve that we still enjoy.“ (184)

Nichts könne der Zeitanalyse von Wolfgang Streeck fremder sein als diese elegische Stimmung eines nostalgischen Konservativismus, obwohl auch Scruton wirtschaftspolitisch kein Neo-Liberaler ist. Aber auch Streeck ist mit Blick auf die Zukunft ein Pessimist. Er knüpft in seinen Adorno-Vorlesungen von 2012 an die Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung an, die in den 1960er und 70er Jahren von der Frankfurter Schule der Soziologie artikuliert wurde. Der damals prophezeite Untergang des Kapitalismus ist freilich nicht eingetreten. Warum nicht? Eine wesentliche Antwort, die Streeck darauf gibt, ist diejenige, daß die Krise des Kapitalismus zumindest zum Teil auf Kosten der Demokratie gelöst wurde, oder wie er schreibt: „Sicher bin ich mir, dass es sich heute um eine Spätzeit der Demokratie, insofern handelt, als die Demokratie wie wir sie kennen, auf dem Weg ist, als restributive Massendemokratie sterilisiert und auf eine Kombination von Rechtsstaat und öffentlicher Unterhaltung reduziert zu werden.“ (28) Auch wenn man Streecks politische Standpunkte in vielen Fragen nicht teilt, wie der Rezensent,  und man in ihnen sogar die ohnmächtige Trauer um eine von den Gewerkschaften dominierte Arbeitswelt sehen kann, die keineswegs nur attraktive Züge besaß, ist es an diesem Punkte schwer, ihm wirklich zu widersprechen, denn den Weg zur bloßen Fassadendemokratie haben wir spätestens mit der Schaffung der Euro-Rettungsschirme beschritten.

Wie begründet Streeck seine Position? Nach Streecks Ansicht setzte in den 1980er Jahren eine neo-liberale Offensive ein, die die Sozialausgaben kürzte und die Steuern senkte, damit aber auch zu einer wachsenden Ungleichheit der Einkommen beitrug. Auf Amerika, und dies ist das Paradebeispiel für Streeck, trifft dies sicher zum Teil zu. In Europa waren die vergleichsweise eher zurückhaltenden Reformen des Sozialstaates, an denen Streeck im übrigen unter Schröder als Berater selbst mitgewirkt hat, hingegen eine schwer vermeidliche Antwort auf Strukturprobleme der westlichen Gesellschaft, die man mit den Schlagworten De-Industrialisierung und Globalisierung, aber auch – in vielen Ländern – Überalterung der Bevölkerung umschreiben kann. Dabei verband sich das Wachstum des Dienstleitungssektors zum Teil mit einer starken Einwanderung von eher gering qualifizierten Arbeitskräften, die nur in jenen Ländern, wie z. B. England, leidlich erfolgreich bewältigt  werden konnte, die bereit waren, ihren Arbeitsmarkt zu deregulieren und den Niedriglohnsektor auszuweiten. All dies sind Probleme, die Streeck gänzlich ausblendet und hier liegt sicher eine große Schwäche seiner Analyse. Plausibler schon ist seine Behauptung, daß die westlichen Staaten angesichts der fehlenden Möglichkeit oder des fehlenden Willens ausreichend Steuern zu erheben, um weiter im früheren Umfang Investitionen und Sozialausgaben zu finanzieren, die Kreditschöpfung durch die Finanzindustrie seit den 1980er Jahren durch Deregulierungen deutlich erleichterten. Billige Kredite führten der Wirtschaft auch in Konjunkturkrisen Liquidität zu, in einer Zeit, als der Staat dies nicht mehr in ausreichendem Maße konnte, oder aber sie erlaubten dem Staat selber eine Verschuldung zu relativ niedrigen Zinssätzen, wie das in Griechenland oder Italien nach Einführung des Euro der Fall war. Faktisch wuchs damit freilich auch die Abhängigkeit des Staates von den Banken und Finanzdienstleitern, von Investoren also, die entweder als Gläubiger unmittelbar Druck auf den Staat ausüben können, oder die in einer Finanz-Krise, wenn die Liquiditätsblase platzt, auf Staatskosten zu retten sind, weil sie „too big to fail“ sind.

