Wohl bekomm’s!?

Jugendliche und Alkohol - verbieten oder vollsaufen lassen?

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Nein, es geht weder um das Verteufeln von Alkohol, noch um Gesundheits-Fanatismus. Aber dass ein exzessiver Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen für viele zum Freizeitsport wird, ist nicht hinnehmbar. Ob Karnevals-Treff, Wochenend-Fete oder Kneipen-Besuch, immer häufiger sehen Jugend-Cliquen einen Anlass, sich – häufig schon „vorgeglüht“ – mit alkoholischen Getränken bis zum Umkippen volllaufen zu lassen. Innerhalb einer Trinkwette hatte sich beispielsweise ein 16-Jähriger in Berlin in einer Knei¬pe mehr als 45 Gläser Tequila reingeschüttet. Als Toter wurde bei ihm ein Blutalkoholgehalt von 4,4 ‰ ermittelt.

Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 26 673 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 19 Jahren aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär in einem Krankenhaus behandelt. Das waren 2,4 % mehr als im Jahre 2011. Dabei nahm die Zahl der Mädchen und jungen Frauen um 5,0 % zu. Über 75 % der Kinder und Jugendlichen, die wegen dieser Diagnose stationär behandelt werden mussten, waren noch keine 18 Jahre alt, 2011 lag die Zahl bei 72 %. Diese Daten stammen aus der Krankenhausdiagnose-Statistik für das Jahr 2012. In Nord¬rhein-Westfalen beispielsweise stiegen die Fälle einer vollrauschbedingten Einlieferung ins Krankenhaus vom Jahre 2000 bis zum Jahre 2009 um fast 170 %, von 2003 bis 2012 um 60 % an. Nach einem Bericht der Krankenkasse DAK gehen Jugendliche in den östlichen Bundesländern besonders leichtfertig mit den Rauschmitteln um. Nach einer Studie des Robert Koch-Institutes haben 36 % der 13-jährigen Mädchen und Jungen schon einmal Alkohol getrunken.

Wenn solche Fälle zu Schlagzeilen führen, wird meist lauthals gefordert, durch Aufklärungs-Kampagnen dem Übel zu begegnen. Aber was sollen Verstandes-Impulse in einer Situation bewirken, in denen dieser gezielt außer Kraft zu setzen versucht wird? Werden Jugendliche zur Sinnhaftigkeit solcher durch Schulen, Krankenkassen oder anderen Trägern durchgeführten Infoveranstaltungen befragt, sagen diese unisono: „Dass Alkohol gefährlich ist und ein übermäßiger Konsum zu Sucht und Abhängigkeit führt, wissen wir.“ Nur wird dies innerhalb der Clique in bestimmter Situationen, wenn es um Imponiergehabe und Gruppen-Druck geht, entweder ausgeblendet oder bagatellisiert. Da der Erfolg von Aufklä¬rungs-Aktionen also zu gering ist, kann die Konsequenz nur lauten, wirkungsvollere Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.

„Pubertät entscheidet über Trinkverhalten“, so titelte eine große Zeitung die Nachricht, dass das Gehirn sich in diesem Zeitraum in einer empfindlichen Reifungsphase befindet. „Dann entwickeln sich die Areale, welche für die Motivation und das Impulsverhalten zuständig sind.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Alkohol diese Reifungsprozesse stört bzw. in eine zur Abhängigkeit führende Richtung weist. Fakt ist, dass die Zahl der wegen Alkoholvergiftung eingewiesenen Kinder und Jugendlichen beständig steigt, wie Kranken¬kassen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichten. „Alkohol ist bei Jugendlichen immer noch das am weitesten verbreitete Suchtmittel“, so Elisabeth Pott, Direktorin der BZgA. Sie kündigte daher an, „die Jugendlichen noch stärker für das Thema zu sensibilisieren“ zu wollen. Wie dies wirkungsvoll geschehen soll, ist offen.

