Schande über uns!

Den bis zum erbrechen bemühten Allgemeinplätzen unserer Tage eignet, dass sie schnell keiner mehr hören kann oder mag.

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Aber: Sie haken sich dank dauernder Wiederholung hartnäckig im Hirn fest, wo sie fortan ein seltsames Eigenleben führen. So funktioniert Propaganda. In Zeiten massenmedialer Berieselung potenziert sich paradoxerweise die Wirkung der Meinungsmache in dem Maße, wie sich ihre Inhalte abnutzen. Die verwendeten Schlagworte und Slogans erregen solange, bis die Empörung in Ermüdung mündet. Dieselbe kennzeichnet unsere Abwehrbereitschaft, denn zum Angriff mag keiner mehr blasen, aber die sattsam bekannten Wendungen lösen sich darob keineswegs in Wohlgefallen auf. Ganz im Gegenteil. Sie wirken fortan unterirdisch; das heißt: umso wirkungsmächtiger. Klammheimlich werden so aus halben Lügen ganze Wahrheiten. Über die wir nicht länger nachdenken. Je erhabener wir uns dünken, umso träger hängen wir an der Assoziationskette.

Es bedarf seltener Sammlung und Konzentration, um das überhaupt noch zu bemerken. Ich selbst merkte es Freitag früh während der Fahrt zur Arbeit; da läuft bei mir im Auto immer das Radio. Hellwach und zu allen Schandtaten bereit, horchte ich nach einer Weile auf. Auf WDR 5 dozierte gerade ein gewisser Herr Westphal von Ärzte ohne Grenzen. Er tat dies im lockeren Plauderton, der heute allerorten zum guten Ton gehört, denn damit suggeriert man Selbstverständlichkeit und Souveränität, Coolness und Kante. Darin sind diese Leute Profis. Garniert mit einer gehörigen Prise Empathie beschwören Westphal und Co. auch eine Gemeinschaft, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, die aber für den Moment jenen unentbehrlichen Spendenreflex garantiert, auf den es einzig ankommt. Die vermeintliche Fachsimpelei dieses ´Oberarztes´ diente also nur dem Zweck, die ´Patienten´ zu konditionieren bzw. einzustimmen. Auf das übliche Rezept. Risiken und Nebenwirkungen blieben unerwähnt, so verkauft sich das Narkotikum nicht in gewünschter Stückzahl.

Dem Arzt ohne Grenzen lag, an unser aller Nächstenliebe appellierend, das Schicksal der syrischen Zivilbevölkerung am Herzen. Mit lästigen Langzeitanalysen hielt sich aber auch dieser ´Experte´ nicht weiter auf. Es kann und darf schließlich nur gelten, was gerade und auf Anhieb ´kickt´; der Rest ist keinen Pfifferling wert. Also zauberte Westphal nach der üblichen Auflistung schändlicher, alle bisherigen Schandtaten weit überbietender Scheußlichkeiten, endlich eines dieser sattsam bekannten Totschlagargumente aus seiner blütenreinen Weste, sie kennen es auswendig: Europa, so meinte er im Blick auf jene, die zu uns kamen und noch kommen werden, sei schließlich so reich, da müsse es doch einfach Mittel und Wege, eben: Lösungen für alle geben. Wer dieser Behauptung widerspricht, macht sich zwar weiterhin verdächtig, aber immerhin tun das mittlerweile mehr Menschen als den Gralshütern des verordneten Geschmacks genehm sein kann. Kaum einer käme freilich auf die kühne Idee, einen ganz bestimmten Passus der Aussage gleichsam in Abrede zu stellen. In einem sind sich nämlich nach wie vor alle einig: natürlich sind wir im globalen Vergleich richtig reich.

