Was macht der Emir mit dem Kreuz? Eine Tagung zur Entstehung des Islam

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I. Warum man so eine Tagung braucht

Vom 20. bis zum 23. März 2014 fand in einer idyllisch gelegenen Akademie kurz vor der  luxemburgischen Grenze eine internationale Tagung von Theologen, Islamwissenschaftlern, Kunstgeschichtlern, Orientalisten, Linguisten, Arabisten, Semitisten, Hispanisten sowie spezialisierten Dilettanten zur Erforschung der Frühgeschichte des Islam statt. Die meisten gehören einem lockeren Verein von Wissenschaftlern an, der 2007 gegründet wurde und sich „Inârah. Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran“ nennt; neue Wissenschaftler aus anderen Bereichen stoßen jedoch weiter hinzu. Gemeinsam ist ihnen allen ein rein wissenschaftliches Anliegen, das zusammengefasst werden könnte als die Etablierung der historisch-kritischen Methode, also einer Methode der Aufklärung (arabisch „Inârah“), in den Islamwissenschaften.

Was, werden philologisch gebildete Leser und Leserinnen jetzt vielleicht fragen, ist daran neu? Diese Methode ist doch seit dem 18. Jahrhundert etabliert, seit ein französischer Gelehrter auf den jahrtausendelang bei den gläubigen (jüdischen wie christlichen) Bibelauslegern unbemerkten Widerspruch hinwies, wie denn Moses das 5. Buch Mose schreiben konnte, wenn doch am Ende dieses Buches von seinem Tod erzählt wird. Es muss also einen anderen Autor gegeben haben. Natürlich ist auch diese Methode nicht unumstritten (das ist keine einzige wissenschaftliche Methode), aber sie kann mit immer mehr eindrucksvollen Ergebnissen aufwarten, die diesen Namen wirklich verdienen - weil sie nämlich überprüfbar sind.

Nun ist es tatsächlich bis heute in der gesamten islamischen Welt so, dass alles, was die Tradition lehrt, was „überliefert“ ist, für bare Münze genommen und nicht hinterfragt wird, ja, nicht hinterfragt werden darf. Es ist Dogma, dass der Prophet des Islam von 570 bis 632 auf der arabischen Halbinsel gelebt habe, dass sein Leben, seine  Familienverhältnisse und Feldzüge bis ins Detail bekannt seien, dass ihm der Koran, der bei Gott schon immer existiert habe, über einen Zeitraum von zwanzig Jahren vom Engel Gabriel eins zu eins übermittelt worden sei, dass Hunderte seiner Aussprüche zu allen möglichen Lebenslagen treulich überliefert worden seien und dass nach seinem Tod in Mekka seine Nachfolger die fertige Religion des Islam in einem beispiellosen Siegeszug mit Gewalt über den Nahen Osten und Nordafrika bis nach Spanien ausgebreitet hätten. Und wir alle haben das genau so in der Schule gelernt, weil die etablierten westlichen Islamwissenschaften diese mehr oder weniger fromme Überlieferung so gut wie nie angezweifelt oder kritisch untersucht haben, obwohl das eigentlich ihre Aufgabe als Wissenschaft gewesen wäre. Von islamischen Forschern kann man das, wie gesagt, ohnehin kaum erwarten. Das ist bedauerlich, aber es ist so.

Wer das großartige Buch von Edward Gibbon über den „Verfall und Untergang des Römischen Reiches“  kennt, weiß vielleicht auch, dass es eine Fortsetzung hatte: „Der Sieg des Islam“ (beide erhältlich in der Reihe „die Andere Bibliothek“). An ihm zeigen sich die außerwissenschaftlichen Motive hinter der traditionellen westlichen Beschäftigung mit dem Islam bestens: Da die Aufklärung kirchen- und religionsfeindlich war, wurde der Untergang Westroms, dem Hort antiker Vernunft, als von christlicher Dekadenz verursacht beschrieben. Da kam die Erzählung von einer neuen Religion nur recht, die das für das finstere Mittelalter angeblich verantwortliche Christentum weiter in seine Schranken verwies. Doch auch der Islam habe sich wie jede Religion in einem despotischen Machtstreben verloren. Gibbon erzählt die Frühzeit des Islam jedenfalls genauso, wie sie in der islamischen Tradition berichtet wird: als eine Folge von religiös motivierten Eroberungskriegen im Auftrag eines Propheten. In der Folgezeit war es immer wieder zu beobachten, dass außerwissenschaftliche Motive für die etablierte Islamwissenschaft bestimmend waren und so eine historisch-kritische Untersuchung der Entstehung dieser Religion unterblieb. Heute ist ein solches Motiv, wie ich in einem früheren Beitrag gezeigt habe, die „internationale Zusammenarbeit“ mit Koranforschern aus den arabischen Ölstaaten, dem Maghreb sowie dem potentiellen EU-Beitrittskandidaten Türkei, bei der von der Politik keine Ergebnisse erwünscht sind, welche die Muslime „beleidigen“ könnten, um eine trügerische Ruhe aufrecht zu erhalten.

