Zum Nischelschütteln

Geschichte wiederholt sich nicht, wenn doch, dann als Farce. Der Satz von Onkel Marx könnte auch abgewandelt werden auf die Kopie von Demonstrationen. Wie am Montag in Chemnitz.

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Auf den letzten Drücker hatte die Stadtverwaltung hier eine Solidaritätsdemo mit der verbotenen Mutter aller Demonstrationen in Dresden genehmigt. Doch was sich dann auf dem Chemnitzer Hauptmarkt abspielte, konnte man beim besten Willen nicht ernst nehmen. Es war zum Nischelschütteln. Wenn man sich aus Richtung des vom Volksmund so getauften Karl-Marx-Denkmals näherte, fiel eins auf: Die Akustik in Chemnitz ist phänomenal. Aus der Ferne hörte es sich an wie, ja, doch, man muss es sagen, wie Reichsparteitag. Nicht nur innerlicher. Bog man um die Ecke des Turmcenters entfaltete sich das ganze Panorama des neuen Sächsischen Bauernkrieges gewissermaßen in nuce. Da standen etliche Menschen. Lassen wir es nach unmaßgeblicher Schätzung des Autors 200 sein. An den Ecken des Platzes hatten Polizisten im Helm-ab-Status Stellung bezogen und unterhielten sich. Im Arkadengang des Einkaufszentrums standen eingekesselt gut fünfzig Gegendemonstranten. In ihrer szenetypischen Aufmachung, eingerahmt von den Rittern des Staates, wirkten sie wie eine Art Gefangenchor, oder, passend zum Weihnachtsland Erzgebirge, eine abgerissene Kurrende. Und sie sangen die sattsam bekannten Weisen. Darunter "Nie wieder Deutschland", davon sogar die erste Strophe, und „Wir haben euch zum Kotzen satt“. Und natürlich den Klassiker „Haut ab“. Alle drei Strophen. Das Ganze wurde untermalt durch das nervtötende „Bing, bing, bing“, das ein Mittvierziger mit seiner Fahrradklingel machte. Angesprochen, warum er das tue, sagte er, weil er es unerträglich fände, was hier gesprochen werde. Auf den Einwand, er höre doch gar nicht, was gesagt werde, lächelte er nur wissend und bingte weiter. Dass es Klapsmühlen gibt, in denen es getragener zugeht, dürfte außer Frage stehen.

In der Mitte des Platzes mühten sich unterdessen die Cegidaanhänger, einen Redner wieder unter Kontrolle zu bekommen, der die Gunst des offenen Mikrofons genutzt hatte, um gegen das „Dreckspack von Staatsanwälten“ und anderen Staatsbütteln zu wettern.

Die hatten es sich gewissermaßen auf der Galerie im Dunkeln gemütlich gemacht. Im ersten Stock des wuchtigen Chemnitzer Rathauses lugten immer mal ein paar Gesichter durch die Scheiben. Die Fassade des abgedunkelten Gebäudes erinnert in ihrer wilhelminischen Ausführung noch an die goldenen Zeiten im sächsischen Manchester. Hier war die Textilindustrie zu Hause. Und die Werkzeugtechnik. Gleich nebenan, in Zwickau, bastelte Herr Horch an und in seiner Auto-Union. Sachsen gilt als die Wiege des Automobilbaues. Tempora mutantur.

Am Montag hatten die Rathausmitarbeiter zwischen zwei Fenstern ein Banner gespannt, das so zerknittert war, dass man nur schwer die Losung „Refugees welcome“ lesen konnte. Was wohl aber die neue Staatsdoktrin sein muss, sonst würde das Banner nicht an einem öffentlichen Gebäude hängen. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass hier eine SPD-Frau am Ruder sitzt. Ihr großer Vorsitzender, der jetzt in Dresden sogar einen „Staatsminister“ (so heißt das hier tatsächlich) geben darf, schaltet um, wenn Frank Richter, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, bei Günther Jauch in Sachen Pegida etwas erklärt. Richtig. Was kann man schon von so einem lernen? Da hat doch der Martin in den vielen Semestern an der evangelischen Akademie in Dresden genug studiert. Und wie es ist, wenn man sich seit Schülertagen durch Dutzende Gremien der „Arbeiterpartei“ SPD bis auf die Landesliste und die Spitze der Fraktion hochsitzt, weiß keiner besser als er. Vielleicht hat es auch andere Gründe. Etwa die neuesten Vorkommnisse in der Schneeberger Erstaufnahmeeinrichtung. Von Hungerstreik war die Rede. Keiner weiß, was los ist. Nur, dass fast jeden Tag was los ist in Sächsischen Aufnahmeeinrichtungen, ist sicher. Vielleicht sollen die Refugees von dort demnächst ins Rathaus? Wer weiß? Fachkräfte werden überall gebraucht. Hört man. Sicher auch in der Verwaltung. Libyer könnten hier wertvolle Erfahrungen einbringen wie ein failed state gemanagt wird. Aber das waren nur so Gedanken, die sich einstellten, wenn man den größtenteils vorhersehbaren Reden und Gegenreaktionen lauschte.

Ein bißchen Action kam auf, als die Menge der Politspanner im ersten Stock gewahr wurde. „Die haben schon 89 hinter den Gardinen gestanden, das feige Gesindel“, rief ein Dicker mit schlohweißen Haaren. Aber es blieb friedlich. Außer ein paar bösen Blicken wurde nichts geworfen. Pünktlich zur Tagesschau war dann alles vorbei.

Das Weihnachtsland ist eher die harmlose Variante der gegenwärtigen Klassenauseinandersetzung, um im Duktus des einstmals hier hochverehrten Arbeiterverstehers zu bleiben. Wäre die Pegidadiskussion überall so gemütlich wie hier, könnten Reiseveranstalter auch abseits der Weihnachtszeit Paschaltouren ins Erzgebirge anbieten. Einfach mal lustige Ossis beim Demonstrieren schauen. Mit Bratwurst und Übernachtung.

Ach ja, die, um die es ging, waren auch da. Am Eingang des großen Einkaufszentrums standen vier schwarze Jugendliche, unterhielten sich und spielten auf ihren Smartphones. Große Angst vor den bösen Pegidisten schienen sie nicht zu haben. Diese Angst will ein Reporter bei Dresdner Ausländern ausgemacht haben, wie bei der Pegidapressekonferenz am Montag in Dresden zu hören war. Ob sie verstanden haben, was ihre angeblichen Unterstützer Lustiges singen, darf auch bezweifelt werden. Sie haben schlicht nicht hingehört. Das Ganze ist ein deutsches Problem. Und damit haben sie ja auch recht.

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