Weltordnung nach dem Westfälischen Frieden: Diplomatie ist besser als Krieg

Trotz aller Krisen: Europa erfreut sich seit 1945 einer friedlichen Epoche, wie es sie noch niemals gegeben hatte. Der einst kriegerische Kontinent hat gelernt, Entscheidungen vom Schlachtfeld auf das Parkett der Diplomatie zu ziehen. Ein wichtiger Meilenstein dieser Entwicklung war der Westfälische Frieden.

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Der kanadische Forscher Steven Pinker hat in einer Studie dargelegt, wie im Verlauf der letzten Jahrhunderte der Anteil der Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, in Relation zur Gesamtbevölkerung abgenommen hat.

Während im Mittelalter die Wahrscheinlichkeit hoch war, durch Gewalteinwirkung ums Leben zu kommen, ist sie heute geringer. Das mag angesichts der vielen Kriege unserer Zeit und des vorangehenden 20. Jahrhunderts befremdlich klingen. Der Erste und Zweite Weltkrieg gehören, an absoluten Zahlen gemessen, zu den verlustreichsten Kriegen der Geschichte.

Doch der Eindruck täuscht. In den Jahrhunderten zuvor war Krieg in vielen Regionen der Welt ein Dauerzustand. Selbst das 19. Jahrhundert war keineswegs unblutiger als das 20 Jahrhundert. Beispiel China: Allein während des Taiping-Aufstandes (1851-1864) starben 20 bis 30 Millionen Menschen. Die USA erlebten den Sezessionskrieg, Europa verspürte die Nachwirkungen der Napoleonischen Kriege und erlebte mit dem Krimkrieg einen weiteren überregionalen Konflikt, ganz zu schweigen von den unzähligen Kolonialkriegen.

Man kann das Rad der Zeit beliebig zurückdrehen. Es gab kaum längere Epochen ohne Kriege. Zu den großen Kriegen, die Eingang in die Weltgeschichte gefunden haben, kamen die unzählige Fehden, Scharmützel und Kleinkriege, die typisch für die feudalen Gesellschaften waren.

Die verlustreichsten Kriege West- und Zentraleuropas in der Neuzeit (vor dem 20. Jahrhundert) waren der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) und die Napoleonischen Kriege (1800-1815). Während des Dreißigjährigen Krieges wurden ganze Gebiete Deutschlands entvölkert. In Süddeutschland schrumpfte die Bevölkerung um etwa ein Drittel. Mehrere europäische Großmächte waren an diesem Konflikt beteiligt. Auch während der Napoleonischen Kriege, die den Revolutionskriegen Frankreichs folgten, waren mehrere Millionen Menschen ums Leben gekommen.

Vom Schlachtfeld auf das Parkett der Diplomatie

Der Dreißigjährige Krieg und die Napoleonischen Kriege führten sowohl zu erheblichen Veränderungen der europäischen Landkarte als auch der Gesellschaft. Am Ende beider Kriege standen zwei wichtige Friedensschlüsse, die das Ergebnis langer internationaler Verhandlungen waren. Der Dreißigjährige Krieg endete mit dem Westfälischen Frieden und die Kriege Napoleons mit dem Wiener Kongress.

Der Westfälische Frieden war ein Meilenstein in der Geschichte der Diplomatie. Die Situation in Europa war verworren. Das Heilige Römische Reich war zersplittert. Die europäischen Großmächte (Spanien, Frankreich, Schweden, Habsburg) waren militärisch involviert. Auch konfessionell war das Reich gespalten. Hinzu kam die Situation der Niederlande, die seit Jahrzehnten für ihre Unabhängigkeit kämpften. Die Söldnerarmeen der Kriegsparteien zogen über viele Jahre kreuz und quer durch das Land und hatten längst eine Art Eigenleben entwickelt. Die andauernden Kriegshandlungen, die Zerstörungen der Städte und die Hungersnöte auf dem Lande hatten zu einer Verrohung der Bevölkerung geführt. Mitteleuropa schien auf ewig im Chaos versunken zu sein.

Doch mitten in dieses Chaos fiel die Erkenntnis, dass eine andauernde militärische Verstrickung niemanden nutzt und vor allem zu teuer ist, denn die Söldnerheere mussten bezahlt werden. Die kriegführenden Parteien versuchten, den Konflikt auf eine andere Eben zu heben. Statt sich endlos zu befehden, wurde das Parkett der Diplomatie aufgesucht. Alle Verhandlungspartner wurden gleichermaßen einbezogen. Es gab keine Unterwerfungsgesten und Hierarchien mehr, sondern nur noch Mitspieler eines komplexen Verhandlungsmarathons. Das war etwas Neues in Europa.

Fünf Jahre dauerten die Verhandlungen, bis am 15. Mai und 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück die Friedensverträge unterzeichnet werden konnten. Anschließend folgten weitere Verhandlungen, bei denen Detailfragen geklärt wurden. Diese fanden in den Jahren 1649 und 1650 statt und führten zum Nürnberger Reichs-Friedens-Rezess vom 26. Juli 1650.

