Wissenschaft als Wurmfortsatz der political correctness

Wie im Sog der Exzellenzinitiative die deutsche Universität ihre Unabhängigkeit verliert, wurde vor kurzem wieder  beim Frankfurter Stadtgespräch, einer Veranstaltung des Exzellenzclusters "Formation of Normative Orders" der Goethe-Universität exemplarisch demonstriert.

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Am 27. Mai 2010 fand im Frankfurter Kunstverein das Frankfurter Stadtgespräch II statt unter dem Motto: Was heißt Toleranz? Vom Umgang mit kultureller und religiöser Differenz. Unter der Moderation von Peter Siller, Scientific Manager des Exzellenzclusters „Formation of Normative Orders“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, diskutierten der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und der Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Rainer Forst.

Es handelt sich um eine Veranstaltungsreihe des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ (sieh´ an – es geht auch auf Deutsch) in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Kunstverein. Die neudeutschen Wortungetüme „Scientific Manager“ und „Exzellenzcluster“ zeigen schon deutlich, dass Universitäten heute Unternehmen sind und weisen auch in eine ganz bestimmte Richtung: Es handelt sich weiter um eine im Rahmen der sogenannten Exzellenzinitiative des Bundes politisch erwünschte und also finanziell stark geförderte Veranstaltungsreihe. Nicht umsonst steht auf dem Internetauftritt des Veranstalters „Funded by DFG“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Beteiligt sind ferner die HSFK (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung);  die Max-Planck-Gesellschaft, das IfS (Institut für Sozialforschung); das Frobenius-Institut und Point Sud, ein Center for Research on Local Knowledge, selber finanziert von der DFG, der Goethe-Universität, dem Exzellenzcluster Normative Orders und der Volkswagen-Stiftung. Eine Ansammlung unterschiedlichster wissenschaftlicher Einrichtungen, die dem Laien Respekt abnötigen, ihn durchaus auch erschlagen und mundtot machen sollen. Der Kenner der Szene weiß aber, dass hier weniger Wissen als Geld akkumuliert wird, weil es mit der wissenschaftlichen Kooperation von künstlich und in panischer Eile unter einem schicken Namen zusammengeschusterten Instituten in der Praxis hapert und weil es im Zeitalter des akademischen Kapitalismus (Richard Münch) vor allem auf die nackte Addition von möglichst hohen Summen von Forschungsgeldern ankommt, um im Universitätsranking punkten zu können. Ein Cluster zur Untersuchung normativer Ordnung hat bei der Antragstellung natürlich gute Chancen, weil es um ein Forschungsfeld geht, das "gebraucht" wird, einen unmittelbar verwertbaren "Zweck" hat. Anders ausgedrückt: Diese Gelder bekommt nur dasjenige, was politisch „passt“.

In der offiziellen Ankündigung des Exzellenzclusters heißt es, leicht verkürzt wiedergegeben: Ausgehend von der Vielfalt an kulturellen und religiösen Standpunkten in modernen Gesellschaften, speziell der Vielfalt der Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, stelle sich die Frage nach dem Umgang mit der Differenz. Im Zentrum stehe die Frage, was wir eigentlich unter Toleranz verstehen. Anerkennung? Duldung? Oder doch am Ende nur Anpassung? - Das „nur“ in dieser Ankündigung ist nun äußerst verräterisch. Wie bei einer öffentlich geförderten Veranstaltung zu Fragen der Toleranz in Deutschland nicht anders zu erwarten, soll natürlich keinerlei Anpassung von kulturell und religiös differenten Leuten an deutsche Gepflogenheiten erwartet werden. (Schade nur, dass die Hindus diskriminiert werden und keine verwesenden und halb verbrannten Leichen den Main hinunterschwimmen dürfen.) Im Grunde hätte man sich den Besuch dieses Stadtgesprächs nach Lektüre der Ankündigung schon ersparen können. Vorsichtig gesprochen handelte es sich um ein Marketing für politisch korrekte Meinungen. Dem Zeitgeist entsprechend ist das Ganze wissenschaftlich verbrämt, um durch eine Quasi-Objektivität unangreifbar zu sein. Früher hätte man Propaganda dazu gesagt.