Was hat das alles nun mit der EU zu tun? Streeck sieht den Masterplan für die Schaffung der Europäischen Währungsgemeinschaft also des Euro, aber auch für die europäischen Einigung  an sich in einem Aufsatz von Friedrich von Hayek von 1939 mit dem Titel „The Economic Conditions of Interstate Federalism“.  Hayek sah bekanntlich im Staat und in dessen Eingriffen in die Wirtschaft die größte Gefahr für die menschliche Freiheit. Seine Hoffnungen richteten sich u. a. auf einen supranationalen Staatenbund, der den alten Nationalstaaten die Macht nehmen würde, die Wirtschaft einschränkenden Regeln zu unterwerfen oder den Sozialstaat auszubauen. Auf supranationaler Ebene aber, davon war Hayek überzeugt, würde man niemals einen ausreichenden Konsens erzielen, um einen Interventionsstaat zu legitimieren. Eine supranationale Institution mochte genug Legitimität besitzen, um zum Beispiel Voraussetzungen für den freien Austausch von Waren und Dienstleitungen und faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, aber eben nicht genug um eine interventionistische Sozial- und Umverteilungspolitik zu betreiben. Natürlich waren die Architekten der jetzigen EU, allen voran der französische Sozialist Jacques Delors, alles andere als Anhänger von Hayek, aber die jetzige EU sieht, das zumindest meint Streeck, in mancher Hinsicht doch ein wenig so aus, wie die von Hayek erträumte Föderation, allerdings als ihre dysfunktionale Variante.  Vor allem durch die inhärenten Mechanismen der Währungsunion, also des Euro, ist es gelungen, den Einfluß der nationalstaatlichen Parlamente und damit auch der Bürger selber auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik einzuschränken. Es ist am Ende doch ein, wenn auch zur Zeit von der EZB auf Kosten der Sparer und Gläubiger – ein Aspekt, der bei Streeck freilich vollständig fehlt – stark abgemilderter Zwang zu einer Konsolidierungspolitik entstanden, dem man sonst durch Abwertungen hätte ausweichen können. Nach Streeck entwickelt sich dadurch eine Lage, in der die Interessen der „Märkte“, sprich der Finanzindustrie am Ende Priorität haben gegenüber den Interessen der eigenen Bevölkerung. Das ist vielleicht eine gewisse Überspitzung, zumal zur Finanzindustrie auch Versicherungen gehören, die das Geld kleiner Sparer verwalten, aber, das ist unverkennbar, Entscheidungen werden immer stärker auf die europäische Ebene verlagert; zum Teil noch nicht mal zur Kommission und zum Ministerrat, sondern zur EZB, die in Gestalt ihres Chefs, Mario Draghi, zur heimlichen europäischen Wirtschaftsregierung wird. Von einer genuin demokratischen Legitimation dieser Institutionen kann nicht wirklich die Rede sein, hier ist Streeck zuzustimmen. Anders als z. B. sein früherer Weggefährte Habermas hält Streeck eine Demokratisierung der EU letztlich für unmöglich. Zu groß seien die genuinen Interessenkonflikte zwischen den Nationalstaaten, die eben immer noch als soziale Solidargemeinschaften funktionierten. Zu groß sei auch das elementare Interesse vor allem der kleineren Staaten, sich in wichtigen Fragen zumindest ein residuales Vetorecht zu sichern, um nicht ganz an den Rand gedrängt zu werden.