Dieses Ereignis war nicht nur aus der Erkenntnis der Sinnlosigkeit eines endlos fortgehenden Krieges geboren. Es war eingebettet in einen größeren gesellschaftlichen Prozess, den der Soziologe Norbert Elias einst „Prozess der Zivilisation“ genannt hat und der seinen Ausgangspunkt in Frankreich genommen hatte.

Während des Mittelalters war Frankreich, wie alle anderen Feudalgesellschaften Europas, in unzählige Fehden verstrickt. Nicht nur der Hundertjährige Krieg mit England, sondern auch die Konflikte innerhalb Frankreichs führten dazu, dass das Land – neben Mitteleuropa – die größte Dichte an Burgen und Festungen aufzuweisen hatte.

Doch im 17. Jahrhundert, in der Epoche, in die auch der Dreißigjährige Krieg fällt, hatte sich das Bild gewandelt. Statt sich als Ritter in Festungen und Burgen zu verschanzen, waren die Adligen Frankreichs am Hofe des Königs präsent. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt unter Ludwig XIV. Die Machtchancen des Adels gründeten nicht mehr auf einer eigenen Armee, sondern auf dem diplomatischen Geschick am Hofe des Königs (zunächst in Paris, später in Versailles). Statt Schwertkunst war Redekunst angesagt. Aus Kriegern wurden Höflinge, Rhetoriker, Intriganten und Diplomaten.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass diese Entwicklungen in Frankreich und vielen anderen europäischen Ländern parallel verliefen. Immerhin war Frankreich zu jener Zeit das europäische Vorbildland. Während des Dreißigjährigen Krieges herrschte in Frankreich König Ludwig XIII. Doch die Regentschaft hatte Kardinal Richelieu inne. Richelieu war ein hochbegabter Stratege, Diplomat und Intrigant. Er verstand das Spiel der Großmächte und ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten und versuchte es zu Frankreichs Gunsten zu beeinflussen. Das geschickte Wechseln der Zweckbündnisse erwies sich während des Dreißigjährigen Krieges als starke Waffe. Das begriffen auch die anderen Kriegsparteien. Eine geschickte Verhandlung am Konferenztisch konnte ebenso kriegsentscheidend sein wie eine gewonnene Schlacht, und sie war erheblich kostengünstiger als der Unterhalt des Söldnerheeres.

Damit war ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte eröffnet. Seit dem Westfälischen Frieden war die Bedeutung der Diplomatie auf eine andere Ebene gehoben worden. Sie wurde nun der Dreh- und Angelpunkt der Außenpolitik.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gernot Radtke

Verehrter Herr von Storch, Ihr faßlich und gut geschriebener Beitrag macht Appetit auf mehr. Z.B. auf eine Würdigung des Versailler Vertrags mit Hilfe des von Ihnen jetzt für den Westfälischen Frieden und den Wiener Kongreß herausgestellten Prinzips der Friedensdiplomatie. Vielleicht ergeben sich weitere Gesichtspunkte für die Behandlung des Friedens-Themas, wenn man der Frage nachgeht, warum nach Münster/Osnabrück und Wien nicht nur in Versailles so viele Friedensschlüsse trotz aller Diplomatie oder sogar wegen dieser gescheitert sind und anschließend nicht weniger blutrünstige Kriege geführt wurden. Daß es ohne Diplomatie nicht geht, aber mit Diplomatie allein auch noch nicht, scheint mir völlig klar zu sein, wenn diplomatisch erzielte Friedensschlüsse z.B. „mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht“ werden (I. Kant, Zum ewigen Frieden, 1. Präliminarartikel). Ich schlage vor, bei der Behandlung dieser Frage, falls Sie, verehrter Herr von Storch, sich ihrer überhaupt annehmen wollen, auf jeden Fall I. Kants Friedens-Reflexionen zu Rate zu ziehen, aber auch Herfried Münklers Analysen zum Imperiums-Begriff nicht außeracht zu lassen (H.M, Imperien. Berlin 2005), der historisch wie systematisch facettenreich zwei zentrale Merkmale des Imperiumsbegriffs und ihrer Wechselbeziehungen herausstellt: die Bedeutung von Zentrum und Peripherien für den Bestand von Imperien oder Großmachtgebilden quasi-imperialen Zuschnitts. Eine Diplomatie, die ins Gewicht fällt, kann ja wohl immer nur eine sein, die sich auch militärisch Geltung zu verschaffen vermag, was man etwa von Liechtenstein oder dem heutigen Deutschland nicht behaupten kann, obwohl deren finanzielle ‚Imperial‘-Macht gelegentlich weit in die Welt hinausgreift und in der südlichen Peripherie des EU-Imperiums mit seinem Zentrum in Brüssel mitunter sogar sehr gerne gesehen wird. Alle diese Fragen sind natürlich in einem historischen Augenblick noch einmal von besonderer Brisanz, in dem wir den inneren wie äußeren Zusammenbruch eines Scheinimperiums (die EU) mitzuerleben und möglicherweise auch bald zu erleiden haben, dem auch die ausgeklügeltste Diplomatie nicht mehr aufhelfen kann. Der Westfälische Frieden wird dann ein zweites Mal zu erfinden und zu erzählen sein.

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