Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Verkauf von BVVG- Flächen in Sachsen-Anhalt

„Landgrabbing“ ist in Ostdeutschland besonders dort ausgeprägt, wo die BVVG zu Beginn ihrer Tätigkeit einen hohen Flächenanteil besaß. Das EuGH-Urteil verstärkt die Prozesse zur Agrarindustrialisierung Ostdeutschlands und zum Ausverkauf an externe Investoren eher noch.

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Es gibt kaum eine Entscheidung von Institutionen der Europäischen Union (EU) aus den letzten 15 Jahren, die nicht eine Entscheidung gegen eine regionale, mittelständische und bäuerliche Landwirtschaft war. Stattdessen haben die EU-Institutionen, die Generaldirektion Landwirtschaft der Kommission, die Europäischen Gerichtshöfe in Luxemburg und Straßburg viele Entscheidungen getroffen, um in Ostdeutschland das Erbe der DDR, aus der Zwangskollektivierung stammende, industrialisierte Agrarstrukturen zu erhalten und auszubauen.

So auch in einem Urteil zum Verkauf von BVVG-Flächen in Sachsen-Anhalt, im Landkreis Jerichower Land.

Worum geht es?

Die BVVG hatte den Verkauf von 2,5 ha BVVG-Flächen ausgeschrieben, und ein Ehepaar hatte das Höchstgebot mit 29.000 € abgegeben und damit den Zuschlag erhalten. Der Landkreis hatte diesen Verkauf gestoppt, die Klage der Käufer dagegen ist noch vor dem BGH anhängig, das wiederum dazu den EuGH angerufen hatte.

Der Preis von 29.000 €, so die Begründung durch den Landkreis, läge gegenüber dem von Gutachtern bezifferten Verkehrswert um mehr als 100% zu hoch (Welt online, v. 16.7. 2015). Und diese Praxis hat der EuGH mit dem Urteil nun legalisiert.

Was aber sind die tatsächlichen Hintergründe für das Verkaufsverbot durch den Landkreis Jerichower Land?

Über eine Ausschreibung von Flächen, wie es die BVVG in diesem Fall vorgenommen hat (der Verkauf von BVVG-Flächen nach Ausschreibung ist bis heute die Ausnahme; es dominiert bis heute der direkte BVVG-Verkauf an die Pächter ohne Ausschreibung  und macht rund 90 % der Verkäufe aus) wird der Verkehrswert ermittelt.

Der EuGH legitimiert durch eine sachwidrige Begründung, der Verkauf an den meistbietenden führe nicht unbedingt zum Marktwert, auch Gutachterergebnisse seien als Methode denkbar, das Vorgehens des Landkreises Jerichower Land.

Die mediale Berichterstattung (von der „Welt“ über die Frankfurter Rundschau bis zu ostdeutschen Tageszeitungen) zu diesem Urteil ist zumeist von keinerlei Sachkenntnis getrübt. Die Argumentation behauptet hier zum wiederholten Mal, daß die hohen BVVG-Preise dazu führten, daß externe Industrielle die ostdeutsche Landwirtschaft aufkaufen würden. In Westdeutschland sind die Bodenpreise deutlich höher, dennoch gibt es dort keinen vergleichbaren Ausverkauf.

Die Frankfurter Rundschau hat in ihrem Beitrag vom 15.7. 2015 die Fehlinformation auf die Spitze getrieben, wörtlich: „Der Treuhandnachfolger… hat in den vergangenen Jahren fast 800.000 ha an meistbietende Investoren verkauft.“

Tatsächlich aber wurden die BVVG-Flächen zu mehr als 80% an Großbetriebe vor allem der DDR-Agrarnomenklaturkader anfänglich verpachtet, wie mehrfach in Beiträgen belegt (ostdeutsche-bodenpolitik.de). Und da mit dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 die langfristige Pachtung der BVVG-Flächen Voraussetzung für den Kauf dieser Flächen wurde, sind bis heute, 2015 rund 90% der landwirtschaftlichen BVVG-Flächen an die Pächter ohne Ausschreibung zu meist stark subventionierten Preisen verkauft worden. Die so durch staatliche Hilfe geschaffenen Großbetriebe der ehemaligen DDR-Agrarnomenklaturkader werden nun in zunehmendem Maß von externen Investoren aufgekauft. Das Geschäftsprinzip des größten ostdeutschen Landbewirtschafters, der KTG Agrar Aktiengesellschaft mit mehr als 35.000 ha besteht darin, LPG- Nachfolger zu übernehmen. 

BVVG und Bundeslandwirtschaftsministerium haben erst kürzlich in Presseerklärungen behauptet, jetzt noch mehr Land für Neugründer zur Verfügung zu stellen. Dieselbe Behauptung haben sie schon vor einigen Jahren im Rahmen der Protokollnotizen zur BVVG verbreitet. Der Leiter der größten BVVG-Niederlassung hat vor kurzem festgestellt, daß kaum BVVG-Flächen an Betriebsneugründer gingen. Auch jetzt geht es der BVVG und der ostdeutschen Agrarpolitik nicht um Betriebsneugründer oder bäuerliche Betriebe, sondern um den möglichst umfangreichen Direktverkauf an die Pächter, also die Großbetriebe. Die Verhinderung des Verkaufs auch einer kleinen Fläche an ein Ehepaar als quasi Neueinsteiger in Sachsen-Anhalt und das Urteil des EuGH dazu bietet eine neue Möglichkeit für ostdeutsche Agrarpolitik und Verwaltung Neugründungen zu erschweren und konserviert und verstärkt die Entwicklung zu Großbetriebsstrukturen in Ostdeutschland. Diese aber sind Ziel für externe Investoren. Deswegen ist „Landgrabbing“ in Ostdeutschland besonders dort ausgeprägt, wo die BVVG zu Beginn ihrer Tätigkeit einen hohen Flächenanteil besaß. Das EuGH-Urteil verstärkt die Prozesse zur Agrarindustrialisierung Ostdeutschlands und zum Ausverkauf an externe Investoren eher noch.       

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