Twitter, NSA, die Türkei und Russland

Jetzt hat die Türkei den Zugang zu Twitter verriegelt – der umgehend von Hunderttausenden Türken durch zahllose Nebentore wieder passierbar gemacht worden ist. Was bedeutet das aber neben einer Blamage für den Semidiktator Erdogan langfristig?

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Das bedeutet zum einen, dass es schwer selbstbeschädigend für die EU ist, mit einem solchen Land auch nur eine Sekunde weiter über einen Beitritt zu verhandeln. Erdogan hat längst jede Rechtsstaatlichkeit hinter sich gelassen und passt daher in keiner Weise in die Union. Wenn so etwas in einem Land auch nur denkmöglich oder gar Realität ist, dann hat es in Europa nichts verloren.

Erdogan und seine Partie sind nicht nur in höchstem Ausmaß korrupt, wie erst in den letzten Monaten wirklich klar geworden ist. Sie verprügeln nicht nur ständig friedliche Demonstranten. Sie versetzen nicht nur zu Tausenden unbotmäßige (also weniger korrupte) Richter, Staatsanwälte und Polizisten als „Strafe“ wild im Land herum. Sie setzen auch die Eigentümer aller einst kritischen Medien so unter Druck, dass dort keine Kritik mehr vorkommt. Sie werfen auch in immer größerer Zahl politische Gegner und unabhängige Journalisten ins Gefängnis. Da ist die Schließung von Twitter ja fast nur noch ein Tüpfelchen auf dem i.

Die Erdogan-Türkei ist heute weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie. Und es gibt kaum noch Möglichkeiten, den Mann demokratisch oder rechtsstaatlich abzusetzen.

Dass die Twitter-Sperre von so vielen Türken sofort und leicht umgangen worden ist, macht diese Aktion zwar eher lächerlich. Wir sollten uns dennoch stärker denn je klar machen: Es geht eine Regierung absolut nichts an, ob in den wenigen Anschlägen eines Tweets, in den viel zahlreicheren eines Blogs, in einem Youtube-Interview, in einem Telefonat Sinn oder Unsinn transportiert wird. Das haben nur die Bürger zu entscheiden. Das gilt für die Türkei, das gilt auch den Rest der Welt.

Der wahre Grund des Internet-Hasses von Erdogan ist klar: Die schwere Korruption in der Familie Erdogan ist erst via Youtube aufgedeckt worden. Erdogan geht damit in die Geschichte entgegen früheren, positiven Erwartungen als jener Machthaber ein, der die Demokratie in dem Zwei-Kontinente Land wieder beendet hat, der extrem korrupt gewesen ist und der nach fast einem Jahrhundert der Westorientierung das islamische Kopftuch wieder propagiert hat. Und auch das BIP-Wachstum von 3,5 Prozent (2013) ist weit weg von früheren Rekordzahlen und angesichts der türkischen Geburtenfreudigkeit in Wahrheit sogar sehr mager. Eine beschämende Bilanz eines einstigen Hoffnungsträgers.

Es ist daher absolut rätselhaft, warum die EU mit einem solchen Land überhaupt noch über einen Beitritt spricht. Will sie sich selbst zerstören? Gibt es in Brüssel überhaupt niemanden mehr, der über linke Political Correctness hinaus außenpolitisch nachdenkt?

Noch rätselhafter ist freilich, warum hierzulande neben den Grünen auch die Neos-Spitzenkandidatin für den türkischen EU-Beitritt wirbt. Die einzige Erklärung, die ich derzeit dafür finde: Man hakt den Neos-Haufen so wie manch andere Gruppen in der Opposition einfach als Ansammlung von Dummköpfen ab, die nur von der extrem schlechten Performance der Regierung profitieren.

Als ob das des Unsinns nicht genug wäre, wollen die Neos ja auch noch Russland in die EU holen. Das will Moskau ja nicht einmal selber. Russland handelt jedenfalls fast bis ins Detail genau so, wie heute der türkischen Scheindemokratie. Beide haben ja auch wider das Völkerrecht fremde Territorien militärisch besetzt. Aber solche Beitritts-Phantasien sind letztlich ein Problem der Grünen und der Neos, nicht meines.

Gibt es Geheimnisse im Netz oder im Telefon?

Viel spannender ist etwas ganz anderes, das durch das türkische Twitter-Verbot wieder besonders virulent geworden ist: Das ist der an zahllosen Fronten tobende Zweikampf zwischen Überwachern und Überwachten. Von Twitter bis NSA, von Google bis YouTube geht dieser elektronische Krieg. Da glauben die einen, durch Wechsel von http auf https der Überwachung zu entgehen. Da haben sich die anderen auch schon die Passwörter der EDV-Administratoren gefasst. Und täglich wird diese Schraube weiter gedreht.

Wer ein paar Schritte zurücktritt, der sieht wieder den Wald und nicht nur diese zahllosen Details. Er sieht:

     

  • Dass es prinzipiell keine garantierte Sicherheit in elektronischen Bereichen gegen unerwünschte Einmischung gibt, was auch immer einem versprochen werden mag;
  • Dass bei der Internet-Spionage, -Desinformation und -Propaganda drei Länder weit an der Spitze liegen. Ihre Geheimdienste und Armeen haben Fähigkeiten, von denen unsereins nicht einmal träumt. Es geht um die drei Supermächte China, die USA und Russland, von denen nur ein einziger wenigstens halbwegs ein demokratischer Rechtsstaat ist;
  • Dass nur ein Dummkopf noch heikle Informationen ins Netz hängt. Deren Bogen reicht von Nacktfotos eines Teenagers bis zu spionageanfälligen Erfindungen eines Technikkonzerns;
  • Dass auch das Telefon alles andere als ein sicheres Kommunikationsmittel ist. Das sieht man derzeit etwa besonders deutlich an der Brutalität, mit der die jetzigen sozialistischen Machthaber Frankreichs den früheren Präsidenten Sarkozy abgehört haben.
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Weiterlesen auf: anderas-unterberger.at

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