Und nächstes Jahr in Bayreuth!

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Auch Musikfreunden ist Sondershausen, die Perle des Kyffhäuserkreises, eher unbekannt, obwohl die Stadt auf eine stolze musikalische Tradition zurückblicken kann. Das Loh-Orchester Sondershausen besteht seit 1600 und ist damit eines der ältesten Berufsorchester in Deutschland. Unter dem Kapellmeister Max Erdmannsdörfer zählte es sogar zu den Besten.

Im Jahr 1881 erregte das Sondershäuser Hoftheater Aufsehen mit einer Aufführung von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Dieser Erfolg und eine viel beachtete frühere Aufführung des „Lohengrin“ trugen erheblich dazu bei, der Wagnerschen Musik zum Durchbruch zu verhelfen.

Seit 1991 gehört das Loh- Orchester zum Theater Nordhausen, eine Liäson, die sich als sehr fruchtbar erwiesen hat. Ein Glücksfall war auch , dass Lars Tiedje 2004 Intendant des Theaters wurde.

Er verordnete dem Haus eine radikale Umorientierung, weg vom modischen Regietheater hin zu publikumswirksamen Inszenierungen.

Es war ein Wagnis, als man 2006 beschloss, auf dem romantischen Hof des Sondershäuser Schlosses „Schloßfestspiele“ zu veranstalten.

Zu diesem Zeitpunkt waren eine Reihe ähnlicher Festivals bereits fest etabliert. Entsprechend groß war die Skepsis, ob ein weiteres Open-Air-Angebot Erfolg haben würde.

Aber das Konzept ging auf. Seit dem Start mit „Die Hochzeit des Figaro“ hat sich jedes Jahr der Zuspruch vermehrt. Beigetragen haben die hervorragenden Inszenierungen der letzten Jahre des Thüringer Regietalents Toni Burghart, der auch für den diesjährigen „Fliegenden Holländer“ verantwortlich war.

Es war ein rundum gelungener Beitrag zum diesjährigen Wagner-Jahr.

Schon die Ouvertüre war, wie immer bei Burghardt, nicht nur ein Ohren-, sondern auch ein Augenschmaus. Pantomimisch wurden der Kern der Handlung und das Regiekonzept vorgeführt.

Was sich hier andeutete, wurde während der gesamten Aufführung eingehalten: Die Einsätze kamen auf den Punkt, obwohl das Orchester hinter der Bühne platziert werden musste. Bewegung und Musik und Bewegung waren exakt aufeinander abgestimmt, sogar in den Massenszenen mit dem hervorragenden Chor.

Und dann die Sänger! Schon zu Beginn setzte Marian Kalus als Steuermann Maßstäbe, die höchste Erwartungen weckten. Jede dieser Erwartungen wurde erfüllt: von Roger Krebs als Daland, Alexandra Shemann als Amme und Josuha Farrier als Jäger.

Daneben hätten es schlechtere Sänger als Kathleen Parker(Senta) und Kai Günther (Holländer) schwer gehabt, aber den beiden gelang es tatsächlich, das hohe Niveau noch zu toppen. Bei ihrem großen Duett im zweiten Aufzug wurden sogar die Event-Touristinnen vor mir, die offenbar nur hier waren, weil jemand ihnen gesagt hatte, dass Wagner in diesem Jahr ein „Muß“ ist, still, weil sie endgültig in den Bann der Musik gezogen wurden. Bis zum Ende der Aufführung störten sie nicht mehr, weil ihnen die Bewunderung die Sprache verschlagen hatte.

Was war das besondere an dieser Inszenierung? Nach Jahrzehnten eines überpolitisierten Regietheaters, das seine „Gesellschaftskritik“ mit viel Blut und Klamauk, früher Verfremdung, heute Tabubruch genannt, vorbringt, blieb hier die Auseinandersetzung mit den „Verhältnissen“ auf wenige Bemerkungen im Programmheft beschränkt.

Allenfalls das vom Jäger im Finale präsentierte Gewehr konnte als Reminiszenz an Wagners Teilnahme am Dresdener Maiaufstand 1849 gesehen werden. Konnte, musste aber nicht, denn man ist ja auch nicht sicher, ob Wagners Beteiligung darüber hinaus ging, seinen Freund Gottfried Semper vom Balkon, auf dem er sich als Volksredner produzierte, gezogen zu haben.

Auf der Bühne wurde die uralte Geschichte von Liebe, Treue und die daraus resultierenden Missverständnisse erzählt. Geboten wurde große Kunst, statt kleinliche Effekthascherei.

Zum Gesamteindruck trug das hervorragende Bühnenbild von Wolfgang Kurina Rauschning bei. Das Holzpodest erinnerte an ein gestrandetes Schiffswrack, auf dem die handelnden Personen agierten, als symbolisierten sie das Heideggersche „Geworfensein in das Da“.

Kunstvoll auch die Kostümierung: Senta in einem schlammfarbenen Wickelmantel, unter dem ein hellblaues Kleid vorblitzte, solange sie im Stadium des Träumens und Hoffens war. Im letzten Aufzug war das Kleid von dramatischem Rot, ein ebensolches Ende bereits vorwegnehmend.

Der Holländer ganz in Weiß, auch in den Haaren und im Gesicht, wirkte schon vom äußeren Eindruck her nicht wie von dieser Welt. Seine sparsamen, hölzernen Bewegungen kontrastieren mit den lebhaften Gesten und der ausdrucksvollen Mimik Sentas.

Ein ungleicheres Paar kann es kaum geben. Um so erstaunlicher wirkte die absolute Harmonie des Gesangs.

Der bravourös gemeisterte schwierige Part von Kai Günther imponierte, auch wenn die Besucher erst hinterher erfuhren, dass er seine schwer zu singende Rolle an mehreren Tagen hintereinander souverän bewältigt hat.

Wieso nächstes Jahr in Bayreuth?

Ich bin sicher, dass diese Aufführung dort mühelos den Publikumspreis erringen würde. Von der Bussi- Schickeria abgesehen, die zu den Wagner- Aufführungen fährt, um zu sehen und gesehen zu werden, ist das echte Opernpublikum längst von den endlosen Regieexperimenten genervt und sehnt sich nach Kunst.

Herr Burkhardt, übernehmen Sie!

Und die Sänger?  Von Sondershausen haben es Einige in die große Welt geschafft: nach Berlin, Wien und Mailand. Das sollte den wunderbaren Stimmen des Sondershäuser „Fliegenden Holländer“ auch gelingen.

Vorerst können sich die Nordthüringer freuen, dass ihnen Marian Kalus für die nächste Spielzeit erhalten bleibt, denn er ist ein festes Engagement in Nordhausen eingegangen.

Wir sollten das genießen!

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