Laut Berechnungen der Krankenkasse liegen die stationären Kosten pro Fall bei ca. 550,- Euro plus die Kosten für den Einsatz der Rettungskräfte in Höhe von 200,- bis 400,- Euro. Während beispielsweise ältere Menschen schnell aus Kostengründen in eine Mangel-Ver¬sorgung geraten, kann ein von Jahr zu Jahr sprunghaft ansteigender Kreis von jungen Leu¬ten ganz entspannt innerhalb der Maximen einer Spaßgesellschaft den nächsten Sauf-Exzess ansteuern. Für dieses Jahr werden die Kosten nach Berechnungen der Krankenkassen auf 20 - 22 Millionen Euro ansteigen. Problemverstärkend kommt hinzu, dass durch Koma-Fälle gleichzeitig die Kapazität einer Notaufnahme für schwere Unfall-Verletzte oder Herzinfarkt-Fälle erheblich reduziert wird.

Bei allen Diskussionen und Präventionsinitiativen wird aber ein wichtiger Aspekt bisher konsequent ausgeklammert. Während die Krankenkassenbeiträge steigen und die Leistun¬gen reduziert werden, übernimmt der Sozialstaat – trotz leerer Taschen – großzügig die Rechnung der Vollrausch-Trinker für die medizinische Notintervention. Diese leichtfertige Übernahme der Folgekosten von Spaß- bzw. Imponier-Saufen durch die Allgemeinheit ist zu stoppen. Einerseits sollen die teuren Präventionsprogramme der Bundesregierung dieses den Einzelnen und die Gesamtgesellschaft schädigende Verhalten des Nachwuchses reduzieren, aber gleichzeitig bleibt der Missbrauch von Hilfeeinrichtungen folgenlos und die Solidarge¬meinschaft kommt auch inkonsequenter Weise für die finanziellen Folgen auf. Das grenzt fast an staatliche Beihilfe zum Alkoholmissbrauch.

Kaum war ein Vorstoß des CDU-Politikers Jens Spahn, Eltern an den Behandlungskosten zu beteiligen, in der Öffentlichkeit, setzte die Abwehr ein. Die Drogenbeauftragte der Bundes¬regierung „hält eine Kostenbeteiligung für keine geeignete Maßnahme, um junge Menschen vom Rauschtrinken abzuhalten“. Das mag in Einzelfällen vielleicht nicht wirken. Aber dann zahlen die Verursacher wenigsten die Kosten. Die NRW-Gesundheitsministerin geht noch weiter und lehnt „elterliche Strafzahlungen“ ab. Wie eine Ministerin die Übernahme der Folge-Kosten als Strafe bezeichnen kann, ist nicht nachvollziehbar. Da wird Nachhilfebedarf zur Unterscheidung zwischen Zivil- und Strafrecht offensichtlich. Denn was hat z.B. die Über¬nahme der Folgekosten – z.B. eines Verkehrs-Unfalls – mit Strafe zu tun. Aber dieser Denk¬ansatz wird – besonders von Politikern – immer dann eingebracht, wenn es um das Zulassen spürbarer Konsequenzen geht. Hier wird angemerkt, dass diese Idee zwar die wichtige elterliche Mitverantwortung ins Blickfeld rückt, aber auf keinen Fall die sich per Alkohol erwachsen zeigen wollenden Verursacher erst nimmt.

Daher wird hier gefordert, dass für diese Vorfälle unbedingt das Verursacherprinzip greifen muss: Wenn es sich herumgesprochen hat, dass die so gerne groß sein wollenden Jung-Trinker (erwachsene Vollrausch-Zeitgenossen sind natürlich gleich zu behandeln) vor ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus erst einmal ihre Rechnung zu begleichen haben, wird dies schnell in der Szene Wirkung zeigen. Und falls dem jungen Konto die Bonität fehlen sollte, können die Eltern ja mit einem Kredit aufs zukünftige Taschengeld einspringen. Der Alltag lehrt uns immer neu: Veränderungen setzen meist dann ein, wenn uns die Folgen unguten Verhaltens an den Nerv gehen. Noch ist es recht selbstverständlich, dass Jugendliche für Vandalismus-Schäden altersgemäß in die Verantwortung genommen werden. Ob demnächst die Reinigungs- bzw. Wiederherstellungs-Kosten von jugendlichen Sprayeraktionen auch über die Krankenkassen abgerechnet werden, weil sie Ausdruck einer punktuellen geistigen Verwirrtheit sind?

