Warmes Herz contra kühler Verstand – Über moralische und amoralische Produzenten und Konsumenten

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„Ein warmes Herz weckt mehr Sympathien als ein kühler Verstand. Dies gilt auch für unternehmerisches Handeln und das Verhalten von Konsumenten. Es muss darum gehen, beide Pole miteinander in Einklang zu bringen. In der Praxis haben sich aber teilweise zwei Extreme herausgebildet, die ich plakativ als moralisches und amoralisches Konsumieren beziehungsweise Produzieren bezeichnen möchte“, konstatiert der Wirtschaftsexperte Michael Zondler.

So treten einerseits immer mehr Unternehmen mit dem Anspruch an, nicht nur ihre Produkte zu verkaufen, sondern auch gleich die Welt zu verbessern. „Seit nunmehr 20 Jahren erleben Nachhaltigkeit, Fairness und Solidarität als Gütekriterien wirtschaftlichen Handelns einen beispiellosen Aufstieg“, schreibt Mischa Täubner im Magazin Brandeins www.brandeins.de/archiv/2015/ziele/lemonaid-die-krux-mit-der-moral/. Beispiele gibt es zuhauf: Krombacher löscht eben nicht nur den Bierdurst, sondern inszenierte sich als Retter des Regenwaldes. Bionade trat mit dem unbescheidenen Anspruch an, das offizielle Getränk einer besseren Welt zu sein. „Nicht die Qualität eines Produkts, sondern das karitative Versprechen wurde zum wichtigsten Verkaufsargument“, so der Autor.

Wachstum und Wohltätigkeit

Doch ist es schlimm, wenn „Wachstum und Wohltätigkeit“ gleichsam „Hand in Hand“ gehen? Dann könnten doch endlich beide Seiten versöhnt sein, das warme Herz und der kühle Verstand. Brandeins zeigt allerdings auf, dass auch der „moralische“ und ökologisch und sozial bewusste Konsum die Gesellschaft spalten könnte – in ein moralisches und finanziell sattes Konsumbürgertum und eine geächtete Unterschicht, das sich nicht nur die moralischen Köstlichkeiten nicht leisten kann, sondern dafür auch noch gescholten wird.

Ärmere würden als „böse Konsumenten“ quasi ausgeschlossen: „Mehr noch: Sie sind plötzlich nicht mehr nur arm, sondern tragen durch ihr Einkaufsverhalten Mitschuld an der verschmutzten Umwelt und die Armut in der Dritten Welt“. Im „Milieu der Moralkonsumenten“ seien sie nicht wohlgelittten.

„Ein gutes Gewissen lässt sich aber nicht kaufen“, meint Zondler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens centomo www.centomo.de mit Firmensitzen in Ludwigsburg und Sindelfingen, also einer Region, wo durchaus einige zahlungskräftige Moralkonsumenten beheimatet sind.

Ganz ohne Moral geht es auch nicht

Doch laut Zondler ist es auch falsch, nur auf den Markt zu setzen und alle moralischen Bedenken beiseite zu schieben. Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank (FAZ) vertrete in seinem Buch ‚Links, wo das Herz schlägt‘ blogs.faz.net/whatsleft/2015/03/09/links-wo-das-herz-schlaegt-20/ eine teilweise recht zynisch anmutende Haltung. So beschreibt er, dass sein Patenkind zu Besuch ist und bei der irischen Billigtextilien-Kette Primark einkaufen will. Doch ein großer Teil der Primark-Textilien kommt aus Bangladesch. Verhält sich also die nicht so finanzkräftige Nichte Hanks unethisch, weil sie Produkte erwirbt, die in einem Land hergestellt werden, wo Kinder zu Hungerlöhnen arbeiten?“

Hank beantwortet diese Frage, die man mit warmem Herzen sofort mit „Ja“ beantworten möchte, mit einem verstandeskühlen „Nein“. „Wenn niemand bei Primark einkauft, dann geht Primark bankrott. Das dürfte viele Kritiker nicht stören. Aber dann haben auch die Mädchen und Frauen in Bangladesch keine Arbeit(…).“ Alle, die fordern, Billigkleidung generell zu meiden, schadeten Bangladesch, schreibt Hank. Seine Nichte leiste entgegen der Annahme der Moralkonsumenten „gute Entwicklungshilfe für Bangladesch“. Weil die Klamotten günstig seien, seien sie auch für arme Leute in reichen Ländern erschwinglich.

Würden Kinderarbeit und Billigjobs in Entwicklungsländern verboten, dann würden die dortigen Arbeiterinnen zurückfallen in die Landwirtschaft. Einige würden in die Prostitution getrieben, andere würden ganz ohne Job dastehen. Hanks mit dem warmen Herzen der Moral schwer zu ertragendes Fazit: „Man muss für Kinderarbeit sein, weil nur Kinderarbeit Kinderarbeit überflüssig macht.“ Erst komme die Kinderarbeit, viel später das Gesetz dagegen. Das ist der Gang der Wirtschaftsgeschichte. Wer die Reihenfolge umkehren wolle, untergrabe Entwicklungschancen.

„Wer so argumentiert, macht es sich zu einfach. Er stellt allen Unternehmen, die ihre Produkte möglichst billig zum Beispiel in armen asiatischen Ländern produzieren lassen, ohne sich um Arbeitsschutz und Mindestlöhne scheren zu müssen, eine Art moralischen Freibrief aus. Es ist sicher schwierig, den Spagat zwischen wirtschaftlichen und moralischen Erfordernissen zu schaffen. Aber man darf von Unternehmen und Konsumenten gleichermaßen erwarten, dass ihnen die Herstellungsbedingungen der Produkte, die sie auf den Markt bringen und nachfragen, nicht egal sein dürfen“, sagt Zondler.

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