Es lohnt nicht, den absehbaren Ablauf des Gesprächs nachzuzeichnen. Aber eine Überraschung gab es doch: gleich zu Anfang gab Peter Siller eine Parole aus, die in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Als das muslimische Kopftuch zur Sprache kam, wurden zwei Meinungen von vorneherein von der Diskussion ausgeschlossen. Einmal die der „radikalen“ Feministinnen, die das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung der Frau sähen und daher ablehnten, und die der säkularen Linken, die aus dem Grund der Ablehnung religiös motivierter Überzeugungen dieselben Konsequenzen zögen. Man mag nun von den Feministinnen und den Linken halten was man will, aber einen so unverblümten Maulkorb für Andersdenkende hätte man in einer sich wissenschaftlich und tolerant gebärdenden Veranstaltung nicht für möglich gehalten. Den möglichen Einwand, diese Positionen seien auf dem Podium nicht vertreten gewesen, kann man nicht gelten lassen, ist er doch selbst ein laut und deutlich sprechender: der Exzellenzcluster will diese Positionen einfach nicht haben.

Gab es irgendeinen Aufruhr im Publikum gegen diese unglaubliche Diskriminierung von Meinungen? Nein. Aber auch die Gesprächsteilnehmer zeigten keinerlei Befremden. Nun ist die Humboldtsche Universität, wie jeder weiß,  am  Ende. Die „Idee der Bildung durch Wissenschaft, des forschenden Lernens und lehrenden Forschens in Einsamkeit und Freiheit“ (Helmut Schelsky) ist abgelöst von den für praktische Zwecke instrumentalisierten Kulturwissenschaften. Betriebswirtschaftlich geschulte Dienstleister, als die heutige Wissenschaftler wie Rainer Forst zu sehen sind,  bedienen praktisch nützliche und ökonomisch verwertbare Forschungsgebiete. Die gewünschten Ergebnisse dieser Forschung sollen dann von Scientific Managern wie Peter Siller popularisiert werden. Im vorliegenden Beispiel (daher die Einladung von Feridun Zaimoglu) soll die deutsche Gesellschaft gelehrt werden, dass allen (besonders aber den Muslimen als der cum grano salis differentesten, sicherlich größten und wohl am aggressivsten fordernden Minderheit) alles erlaubt sein soll und man noch vor dem archaischsten Unsinn Respekt haben muss (wie dem Kopftuch, das frau zwar vor dem erwachsenen Bruder ablegen darf, aber vor einem fremden erwachsenen Mann anziehen muss); weil das politisch-pragmatisch so gefordert wird. - Es kann ja sein, dass freie Forschung zum Ergebnis kommt, dass Anerkennung von und Respekt vor jedweder kultureller und religiöser Differenz tatsächlich auch langfristig nicht zum Auseinanderdriften von Gesellschaften führt. Aber die versteckte Auftragsforschung der neuen deutschen Universität SOLL zu diesem Ergebnis kommen. 

Skandalös ist neben dem propagandistischen Gepräge und der ideologischen Intoleranz nicht zuletzt die Tatsache der öffentlichen Finanzierung solcher Aktivitäten, mit denen sich die pseudowissenschaftlichen Riesenbabys namens Exzellenzcluster eine Existenzberechtigung zu verschaffen versuchen. Dass sich Wissenschaftler (und Schriftsteller) dafür finden, ist durch die erfolgreiche Selektion entsprechend disponierter Persönlichkeiten in solche universitären Positionen zu erklären: jedes System findet die zu ihm passenden Leute. Man kann nicht einmal sagen, dass sie sich „dafür hergeben“, nein, sie tun es gerne, weil sie gar keinen Widerspruch zur Wissenschaft, wie sie diese verstehen, mehr sehen.  Die wissenschaftliche Verbrämung dieser politischen Propaganda aber könnte man sich sparen – wo Wissenschaft und Forschung nicht mehr unabhängig sind, können sie auch nicht mehr zur objektiven Begründung politischer Vorgaben, zur intellektuellen Grundierung politischer Absichten verwendet werden. Sie verdoppeln nur, was politisch ohnehin gewollt ist. 

Wir sind näher dran an der Meinungsdiktatur als wir denken. [...]

 

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Adorján Kovács

Deutsche Befindlichkeiten. Eine Umkreisung

Artikel und Essays

Essen: Die Blaue Eule, 1. Auflage 23.02.2012, Paperback, 318 S., Maße: 21,0 x 14,8 cm, ISBN: 978-3-89924-337-6, Preis: € 36,00.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Erich Lohr

"Wir sind näher dran an der Meinungsdiktatur als wir denken." So ist es. Und wir merken gar nicht, dass die Meinungsfreiheit uns zum Fremdwort geworden ist. Mögen uns die Ketten, die wir uns anlegen haben lassen, möglichst leicht sitzen. "Liberty, once lost, is lost forever" sagte einst John Adams. Noch könnten wir umkehren, aber es lebt sich doch so bequem, oder?

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