Schluss mit dem Querdenken!

Wie wär‘s mal mit Nachvornedenken?

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Haben Sie schon einmal für eine Veranstaltung einen interessanten Redner gesucht? Wenn ja, sind Sie möglicherweise auf einer der zahlreichen Redneragentur-Websites gelandet. Durchstöbert man die dortigen Rednerprofile, so fällt ein Schlüsselbegriff auf, den sich nahezu jeder, sofern er nicht gerade über Neurotransmitter oder die Straßenverkehrsordnung referiert oder Peer Steinbrück heißt, ans Revers heftet: „Querdenker“.

Bei so viel Quer- und Um-Die-Ecke-Denkerei stellt sich die Frage: Wohin führt das eigentlich? Wenn Querdenken heute so „in“ ist und alle danach streben, möglichst quer zum „Mainstream“ zu denken, dann ist irgendetwas faul, sowohl an den Silben „quer“ und „denken“ als auch an dem, was man unter „Mainstream“ versteht. Monty Phytons „Leben des Brian“ lugt um die Ecke: „Ja, wir sind alle Individuen!“ ruft die Menge unisono. „Ich nicht!“ sagt ein einzelner. Wer hat nun Recht?

Wenn man viermal im rechten Winkel gleich lang um die Ecke denkt, kommt man ungefähr wieder da raus, wo man mit dem Denken angefangen hat. Nur herausgefunden hat man wenig – außer vielleicht, dass man so nicht vom Fleck kommt. Da aber nichtgeradliniges Denken hip ist, bzw. als das einzige anspruchsvolle Denken gilt, hat man ja gar keine andere Wahl. Die Folge: Eine sehr ökologische Auffassung von der eigentlichen Funktion des Denkens setzt sich durch. Der Weg wird zum Ziel, und je verquerer er ist, desto besser. Mehr darf man nicht erwarten. Denn eigentlich, sind wir doch mal ehrlich, ist doch schon alles erdacht worden. Es kommt auf das „Wie“ an. Und wer glaubt, er habe tatsächlich etwas grundsätzlich Neues erdacht, dem ist doch ohnehin nicht zu trauen. Diagnose: Extremist. Umstürzler. Psycho.

Der klassische Querdenker positioniert sich gezielt gegen das, was er als den Strom identifiziert hat. Das Problem dabei ist: Einmal eine solche Position gefunden, muss er, um Querdenker zu bleiben, kontinuierlich die Strömungsrichtung im Auge behalten. Sonst läuft er Gefahr zu übersehen, dass er plötzlich mit dem Strom schwimmt, ohne es zu merken. Oder noch schlimmer: Er erkennt es, interpretiert dies aber als radikalen Richtungswechsel des Stroms und als Erfolg des eigenen Querdenkens. Meistens ist dies ein Trugschluss.

Die Menge an Menschen, die sich als irgendwie anti-Mainstream definiert, ist heute so unermesslich groß, dass der Strom, gegen den sie anzuschwimmen glaubt, kaum reißender sein kann als ein Rinnsal. Der vermeintlich feindliche Strom existiert oft gar nicht oder hat sich in ein ganz anderes Bett verkrochen, und die Türen, die man meint einrennen zu müssen, stehen in Wahrheit sperrangelweit offen. Gibt es so etwas wie einen „Querstream“?

In der Öffentlichkeit werden heute Querdenker geliebt und hofiert, zumeist weniger wegen dem, was sie von sich geben, sondern wegen der Aura, den sie verströmen. Man reißt sich förmlich um sie: Sie beleben jede Talkshow und jede Konferenz, weil sie, so glaubt man, die monolithische allgemeine Meinung konfrontieren und vielleicht ein bisschen weiterbringen. Denn diese allgemeine Meinung, so die allgemeine Meinung, kann ja nicht richtig sein. Extrentriker, Schrägos oder Clowns sind daher herzlich willkommen. Das waren sie früher zwar auch, aber aus anderen Gründen: Einst wurden sie gebraucht zur Selbstbestätigung. Heute sind sie mehr und mehr dazu da, um uns aufzuzeigen, dass wir letztlich kaum anders, ja vielleicht sogar noch schräger sind, weil wir so tun, als seien wir es nicht.

Die Popularität der Querdenker ist mittlerweile in den höchsten Sphären der Politik angekommen. Die Europäische Union will nun sogar unrentable (weil offensichtlich nicht genug Käufer findende) Anti-Mainstream-Medienerzeugnisse subventionieren, um die Pressefreiheit zu schützen. Hieran zeigt sich ein weiteres Problem: Wenn allenthalben kreuz und quer gedacht wird, werden Querdenker, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen, überflüssig und arbeitslos.

Dieser Bedarf an Andersdenkenden sollte jedoch nicht verwechselt werden damit, dass man alles denken und sagen dürfe. Das darf man nämlich nicht. Oder ist in letzter Zeit bei den Damen und Herren Illner, Maischberger, Beckmann oder Jauch tatsächlich jemand aufgetreten, der sich aus vollem Herzen und uneingeschränkt für Atomkraft, für Doping oder gegen Rauchverbote ausgesprochen oder sonst etwas völlig undenkbar Unsägliches gedacht oder gesagt hat? So etwas ist von unseren arg in die Jahre gekommenen Hof-Querulanten nicht zu erwarten. Sie unterscheiden sich oft nur durch die Heftigkeit ihrer Empörung, nicht aber durch Inhalt oder Richtung. Warum sollten sie auch ihre durchaus lukrative und öffentlichkeitswirksame Funktion als handzahme Inkarnationen der Meinungsfreiheit selbst infrage stellen?

Wenn aber heute Querdenken allgegenwärtig ist, wie sich sinnvoll gegen, gewissermaßen quer zum Querstream aufstellen? Ich habe einen Vorschlag: Wie wär‘s mal mit Nachvornedenken?! Das hieße, die ausgetretenen Pfade des Zynismus zu verlassen und der monotonen Beschwörung von Alternativlosigkeit und Apokalypse abzuschwören und dies nicht gleich beim ersten Widerstand aufzugeben? Das wäre doch mal was.

Matthias Heitmann ist freier Publizist. Seine Website findet sich unter www.heitmann-klartext.de.

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Zur Erinnerung: Jeder Religionsgründer, stets Männer, waren allesamt Querdenker. Es ist dabei Katastrophales herausgekommen. Warum? Weil die Gesellschaften damals den Schwindel nicht erkannten.
Heutzutage erkennten viele Menschen ob ein Querdenker interessantes zu sagen hat. Ja, voarusdenken ist gut, z.B. den radioaktiven Abfall den Russen gegen Bezahlung und Kontrolle zu überlassen.

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