II. Was die Tagung an Ergebnissen brachte

Es würde zu weit führen, die knapp zwanzig teilweise hochspezialisierten Vorträge zu referieren, die in drei Themenbereiche, nämlich Religions- und Frühgeschichte des Islam, Eigenart und Überlieferung des Koran sowie Islamwissenschaften und moderne Gesellschaft unterteilt waren. Natürlich waren die Beiträge von unterschiedlicher Qualität, doch die Mehrzahl zeugte von einer großen und tiefen Gelehrsamkeit, von der ich glaubte, sie sei schon längst untergegangen. Es scheint nicht unnötig zu erwähnen, dass die meisten der Forscher teilweise Jahrzehnte in islamischen Ländern gelebt und gearbeitet haben. Es dürfte am besten sein, einfach bei dem obigen Beispiel vom Buch Mose anzuknüpfen und einige der ähnlich gelagerten Widersprüche aufzuzählen, auf welche die vortragenden Forscher bei der überlieferten islamischen Historie gestoßen sind.

-     So fällt auf, dass die ältesten Moscheebauten nicht nach Mekka ausgerichtet waren, was erst etwa um 750 nach Christus architektonische Pflicht wurde. Das kann bedeuten, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Islam im heutigen Sinn existierte, der Mekka als Bezugspunkt hatte. Das zieht natürlich sofort die nächste Frage nach sich, ob es vor diesem Zeitpunkt überhaupt die Kenntnis von einem islamischen Propheten gab, der von Mekka aus wirkte. Welche Religion hatten also die Erbauer dieser ersten „Moscheen“?

-     Dann: Wenn ein arabischer Emir des ersten angeblich mohammedanischen Jahrhunderts Erlasse in Stein schlagen oder Münzen prägen ließ, die ein Kreuz und andere christliche Symbole zeigen, dann wird das kaum für eine Verleugnung der eigenen islamischen Religion sprechen als vielmehr dafür, dass der Emir ein arabischer Christ war und es den Islam zu dieser Zeit noch nicht in seiner heutigen Form gab.

-     Warum gibt es, z. B. in Spanien, keine Quellen oder archäologische Zeugnisse für eine arabische Eroberung? Warum wurden noch im 8. Jahrhundert in angeblich islamisch beherrschten Städten Bischofssynoden abgehalten, die von einer Eroberung nichts wussten? Das kann so interpretiert werden, dass der Islam damals sehr tolerant war. Wahrscheinlicher ist es, dass es keine islamische Eroberung gab, sondern eine Infiltration von Arabern nach Spanien über eine sehr lange Zeit hinweg.

-     Dann: Der heute gültige islamische ist ein Mond-Kalender. Doch vor dieser angeblich vom islamischen Propheten erst kurz vor seinem Tod vollzogenen Kalenderreform hatten die Araber einen Sonnenkalender mit einem jedes dritte Jahr eingefügten Schaltmonat. Was bedeutet es, dass in der so minuziös tradierten Beschreibung der zwanzig aktiven Jahre des Propheten keine einzige Tat berichtet wird, die in einen der sieben in diesem Zeitraum auftretenden Schaltmonate fällt? Das kann bedeuten, dass er zufällig siebenmal zum gleichen Zeitpunkt „pausierte“, es kann aber auch Zweifel an der Korrektheit der biografischen Überlieferung wecken. Wann wurde diese überhaupt verfasst?