Nun ist es so, dass der Satz im Ganzen gewissen Konjunkturen unterworfen bleibt. Die Leute haben es mittlerweile verdrängt, aber erinnern wird man daran dürfen: Schon zu Beginn des letzten Jahres, als die anfangs bestaunten, dann zunehmend gefürchteten Flüchtlingsströme einfach nicht mehr abreißen wollten, wagte keiner mehr zu behaupten, dass Europa (allen voran der böse Osten) sich schämen müsse, diese Leute abzuweisen. Die bis dahin gebetsmühlenartig heruntergeleierte Behauptung, wir seien reich und wohlhabend genug, jederzeit jedem in jedweder Lage helfen zu können, verfing nicht länger, den Menschen wurde nämlich – zu Recht – mulmig und selbst einige von den Fortschrittsoptimisten scherten für kurz aus und gaben zu, dass es so auf Dauer auch nicht mehr weiter gehen könne. Doch was kümmert diese Opportunisten ihr Geschwätz von gestern?

´Wir haben den Zustrom im Griff´ lautet nun die neueste, im Grunde ganz alte und wie immer im Dutzend nachgeplapperte Plattitüde. Im Ergebnis mag das derzeit sogar stimmen. Leidig, allerdings. Die Lage ist und bleibt angespannt; ´prekär´. Was mich an der Aussage stört ist einmal mehr das Modewörtchen ´Wir´. Es suggeriert, dass Deutschland ein Problem gestemmt habe, das in Wahrheit auf ganz anderen Schultern lastete. ´Gelöst´ wurde es in der Tat gerade nicht von uns. Ohne den beherzten Zugriff der sogenannten Balkanstaaten herrschte in Deutschland jetzt das Chaos, die reinste Anarchie; denn hier wollten ja fast alle hin. Irrtum ziemlich ausgeschlossen. Wenn nun so getan wird, als hätte Deutschland aus eigener Kraft die ´Flüchtlingskrise´ gemeistert, dann ist das gelogen, denn ohne die nahezu hermetische (und von den ´Experten´ hochnäsig in Abrede gestellte) Abriegelung der B-Route wären jetzt circa zwei bis drei Millionen Menschen mehr im Land. Es komme mir an dieser Stelle keiner mit dem faulen Deal, den die Mutti und der Herrn Erdogan ausgekungelt haben! Trau keinem über Dreißig. Wenn der Despot bei passender Gelegenheit die nächste ´Fuhre´ durchwinkt, staut sich dieselbe im abgehängten Griechenland. Wir bejammern, gute Menschen die wir sind, das Schicksal seiner Flüchtlinge (der Grieche selbst zählt kaum noch) und kommen bei der Gelegenheit nicht auf die Idee, das Deutschland seinerseits haarscharf an einer ähnlichen Misere vorbeigeschrammt ist. Drei Millionen Verzweifelte und Entrechtete: zwischen Flensburg und München hin und her ´streunend´, ohne Pass, ohne Identität, ohne festen Aufenthalt, zunehmend missmutig und auf Krawall gestimmt – viel hat am Ende nicht mehr gefehlt. Frau Merkel hat sich nie bei denen bedankt, die ihr die ´Dreckarbeit´ abgenommen haben. Sie weiß schon warum.

Wie auch immer: Die im Brustton der Überzeugung ausgesprochene Mahnung, Grenzen könnten diese Menschen nicht aufhalten, hat sich eben doch als falsch erwiesen. Noch fühlen sich selbst die lautesten unter den Vorlauten nicht sicher genug, sie zu erneuern. Hier spielen in Wahrheit weniger Überzeugungen, mehr die üblichen Schach- und Winkelzüge eine Rolle. Was falsch und was richtig ist, darüber entscheidet im Ergebnis immer der Verlauf der Geschichte. Er wird zwar von Menschen bestimmt, aber die meisten sind doch nur solche, die irgendwie ´mitmachen´. Das Verhängnis geht nicht von ihnen aus, aber sie allein besiegeln es am Ende.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die jüngsten Schuldzuweisungen bewerten, mittels derer das Attentat von Berlin erklärt und irgendwie gesühnt werden soll. Da darf jetzt wieder kräftig nach unten durchgetreten werden. Erinnern sie sich an die vorletzte Silvesternacht. Ihre ´Aufarbeitung´ lief ja ganz ähnlich ab. Die Schuldigen ließen und lassen sich schnell im zweiten oder dritten Glied finden (sogenannte ´Antänzer´ konnten ungleich schwerer gefunden werden, aber wer wagte schon den Vergleich?), und die kaum in Frage zu stellenden Fehler und Versäumnisse sorgen bereits für Unverständnis und Empörung. Damit lässt sich einiges an Frust verarbeiten. Das tut gut. Im Zuge solcher Abrechnungen gerät auch das Epizentrum der Katastrophe langsam und diskret aus dem flüchtigen Blick. Will meinen: Die Hauptschuld, die Ursünde wird von der einen einzigen Person, die sie tatsächlich zu verantworten hat, sozusagen fortdelegiert: ans blöde Fußvolk. Wenn man im Handstreich anderthalb Millionen Menschen ´durchwinkt´, mittels einer einzigen, unbedarften Geste, dann muss man sich doch hinterher nicht wundern, dass Ämter und Behörden, die bis dato sowohl personell als auch strategisch nur auf den ohnehin schon bedenklichen ´Normalzustand´ eingestellt waren, scheitern – scheitern müssen. Also ist auch die Behauptung, jetzt hätten wir alles wieder im Griff, eine Lüge. Das war vorher nicht der Fall und wird hinterher noch sehr viel weniger so sein.

