Vor 100 Jahren starb Kaiser Franz Joseph I.

Der Untergang der das österreichische Kaiserreich beerbenden k. u. k. Donaumonarchie besiegelte das Ende einer bei allen Spannungen lange erfolgreichen Perspektive, ein friedliches Zusammenleben vieler Völker in einem Staat zu ermöglichen. Die EU wird wohl nicht so lang halten.

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Der letzte Kaiser des Vielvölkerstaates war Franz Joseph (1830 - 1916) nicht, aber mit ihm starb die Idee eines Reiches, das nicht national(istisch) organisiert war. Der Leitspruch der Donaumonarchie war: „Viribus unitis“, also „Mit vereinten Kräften“. Eigentlich sollte diese Idee heute anregend sein, doch verhindert die Tatsache, dass es sich eben um eine Monarchie handelte, die von dem obersten Souverän, einem Kaiser und König, zusammengehalten wurde, einen sinnvollen Anschluss in einer Zeit, die die Republik für alternativlos hält.

Die Historiker Manfred Rauchensteiner und Christopher Clark, die bedeutende Bücher zum Ersten Weltkrieg, der das Ende der k. u. k. Monarchie bedeutete, schrieben, haben sich in einem „Zeit“-Interview so geäußert:

ZEIT: Die banale Frage, ob der Erste Weltkrieg auch positive Folgen hatte, wird kaum jemals gestellt.

Clark: Das ist aber eine sehr wichtige Frage.

Rauchensteiner: Mitunter werde ich gefragt, ob die Habsburgermonarchie als Vorbild für die Europäische Union dienen könnte. Um Himmels willen, bloß nicht, dass die EU so enden sollte. Wir sollten uns dazu durchringen können, eine Art gemeinsames europäisches Gedenken zusammenzubringen. Aber in erster Linie sollten wir sehr demütig vor den Gräbern und Denkmälern stehen und sagen: Um Gottes willen, ihr armen Menschen.

Clark: Im Fall des Zweiten Weltkriegs kann man in Großbritannien oder in den USA sagen, es sei für die Freiheit gekämpft worden. Das mag stimmen. Solche Zuschreibungen greifen aber im Kontext des Ersten Weltkrieges nicht. Da stellt sich die Frage, welche Bedeutung haben dann all die Totenlisten heute? Ich finde genau richtig, was Sie gesagt haben: Man steht demütig vor den Gräbern. Denn diese jungen Männer, meistens fast noch Kinder, sind von ihrem Staat, von Österreich-Ungarn, an die Fronten geschickt worden. Sie haben für die Monarchie, für den Monarchen, meinetwegen auch für ihr Land das Leben geopfert. Nicht aber für eine große, heute noch gültige Idee. Lediglich für das Land. Dann ist die Frage aber schwierig, wenn die Idee, für die sie gestorben sind, heute nicht mehr gültig ist. Wie geht man mit diesen Toten um? Da bin ich der Meinung, dass man ihr Opfer als Herausforderung für das heutige Staatswesen anerkennt. Wir, die Staatsbürger der europäischen Länder, müssen daran arbeiten, diese Staaten in einen Zustand zu bringen, der es rechtfertigt, dass diese Menschen ihre Leben dafür gaben. Wissen Sie, was ich meine? Am Ende des Films Der Soldat James Ryan von Steven Spielberg, da lehnt der Offizier, der ausgeschickt wurde, um den Soldaten Ryan zu retten, von Kugeln durchsiebt an einer Mauer. Er liegt im Sterben. Er zieht Ryan zu sich herunter und sagt: „Earn this!“ Verdiene dir das! Und wir müssen es uns verdienen, was die Toten des Ersten Weltkrieges gegeben haben.

Clark sagt im Interview auch, dass er die Donaumonarchie fast ein bißchen liebgewonnen habe im Laufe seiner Studien, denn sie habe dem europäischen Nationalstaat ein alternatives Modell gegenübergestellt. Doch auch er spricht weiterhin von „Staaten“ und „Ländern“, im Gegensatz von Politikern wie Martin Schulz, die heute immer vollmundig von „Europa“ sprechen, aber welches Europa sie meinen, wird nicht klar. Wenn man die Realität betrachtet, handelt es sich um ein Europa der Konzerne, eine Art ökonomische Unterfütterung der NATO. Die Donaumonarchie hatte einen kulturellen und spirituellen Schwerpunkt, der im heutigen Europa fast völlig fehlt. Ich sehe zudem die Favorisierung eines globalisierten Europas durch die EU-Politiker, die am liebsten die schrankenlose Einwanderung vieler Millionen Menschen aus Afrika und Asien mit einer entsprechenden demographischen Umwälzung betreiben würden. Demgegenüber war die Donaumonarchie ein dezidiert europäischer Vielvölkerstaat. Dem ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand war es nicht vergönnt, in einer von ihm beabsichtigten Reform den slawischen Völkern des Reiches mit den Deutschen und Ungarn vergleichbare Rechte zu geben, was das Reich konsolidiert hätte.