-     Ferner: Wenn die Kunstgeschichte Darstellungen auf persischen Schüsseln und Gefäßen der vorislamischen Zeit kennt, die den Beschreibungen des Paradieses im Koran täuschend ähnlich sind, dann kann das eine zufällige Übereinstimmung mit der göttlichen Offenbarung sein, es spricht aber eher für eine bewusste Übernahme durch einen kundigen Autor, der die überlegene persische Kultur kannte und sie als paradiesisches Vorbild ansah. Wo ist der Koran aber dann entstanden?

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, sei zusammenfassend und sehr allgemein festgestellt, dass die uns aus angeblich gesicherten Überlieferungen bekannte frühislamische Zeit einschließlich der Entstehung des Korans in Wirklichkeit historisch ganz anders verlaufen sein muss. Wie, das muss noch präzisiert werden.

Ein Vortrag sei herausgehoben, weil die in ihm beschriebene Untersuchung des Korans auf moderne mathematische Techniken (Code-Theorie) der Textuntersuchung zurückgreift. Jeder Autor von Texten weist nämlich eine „Signatur“ auf, die aus Hunderten von Merkmalen resultiert, die mathematisch in einer Software zu fassen sind. Um eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine korrekte Aussage zu bekommen, muss natürlich eine Mindestgröße an Textmasse vorhanden sein, auch müssen Fehler wie z. B. Falschschreibung oder eingeschleuste Wörter in mathematisch beherrschbarer Relation zum „echten“ Text auftreten. Speist man nun einen Text wie den des Koran in einen mit dieser Software ausgestatteten Computer ein, so kann untersucht werden, wie viele Autoren dieser Text hat. Im Falle des Koran dürften es etwa 50 Autoren sein, die an ihm mitgewirkt haben. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein einzelner Autor an die fünfzig verschiedene Signaturen aufweisen kann, es sei denn, er ist der liebe Gott.

Jede wissenschaftliche Hypothese muss sich bewähren. Sie bleibt so lange gültig, wie sie immer neue Belege für ihre Richtigkeit sammeln kann und bis sie nicht falsifiziert, also als falsch widerlegt wird. Das ist jedoch ein langwieriger Prozess. Es ist selbstverständlich, dass eine so junge wissenschaftliche Richtung wie die historisch-kritische Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran noch keine allseits akzeptierten Ergebnisse produzieren konnte. Dazu muss ein wissenschaftlicher Dialog stattfinden mit argumentativem Widerspruch durch Fachleute, auch solchen, die anderer Meinung sind. Leider besteht die Reaktion der etablierten Islamwissenschaft immer noch viel zu oft in der Verweigerung eines solchen fruchtbaren, sachbezogenen Dialogs.

III. Was die Staatspresse daraus macht

Eine kleine, überforderte Journalistin wurde von ihrer Redaktion in der „Welt“ mit der undankbaren Aufgabe betreut, über diese Tagung zu berichten. Ihr Text ist zugleich ein perfektes Beispiel für den verkommenen Zustand des deutschen Journalismus. „Darf man behaupten, Allah sei gar nicht so groß?“, lautet die Titelfrage vom 27. März, als ob sie rein rhetorisch wäre. Leider, leider ist sie das nicht, wie man weiß, aber die „Welt“ weiß es ja besser. „Ein alter Professor“, schreibt Eva Marie Kogel, als ob ein junger hier kundiger wäre, warnt beim Mittagessen vor der islamischen Intoleranz. Diese informell außerhalb des offiziellen Programms geäußerte Ansicht nimmt sie dann zum Vorwand, der ganzen wissenschaftlichen Tagung Voreingenommenheit und eine politische Absicht zu unterstellen, bis hin zum Kampf gegen den islamischen Terror. Das ist absurd. Auf das berühmte, für Selbstmordattentäter so relevante Beispiel, dass im Koran die aramäische Lesart „Weintrauben“ statt arabisch „Paradiesjungfrauen“ korrekt sein dürfte, kommt sie ausführlich zu sprechen. Aber der Autor dieser Lesart hielt auf der Tagung einen ganz anderen Vortrag. Für Eva Marie war er zu kompliziert, weil man dafür Hebräisch, Latein, Griechisch und alle wichtigen arabischen und aramäischen Dialekte und Schriften beherrschen muss. Ich kann den Vortrag auch nicht beurteilen, aber tue nicht so, als ob. Seriöse Berichterstattung sieht anders aus als in der "Welt".