Tatsächlich befindet sich dieses Land augenblicklich in einer Art Schwebezustand. Die begleitende Anämie ist im Schatten hektischer Betriebsamkeit eigentlich nur schwer zu begreifen. Hier kommt wohl ein sehr begreifliches Misstrauen zum Ausdruck; eines, das besagte Allgemeinplätze doch nicht zur Gänze haben ausrotten können. Wildfremde Menschen lassen sich eben kaum per Autopilot in die gewünschte Stellung bringen. Ganz im Gegenteil. Es gibt Grenzen, die jedes bloße Wunschdenken früher oder später ausbremsen. Nach bald zwei Jahren bleibt immer noch höchst fraglich, wer da eigentlich wirklich zu uns gekommen ist, wir wissen nämlich nach wie vor fast gar nichts über diese Menschen, obschon alltäglich über sie berichtet wird. Sie selbst wissen mangels echtem Interesse noch viel weniger über uns, was wiederum nicht heißt, das sie nicht mit ganz klaren Vorstellungen und noch konkreteren Absichten nach Utopia kommen. Solches freilich passt auch weiterhin nicht in ein Bild, das uns all jene verordnen wollen, die noch immer nach einer passenden Einfriedung ihres multikulturellen Allwetter-Zoos fahnden. Klingt nach Pegida, ich weiß.

Doch zurück zum ´Ausgangs-Allgemeinplatz´. Europa schafft das – Europa ist ja reich genug. Das also meinte, stellvertretend für viele, am Freitag dem dreizehnten pünktlich zum Wetterchaos der amtierende Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen. Wurde mir vom Schneetreiben auf der Autobahn oder vom Gedönse des Herrn Westphal langsam schwarz vor Augen? Dazu bedurfte es freilich nicht erst besagter Mahnung, die auf Generalabrechnung zielt. Merke: Solche Leute haben viel zu erzählen. Auch Westphal machte davon ausgiebig, ja exzessiv Gebrauch. Die lückenlose Aufdeckung von Gräueln im syrischen Tollhaus? Kein Problem. Der Mann schwadronierte, als käme auf jeden zertrümmerten Wohnblock einer seiner Mitarbeiter, der mit Argusaugen verfolgt, was in den rauchenden Ruinen zu erkennen bleibt. Westphal haut uns das dann um die Ohren wie ein erboster Familienvater, der zur Strafe Ohrfeigen verteilt. Aber auch dieser ´Spendeneintreiber´ käme nicht im Traum darauf, einmal dieselbe schonungslose Auskunftsfreude zu bemühen, wagte irgendwer, ihn nach seinem monatlichen Gehalt zu fragen, das beachtlich, ich glaube: horrend sein muss. Falscher, fieser Vergleich? Mitnichten. Der Herr Westphal erinnert mich persönlich ein wenig an den Ex-Eurokraten Martin Schulz, der jahrzehntelang in zahllosen Reden und Denkschriften Transparenz und Bescheidenheit anmahnte und im entscheidenden Moment, als man ihn und seine Clique in Brüssel um Offenlegung ihrer Gehälter bat, zur Speerspitze jener Empörten mutierte, die sich dagegen mit Nachdruck und Vehemenz verwahrten.

