Zur Hölle mit der Deflationsangst!

Die europäischen Mächte fürchten sich vor einer Deflation. Doch was würde sie für die Bürger bedeuten, auf den es doch letztlich ankommt? Er kann auf sinkende, zumindest einigermaßen stabile Preise hoffen. Was soll daran verwerflich sein?

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Anmerkungen eines Homo Ökonomikus (ohne VWL-Titel). Eingeleitet und mit einem Nachwort frei nach Karl Marx' Kommunistischem Manifest.

»Ein Gespenst geht um in Europa« - das der Deflation. »Alle Mächte in Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagt gegen dies Gespenst verbündet«: Die EZB und die Finanzminister, französische Sozialisten und deutsche Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einer Todesspirale.

Es ist hohe Zeit, dass sich der Homo Ökonomikus dem entgegenstellt. Seine rational-, wirtschaftlich und sozial geprägten Entscheidungen sollen ja das wichtigste Fundament der freien Wirtschaftsordung sein. Was also bedeutet die Deflation für ihn?

Er kann auf sinkende, zumindest einigermaßen stabile Preise hoffen. Er kennt das von der Tankstelle: Den niedrigsten Preis der Woche nutzen, um vollzutanken. Was soll daran verwerflich sein, auf niedrigere Preise zu warten, darauf, dass er sich die täglich auf den Markt kommenden »Neuerungen« leisten kann? Was bedeutet das Schreckgespenst »Deflation« für ihn und die deutsche Volkswirtschaft, von der er abhängt?

Technik:

Mit etwas Verzögerungen kamen seit jeher die Sicherheitsfeatures der »S-Klasse« auch in der »C-Klasse« an. Der Preisverfall gehört zur Innovation wie Messer und Gabel zum Mittagessen. Deutlichster Indikator ist, seit Jahrzehnten, der Preis für digitalen Speicherplatz. Er halbiert sich alle 12 Monate und ist so etwas wie der »Brotpreis« des IT-Zeitalters.

Energie:

Kein Preis ist bei uns staatlich so nach oben dirigiert. Aber noch höhere Preise wären für die Wirtschaft brandgefählich - und für noch mehr Verbraucher ruinös.

Lebensmittel:

Auch hier gilt: Die Preise sind kein Konjunkturindikator. Wetter und Politik sind »schuld«. Dass der Verbraucher, wenn der Weltmarkt für Kaffee boomt, auf Tee ausweicht oder bei steigenden Kakaopreisen statt Schokolade mal ein Marzipanbrot kauft, ist weltweit geübte Praxis. Wollen wir höhere Getreidepreise? Dafür sorgt schon unsere Förderung von Energie aus Biomasse. Die Ärmeren dieser Welt sind genauso betroffen, wie der Brotkäufer bei ALDI.

Also bitte nicht noch mehr am Brotpreis (noch oben) drehen. Außerdem: Wer sich in Wirtschaftskriege begibt (Embargo Russland),muss mit Kollateralschäden rechnen.

Immobilienpreise:

Klar, der Mietpreisindex wirkt der Deflation entgegen. Aber teure Mieten schwächen den Konsum insgesamt (mit und ohne Inflation). Und Immobilienpeise können zur gefährlichen Blase werden.

Dienstleistungen:

Dank der Steuer- und Lohnnebenkosten (bald plus Mindestlohn) ist längst ein Niveau erreicht, dass Schattenwirtschaft begünstigt.

Investitionsgüter:

Ja, höhere Preise, wer hätte die nicht gern. Aber Europa ist keine Insel. Unsere Produkte müssen tendenziell billiger werden, um sich auf dem Weltmarkt zu behaupten..

Sparer, Rentenbezieher, Beamte und alle Arbeitnehmer: 

Für sie gilt: Stabile Preise sind besser als Inflation - insbesondere weil die kalte Progression jeden automatisch zum Verlierer macht.

Und die Unternehmen?

Weniger Inflation bedeutet auch weniger Druck bei Tarifauseinandersetzungen und damit, wegen stabilerer Lohnkosten, bessere Chancen auf dem Weltmarkt.

Irgendwie wissen wir es doch alle: Das Preisniveau in Europa (vor allem im Süden) ist überzogen. Die Milch in Griechenland, der Espresso in Venedig usw. Da gibt es noch viel Anpassungsspielraum - nach untern. Also nützliche Deflation.

