Recht und Nützlichkeit in Kairo

Kern jeder wahren Demokratie ist das gleiche Recht für alle. Weder Mohammed Mursis Scharia-Staat noch der Putsch Generals Al Sisis hatten damit viel zu tun.

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Kern jeder wahren Demokratie ist das gleiche Recht für alle. Es nützt nicht viel, wenn ein Politiker in freien Wahlen mit Mehrheit gewählt wird und dann elementare Menschenrechte außer Kraft setzt. Das vorige Jahrhundert kann uns einiges davon sagen, auch und gerade den Deutschen. Der Fehler von Mohammed Mursi und den Muslimbrüdern in Ägypten war, daß sie der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, die oberste, richtungsweisende Gewalt einräumten. Dieses Rechtssystem ist mit einem Menschenrechtsstaat nicht kompatibel. Es führt zu Ungleichheit und installiert eine Diktatur.

Der Putsch des Generals Al Sisi hat mit Demokratie natürlich auch nichts zu tun. Auch dieses erste Urteil gegen Mursi und seine Kampfgefährten entspringt nicht freiheitlich-demokratischen Grundsätzen. Unter Al Sisi werden die Gerichte genauso am Gängelband geführt wie unter Mubarak oder wie es unter Mursi selbst so gekommen wäre. Mursi hat schlicht Glück gehabt. Denn es nützt dem Regime des Generals mehr, daß er im Gefängnis sitzt, als dass er am Galgen hängt. Al Sisi hätte es den Amerikanern erklären müssen, deren Präsident Obama immer noch eine unerklärliche Neigung zu den Muslimbrüdern hegt, aber neuerdings wieder Militärhilfe leistet. Und er hätte es auch den Saudis erklären müssen, die zwar nicht zimperlich sind mit Todesurteilen und Mißachtung der Menschenrechte, die aber auch keine Aufstände beim neuen Partner in Kairo wünschen und ihn dafür großzügig mit Milliarden Dollar aushalten. Und, so mag Al Sisi vielleicht auch noch gedacht haben, die Europäer sollten auch nicht zu sehr die Stirn runzeln.

 

Mursi ist nur eine kleine Figur auf dem großen Schachbrett des Nahen Ostens. Dort verschieben sich derzeit die Gewichte und der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten bricht mit elementarer Wucht an immer neuen Plätzen hervor. Der Achse Kairo-Jerusalem-Riad steht das Bündnis Teheran-Damaskus-Bagdad gegenüber. An Friedenspläne denkt derzeit keiner, ausgenommen ein paar Intellektuelle in Washington oder Brüssel. Es geht ums Überleben. Der Geist des Fanatismus ist aus der Flasche und sucht immer neue Tätigkeitsfelder. Heute sind es die Schlachtfelder im Yemen, in Lybien, Syrien und im Irak. Morgen stoßen vielleicht in Algerien, im Sudan oder in Afghanistan fundamentalistische Stichflammen aus der Tiefe empor. Es mag zynisch klingen, aber die Europäer sollten froh sein, daß es bei dem militärisch wichtigsten arabischen Staat, in Ägypten, zur Zeit relativ ruhig ist. Es wäre übrigens schon mehr als ein Gedanke wert, mit Kairo über eine Beteiligung bei der Stabilisierung Lybiens zu reden, mithin über den Kampf gegen Schlepperbanden. Al Sisis Geheimdienste funktionieren gut.

 

Die Zeiten sind jedenfalls erst mal vorbei, da man wie Bush noch an eine Demokratisierung der Region und ein Aufblühen freiheitlicher Staatensysteme mit gleichem Recht für alle glaubte. Oder wie Obama an die soziale Ader der Muslimbrüder. Die Welt ist nicht so. Heute muss man sich im Vorderen Orient mit sehr viel weniger begnügen. Ruhe ist die erste Diktatorenpflicht.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Rudolf Fischer

Die Gedanken und Ansichten Liminskis geben die tatsächlichen Verhältnisse gut wieder . Es ist sicher ein bedenkenswerte Beitrag zum Verständnis der verzwickten realen Situation im Nahen Osten und in Nordafrika. Wie aber kommt es, dass Jürgen Liminski - wie leider manch andere Journalisten - den Namen Libyen beharrlich falsch schreiben? Seit den alten Griechen ist die Abfolge der Vokale diese Wortes i-y-e und nicht y-i-e.

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