Wenn der Euro zur Staatsräson überhöht wird

Die wohl wichtigsten Ziele, die das europäische Integrationsprojekt intendiert, sind die Realisierung von Frieden und Wohlstand in Europa.

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Wenn man will, kann man diese beiden Ziele zum Kanon der europäischen „Staatsräson“ deklarieren. Die Erfüllung dieser Ziele ist im Wesentlichen mit den Freiheitsmechanismen des Binnenmarkts gelungen. Aber die politischen Europa-Agenten wollen immer mehr konstruktivistischen Überbau des freiheitlichen Binnenmarktes, den sie dann  eigenaktivitätserweiternd auch als eine Art „Staatsräson“ definieren  und handlungsträchtig als verbindlich betrachten. Darunter subsumieren sie dann Europa als „Wertegemeinschaft“, als „Solidargemeinschaft“, als „Rechtsgemeinschaft“ und nicht zuletzt auch als „Schicksalsgemeinschaft“, die sich vor allem durch den Euro als Gemeinschaftswährung definiert. Rütli-affine Euro-Schwüre für die politische Ewigkeit eines immer brüchiger werdenden Währungsarrangements! So werden dann auch der Euro und seine unendliche „Rettung“ bedingungslos zur europäischen Staatsräson hochdefiniert. Das wissen auch die Griechen, und dementsprechend verhalten sie sich in diesem Sinne staatsräson-strategisch.

Da ist man dann nahe bei der Machiavellischen Philosophie: Wenn es dem Staatsziel als der alles entscheidenden politischen Maxime der Staatslenker dient, dann hat das Staatshandeln Vorrang vor allen anderen Interessen, auch wenn sie der individuellen Vernunft und der ökonomischen Ratio widersprechen und dabei Moral- und Rechtsvorschriften verletzen. Also auch, wenn sie den Grundprinzipien einer  Wertegemeinschaft und einer Rechtsgemeinschaft zuwiderlaufen: Staatliche Macht kappt, wenn es politisch opportun erscheint, die Bindung an Recht und Moral. Unübersehbar ist, dass die EU und insbesondere die Euro-Zone diesbezüglich auf die abschüssige Bahn Machiavellischer Entwertung fundamentaler Rechtsregeln durch zunehmende gravierende Rechtsverstöße der Politikakteure geraten ist, an der sich auch EZB und IWF signifikant beteiligen. Machiavelli bemächtigt sich zunehmend Europas! Man fragt sich, warum das so ist.

Ist Griechenland systemrelevant?

Ist das kleine Land der Hellenen denn sosehr politischsystemrelevant für die EU, um die ständige und immer wieder neu pointierte Kanzlerin-Beteuerung zu rechtfertigen, sie wolle Griechenland um jeden Preis in der Euro-Zone behalten, denn wo ein Wille sei, sei auch ein Weg? Die Regierung Tsipras verkauft Griechenland natürlich als politisch systemrelevant, indem sie die Karten Russland und China aktionistisch ins strategische Erpressungs-Spiel einbringt: Man könne sich ja, wenn die europäischen Geldgeber nicht den Bedingungen der griechischen Geldnehmer gehorchten, an Russland oder China wenden. Diese Drohung wird untermauert von US-amerikanischem Druck, man dürfe Griechenland als strategisch wichtiges NATO-Mitglied nicht verlieren, das Land müsse deshalb im Euro verbleiben.

Griechen-Erpressung und US-Druck als Treiber der Erzeugung euro-politischer Systemrelevanz für Griechenland? Wer dieses Argument ernst nehmen will, muss wissen, dass dessen Erpressungspotential unendlich lange wirksam ist: Es gilt dann immer, wenn Griechenland in einem Monat, einem viertel und halben Jahr, in fünf oder zwanzig Jahren immer wieder neue Kredite braucht, weil es dort immer noch an Reformen mangelt: Russen und Chinesen als permanentes Drohpotential der Griechen füttern den Machiavellischen Politikgeist der EU-Politiker und treiben deren Affinität zu ständigen und immer neuen Regelverstößen und Rechtsbrüchen, um Griechenland  nicht aus dem Euro zu „verlieren“.

Ist Griechenland aber vielleicht ökonomisch systemrelevant, um es auf Basis massiver Regelverletzungen im Euro zu halten? „Too big to quit“ scheitert an Griechenlands geringem ökonomischen Gewicht in der Euro-Zone, und „too interconnected to quit“ zieht nicht mehr, seitdem die Verflechtung der griechischen mit den europäischen Banken signifikant reduziert worden ist und immerhin auch der Bankenrettungsmechanismus existiert. Zudem gibt es massive Bankenrettungs- und -abwicklungserfahrungen aus dem vergangenen Scheitern von europäischen und weltweiten Währungsarrangements. Das wissen auch die Akteure auf den internationalen Kapitalmärkten, so dass ein Grexit allenfalls kurzfristig und keinesfalls tumultartig-irrational die Finanzmärkte bewegen wird. Auch das Argument der gefahrvollen Ansteckungseffekte ist längst verblasst, weil jeder weiß, dass Griechenland ein extrem negativer Sonderfall einer ökonomischen Performance ist, der für keines der übrigen Euro-Krisenländer in diesem Maße zutrifft oder nachahmenswert ist. Grexit ist wohl eingepreist in den Plänen B der europäischen Banken und Finanzmarktakteure, die damit das  Euro-Staatsräsonverhalten der Politiker ökonomisch-rational unterlaufen.