So ticken auch die meisten der Gemeinnützigen. Wer sich ein wenig auskennt weiß: Die einst von Idealisten gegründeten caritativen Stiftungen und Verbände haben sich unserer Tage längst zu profitablen, gewinnorientierten Unternehmen gewandelt, gemausert sozusagen. Das Kalkül ihrer ´Gralshüter´ und ´Moralapologeten´ geht nach wie vor auf, weil ihnen auch weiterhin gelingt, was so überhaupt nicht zu irgendeinem abschließenden Gelingen beiträgt: sie schwatzen reichen Europäern reichlich Geld ab, um damit vor allem den eigenen Laden am Laufen zu halten, und der läuft eben nur, wenn sich an den beklagten Zuständen und Verhältnissen im Kern nichts ändert. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird bedürftigen Menschen genau so lange geholfen, bis sie endlich von denen, die sich grenzenlos schämen sollen, auf Dauer ausgehalten werden: Dann nämlich haben sie Utopia erreicht. Hier hilft man ihnen erneut, angeblich aber mit dem Ziel, jeden einzelnen am Ende zu ertüchtigen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ob das mit denen, die nun zu uns gekommen sind, auf Dauer funktionieren kann? Sicher bin ich ein richtiges Schwein, denn ich stelle es in Abrede, obwohl es mir selbst so richtig gut geht.

EUROPA IST REICH. Die Aussage provoziert den Vergleich. Sie kann ihm nicht standhalten, denn spätestens hier entpuppt sich die an Gewissheit grenzende Halbwahrheit endgültig als faustdicke Lüge. Reich sind und bleiben vielmehr genau jene Länder und Regionen, denen derzeit die meisten Flüchtlinge entströmen. Die allermeisten kamen mal aus Afrika zu uns, jetzt kommen sie hauptsächlich aus der Levante. Fakt: in keinem anderen Winkel dieser Welt staut sich der schiere Luxus, das unsägliche Vermögen, ja: der täglich vulgär zur Schau gestellte Reichtum so sagenhaft wie gerade dort: im Nahen Osten. Die Golfrandstaaten könnten, theoretisch, jeden einzelnen der Millionen, weltweit wandernden Flüchtlinge bis an ihr seliges Ende aushalten ohne auch nur in die Verlegenheit zu geraten, empfindlichen materiellen Einbußen genügen zu müssen. Doch selbst die abgehängte Jugend Afrikas käme nicht im Traum auf die Idee, statt der mörderischen Mittelmeer-Route den halbwegs bequemen Landweg Richtung arabische Halbinsel einzuschlagen, um die dortigen Luxusstaaten mit ihrer Anwesenheit zu belästigen. Mir ist auch nie zu Ohren gekommen, dass irgendein Flüchtling aus Irak, Syrien oder Afghanistan diese wohlbetuchte Nachbarschaft im Süden dem sündhaft ungläubigen Norden vorzöge. Arabien ist reich um allen helfen zu können – haben sie diesen Satz schon einmal von irgendwem vernommen?