Wer aber profitiert von den schneller steigenden Preisen dem erklärten Ziel der EZB? Es sind die staatlichen Schuldenmacher, die hoffen, dass ihre Billionendefizite »irgendwie« von der Inflation abbezahlt werden. So sind die Summen, die Draghis EZB in den Markt pumpt, wohl letztendlich gemeint. Statt das System durch Strukturreformen und Abgabenentlastung fitter zu machen, setzten die EZB und ihre Verbündeten, im wahrsten Sinne des Wortes, auf »billiges Geld«. Schulden in einer Währung, die bald nichts mehr wert ist, lassen sich leichter zurückzahlen. Und alle, die sich nicht bis über beide Ohren verschuldet haben, beißen die Hunde.

Noch einmal, abgewandelt, das Marxsche Manifest: »Mögen die herrschenden Klassen vor der kommenden Revolution erzittern (hier: dem Widerstand gegen Inflation, Eurorettung und Staatsverschuldung). Die Proletarier (hier: die hart arbeitenden Bürger) haben nichts zu verlieren als ihre Ketten (hier: Den Wert ihrer Einkommen und Ersparnisse) - aber eine Welt zu gewinnen (eine ehrlichere Wirtschafts- und Geldpolitik).

Bürger aller Länder, vereinigt euch!«

Statt eines Smilies: Jetzt bitte ein versöhnliches Lächeln!

Zuerst erschienen auf lyrikheute.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Martin

Die Hochfinanz hat das Geldsystem so eingerichtet, daß je nach Bedarf, den der COmputer berechnet, zwischen Deflation und Inflation gewechselt werden kann ...

falls es euch interessiert, ich beschreibe das in diesem Artikel:
http://www.onlinetechniker.de/?q=content/sind-wir-deutsche-wirklich-schuld-dem-wirtschaftlichen-niedergang-der-eu-und-wie-gehts-wirkl

ein Zitat aus dem Artikel:
Jetzt gibt es noch das Problem, daß bei Geldsystemen, die inflationssicher sind, wie etwa Bitcoins und Edelmetalle, die Geldmenge nicht beliebig vermehrbar ist. Die Geldmenge der Bitcoins ist beispielsweise auf 21 Millionen Bitcoins begrenzt. Für einen kreditfinanzierten Boom braucht man aber sehr viel Geld, daß würde dazu führen, daß Bitcoins mit steigender Nachfrage immer teurer würden. Es käme zu einer Deflation. Da es sich dann lohnt das Geld (dessen Wert immer weiter steigt) zu horten, würde das Geld nicht mehr frei fließen. Damit käme der kreditfinanzierte Boom mit einem Geldmengen-begrenzten Geldsystem wie den Bitcoins sehr schnell zum Erliegen.
Dieses eben von mir beschriebene Problem war dann wohl auch der Grund, warum sich die Finanzarchitekten eine Stellschraube überlegt haben, wo sie einer zu stark steigenden Deflation, durch entsprechende Erhöhung der Geldmenge, gegensteuern können. Deshalb wurde wohl auch 1971, die Federal Reserve Bank (FED) durch den amerikanischen Präsidenten von der Golddeckung befreit. Jetzt wurden die Dollars nicht mehr nur auf Grund ihrer Goldreserven ausgegeben, sondern man konnte sie bei Bedarf auch frei und hemmungslos drucken."

Gravatar: Blobfisch

Ich muss ja zugeben, Volkswirtschaftlehre habe ich schon in der Schule nie wirlich verstanden oder nachvollziehen können und entsprechend ist wenig davon hängen geblieben.

Ich kann mich daran erinnern, dass Inflation bedeutet, es gibt weniger Geld und von dem Geld kann man sich auch weniger Güter kaufen und Deflation bedeutet, es gibt mehr Geld und Geld hat auch eine höhere Kaufkraft.
Dann habe ich meinen Lehrer natürlich gefragt, was an der Deflation denn so schlimm ist, wenn alle mehr Geld haben und sich mehr kaufen können, das ist doch ideal?
Mein Lehrer hat nur gemeint, Deflation sei schlecht, aber eine zufriedenstellende Erklärung, warum das so ist, habe ich nie bekommen.

