Zivilgesellschaft global

In allen Krisen der Welt zeigt sich zuletzt eine Gemeinsamkeit: der zivile Ungehorsam der Bürger und der Wunsch nach Freiheit. Den alten Despoten geht es derweil an den Kragen.

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Wasserwerfer, Tränengas, Rauchgranaten, vermummte Polizeieinheiten mit Schlagstöcken und Schutzschildern, dahinter gepanzerte Fahrzeuge und Wasserwerfer. Wenn das nicht hilft, dann wird die nächste Stufe der Eskalation gezündet: Der Einsatz der Armee. Mit Panzern, Gewehren, Granaten, Hubschraubern, Bombern und zur Not auch Giftgas. Gegen das eigene Volk und zwecks dessen Vernichtung. Nicht gegen einen randalierenden Mob, nicht einmal gegen berufsrevolutionär gesinnte Intellektuelle.

Die pure Staatsgewalt erhebt sich gegen breite bürgerliche Schichten, gegen die eigene Jugend, gegen den zivilen Widerstand in der Mitte der Gesellschaft. Was im arabischen Frühling in Ägypten und den meisten Maghreb-Staaten zu erwarten war, was im despotisch regierten Syrien nicht überrascht und was im autoritär regierten Russland des Wladimir Putin einem postsowjetischen Trauma entspringen mag, was im theokratisch-islamistischen Iran der Ayatollahs selbstverständlich schien, das verwundert aber in der Türkei und in Brasilien.

Der Nukleus und die zentrale Ausdrucksform eines neuen Zivilisationsgesetzes ist der zivile Ungehorsam. Mit dem Sprung der Völker und Nationen aus vielen Schwellenländern und den neuen Mittel- und Weltmächten in die globalisierte und total vernetzte Welt geht immer auch eine Attacke auf Diktatoren und Despoten aller Couleur, aber auch auf Autokraten und korrupte Oligarchen einher.

Die aufgeklärten Mittelschichten gehorchen nicht mehr

Wer auf diesem Globus neu und nachhaltig Wirtschafts- oder auch nur Militärmacht sein oder werden will, der benötigt Wissenschaft und Forschung auf hohem Niveau wie der Fisch das Wasser. Dazu braucht es Bildung und Ausbildung, Information und Erfahrungsaustausch. Und schon erscheint auf der öffentlichen Bühne das Schreckgespenst aller geschlossenen Gesellschaftssysteme: Der Freiheitsdrang des menschlichen Geistes. Sein gesellschaftliches Nervensystem ist das Internet, sein Blutkreislauf die immens anschwellenden Datenströme und das global verfügbare Wissen, sein Lebenselixier der Meinungs- und Informationsaustausch von Millionen Menschen und deren Lust am Disput über alle relevanten Belange des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens.

Die Menschen hören das muffelige Gebrabbel vergreister Despoten und ihrer sich an die Macht der Schlagstöcke, Gewehre und Panzer klammernden Diadochen von Kuba über Nordkorea bis in manche ehemalige Sowjetrepublik. Auch das zynische Gerede der Obrigkeiten in Weißrussland und der Ukraine bis hin zum barbarischen Gezeter der brutalen Obristen in Syrien sind nicht zu überhören. Und auch das devote Auftreten der sich eleganter gerierenden Herrscher in China und Ägypten ist nicht zu übersehen.

Doch die aufgeklärten Mittelschichten der Nationen, die im Auf- und Umbruch stehen, gehorchen ihren Führern nicht mehr. Sie laufen ihren brutalen Bezwingern auf den Straßen entgegen und einfach aus dem Ruder der Macht. Oder sie stehen einfach nur da, tun und sagen nichts. Schon ihr Dasein, ihr aufrechter Gang und ihr aufrechtes Stehen sind für die Staatsmacht Provokation genug. Zum Draufschlagen, Niedermachen, Einkerkern und Vernichten.

Auch wenn der mittlerweile altersbedingt immer schwerhörigere Helmut Schmidt es nicht vernehmen mag: Die mancherorts einfach nur hungrigen und überall auf der Welt aber bildungshungrigen Menschen hören auf ein Naturgesetz. Sie sind ergriffen von der Idee der Menschenrechte. Auch in Asien, auch in China. Die jeder Person verliehene und in ihr geborgene „Königswürde des Menschen“, wie Papst Johannes Paul II. es auf den berühmten Punkt brachte, ist das neue Zentrum einer in all ihrer Wirrnis sich neu ordnenden babylonischen Welt. Ecce homo. Der Geist weht, wo er will und ist auch im Internet zu Hause. Überall dort, wo Menschen kommunizieren und um Wahrheitserkenntnis und wertegebundenes Handeln ringen.