Aber auch Schwarzafrika ist reich, unsäglich reich. Nur will das außer den in Saus und Braus schwelgenden Despoten samt ihrer Clans keiner merken. Der dunkle Kontinent strotzt nur so vor wertvollen Bodenschätzen. Seinem Grund und Boden eignet überdies ein sehr nachhaltiges ´Potential´. Das winzige, unsäglich gebeutelte Ruanda etwa reichte, schenken wir den Aussagen europäischer Lebensmittelexperten Glauben, schon aus: um nämlich den Rest den Kontinents dauerhaft (!!) mit lebenswichtigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Nicht einzig im Norden und am Horn von Afrika, auch an seiner Westküste sprudelt wiederum das schwarze Gold im Überfluss. Vor allem in Nigeria tummeln sich daher die Ölschergen samt ihrer Günstlinge. Aber auch dieses Land versinkt in Mord und Totschlag, und die mittlerweile auf annähernd zweihundert Millionen Menschen geschätzte Bevölkerung darbt im Elend. Im Kongo vegetiert sie auf einem noch übleren Level. Hier findet sich nahezu alles, was ein Land eigentlich reich, steinreich machen müsste: Gold, Platin und Diamanten, Erdöl und Erdgas, dazu Kupfer im Überfluss. Angeblich „101 Milliarden Euro an Vorkommen von Kupfer besaß die bis in die 70er Jahre als Zaire bekannte Republik Kongo.“ Und:“ Zu den weiteren Bodenschätzen des Landes zählt ebenfalls ein Wert von 118 Milliarden Euro an Erdölreserven.“ (Quelle: http://www.schatzwert.de/). Das sind wahrlich unfassliche Reichtümer. Und das begehrte, zur Herstellung der in nahezu jedem elektronischen Gerät verwendeten Tantal-Elektrolytkondensatoren benötigte Coltan ist gleichsam im Überfluss vorhanden. Was für ein Standortvorteil! Von dem der Otto-Normal-Kongolese nichts, aber auch gar nichts hat.

Sie können es in jedem Schulatlas nachsehen: Die von dauernden Kriegen gebeutelten Regionen Afrikas strotzen vor Reichtum und gelten als ärmste der Welt. Dort gibt es also – wie überall, wo Unrecht vor Recht geht – die richtig Reichen, eine nicht gerade schmale Kaste von Günstlingen. Doch keine wagt zu sagen: Afrika ist reich genug, den hausgemachten Hungerleidern endlich einmal selbst zu helfen. Wir berühren hier einen sehr kritischen Punkt. Leicht macht sich verdächtig, wer ihn auch nur erwähnt. Auf einmal wird aus Gold wieder Blech, aus Überfluss der dauernde, unbegreifliche Mangel, Schande und Sachzwang schummeln sich wie von selbst in die Debatte und aus einer gerade noch sehr einfachen Sache wird im Nu ein Komplex aus Widersprüchen und Versäumnissen, Verstrickungen und komplizierten Mittäterschaften.

Fakt: Keiner von uns hat Boko Haram oder Al Nusra zu verantworten, wir schicken auch keine Kindersoldaten in den Krieg oder sagen den Machern vom Shell-Konzern, wo das nächste Ziegendorf platt gemacht wird, aber: Mit jeder vor die Kamera gezerrten Hungerfamilie fühlen wir uns direkt verantwortlich. Jean Paul wusste: “Niemand wird in der Welt leichter betrogen als das Gewissen.“

Sicher: Mag Europa an Bodenschätzen im Vergleich eher arm, bitterarm sein, geht es den meisten seiner Bewohner doch um Längen besser als jenen zahllosen Betrogenen, vor deren Ohnmachts Augen der Reichtum schwindet wie eine ins Groteske geblähte Fata Morgana. Die leuchtet den ganzen Horizont aus, doch dem Betrachter bleibt am Ende nur der nackte, karge Wüstensand. Ganz klar tragen die steinreichen Eliten des Westens, also auch die unseren, ein gerüttelt Maß Schuld am Elend das in den mit reicher Saat gesegneten Regionen dieser Erde herrscht. Wer wollte diesem Allgemeinplatz ernsthaft widersprechen. Wohlstand und Komfort nähren sich aus zahlreichen, heimlich oder offen sprudelnden Quellen. Nur verhöhnt man mit dem heuchlerischen Hinweis auf ein reiches, sattes Europa bereits all jene, die bei uns in besseren Zeiten noch als ´abgehängt´ betrachtet wurden, während sie ab sofort gar keine Rolle mehr zu spielen haben. Und keiner von denen, die mit den praktizierten Ungerechtigkeiten im eigenen Land so ihre Probleme haben, traut sich noch, Einspruch zu erheben, belästigt man ihn mit der nächsten humanitären Katastrophe: Schäm dich, denen da geht’s doch tausend Mal schlechter! Wenn es kompliziert wird, dann wird also auf kuriose Weise alles wieder sehr, sehr einfach. Es steht übrigens auf einem wiederum anderen Blatt, dass der bis zur Geschmacklosigkeit praktizierte Voyeurismus unserer Tage am Ende genau das Gegenteil dessen erreicht, was angeblich sein Ziel sei: Hagelt das Elend dieser Welt mittels Dauerbeschuss nahezu täglich in die gemütliche Wohnstube, trocknen Empathie und Mitgefühl langsam aus, stumpft man endlich völlig ab.

