Zur falschen Zeit am falschen Ort

So, so ‚Pussy Riot’, wie sich die jungen Frauen, die nun in Moskau verurteilt wurden, nennen, ist also eine „Punkgruppe“.

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Wir haben übrigens das Jahr 2012. Punk war schon 1977 daneben. Ich weiß es noch: Da galt die schrille Parole NO FUTURE. Das ist lange her. Wieso gibt es Punk immer noch? Das war doch alles nix. Die berühmte Version von ‚My Way’ von den ‚Sex Pistols’ offenbarte auch nur, dass Punk sich in der Parodie erschöpft und keine eigenen Inhalte hat. Punk ist ein Null Ouvert. Die Musik ist nichtig, tumb und laut. Der Gestus ist verlogen, er tut, als würde er gegen die Kommerzialisierung angehen – und er ist doch selber nichts anderes. Ein Werbegag. Nur diesmal ohne Tauschwert: der große Rock’n’Roll Schwindel.

Entstanden ist die „Musik“ als Antithese zu der künstlerischen Entwicklung, die sich in der Popmusik herausbildet hatte, bis hin zu dem, was man unbeholfen „Art-Rock“ nannte (nicht etwa „Hardrock“, sondern „Art“ wie Kunst); um die Gruppe Henry Cow, mit Namen wie Art Bears und Stormy Six/Macchina Maccheronica. Die Popmusik wurde erwachsen und raffiniert – da traten wieder ungezogene Kinder auf, die nichts zu sagen hatten und nicht üben wollten.

Falls jemand die Bücher von Rocko Schamoni (Künstlername – soll ein Scherz sein) kennt: ‚Dorfpunks. Entschuldigung, es ging nichts anders’, oder ‚Sternstunden der Bedeutungslosigkeit’ – der sieht es selber: Da wird es in quälender Ausführlichkeit beschrieben, dass da einfach nichts dran ist, gar nichts (was allerdings ein Theater in Hamburg nicht davon abhält, ein Stück daraus zu machen).

Sie sind irgendwie gegen alles. Außer gegen Bier, Staatsknete und Berühmtsein. Die Punks sind Schmerzensmänner ohne Gott. Sie saufen. Sie öden sich an. Sie leisten sich sogar einen Ausflug nach Berlin zum Kotti, wo sie sich prügeln – geil, irre, Wahnsinn. Die arme Mutter musste manchmal im Nachthemd im Auto losfahren, um ihren Jungen zu suchen. Was musste sie alles erdulden: Diese anstrengende Geschmacklosigkeit, den Zwang, sich selbst zu verunstalten mit zerrissenen Klamotten und Irokesen-Frisuren. Ich sehe diese Gestalten immer noch vor mir: Da steht der wohl situierte Herr mit seiner Aktentasche dem Punkt gegenüber, der ihn anpöbelt: „Ihr immer mit eurem Sicherheitsdenken“, worauf der Herr antwortet: „Und ihr immer mit eueren Sicherheitsnadeln“.

Und nun stellen wir uns vor: Da kommen drei junge Frauen mit den „künstlerischen“ Mitteln einer dummen, mehr als dreißig Jahre alten und längst toten Mode aus dem ehemals feindlichen Ausland und mit einem Namen, der für die westliche Sensationspresse zugeschnitten ist. Man muss nämlich wissen, dass bei Gottesdiensten in Moskau nicht englisch gesprochen wird und dass die Besucher in der Kirche nicht unbedingt ein Wörterbuch dabei haben. Also: Wenn das neue Opposition sein soll, der neue Weg zur Demokratie – dann möchte ich vielleicht doch lieber etwas anderes.

Oder stellen wir uns vor, ein Frauentrio, das sich ‚Mösen-Aufruhr’ nennt, erscheint unangemeldet bei einem der spektakulären Gottesdienste, die Margot Käßmann einst zelebrierte, drängt sich an den Altar, um ein „Gebet“ vorzutragen, dass einen radikalen politischen Kurswechsel fordert. Hätte da die ehemalige Bischöfin mitgebetet?

Nein, ich will mir das gar nicht vorstellen. Ich kriegte plötzlich wieder Lust, die finnische Gruppe ‚Leningrad Cowboys’ zu hören (‚Bueno Vodka Social Club’, ‚Total Balalaika Show’); die man im weitesten Sinne auch zum Punk rechnet und die übrigens auch sehr aufwändige Frisuren haben, so genannte Einhorn-Frisuren: Sie spielen zusammen mit dem ‚Chor- und Tanz-Ensemble der Sowjetarmee’, dem man anmerkt, dass ihnen die englischen Texte nicht so leicht von den Lippen rollen, solche Lieder wie ‚Sweet Home Alabama’, ‚Knocking on Heaven’s Door’, ‚Stairway to Heaven’ oder ‚Yellow Submarine’. Auch als Parodie. Aber nicht als Provokation, bei der es nur um die Provokation selber geht.

Und was sehen wir da - dokumentiert in den Filmen von Aki Kaurismäki? Die Russen sind nicht humorlos. Sie verhaften nicht sofort alles, was aus dem Westen kommt und ihre Heiligtümer aufs Korn nimmt. Es sind liebevolle Scherze, bei denen die Musik respektiert wird.

Denn das nehme ich dem Punk übel: sie respektierten nicht mal die Musik.

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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