Ständige Appelle zu noch intensiverer Aufklärung verdeutlicht nur, dass die Augen vor wichtigen Zusammenhängen verschlossen werden. Dass Fett dick macht, Rauchen schädigt und Alkohol das Reaktionsvermögen reduziert bzw. ausschaltet und alle Suchtpraktiken die Gesundheit ramponieren, wissen die Betroffenen. Was fehlt, ist der Wille, diese Fakten auch zu berücksichtigen. Die Lern- und Motivations-Forschung lehrt uns, dass wir meist nicht aus Einsicht, sondern aus dem Vermeiden-Wollen deutlich spürbarer Nachteile lernen. „Den Schlaf des Geistes weckt der Schmerz“, sagt der Volksmund. Also müssen die Konsequen¬zen des Fehlverhaltens viel deutlicher erfahren werden. Die Kostenübernahme ist ein erster Schritt. Bei „Mehrfach-Tätern“ ist dann ergänzend ein Verfahren wegen Behinderung von öffentlichen Notfall-Diensten einzuleiten. Und wenn andere Jugendliche oder Erwachsene sich durch Alkohol-Überlassung, Anfeuern oder ausbleibende Stoppversuche an solchen Sauf-Aktionen beteiligen, sind diese sowohl zivil- als auch strafrechtlich in die Mitverant¬wortung zu nehmen.

Beim Thema „Umgang mit Alkohol“ kommt auch den Schulen eine wichtige Funktion zu. Sie sollten Exkursionen in die Notaufnahmen von abgestürzten Alkis machen und trockene Alkoholiker als Betroffene in den Unterricht einladen. Im Bio-Unterricht wären die kurz- und langfristigen Folgen für die Gesundheit zu erarbeiten. Per Sowi-Unterricht können die Kosten der Notintervention (Krankenhaus und Rettungsdienste) bei den Krankenkassen erfragt werden. Und im Ewi-Unterricht wäre zu erarbeiten, welche Kinder bzw. Jugendliche aufgrund welcher Voraussetzungen am ehesten in solche Sauf-Szenarien geraten. Dann würde deutlich werden, dass es meist diejenigen sind, denen es an guter familiärer Einge¬bundenheit mangelt, welche ein zu schwaches Selbstbewusstsein haben und in der Clique deshalb einem Gruppendruck nicht standhalten können. Gerade die Resilienzforschung stellt heraus, dass sich ein schwaches Selbst entweder dominanteren Menschen leicht unterwirft oder selbst per Machtgebaren Druck erzeugt. Die Schüler sollten über Vertrauens-Lehrkräfte gezielt aufgefordert werden, von trunkenen Mitschülern Filmaufnahmen mit dem Ziel zu machen, diese anschließend dem zu stark „Abgefüllten“ das Szenario – mit ihm als Haupt¬akteur – nach seinem alkoholbedingten Filmriss zu vergegenwärtigen. Eltern sollten Kinder frühzeitig darüber informieren, dass die faktisch entstandenen Kosten auf jeden Fall von Sohn oder Tochter und den evtl. direkt aktiv Beteiligten zu erbringen sind und sie sich anschließend mit einem Blumenstrauß bei den beteiligten Personen oder Dienststellen für ihr persönliches Versagen zu entschuldigen haben.

Hilfreiche Bücher zum Hintergrund des Themas:

Mit mehr Selbst zum stabilen ICH - Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung

Abschied von der Spaßpädagogik

Die Verwöhnungsfalle

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Schlonz

Eines der schillerndsten Beispiele dafür, dass Lebensalter & Promotion, weder für sich allein, noch im Doppel, für Weisheit sorgen. Bitte mal 3sat & Arte abschalten und gelegentlich am wahren Leben teilhaben, Herr Doktor...

Gravatar: Joachim Datko

Wir sollten an der Steuerschraube für alkohlische Getränke drehen.