Meine Großväter haben beide an der Isonzofront gegen Italien gekämpft. Heute ist Italien als Feind unvorstellbar. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Wie der Jugoslawienkrieg an sich und seine Beendigung durch die völkerrechtswidrige Bombardierung Belgrads gezeigt hat, wie auch die Ukrainekrise heute zeigt, sollte es oberstes Ziel sein, erst einmal die Freundschaft zwischen den europäischen Völkern langfristig zu konsolidieren, anstatt fremde Völkerschaften mit ihren je eigenen Problemen nach Europa zu importieren. Der letzte große europäische Krieg ist gerade mal 70 Jahre her, der Friede ist brüchig. Durch die dumme globalistische Politik der EU-Bürokraten und -Politiker wird dieses Projekt eines bescheiden den europäischen Frieden zwischen den europäischen Völkern erhaltenden Bundes freier europäischer Nationen gefährdet. Das ist nicht das, was die Millionen von Toten der Weltkriege verdient haben.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

@harald44
Ein interessanter Gesichtspunkt. Die angelsächsischen Weltmächte haben nach dieser Lesart einen primär kontinentalen Konflikt globalisiert. Das erinnert mich an E. Noltes Überlegung, dass es sich beim Bolschewismus und Nationalsozialismus um „Regionalismen“ im Kampf gegen den angelsächsisch-kapitalistischen „Internationalismus“ gehandelt habe. Die angelsächsischen Mächte hätten also schon damals nicht stillhalten können, wenn ihr Einfluss auch nur ein wenig eingeschränkt worden wäre. Heute sieht man ganz ähnliche Aktionen v. a. der USA.

Gravatar: Stoppelhopser

Von meinen Großeltern/Urgroßeltern habe ich gehört, daß Anfang 1914 tiefer Friede war. Nicht ein Wölkchen am Himmel. Als es dann losging, dachten alle, daß es in ein paar Monaten vorbei sein würde. "Weihnachten sind alle wieder zuhause!" hieß es. Niemand konnte sich vorstellen, wie Deutschland wenige Jahre später aussehen würde.
Aber nach Merkel werden wir uns auch ein drittes Mal wieder aufrappeln, wäre doch gelacht.

Gravatar: harald44

@duffy,21.11.2016,21:14

Viel schlimmer als "kriegerischer Nationalismus" war kriegerischer Internationalismus, der, geführt von Großbritannien, sowohl 1914 als auch 1939 aus je einem lokalen europäischen Konflikt, deren ersterer nach einigen Monaten und deren zweiter nach einigen Wochen beendet gewesen wäre, zu einem mehrjährigen Weltkrieg mit Zigmillionen von unersetzlichen Todesopfern hatte werden lassen.
Merke: Weltkriege entstehen stets nur dadurch, daß sich Weltmächte wie vor allen Dingen Großbritannien und in dessen Gefolge die USA, in lokale Konflikte einmischten, durch die aus diesen erst Weltkriege wurden.
Die unseligen Rolle des russischen Zarenreiches, welches 1914 meinte die Kaiserreiche Österreich-Ungarn und Deutschland angreifen zu müssen, obwohl es selbst nicht im geringsten gefährdet war, und die ebenso unseligen Rolle eines Stalin, der meinte mit seiner überwältigenden Roten Armee 1941 Europa angreifen zu müssen, kommen noch weltkriegsanfachend hinzu.

Gravatar: Duffy

Anmerkung: "di qui non si passa", Slogan/Kampfruf der Alpini. Übersetzt: "hier geht's nicht weiter", soll heißen: "nur über meine Leiche!"

Gravatar: Duffy

Während meiner Studienzeit gab es ein paar sehr interessante Exkursionen, eine davon führte uns nach Oberitalien. In Bassano del Grappa machten wir Station, schlenderten durch die Stadt und unser Grüppchen fand sich bald vor einer großen Steinbrücke über den Piave. Ein Kommilitone zeigte auf den gegenüberliegenden Berg und sagte: "di qui non si passa".
Da ich dumm schaute, erklärte mir ein anderer: "das ist der Monte Grappa, verstehst?" Dann haben sie mir erklärt, wie im ersten Weltkrieg beim Kampf um Monte Grappa der Fluß sich an der Brücke staute, wegen der vielen, vielen Leichen und wie sich das Wasser rot färbte.
Seitdem, immer wenn ich "Isonzo", "Piave" oder ,Monte Grappa" höre, sehe ich meinen Studienkollegen vor mir, der seinen Wehrdienst bei den italienischen Gebirgsjägern (alpini) geleistet hatte und dessen Großvater am Isonzo gefallen war. Ich fragte, was unsere Opas wohl sagen würden wenn sie jetzt uns Studenten zusammen sehen könnten. Wir waren uns einig, daß der kriegerische Nationalismus ein Irrläufer war und die Idee, aufeinander zu schießen einfach abwegig.
Aber genauso brachte es ein anderer auf den Punkt: "mogli e buoi dai paesi tuoi!" (Ehepartner und Vieh nur aus Deiner Heimat).

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