Gravatar: harald44

Also ich hatte in meinem Leben viele Menschen getroffen, die sich um Inflation sorgten, was entweder bedeutet steigende Preise bei konstanten Löhnen oder konstante Preise bei fallenden Löhnen.
Aber nie begenete mir ein Bekannter, Verwandter oder Arbeitskollege, der sinngemäß geäußert hätte: "Also ich will mir etwas teures anschaffen, aber ich warte noch ein oder zwei Jahre, dann erst leiste ich mir diese Anschaffung, denn dann wird sie bestimmt billiger sein..."
Woher will er das wissen und warum gibt es diese Aussage nicht?
Konsumsgüter werden nur äußerst selten über einen langen Zeitraum konstant angeboten, sondern sie verändern sich technisch und können deshalb teurer werden oder sie verschwinden ganz vom Markt und werden durch ein neues, ähnliches oder verändertes Produkt ersetzt. Ferner ist der Mensch nicht dazu geschaffen eine angesparte Summe Geldes über einen längeren Zeitraum festzuhalten, um davon eine genau spezifizierte Anschaffung zu machen. Er wird das Geld nach einer gewissen Zeit für etwas anderes ausgeben oder das Interesse am Kauf der ursprünglichen Anschaffung verlieren.
Daher ist die von selbsternannten Wirtschaftswissenschaftlern beschworene Deflation eine reine Fiktion, die in der Realität nicht so wie beschrieben auftreten wird.

Gravatar: Waldgänger aus Schwaben

Ja, Herr Suhr, da bin ich Ihrer Meinung. Das Gerede von der Deflation soll vor allem die Umverteilung der Macht von den gewählten Parlamenten zur EZB voran treiben. Und das Umverteilen von Vermögen vom Mittelstand hin zu Banken und Großkonzernen.

Wäre tatsächlich eine Deflation zu fürchten, gäbe es ein einfaches Mittel:
Gebt den Leuten, der breite Masse mehr Geld in die Hand. Hat die breite Masse mehr Geld, geht das meiste davon in den Konsum, die Preise steigen und die Deflation ist gebannt.

Da ich staatliche Eingriffe in die Tarifautonomie ablehne, wäre das Mittel der Wahl das bedingungslose Grundeinkommen.
Anfangen könnten wir mit 100 Euro pro Brüger und Monat. Der Betrag wird langsam solange erhöht, bis die Preise im gewünschten Maße anziehen.

Nur als Extrembeispiel:
Bei 5000 Euro bedingslosem monatlichem Grundeinkommen hätten wir sicher eine Preissteigerung von weit über 100% gegenüber den heutigen Preisen

Gravatar: Freigeist

So lange die Vermögenspreise noch steigen, Häuser, Wohnungen etc.. ist alle Angst vor Deflation totaler Unsinn. Und sollten die Immobilien-Preissteigerungen der vergangenen Jahre wieder zurückgenommen werden müssen, wo ist das Problem? Häuserpreis aus dem Jahre Zweitausend waren doch wohl schon hoch genug, für die Normalverdienerfamilie.

Gravatar: Dr. Günter Buchholz

Eine Stellungnahme zur aktuellen Wirtschaftspolitik kann hier schon aus Gründen des Umfangs nicht gegeben werden. Jedoch scheint mir erkennbar zu sein, dass die Folgen der Austeritätspolitik zwar zunächst Südeuropa betroffen haben, aber jetzt ihr Zentrum, nämlich Deutschland, erreicht haben. Das war zu erwarten.

In diesem Zusammenhang scheint mir der folende Beitrag lesenswert und diskussionswürdig zu sein:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/das-gespenst-der-deflation/

Auch auf die Beiträge von Flassbeck/Spieker seien wirtschaftstheoretisch und -politisch Interessierte hingewiesen:
http://www.flassbeck-economics.de/

Gravatar: Dr. Günter Buchholz

Verehrte Mit-Kommentatoren,

bitte lesen Sie doch erst einmal, wie es gewesen ist.

Pressler stellt das wirklich detailliert und sehr gut dar, aus internationaler Perspektive, mit Betrachtung der wichtigsten Krisenländer, einschließlich Deutschand, und unter Berücksichtigung der Theoriekrise. Das betrifft die ganze Zeitspanne vom Ersten Weltkrieg bis einschließlich der anhaltenden gegenwärtigen Finanzkrise. Es ist eben alles nicht so einfach, wie manche wohl denken.