Sind es nun wirklich die sogenannten Sachzwänge, denen der Schlamassel auf dem Fuße folgt? Sie werden eher als Alibi bemüht, um handfeste Interessen zu kaschieren. Achten sie mal drauf: Wenn irgendein Entwicklungshelfer räsoniert, dann taucht in seiner Rechnung ständig die Mär von Ungleichverteilung und Ausbeutung auf, selten bis nie die Verantwortung derer, die vor Ort als Komplizen agieren und den miesen Laden am Laufen halten. Das Wetterleuchten der Dekolonisation wird heute allenfalls am Rande erinnert. Die Morgenröte einer blockfreien Welt hat sich längst als Nachtschatten heraus gestellt. Es gab mal eine erste, zweite und dritte Welt, übrig blieb die arme jenseits der reichen. Aber das sind nur Chimären. Hinter ihnen verbirgt sich die Heuchelei derer, denen das verordnete Mitleid gerade recht kommt, um den süßen Kitzel eigener Empörung dauerhaft zu stimulieren. Man könnte sagen: Das schlechte Gewissen hat immer auch das Gute auf seiner Seite. Übrigens sind die widerlichen Hassmails auf Facebook und in den anderen ´sozialen Netzwerken´ eine im Grunde natürliche Reaktion auf die in immer neuen Varianten aufbereiteten Bilder von heulenden Kleinkindern und ihren in Stücke gerissenen Angehörigen. Wie bei jedem Aufputschmittel führt übermäßiger Konsum zur Aggression; gerade bei denen, die sich ihrerseits vernachlässigt fühlen. Aber auch sie verlangen, qua Gewöhnung, immerzu mehr von dem Zeug.

Übrig bleibt also der Empathie-Effekt. Mit der Humanitätskeule erschlägt man sowieso auf Anhieb alles. Der Zweck heiligt die Mittel. Wer zufällig auf der falschen Seite steht, hat schon verloren. Wo angeblich feste Prinzipien und eiserne Grundsätze herrschen, wird in Wahrheit der fliegende Wechsel praktiziert. Um unser Beispiel nicht aus den Augen zu verlieren: Da in Deutschland vorerst keiner mehr mit ´Nachschub´ aus dem Orient rechnet, konzentriert sich die Nächstenliebe erneut auf ´den´ Flüchtling – sein Name sei MENSCH. Um ein entsprechendes Beispiel zu bemühen: Jüngst war von Kälteopfern im Osten Europas die Rede, aber genannt und gezeigt wurden einzig Migranten. Autochthone Obdachlose tauchten in den jüngsten Berichten nicht einmal am Rande auf. Die verrecken jetzt also wieder anonym. Und sind gewiss auch selber schuld daran. Merke: Mensch ist eben nicht gleich MENSCH.

EUROPA IST REICH. Gilt das auch für die in Scharen aus ihren Herkunftsländern abziehenden Jugendlichen Portugals, Spaniens, Kroatiens oder Griechenlands? Menschen immerhin, die noch ziemlich am Anfang ihrer Laufbahn stehen und in der Heimat trotz bester Abschlüsse doch kein Auskommen mehr finden. Auch sie fluten den Kern des Kontinents, der seinerseits den Rest desselben dominiert, aber nennen mag auch sie derzeit kein Leitmedium mehr. Gerade das Interesse an Griechenland war und ist seltsamen Wandlungen unterworfen. Immerhin Geburtsstätte der demokratischen Idee, auf die sich heute alle wie selbstverständlich berufen, wird das Land jetzt vom Erzfeind Türkei und einer nach wie vor unüberschaubaren, kaum absickernden Anzahl rechtgläubiger Flüchtlinge in die tödliche Zange genommen. Reiches Europa – zählt Hellas noch dazu? Mir will eher scheinen, das Land verreckte gerade. Wie ein müder alter Hund. Gezeigt werden aber nur jene, die als Flüchtlinge dort gestrandet sind. Vielleicht ist es an der Zeit, wie weiland Rumsfeld ein altes und ein neues Europa zu konstatieren. Was für ein Schwein muss man sein, dass auch nur in Erwägung zu ziehen.