Gravatar: Thomas Rießler

Im Liberalismus sind Sie nicht gerade zuhause. Was Ihnen hier vorschwebt, ist eine Diktatur der Volksgemeinschaft, die in dieser Form nicht einmal in den kommunistischen Staaten oder im Nationalsozialismus verwirklicht wurde: „Dass Fett dick macht, Rauchen schädigt und Alkohol das Reaktionsvermögen reduziert bzw. ausschaltet und alle Suchtpraktiken die Gesundheit ramponieren, wissen die Betroffenen. Was fehlt, ist der Wille, diese Fakten auch zu berücksichtigen. Die Lern- und Motivations-Forschung lehrt uns, dass wir meist nicht aus Einsicht, sondern aus dem Vermeiden-Wollen deutlich spürbarer Nachteile lernen. „Den Schlaf des Geistes weckt der Schmerz“, sagt der Volksmund. Also müssen die Konsequenzen des Fehlverhaltens viel deutlicher erfahren werden.“
Anscheinend haben Sie ein Problem mit den Dicken, den Rauchern und den Alkoholtrinkern, weil sich diese Leute nicht vernünftig, sondern aus Ihrer Sicht asozial verhalten. Aus meiner Sicht wäre der naheliegende Schritt, auf die Zwangsverpflichtung zur Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse zu verzichten. Dann müssen sich Leute wie Sie nicht mehr an den Gesundheitskosten von Leuten beteiligten, die so leben, wie sie wollen und die Dicken, die Raucher etc. müssten sich nicht Ihren Sermon anhören und könnten nach wie vor ein freies Leben führen. Ganz zu schweigen davon, dass die Welt um einiges Erfreuliches ärmer wäre. Man denke dabei nur an Asterix ohne Obelix und Doof ohne Dick, Sherlock Holmes ohne Pfeife und Tabakspuren und Jack Sparrow ohne Rum.

Gravatar: Heike

also ich glaube, dass die vorherige Generation viel mehr Druck hatte. Bei uns (80ziger Jahre) gab es noch eine psychologischen Spielereien. Wir mussten funktionieren, ansonsten gab es kein Taschengeld ( das viel geringer war - ich hätte mir kein Komasaufen leisten können von monatlich DM 20,00) und Lehrjahre waren keine Herrenjahre! Wir wären nie auf die Idee gekommen, wegen Mobbing sich beim Betriebsrat zu beschweren, das Wort gab es noch nicht.

Für mich liegt hier viel am Elternhaus, auch am Vorbildcharakter und an erzieherischer Konsequenz.

Gravatar: Crono

... die psychische Belastung, ., ..eine freie Entfaltung ihrere Persönlichkeiten wird weitgehend unterdrückt. .. Ritalin .. rosaroten Brille ... Schleimen, Heucheln und Lügen ..
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Und woher kommt es? Sie Leben doch hier FREI!!!!!!!!!!!!!

Sie sind (wahrscheinlich) nicht, wie ich, in einer Diktatur sonder in einer - egoistischen, vorwiegend Einzelkindergesellschaft, wo jeder sagt: "ICH WILL, ICH WILL" und "MIR IST DASS ALLES SCH..EGAL" aufgewachsen. Ich bräuchte kein Ritalin und Unmengen von Alkohol um NORMAL zu bleiben und ohne "buckeln" zu müssen die ganze Zeit durch das Leben zu gehen. Euch geht halt zu gut. Sic!!!

Der Artikel von Herr Albert Wunsch ist ausgezeichnet. Vielen Dank!!

Gravatar: Rentner

Das mit dem Ritalin kann ich bestätigen.
Ich lebe seit 42 Jahren ohne dem Zeug und stehe jetzt endlich (endlich für andere) am Ende.
Hätte ich es weiter genommen, ich wäre ein anderer gewesen und besser angepasst.
Ein Leben mit Scheuklappen. einem Brett vorm Kopf und einer rosaroten Brille wäre erfolgreicher verlaufen.
Leider hat mir die Unfähigkeit zum Schleimen, Heucheln und Lügen, ein Leben lang in den Hintern gekniffen.

Gravatar: dw-seneca

Die im Artikel angesprochenen Ursachen für das Komasaufen halte ich für weniger relevant als die psychische Belastung, unter der Jugendliche heute stehen. Von allen Seiten kommt der Druck, Jugendliche müssen funktionieren, eine freie Entfaltung ihrere Persönlichkeiten wird weitgehend unterdrückt. Und wehe, sie lassen sich nicht in das vom Staat geforderte Schema pressen, dann kommen Ritalin und ähnliches.

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