Syrien: Nur eine Teilung kann funktionieren

Als ich vor ein paar Jahren in einer Runde österreichischer und EU-Diplomaten eine Idee zur Diskussion stellte, bin ich mit der diplomatenüblichen Präpotenz als ahnungslos niedergebügelt worden.

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Es war nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs und es hat schon etliche Tausende Tote gegeben. Ich skizzierte den Gedanken, dass eine Teilung Syriens wohl der einzige Weg wäre, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Das kommt mir jetzt wieder in den Sinn, da es in Syrien den bisher konkretesten Friedensbeschluss und eine eher rätselhafte Ankündigung von Neuwahlen gibt.

Damals war noch weit und breit kein „Islamischer Staat“ in Sicht; dieser hat ja erst in den letzten eineinhalb Jahren aus den irakischen Wirren nach Syrien übergegriffen. Damals wäre eine Dreiteilung Syriens zwischen Assad (für den sich insbesondere Alawiten und Christen entscheiden), einem sunnitischen Reich (im Zeichen der damals weltweit bejubelten Facebook-Revolution) und einem kurdischen Teil am ehesten eine Perspektive gewesen, um das jahrelange Abschlachten und die Ausbreitung des IS-Totalitarismus vielleicht noch zu verhindern. Eine Teilung wäre umso weniger problematisch gewesen, als der ganze Raum keine gewachsenen Grenzen hat, sondern nur von den Briten und Franzosen nach dem Zerfall des Osmanischen Imperiums völlig willkürlich gezogene.

Freilich: Garantie auf baldigen Frieden wäre auch das nicht gewesen. Das Verhalten der diversen nahöstlichen Akteure wird wohl immer unberechenbar bleiben. Aber ein Ja zur Teilung wäre um hundert Prozent besser gewesen als alles, was die internationale Diplomatie sonst zusammengebracht hat, und was seither an Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen in Syrien produziert worden ist.

Was mich damals so besonders entsetzte: Die Diplomaten lehnten den Teilungsvorschlag sofort als indiskutabel ab – aber nicht etwa wegen der Unberechenbarkeit der syrischen Akteure. Sondern weil im staatsoffiziellen Denken der Europäer und Amerikaner einfach eine Teilung prinzipiell nicht vorkommen darf.

Das war und ist freilich ungefähr so idiotisch und inhuman, wie es etwa die Politik der „Heiligen Allianz“ nach 1815 gewesen ist, die glaubte, jede demokratische Regung in irgendeinem Teil Europas blutig ausmerzen zu können.

Die Aversion der Europäer gegen Teilungen und gegen die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts einer Nation oder Region zählt neben den diversen (braunen, roten, Islam-grünen) Totalitarismen und dem nur wenige Grade harmloseren aggressiven Nationalismus von De-facto-Diktatoren wie Putin oder Erdogan zu den Hauptursachen von Kriegen, Blutvergießen und der ewigen Unlösbarkeit vieler Probleme.

Die EU hat offenbar noch immer nichts aus dem Pfusch gelernt, den sie - im Dogma der Unveränderbarkeit von Grenzen trotz eindeutig anderem Volkeswillen gefangen - in Bosnien angerichtet hat und täglich weiter anrichtet. Sie versucht dort seit Jahrzehnten, durch einen (übrigens aus der österreichischen Diplomatie kommenden) „Diktator“ – freilich nur mit juristischer, aber ohne polizeiliche Macht – drei auseinanderstrebende Landesteile zusammenzuhalten. Das hat nicht nur zu ständigen Blockaden und einer unerträglichen Bürokratie durch hunderte einander eifersüchtig bekämpfende Minister auf verschiedensten Ebenen geführt. Das hat vor allem auch einen völligen ökonomischen und zivilisatorischen Stillstand ausgelöst, der in diesem staatsrechtlichen Rahmen völlig unlösbar bleiben wird. In unklaren staatlichen Rahmenbedingungen will halt niemand investieren.

Ähnliches – wenn auch auf viel höherem wirtschaftlichem Niveau und ohne Blutvergießen und Investitionsblockade – spielt sich in Spanien ab. Dort will ein Teil der Katalanen unbedingt die Loslösung von Madrid. Und wieder weigert sich die europäische und insbesondere die zentralspanische Politik, die Lösung des Problems durch das Selbstbestimmungsrecht auch nur für denkmöglich zu halten. So wird weiterhin unklar bleiben, was die Mehrheit der Betroffenen eigentlich selber will.

Dabei zeigen Beispiele von Schottland über Nordirland und die Tschechoslowakei bis Quebec, dass ein prinzipielles Ja zur Selbstbestimmung und zur Möglichkeit, einen Staat zu teilen, Konflikte sehr gut beenden kann. Egal, ob ein Referendum nun am Ende zur Trennung führt oder nicht. Tschechen und Slowaken sind heute die besten Freunde; das Schottland- und Quebec-Thema ist vom Tisch; und in Nordirland entscheidet nun die Geburtenfreudigkeit anstelle von Bomben über den künftigen Status. Auch im Sudan war eine Teilung zumindest eine Teillösung des Problems. Und der einstige Koreakrieg hätte ohne Teilung noch Hekatomben von Opfern gefordert. 

Freilich: Bei diesen Teilungen geht es um auf dem Selbstbestimmungsrecht beruhenden Vorgängen. Eroberungsfeldzüge wie die Russlands in Georgien und der Ukraine können niemals zu einer guten Lösung führen.

Vollständiger Beitrag erschienen auf andreas-unterberger.at

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wolfgang Prabel

Sehr geehrter Herr Unterberger, sie sprechen mir aus dem Herzen. Bis in die 30er Jahre gab es diese Teilung. Kurz vor der Unabhängigkeit haben die Franzosen alles zusammengelegt. Damals gab es übrigens noch einen Drusenstaat.

Gravatar: Spartan

Anstatt zum x-ten Male die alte Kamelle vom aggressiven Diktator Putin wiederzukäuen, hätte Unterberger in seiner Liste der Bevölkerungen, die ihr Selbstbestimmungsrecht geltend machen, die Russen in der Ukraine und dem Baltikum aufführen sollen. Um mal von der kryptofaschistischen Ukraine abzusehen - eine politische Konfiguration, mit der Unterberger anscheinend kein Problem hat - sind die baltischen Staaten doch EU-Mitglieder. Trotzdem wird es ihnen gestattet, ihre russischen Minderheiten in Apartheidsmanier als Bürger zweiter Klasse zu behandeln. Stattdessen wird in NATO-Manier von angeblichen Eroberungsfeldzügen Russlands schwadroniert. Das ist mal wider nichts als projektive antirussische Kriegspropaganda: Was ich selber zu tun gedenke, das werfe ich meinem Gegner vor.

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