Weltordnung: Wie Globalisierung, Märkte und Handel zunehmend unsere Gesellschaft verändern

Handel und Ressourcenzugänge spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung politischer Konzepte zur Ordnung der internationalen Staatenwelt. Das hat einen langen historischen Hintergrund und beeinflusst unsere Gesellschaft und Werte.

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Stellt man den Fokus auf eine umfassendere Perspektive und betrachtet längere historische Zeiträume, dann lassen sich für die Entwicklung vom Mittelalter über die Industrialisierung bis zur heutigen Dienstleistungsgesellschaft zwei vorrangige Entwicklungen erkennen.

Erstens: Vom Mittelalter bis heute hat die Bedeutung des Handels, der Märkte und des Finanzwesens einen immer höheren Stellenwert in der politischen und gesellschaftlichen Ordnung gewonnen. Sie beeinflussen unser Leben. Andere gesellschaftliche Werte hingegen treten in den Hintergrund. Dieser Trend setzt sich fort.

Zweitens: Im Verlauf der letzten drei Jahrhunderte hat sich der Schwerpunkt der Arbeit verlagert. Waren die Menschen im Mittelalter größtenteils in der Landwirtschaft tätig, so verschob sich das Schwergewicht während der Industrialisierung auf die Produktion in den Fabriken und später in den Bereich der Dienstleistungen. Diese Entwicklung hat Einfluss auf die Gestaltung der Wertegemeinschaft einer Gesellschaft. Auch dieser Trend setzt sich fort.

Beide Entwicklungen haben eine lange Vorgeschichte und werden sich nicht aufhalten lassen. Sie werden bei der Ausgestaltung zukünftiger politischer und gesellschaftlicher Ordnungen international eine wichtige Rolle spielen.

Alte Kulturen orientierten sich am Rhythmus der Landwirtschaft

Dieser Gedanke sei näher erläutert. Im Altertum, im europäischen Mittelalter, im Vorderen Orient, im Fernen Osten und in den vorkolumbianischen Kulturen Amerikas gaben sich die Völker Ordnungen, die an sich an ihrer Hauptlebensgrundlage orientierten: dem Ackerbau. Die Landwirtschaft war das Rückgrat der Gesellschaft.

Ihre ganzen Ordnungen, ihre Kalender, ihre Feste, ihr Lebensrhythmus, ihre religiösen Vorstellungen, ihre gesellschaftlichen Hierarchien und ihre Kultur orientierten sich am Takt der Landwirtschaft. Im Mittelalter waren die Kaiser, Könige, Fürsten und Barone Landgutbesitzer, die von den Abgaben der hörigen Bauern lebten. Die Kirche, die Klöster, die Bistümer, sie alle waren Großgrundbesitzer. Die Landwirtschaft war ihre wirtschaftliche Grundlage.

Das ganze Lehenswesen des europäischen Mittelalters fußte auf der Verteilung und Verteidigung von Ländereien. Das war die Basis der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung, der Ständeordnung.

Doch mit der Hanse im Norden Europas und den italienischen Handelsstädten im Süden erwuchs eine neue gesellschaftliche Gruppe, die sich nicht in das Gebilde zu fügen schien. Dies waren die Kaufleute, die beispielsweise in Venedig und Genua zunächst durch den Handel mit den Kreuzfahrerstaaten und Byzanz reich wurden, dann die Handelsgesellschaften, die vom Handel mit dem neu entdeckten amerikanischen Kontinent und dem erkundeten Seeweg nach Indien profitierten.

Es war die neue Schicht des Bürgertums, die die alte Ordnung ins Wanken brachte. Kaufmannsfamilien wie die Fugger und Welser oder die Medici wurden so reich, dass sie von Königen und Fürsten beneidet wurden. Die Kaufleute und Handelsgesellschaften waren die Pioniere der Erkundung der Neuen Welt und des Fernen Ostens. Sie schickten Schiffe nach Amerika und Indien. Die Ostindische Handelskompanie war sozusagen der Scout, der das britische Königshaus darüber informierte, wo britische Interessen durch die Flotte geschützt werden müssen. Die Initiative ging von der Expansion des Marktes aus.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese neue Gesellschaftsschicht ihren Reichtum und ihre Macht nutzen würde, um Privilegien einzufordern, die zuvor nur dem Adel und der Kirche vorbehalten waren. So zerbrach die alte Ordnung und wich einer neuen.

Dieser Prozesse setzt sich bis heute fort. Der Handel und das Finanzwesen sind zu den dominierenden Figuren im Spiel der Welt geworden. Sie geben den Takt vor. Die Staaten und ihre Regierungen folgen.

Heute spielt der primäre Sektor eine untergeordnete Rolle

Nach der Drei-Sektoren-Hypothese der Volkswirtschaftslehre gibt es in allen Gesellschaften und Staaten der Erde eine global dominierende Entwicklungsrichtung: die Schwerpunktverschiebung vom Primärsektor (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei), über den Sekundärsektor (Industrie, Handwerk, Bergbau) bis hin zum Tertiärsektor (Dienstleistungen, Handel, Verkehr, Organisation).

Alle Staaten durchlaufen diesen Wandel. Dabei ist jeder Staat in einer anderen Entwicklungsphase. In Indien und vielen Ländern Afrikas ist der Primärsektor noch relativ bedeutend und beschäftigt den Großteil der Bevölkerung. In vielen Schwellenländern Asiens hat der sekundär-industrielle Sektor einen hohen Stellenwert. In den alten Industriestaaten der westlichen Welt dominiert inzwischen der Tertiärsektor.

Diese Entwicklung hat Einfluss auf die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen. Der Handel und die Finanzwirtschaft, die Organisation des Ressourcen-, Waren- und Geldflusses sind die tragenden Grundgedanken der neuen Ordnungsideen. Ihnen müssen sich, nach der inneren Logik dieser Entwicklung, alle anderen Bereiche des Lebens unterordnen: Kultur, Gesellschaft, Produktion und Umwelt. Die Globalisierung ist nichts anderes als das Ergebnis dieser internationalen Entwicklung.

Das globale Schachspiel orientiert sich an Ressourcen und Märkten

Für die Gesellschaft stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Die Menschen werden mit ihren Kulturen und Lebensweisen sich komplett der Globalisierung unterwerfen. Die Werte werden sich angleichen und flexibler den Anforderungen der Märkte angepasst werden. Internationale Beziehungen und geostrategische Überlegungen werden sich an dieser Entwicklung orientieren.

Die Vorrangstellung der Ressourcen und Märkte wird daher zunehmend die Leitplanke unserer gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten sein. Angela Merkel prägte den Begriff „marktkonform“. Das ist zunächst ein ernüchternder Gedanke. Doch dieser Prozess lässt sich weder leugnen noch verdrängen. Wenn man die Realität nüchtern zur Kenntnis genommen und analysiert hat, kann man versuchen, sie positiv zu gestalten, und zwar im Sinne der Menschen und des Gemeinwohles.

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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