Wie gut ist das Parlament informiert?

Brief an einen Haushaltspolitiker (1)

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Prof. Dr. Walter Kühbauch war einer von Hunderten Bürgern, der dem FDP-Haushaltspolitiker Stephan Thomae antworteten, nachdem dieser auf Abgeordneten-Check.de Stellung zum ESM bezogen hatte. FreieWelt.net veröffentlicht das Schreiben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in acht Auszügen.

 

>> Sehr geehrter Herr Thomae

vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Beteiligung an der Massen-E-Mail zum ESM-Vertrag. Ich habe mir lange überlegt, ob ich Ihnen antworten soll. Zweifel, etwas zu bewirken habe ich auch deswegen, weil man es sehr selten erlebt, dass in der Politik Fehler zugegeben werden:

Wir haben im Bundestag einen Haushaltsausschuss, der es sich tatsächlich gefallen lässt, wenn die Regierung fortwährend so tut als könnten Garantien für andere Euro-Länder nichts kosten. So, als dürften Bürgschaften im wirklichen Leben nicht eingefordert werden; und wenn doch, würde das Geld zurückbezahlt werden. Oder die Regierung tut so, als sei der Verzicht auf Zinseinnahmen nicht mit Kosten gleich zu setzen.

In dem Zusammenhang möchte ich Sie gerne daran erinnern, dass der deutsche Bundestag wiederholt Hilfsgelder oder Garantien beschlossen hat. Und was für Vernebelungsaktionen der Regierung haben Sie sich im Bundestag bieten lassen, oder weiß man nicht, dass man auch haftet, wenn man bürgt? Und gebetsmühlenartig wird auf die Bedeutung solcher Hilfen für unsere Exportwirtschaft verweisen und, sozusagen "on Top", Deutschland sei der große Vorteilnehmer der EU und der Eurozone.

Bedenken Sie, weder das Parlament noch der Haushaltausschuss, dem Sie angehören, sind von sich aus auf die Haftungsgrenze Deutschlands von 190 Mrd. gekommen; das Bundesverfassungsgericht musste entscheiden. Vorher sollte, wegen "der Märkte", im Eilverfahren eine unbegrenzte, von jeder Rechenschaft befreite Geldschöpfung durchgewunken werden. Man wollte Sie und das Parlament nötigen. Und, wissen Sie es noch, am Ende haben "die Märkte" auf den durch das Verfassungsgericht verordneten Aufschub überhaupt nicht reagiert. Und hätten sie es, wäre man der längst überfälligen Bereinigung der Euro-Zone näher gekommen. Zinskonvergenz über so unterschiedliche Volkswirtschaften kann nicht gut gehen. Deswegen gehen auch die Hilfen ins Leere. Es geht mir nicht nur um den ESM. Die ganze Retterei wird für unsere Steuerzahler, unsere Sparer, unsere Renten und Pensionen eine Katastrophe, weil Sie nur immer Zeit gewinnen wollen, man aber gleichzeitig immer tiefer in den Sumpf gerät.

Ich bin Jahrgang 1942 und verfolge Politik seit meiner Gymnasialzeit. Ich erinnere mich noch an die Abiturklasse 1962, wie wichtig unseren Lehrern und uns Gymnasiasten Europa war. Griechenland besuche ich seit 13 Jahren und seit 6 Jahren lebe ich dort jeweils für 6 Monate.

Spätestens in 2 Jahren werde ich mich wieder bei Ihnen melden und Sie an die Naivität erinnern, mit der Sie Ihre Entscheidungen begründen.

Bei allen Ihren Rettungs- und Hilfsmassnahmen bestreite ich nicht die gute Absicht. Getragen sind Ihre Maßnahmen jedoch von Gutgläubigkeit und einem katastrophalen Informationsdefizit. Wie gut ist das Parlament informiert? <<

 

Lesen Sie nächste Woche den 2. Auszug: Deutschlands „Vorteil“ und Deutschlands „Führung“

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