Und weil Eva Marie die oben dargestellte „wissenschaftliche Obstruktion“ der klassischen Islamwissenschaft, die sich weigert, historisch-kritisch zu arbeiten, nicht kennt, sieht sie in Feststellungen dazu nichts anderes als Klagen über die „political correctness“, die ja, wie wir wissen, nur die Rechten äußern. Hier lügt sie offen: Sie behauptet, es habe für solche Äußerungen Szenenapplaus gegeben. Ich war als Ohren- und Augenzeuge dort; Applaus gab es wie üblich nur am Ende jedes Vortrags. Doch wird damit endgültig klar, welche Marschrichtung die Redaktion der „Welt“ unserer kleinen Journalistin vorgegeben hat: Inârah arbeitet mit wissenschaftlicher Kritik an der islamischen Überlieferung natürlich der politischen Rechten zu, weil jede Islamkritik (um die es hier aber gar nicht geht) per se rechts ist. Die Dame hat zwar kein Sachargument, dafür aber fleißig gegoogelt. Weil ein holländischer Forscher auch für die Partei Geerd Wilders’ kandidiert und ein Deutscher bei der „Alternative für Deutschland“ ist, sind deren Arbeiten von vorneherein wertlos. Haben Sie schon jemals gehört, dass sonst nach dem Parteibuch von Wissenschaftlern gefragt wird? Ob sie in der SPD sind oder bei den Grünen? Aber das wäre ja für Eva Marie kein Forschungshindernis... Was für ein geistiges Elend sich da bei der „Welt“ offenbart! Freilich kann dieses Blatt einen Tag später im Interview mit dem Publizisten Hamed Abdel-Samad aus diesem nicht so leicht einen Rechten machen, weil er den Islam generell als faschistische Ideologie bezeichnet. Das würde schon gar nicht ins Weltbild der „Welt“ passen, wenn ein Rechter den Faschismus kritisiert... Aber Abdel-Samad ist ja auch Moslem und die „Welt" muss ihn deshalb nicht so ganz ernst nehmen.

Am Ende wirft unsere Journalistin dann jahrelange Arbeit von Forschern kategorisch in den Mülleimer, mal eben so: Inârah habe unrecht, erstens weil besonders in Deutschland schon Anfang des letzten Jahrhunderts gute Islamistik betrieben worden sei (was niemand bei Inârah bezweifelt, aber eigentlich kein Argument für die angebliche Unrichtigkeit von Inârah ist) und weil zweitens auch alt-arabische Einflüsse auf den Koran berücksichtigt werden müssten, was bei Inârah niemand mache. Auch das ist falsch; es fragt sich aber, was „alt-arabisch“ ist. Die arabisch-islamische Welt verleugnet, dass sie einmal eine arabisch-christliche Welt war. Vor diesem Erbe verschließt sie partout die Augen. Die Zeit vor dem Islam hat nach offizieller islamischer Lesart eine „Zeit der dunklen Unwissenheit“ gewesen zu sein, von der man nichts wissen will bis hin zur Vernichtung von archäologischen Zeugnissen aus dieser Epoche. Aber wie das bei totalitären Ideologien so ist: Man will es nicht wahrhaben, aber die eigenen Wurzeln liegen in der Vergangenheit und man kann sie nicht kappen. Es wird auf lange Sicht dem Islam nicht erspart bleiben, sich von den überlieferten Geschichten zu seiner Entstehung zu trennen und das Faktum anzuerkennen, dass auch er nicht vom Himmel gefallen ist: Wie das Christentum aus einer Richtung des Judentums, so dürfte der Islam aus dem (arabischen) Christentum hervorgegangen sein. Was gläubige Moslems mit dieser Erkenntnis anfangen werden, ist nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

"Diese Fakten sind hinreichend und schon sehr lange bekannt."
Schön wär´s, wenn das stimmen würde. Leider ist der Weg von begründeter Vermutung zu wissenschaftlicher Gewissheit ein langer. Doch wollen wir auf einen langen Atem hoffen. Letztlich wird man an den gesicherten Fakten nicht vorbei kommen.

Gravatar: arivle

Diese Fakten sind hinreichend und schon sehr lange bekannt.
Doch was bringt es unserer Gesellschaft wenn Religiöse Verbortheit zum Zweck, Frauen klein zu halten, benützt wird.

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