Schande über uns. Da loben wir einander dauernd über den Klee; wie weltoffen und liberal, freiheitsliebend und urdemokratisch wir doch sind. Zum Beispiel. Dann wieder wollen wir uns schämen vor lauter Korruption und unverdientem Luxus, der hier herrscht. Auf letzteren aber keiner, nicht ein einziger von uns allen wirklich verzichten wollte, käme es wirklich drauf an, ihn zu teilen. Täten es die anderen? Schon wieder so eine Schweinefrage.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fordern uns grenzenlose Ärzte und ´Fraß für die Welt´ Exekuteure die üblichen Almosen ab, und wenn das in den reichen Herkunftsländern an der Armut seiner Bevölkerungen auch weiterhin nichts, wirklich gar nichts ändern wird, kann uns das dennoch ziemlich egal sein, weil ja unser Gewissen nicht länger leidet. Fein raus. Ob wir nun einen Hartz4 Schwindler oder den ätzenden Herrn Hoeneß als Volksschädlinge ausmachen, Ackermann und Co. oder die alimentierte Großfamilie aus dem Libanon: Hauptsache, wir gehen den Dingen nie zu genau auf den trüben Grund. Die Suppe stinkt ja schon genug gen Himmel. Da zählen dann auch vermeintlich kleine ´Fürze´ nur noch das halbe Viertel, wie jüngst ein Urteil des obersten Gerichts in Karlsruhe belegte: die NPD sei zwar klar verfassungs- und fremdenfeindlich, aber “es fehlt derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt.“ Na großartig. Solange die Irren der Nation nur mit eingeschlagenen Bierflaschen zulangen statt richtige Bomben zu werfen kann man ihnen das noch nachsehen, damit lässt sich´s leben (wir schaffen das), erst wenn es so richtig fetzt, fliegt der Furz auf. Im Übrigen werden sich Hells Angels und Bandidos, Salafisten, Wahabisten und was sich sonst noch an rabiaten Minderheiten in dieser Knalltütenrepublik tummelt gleich beim nächsten Mal auf eben dieses Urteil berufen, um ein dringend gebotenes Verbot damit ganz locker auszuhebeln. Es geht also, wird deutlich, gar nicht mehr um die Sache selbst, sondern nur noch darum, ob wir sie dulden möchten oder nicht. Erst wenn es richtig weh tut und der Husten zur Pestilenz wird, kommt ein Notarzt vorgefahren und sperrt das restliche Gelände ab. Minderheiten (Richter) urteilen Minderheiten (Staatsgefährder) nach Minimalkonsens ab: Die Mehrheit, das blöde Volk, darf blöken. Freilich: Täte es dies irgendwann zu laut, träte wohl eine Maßnahme in Kraft, die der olle Brecht in etwa wie folgt beschrieb: Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt, die Regierung möge das Volk auflösen und ein anderes wählen. Die schaffen das.