Rund um den Globus wächst das Bedürfnis nach Partizipation

Rund um den Globus forschen, arbeiten und wirtschaften Menschen. Rund um den Globus keimen die gleichen Debatten über die ewigen Themen des Menschen: Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Rund um den Globus stehen die untergehenden zentralplanwirtschaftlichen Systeme wie in Kuba oder Nordkorea vor dem Bankrott und bringen nur noch Schrott, Hunger und Not hervor. Alle Kreativität dieser Systeme ist auf Bedrohung und Zerstörung in Form gesellschaftlicher und atomarer Spaltung gerichtet. Bei den Ärmsten der Armen wie in Nordkorea gelingt einstweilen auch noch die totale Abschottung nach außen und die totale Kontrolle des Internet.

Rund um den Globus aber hat auch der todgeweihte Raubtierkapitalismus das Problem, dass seine Beute immer mehr Selbstbewusstsein entwickelt und sich Wissen aneignet. Doch Wissen ist Macht. Rund um den Globus wächst das Bedürfnis nach Partizipation und der Kultur einer sozial temperierten Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft aber braucht den freiheitlichen Rechtsstaat, um in einer Atmosphäre von Rechtsschutz und -sicherheit berechenbar Dienstleistungen offerieren und Waren und Güter produzieren zu können.

Während die Kader der KP wie moderne Manager mit dem noch immer krakenhaften Arm der Staatspartei in China die vielen Ethnien und immensen Menschenmassen unter Kontrolle behalten und das Reich der Mitte industriell und militärisch zu einer neuen weltweit dominierenden Supermacht hochrüsten wollen, sucht die russische Führung verzweifelt aus der geostrategischen Lage, den Bodenschätzen und dem Atommachtstatus des Landes den alten Weltmachtstatus aus Sowjetzeiten zurück zu gewinnen und in den ehemaligen sowjetischen Einflusssphären den Fuß in der Tür zu behalten.

Der zivile Ungehorsam weltweit ist ein beruhigendes Zeichen

Geriatrische Despotien wie Nordkorea, Kuba und auch Syrien werden als Satelliten weiter gestützt, kleben aber zunehmend dem eurasischen Russland und dem asiatischen China wie Betonklötze an den Füßen. Das kommunistische Regime Vietnams verhält sich demgegenüber unauffälliger, macht Geschäfte mit dem Westen und sucht das Land dem Zugriff der chinesischen Hegemonialmacht zu widersetzen. Der schlaue Castro-Clan auf Kuba hat, das eigene Ende und das seiner weltrevolutionären Horrorphantasien vor Augen, schon umgeschaltet und sucht sein Heil zunehmend in einer Anlehnung an die an Gewicht gewinnenden Erdölländer Lateinamerikas wie Venezuela.

In Brasilien aber treibt die lateinamerikanische Auseinandersetzung zwischen dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, für die auch die Theologie der Befreiung steht, und dem Kampf gegen Korruption, für die schändlicher Weise die FIFA zu einem Synonym zu werden droht, einem Kulminationspunkt entgegen. Hier wie auch im Iran ist der Westen gefordert. Denn im Iran keimt nach den Präsidentschaftswahlen die Chance zu einem Umdenken und einer Läuterung des Islam durch eine Epoche der Aufklärung.

Davon noch weitgehend unbeeindruckt versuchen radikalislamische Strömungen, in Nordafrika und am Golf weiter Einfluss zu gewinnen und den intellektuellen Disput zu unterdrücken. Der mit Polizei- und Ordnungskräften nach Putinscher Manier die eigene Mittelschicht niederknüppelnde türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierungspartei AKP gebärden sich gegenüber der EU, als wollten sie nicht nur die dominante Mittelmacht an der Schwelle Europas zum Nahen Osten sein, sondern auch im Alten Kontinent selbst wieder den Einfluss gewinnen, der einst vor Wien im 17. Jahrhundert militärisch gestoppt und zurückgedrängt worden war.

Für die EU kommt es nun darauf an, bei den anstehenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in einem Prozess des „Wandels durch Annäherung“ im Brandtschen Sinne einerseits die weltoffenen und aufgeklärten Schichten im Land zu stärken und zugleich Erdoğan und seinem Europaminister Egemen Bagis durch Distanz und Isolierung die Grenzen des für freiheitlich verfasste Rechtsstaaten Hinnehmbaren aufzuzeigen.

Der zivile Ungehorsam der Bürger überall auf dem Planeten aber ist ein beruhigendes Zeichen für die Gültigkeit der Menschenrechte und die unvergleichliche Würde des Menschen. Auch wenn für Despoten, Diktatoren und korrupte Autokraten nicht nur die Nächte unruhiger werden und die Alpträume realer.

Beitrag erschien zuerst auf: theeuropean.de

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