Unter diesen Umständen ist der Euro für Streeck ein „frivoles Experiment“, weil er eine Einheit und Homogenität zwischen den Staaten voraussetzt, die einfach nicht erreichbar sei. Stabilisieren könnte man ihn nur durch enorme Transferzahlungen, die aber, und dies rechnet Streeck seinen Lesern genau vor, unbezahlbar wären. Italien hat jahrzehntelang zwischen 3 und 5 % seines Sozialproduktes aufgewandt um den Süden, den Mezzogiorno, durch Subventionen zu stützen. Das Resultat ist, daß dort das Pro-Kopf Einkommen immer noch oder wieder (es war schon mal bessser)  rund 40 % unter dem des nördlichen Italien liegt. Wie viel Geld Deutschland und die Niederlande, die einzigen möglichen größeren Geberländer, aufwenden müßten, um auch nur Griechenland, Spanien und Portugal über Wasser zu halten, deren Pro-Kopf Einkommen 2011  35 %  unter dem der nördlichen Länder lag, läßt sich leicht ausrechnen. Ein solches Szenario ist unrealistisch, zumal vermutlich auch noch Italien und Frankreich bis zu einem gewissen Grade mitsubventioniert werden müßten und in Zukunft dann auch noch zahlreiche osteuropäische Länder, wenn diese dem Euro beitreten. Streeck plädiert daher für einen Rückbau der Währungsunion zu einem neuen Bretton-Woods, also zu einem System, das Abwertungen zuläßt, aber zu kontrollieren sucht.  Eine solche Struktur komme anders als das jetzige ohne „Anmaßung von Wissen“ (ein Hayek Zitat), also eine von oben verordnete Planung aus, und funktioniere deshalb als ein System „verteilter Intelligenz“ (249). Die politischen Eliten lehnen allerdings jede Diskussion über eine solche Lösung rigoros ab und die europäischen Institutionen sind so konstruiert, daß ein größerer Rückbau schlechterdings nicht vorgesehen ist. Eine Reform, die nicht irgendwie doch „mehr Europa“ bedeutet, ist auf den vorgezeichneten Wegen kaum möglich, da ist sich Streeck mit Scruton einig.

Was bleibt also? Anders als Scruton setzt Streeck dann doch nicht auf den Trost des Ästhetischen oder gar der Religion, sondern auf die Kraft des Protestes. Streeck schreibt: „Wenn konstruktive Opposition unmöglich ist, bleibt für diejenigen, die sich nicht damit begnügen wollen, auf Lebenszeit Schulden abzuzahlen, die andere für sie aufgenommen haben, nur destruktive Opposition“, und es gebe politische Situationen in denen das „Unvernünftige das einzig Vernünftige“ sei. Wenn das politische System glaube, die Menschen nur noch als Verfügungsmasse behandeln zu können, dann sei die Stunde eines Widerstandes gekommen,  der nicht mehr rational sei (218-219). Denn wenn die Regierungen nur noch durch die Angst vor der Panik der Finanzmärkte getrieben würden, dann sei es vielleicht ganz gut, wenn die Bürger den Regierenden zeigten, daß sie auch in Panik verfallen könnten, ganz genauso wie die Finanzinvestoren. Nur das könne die Politik überhaupt noch zum Nachdenken zwingen. Das ist natürlich eine recht radikale Schlußfolgerung, aber unabhängig davon, ob man dieser Gegenwartsanalyse nun folgt oder lieber der Erinnerung an eine bessere Vergangenheit nachhängt, wie es Scruton empfiehlt, faktisch hat die Stunde der Panik der Bürger schon begonnen, in Deutschland genauso wie im Ausland.  Die politischen Eliten haben so viel Vertrauen verspielt, daß sich diese Kräfte nicht mehr leicht werden eindämmen lassen. Mit ihnen umzugehen, wird allerdings auch für die AfD nicht leicht sein. Fehler, die man hier macht, können leicht Existenz und Zukunft der Partei gefährden, wie man in diesen Tagen sieht. Aber dennoch kann man am Ende Streeck nicht ganz widersprechen, daß man der Arroganz der europäischen Funktionseliten ohne eine gewisse Bereitschaft, sich auch auf das scheinbar Unvernünftige einzulassen, nicht mehr wird beikommen können. Manchmal hat auch die anarchische Geste ihre Berechtigung, hierin kann man Streeck zustimmen.

 

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