Toben, Tollen, Raufen: Fitnessstudio und Lernumgebung

Was sind Deine schönsten Erinnerungen an Deine Kindheit? Ich erinnere mich am liebsten an die erbitterten Fußballspiele mit meinem Vater. Also, runter vom Sofa, rein ins Getümmel. Mit Kindern spielen, heißt, sie fördern.

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Sport gehört zum Leben. Doch was passiert mit Deinem liebgewonnenen Hanteltraining, wenn eines schönen Tages der Nachwuchs im Bettchen liegt? Wie kann das clever ausgetüftelte Split-Training in den nun an allen Ecken und Enden familiär ausgefüllten Tageskalender integriert werden? Männer stehen nach der Geburt ihres Kindes vor der Frage, wie sie Zeit mit der Familie verbringen und gleichzeitig trotzdem noch ausreichend trainieren können. Viele bekommen den Spagat nicht hin: 90 Prozent aller Väter treiben nie oder weniger als einmal die Woche Sport. Unweigerliche Folge: der Dad Bod, die wachsende Wampe junger Väter.

Was zur Zeit in den sozialen Netzwerken abgefeiert wird und die Kassen einiger hipper Modelabels klingeln lässt, bringt so manchen Vater in Wahrheit zur Verzweiflung. Was also tun?

Toben. Tollen. Spaßkämpfchen. Zugegeben, kurze Ringkämpfe mit kleinen Kindern sind nicht gerade vergleichbar mit 120 Kilogramm beim Bankdrücken, aber im Gegensatz zum einsamen Kampf gegen Metall und Schwerkraft sind sie eine erquickende Quelle für Vater und Kind.

Kindern Belastbarkeit und psychische Widerstandskraft beizubringen, gehört zu Deinen wichtigsten Aufgaben als Papa. Die Fähigkeit in Stresssituationen überlegt zu agieren und in unvorhergesehenen Situationen vernünftig zu reagieren, gehört zum Rüstzeug für ein gesundes und freudvolles Leben. Und wie kannst Du Deinem Kind eine solche Resilienz besser beibringen, als ihn einmal ordentlich in den Schwitzkasten zu nehmen?

Toben und Tollen verlangt von Kindern, schnell und effektiv auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. In der einen Minute reiten sie noch auf dem Vater wie auf einem Pferd, in der nächsten schon schaukeln sie an seinem Arm. In dem Buch „Wild Justice“ stellt der Evolutionsbiologe Marc Bekoff dar, wie ein jedes Spaßkämpfchen mit dem Vater das Gehirn des Kindes weiterentwickelt, indem es die Verbindungen zwischen den Nervenzellen im zerebralen Kortex stärkt und damit die Verhaltensmuster des Kindes vervielfältigt und flexibilisiert.

Zudem fördert jede Rangelei das Durchhaltevermögen des Kindes. Ganz gleich, ob es versucht, sich aus dem Schwitzkasten zu befreien oder das Wettrennen zur Schaukel zu gewinnen: Lass‘ es nicht gewinnen. Zumindest nicht immer. Lass‘ es für den Erfolg arbeiten. Spielzeit ist Spaßzeit und bietet eine sichere und lockere Umgebung, um Kindern den Wert von Fleiß und Anstrengung zu vermitteln. Hier können sie ohne ernsthafte Konsequenzen am eigenen Körper spüren, dass Fehler und Misserfolge meist nur von temporärer Natur sind und dass Siege von denjenigen errungen werden, der aus seinen Fehlern gelernt hat und die größte Leistung aufbringt.

Das Toben mit dem Vater vermittelt den Kindern ebenso, wie es mit Schmerz und Unbehagen umgehen kann. Um uns nicht misszuverstehen: Selbstverständlich solltest Du Dein Kind nicht absichtlich verletzen oder in eine ernsthaft gefährliche Situation bringen, doch reagiere bitte auch nicht zu weich, wenn einmal ein Missgeschick passiert, ein Kratzer entsteht oder blaue Flecken auftauchen. Väter zeigen von Natur aus die Tendenz, ihre Kinder von Schmerz und Angst abzulenken oder mit etwas Humor auf unbehagliche Situationen zu reagieren, anstatt das Kind zu verhätscheln. Und das ist gut so. Mit solch kleinen Unpässlichkeiten während des Spiels zu leben, lehrt die Kinder effektiv mit Stress umzugehen – eine Fähigkeit, die im späteren Schul- und Arbeitsleben noch von großer Bedeutung sein wird.

Einige Eltern wird die Sorge umtreiben, dass das spielerische Ausleben von Aggression einen gewalttätigen und unsozialen Charakter befördern würde. Doch aktuelle Forschungsergebnisse sprechen klar dagegen. Der Psychiater Dr. Stuart Brown gelang zu der Erkenntnis, dass Kinder, die oft mit ihren Vätern gerauft hatten, eine weitaus höhere soziale Intelligenz und Fähigkeit zu Empathie aufweisen, als Kinder, die sich selten oder gar nicht im Schwitzkasten ihrer Väter wiedergefunden hatten. In den Biographien von Serienmördern und ähnlich gewalttätigen Kriminellen fand Dr. Stuart Brown einen erstaunlichen Mangel am gemeinsamen Spiel mit den Eltern. Und nach Tausenden von Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen, stellte er eine sehr hohe Korrelation zwischen kindlichem Spiel und späterem privaten und beruflichen Erfolg fest. In seinem Buch „Play“ schreibt er: „Der Mangel an Erfahrung mit Spaßkämpfen behindert die Entwicklung eines für die Beherrschung sozialer Beziehungen ausreichenden Maßes an Kompromissbereitschaft und wird in Verbindung gebracht mit mangelnder Kontrolle gewalttätiger Impulse.“

Was sind Deine schönsten Erinnerungen an Deine Kindheit? Ich erinnere mich am liebsten an die erbitterten Fußballspiele mit meinem Vater. Ich habe gegrätscht, gekämpft, geweint und gejubelt. Nichts hätte schöner sein können.

Also, runter vom Sofa, rein ins Getümmel. Dein Körper und Deine Kinder werden es Dir danken.

Zuerst erschienen auf wildguys.de

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