Dr. Günter Buchholz

Gravatar: Giselher Suhr

Sehr geehrter Herr Dr. Buchholz,

wiederholt sich Geschichte? Die Bedingungen sind heute anders als 1929, aber was ist mit "unserer" Hyperinflation von 1923? Dafür waren die ungeheuren Geldmengen verantwortlich.
Die Geldmengen (global) sind heute nicht weniger furchterregend, nein, man könnte in Panik geraten!
Meine kleine Aufzählung sollte deutlich machen, dass heute die meisten Preise gar nicht mehr am Markt gebildet werden. Draghis monetäre Kampfmittel (es fing ja mit "Dicke Berta" und "Bazooka" an) können also nur in wenigen Bereichen ihre preissteigernde Wirkung entfalten. Und dort führt zu viel Geld bekanntlich zu Blasen und....Bankerotten.
Deshalb sollten die Politik und Medien das Thema Deflation krischtisch und im Detail diskutieren - so etwa, wie es jetzt mit der Peanuts-Maut geschieht.

Mit besten Grüßen
Giselher Suhr

Gravatar: Klimax

Deflationsangst wird geschürt, damit man dann leichter inflationieren kann. Wie sie richtig feststellen, ist Deflation im Grunde nichts Schlimmes. Allerdings schon, wenn man Schulden hat. Und das haben Staaten und Kreditinstitute. Und deswegen wollen sie gern Inflation haben, um ihre Schulden zu minimieren, auf Kosten von Sparern und Rentnern. Inflation will aber natürlich das Volk nicht, und deswegen wird Angst vor Deflation geschürt, und man tut so, als würe es für die Wirtschaft furchtbar schlimm, wenn die Preise fielen. Der Herr Buchholz hat diese Lehre ja auch genau so angenommen, wie wir das offenbar verstehen sollen.

Nur geht es nicht um Scylla und Charybdis, und auch die erste Wirtschaftskrise hatte andere Gründe als Deflation, nämlich das Kreditwesen, das auf ungedecktem Fiat-Money beruht und staatliche bzw. zentralbankliche Eingriffe in das Geldwesen. Erst werden künstlich Blasen erzeugt, dann brechen diese zusammen und wir haben eine Krise, die unsere Politiker dann lösen wollen, indem sie das Instrument anwenden, das erst zur Krise geführt hat.

Eine Deflation ist letztlich nichts anderes, als eine Marktbereinigung nach falscher Wirtschaftspolitik. "Deflation ist Wahrheit, Inflation Betrug" hat Roland Baader einmal gesagt.

Und ehrlich: wer glaubt, die Aufblähung der Geldmenge, wie sie unsere Zentralbanker betreiben, führe zur Deflation, der ist wohl ein sehr schlechter Lateiner. Inflation bedeutet Ausweitung, Deflation Schrumpfung der Geldmenge.

Gravatar: Dr. Günter Buchholz

Sehr geehrter Herr Suhr,
ich denke, dass Sie sich im Irrtum befinden.
Inflation und Deflation sind für die Wirtschaftspolitik das, was Scylla und Charybdis für Odysseus waren, nämlich zwei gleichermaßen bedrohliche Ungeheuer, zwschen denen er aber hindurch mußte. Die beiden deutschen Inflationen (1923 und 1945-48) waren Folgen der jeweiligen Kriege sowie der Kriegsgsfolgen.
Das Elend der weltweiten Depression ab 1929 ist demgegenüber, z. B. in den USA und Großbritannien, in sehr bitterer Erinnerung. Dort weiß man, was Deflation und Depression praktisch bedeuten. In Deutschland ist das kaum im Bewusstsein. Hier werden sogar oft Deflation und Depression mit Inflation verwechselt. Oder es ist gar nicht im Bewusstsein, was Deflation und Depression bedeuten. "Deflation, was ist das?" hört man dann.
Das alles bedarf dringend der Aufklärung, und ich schlage hierfür die folgende kluge, kenntnisreiche und gut lesbare Lektüre vor:

Florian Pressler
Die erste Weltwirtschaftskrise
Eine kleine Geschichte der Großen Depression
beck´sche Reihe, TB, München 2013

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Günter Buchholz

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