Wider die Klassikerverhunzung

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"Die peinliche Erinnerung an alles, was sich bei der Dresdner und der Berliner Elektra dem Auge darbot, sowohl als bewegter Körper wie als Bühnengestaltung, mußte ich gewaltsam wiederholt unterdrücken – sonst hätte ich mitten im zweiten Akt des Rosenkavalier zu arbeiten aufgehört", schreibt Hugo von Hofmannsthal am 18. Dezember 1911, die Querelen im sogenannten Vorfeld der Ariadne-Uraufführung bedenkend, an Richard Strauss. Hätte er geahnt, was sich dereinst auf den Bühnen der späten Bundesrepublik subventioniert suhlen sollte, es gäbe wahrscheinlich nicht einmal die Elektra. Strauss rät im Antwortbrief, er möge doch am besten selber bei den Proben dabei sein und darauf achten, "daß die dortigen Regisseure nicht zu viel selbstschöpferisch sind". Was weiland wohl nur Schlendrian und Gedankenlosigkeit war, ist heute Masche, Mode und Tendenz geworden. Die Klassiker mit ihrem elitär-dünkelhaften Streben nach Schönheit, Kontemplation und Persönlichkeitsveredlung, ihrem diskriminierenden Griff nach dem Höchsten, sollen vom Sockel gestoßen und der allenthalben so sog- wie sieghaft um sich greifenden Würdelosigkeit, Unterleibszentriertheit, Geistesträgheit und Kosumentenmentalität unterworfen werden. Devise: Kopulieren und konsumieren! Und alles abräumen, was Unterschiede machen will! Die sofortige Streichung aller Subventionen wäre die einzige Lösung – lieber keinTheater (oder nurmehr noch Boulevardkomödien und ähnlichen Schamott) als dieses. Die Subventionen werden aber nicht gestrichen, weil sie integraler Bestandteil eines Masterplans bzw. eines bösartigen Virenprogrammes sind, welches nicht vor der völligen Zerstörung der abendländischen Restkultur bzw. Festplatte Ruhe geben wird; es arbeitet auf den Bühnen ebenso wie in den Parlamenten und in den Architekturbüros, in den Redaktionen wie an den Universitäten, in den protestantischen Kirchen wie in den Sozialämtern, im Finanz- und Familien- und sogar auch im Verteidigungsminsterium.

Wer also einer zeitgenössischen Verhunzung, Verkleinerung oder Zerstörung eines klassischen Stücks beiwohnt, veranstaltet von Leuten, die gemeinhin geistig impotent sind und zu keiner der großen menschlichen Fragen, Stuhlgang und sexuelle Orientierung einmal ausgenommen, künstlerisch etwas mitzuteilen haben, sollte sich zumindest darüber im klaren sein, dass er sich entscheiden muss, ob er zu den Angreifern oder den Angegriffenen, zu den Kultivierten oder den Barbaren, zur Partei der Distinktion und des Ranges oder zu den Abräumern und den Nivellierern gehören will.

 

P.S.: Es geht, nach dem mutmaßlichen Ende der Kunst, tatsächlich und nicht einmal nur vorrangig, sondern ausschließlich ums Erhalten und die Pflege dessen, was ist, immerhin ein Schatz sondergleichen, der sich allenfalls in der Literatur noch mehren wird, den zu bewundern ein Dutzend Menschenalter nicht ausreichen und in dem das Extrakt des Menschseins enthalten ist. Das Neue in der Welt mag sich auf Zahnmedizin, Hängebrückenbau, postnatales Bauchmuskulaturtraining, beweibte Raumfahrt und immer bessere Weinkühlschränke beschränken bzw. ausdehnen.

Beitrag erschien zuerst auf: michael-klonovsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wolfgang Apfeld

Das ist die große Falle:
Das Nicht-Konventionelle ist seit 25 Jahren die Konvention …
Wir haben heute einen völlig anderen Blick auf die Geschichte.
Wir spüren und wissen,
das wird schon den Kindern beigebracht,
dass wir keine Zukunft haben.
Es wird uns mitgeteilt,
daß wir keine Zukunft haben.
Es wird uns mitgeteilt,
daß alles, was wir auch nur irgend tun,
zu nichts Gutem führt, …
Der Feldherr Wallenstein sagt an einer Stelle den ungeheuerlichen Satz:
„Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“
Ein idealistischer Satz, wie ihn nur ein Deutscher formulieren konnte.
Ein Deutscher kommt auf die Idee, daß der Kopf selber den Körper,
sozusagen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann. …
Theaterregisseur Peter Stein / „Spiegel“ 19 / 2007
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Lieber Herr Klonovsky,
Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. DANKE.
Eine große Gemeinde von Theater- und Opernfreunden
würden aufatmen wie von einem schweren Joch Befreite.
Im Grunde wurde und wird ja bald einer ganzen Generation die Schönheit
von Theater und Oper gestohlen - und das öffentlich finanziert.
Das muß anders werden wenn es gut werden soll.

Mit freundlichem Gruß in geistiger Verbundenheit
Wolfgang Apfeld

Traurige Nachbemerkung:
„Sie lassen stöhnen, schuften,
koitieren du auf der Bühne
Notdurft verrichten.
Die Klassiker sind allen falls Material.“
Spiegel vom 6. März 2006 / Seite 164

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