Noch einmal zum gescheiterten Massenmord nahe der Gedächtniskirche. Angeblich gehen wir damit schon wieder richtig locker um. Während die Hatz auf Schuldige eröffnet ist, denkt man allen Ernstes darüber nach, den Todes-LKW als Schaustück zwecks Mahnung zu nutzen. Das passt zum dauerhaft gepflegten Gedenkstättentourismus, der im Schatten von Auschwitz wohl immer wieder neuer Rechtfertigungen bedarf. Damit redet man sich ein, auch diese ´Ärgerlichkeit´ erledigt, also: hinter sich gebracht zu haben. Der unter gehörigen Krämpfen vollzogene Zwang zur Normalität versteckt sich gern hinter großen Gesten und einfachen Symbolen. In Umfragen findet er eine passende Ergänzung. Im Anschluss an die verordneten Schrecksekunden wollte eine deutliche Mehrheit der Deutschen nicht irritiert sein, also: sich noch immer sicher im eigenen Lande fühlen. Dann aber las ich in meiner Tageszeitung, dass über neunzig Prozent der Deutschen mehr Sicherheit im Blick auf jene ´Gefährder´ wünschen, deren tausende sich angeblich schon im Lande aufhalten. Folglich hält auch niemand für abwegig, dass die großen Parteien das Thema Sicherheit in den Fokus ihrer Wahlkampfbemühungen stellen. Soll damit etwa die ständig beteuerte heroische Gelassenheit betont werden, zu der man uns gleichzeitig rät? Nein – es passt nicht. Aber: Stimmt so. Mit diesem Sätzchen werden Trinkgelder vergeben, die angeblich kaum ins Gewicht fallen, obschon am Ende doch wieder alle die Zeche zahlen müssen. 

Erstellt von Shanto Trdic am 17.01.17

Zuerst hier veröffentlicht: https://numeri249.wordpress.com/2017/01/18/schande-ueber-uns/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jürg Rückert

Nordafrikanische Einwanderer gegen Chinesen in Paris: Die Chinesen in Frankreich seien zu reich. Das sei nicht gerecht, meinen die Nordafrikaner. Sie trügen bessere Kleidung und führen dicke Autos.
Die chinesische Gemeinde in Paris ist bekannt dafür, dass es dort gut läuft. Sie kommen ohne Stütze zurecht, sind fleißig und produktiv. Das beleidigt die Nordafrikaner.
Quelle: http://www.express.co.uk/news/world/759995/North-African-youth-gangs-Chinese-migrants-Paris

Bei den Rassenunruhen 1991 in Californien war ein entsprechendes Motiv zu finden. Schwarze beschwerten sich, weil zugewanderte Asiaten zu Wohlstand kamen, sie selber aber seit Generationen wenig erfolgreich blieben.
Die Rolle der Asiaten ist doch auch unsere!
(Ach, wie viele Unproduktive sitzen in der Politik, auf Genderlehrstühlen, Antifa-Stiftungen ...
Sie hassen das Volk!)

Wir zehren nur noch von dem, was zwei Generationen vor uns schufen. Der absehbare Finanzkollaps führt uns in der Bürgerkrieg. Oh, wie werden „die da“ total überrascht sein!

Gravatar: Hubertus Hahne

Derartig zusammenschwadronierte Behauptungen habe ich selten irgendwo gelesen. In pseudointellektuellem Geschwafel werden skurrile Verknüpfungen zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammengeschustert, die ein bizarres Weltbild offenbaren, dessen Absurdität der Autor vergeblich durch scheinkritische Thesen zu übertünchen versucht.

Gravatar: Franz Horste

Selbst wenn Europa, Deutschland im Schnitt reicher ist als Syrien, Afghanistan, Islamistan, so gibt es doch auch bei uns zunehmend mehr Arme, weil sich die Reichen mit Hilfe der Politik die Taschen immer voller stopfen. Müssen dann die Armen in unserem Land, die sich nicht mal eine Krankenversicherung leisten können, von Rente ganz zu schweigen, auch noch Menschen durchfüttern, von denen man nicht weiß, ob sie einem schon morgen nach dem Leben trachetn, weil man in deren Augen ein Ungläubiger ist? Wenn die Politik nicht begreift, dass sie dafür zu sorgen hat, dass sie von jedem einzelnen, den sie ins Land läßt, mit Sicherheit behaupten kann, dass der kein Gefährder ist, so lange hat sie niemand ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Bevölkerung ins Land zu lassen.
http://wort-woche.blogspot.de/2017/01/unglaubige-rentnerin-bei-heilbronn.html

Gravatar: karlheinz gampe

Einfach, keinerlei Spende mehr für Asylindustrie und Kirchen !

Viele Flüchtlinge haben viele, tausende € um ihre Schlepper zu bezahlen. Müssten notleidende Deutsche (Bsp. Hartz4 oder Obdachlose ) fliehen, so könnten diese wohl kaum Schlepper bezahlen !

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