Die vielen Rechtsbrüche in der EU

Griechenland ist also weder politisch noch ökonomisch systemrelevant, um es auf der Begründungsbasis Machiavellischer Euro-Staatsräson mithilfe und unter Inkaufnahme von ständigen Rechtsbrüchen in der Euro-Zone zu halten. Rechtsbrüche durch politische, auch geldpolitische, Akteure  bedeuten, dass die Macht der Politik die Ordnung der institutionellen Regelbindungen aufhebt. Von welchen Rechtsbrüchen ist die Rede? Aus ihrer zunehmenden Vielzahl (die insbesondere auch von Roland Vaubel detailliert aufgezeigt werden) seien einige wichtige selektiv hervorgehoben:

     

  • Art. 126 und 140 AEUV: Die Konvergenzkriterien für den Eintritt in die Euro-Zone wurden für die meisten Länder  großzügig ausgelegt bzw. missachtet. Der Eintritt Griechenlands ist mithilfe massiver (EU-geduldeter) Fälschungen der relevanten Wirtschaftsstatistiken erfolgt.
  • Stabilitäts- und Wachstumspakt: Die 3%-Defizitgrenze und 60%-Schuldengrenze wurden bisher von den meisten Euro-Staaten nicht eingehalten. Obwohl Sanktionsmechanismen vorgesehen sind, wurden sie bisher nicht angewandt.
  • Art. 125 AEUV: Das Beistandsverbot („No bail out“) und damit der fundamentale Anker der Währungsunion zur wirtschafts- und finanzpolitischen Eigenverantwortung der Euro-Mitglieder ist faktisch aufgehoben durch die Installierung der umfassenden anreizperversen Rettungsschirminstitutionen.
  • Art. 130 AEUV: Die EZB darf keine Weisungen von anderen Organen einholen oder entgegennehmen. Andere Organe der EU dürfen die EZB in ihren Entscheidungen nicht beeinflussen. Dies kollidiert vollkommen mit der Praxis des EZB-Präsidenten Draghi, sich ständig in diversen EU-politischen Kommissionen zu beraten und aktiv mitzuentscheiden. Auch die Mitgliedschaft der EZB-Vertreter in der Troika ist diesbezüglich nicht vertretbar.
  • Art. 123 AEUV: Die EZB darf keine monetäre Staatsfinanzierung betreiben. Dennoch kauft die EZB Staatsanleihen zum Beispiel auch der überschuldeten Krisenländer im Rahmen ihrer OMT-Politik, was das deutsche Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft hat. Sollte der EuGH in seinem demnächst zu erwartenden Urteil zum anderen Ergebnis kommen, bahnt sich eine interessante Rechtsprechungskontroverse zwischen BVerfG und EuGH an.
  • Im Übrigen hat die EZB als Zentralbank des Euro-Währungsraumes nicht die Aufgabe, alles zu tun („whatever it takes“), um den Euro zu retten. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Stabilität des Euro und nicht seine Existenz geldpolitisch zu sichern.
  • IWF: Nach seinen Statuten darf der IWF einem Mitgliedsland nicht mehr als 600 Prozent seiner Quote am Währungsfonds verleihen. Griechenland hat bereits ein Vielfaches bekommen: Man hat einfach für „Ausnahmesituationen“ die Kreditlimits heraufgesetzt.
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Politische und persönliche Kartelle

Fundamentale Rechtsbrüche und Lockerungen der Regelbindungen sind in der EU und in der Euro-Zone an der Tagesordnung und werden mit der impliziten Staatsräson der unbedingten „Rettung des Euro“ legitimiert. Dies geschieht sanktionslos in der EU-Arena politischer und persönlicher Kartellabsprachen kleiner Gruppen von Politik-Entscheidern. Die EU als „Rechts- und Wertegemeinschaft“ ist durch diesen Trend einer  Machiavellischen Politik der kartellabgesprochenen Abwahl bindender Ordnungen signifikant gefährdet. Und erst recht ist es der Euro, denn zunehmend wird er zum Spielball von Machtverhältnissen, die sich nicht an das in den Verträgen Vereinbarte halten.

Beitrag erschien auch auf: wirtschaftlichefreiheit.de

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