Preußen zwischen West- und Ostoption.

Der Erste Weltkrieg besaß alle Qualitäten, um Europa insgesamt zu erfassen und damit Fragen, wie jene des politisch-strategischen Gleichgewichts und der grundsätzlichen politischen Tendenzen, ob demokratisch oder monarchisch, innerhalb der einzelnen Nationalstaaten aufzuwerfen.

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1854 – 1914 -2014

Inhalt

Einleitung.

Preußen 1854 - Deutschland 2014. Zwischen den Mächten.

Englands Kriegsplan gegen Russland.

Die Mission Pourtalès in London. Preußen zwischen den Mächten.

Englischer Pragmatismus, Preußische Doktrin.

Preußische Außenpolitik: Liberalismus gegen Konservatismus.

Preußisch-Österreichischer Dualismus.

Bunsens Plädoyer für den Rußlandkrieg.

Mulitipolare Positionen in einem westlichen Bündnis.

Bunsens geheime Denkschrift: die Demontage Rußlands.

1914/15: Kriegszielvorstellungen um Bethmann Hollweg.

Der politische Erdrutsch in Berlin.

Die Genesis des englischen Kriegsentschlusses.

Der Zweck des Rußlandkrieges.

Das "renversement des frontières" in Berlin.

London: Die Nebenregierung des Prinzen Albert.

a) das preußisch-englische Bündnis.

b) der Aufmarsch und Krieg gegen Rußland.

c) Folgewirkungen für Deutschland, Österreich und Preußen.

Kreuzzeitung und Wochenblatt. Unterschiedliche Zukunftsschau.

Die Wochenblatt-Partei leckt Wunden.

Die Mission Usedom-Wedell: Der Traum eines englischen Bündnisses.

Preußens Nimbus sinkt. Kein Vertrauen in Berlin.

Schluß.

Einleitung.

In unserer Gegenwart beschäftigt sich die allgemeine Aufmerksamkeit mit Kämpfen in der Ukraine, dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, mit Krisen, Krisenkonferenzen, Wirtschafts- wie Bankenengpässen.

Von besonderem Interesse mag, unter diesen Blickwinkeln, die Auseinandersetzung mit den Vorbereitungen des Krim-Krieges von 1854/55 sein, zumal dieser zwischen den Westmächten und Russland geführt wurde; was heute wiederum ein Thema werden könnte. Die Situation in den europäischen Großstädten der Jahre 1852 bis 55 war charakterisiert durch Kriegswillen, Zaudern, und schließlich, in Teilen, entschlossenes Zugreifen. Den Anlass bildete der latente Konflikt zwischen Russland und der Türkei, der letzten Endes um den Besitz der Meerengen zwischen Schwarzem und Mittelmeer ausgetragen wurde. Zusätzlich bildeten die Streitigkeiten zwischen Christen und Mohammedanern im Osmanischen Reich einen nachgeordneten Gegenstand, der vordergründig auch den preußischen König, das protestantische England, wie auch Frankreich berührte.

So gesehen, besaß dieser Konflikt alle Qualitäten, um Europa insgesamt zu erfassen und damit Fragen, wie jene des politisch-strategischen Gleichgewichts und der grundsätzlichen politischen Tendenzen, ob demokratisch oder monarchisch, innerhalb der einzelnen Nationalstaaten aufzuwerfen. In Preußen beherrschte, in diesen Jahren nach der Niederlage von Olmütz, die Frage die politische Diskussion, ob künftig weiterhin mit Russland zusammengearbeitet werden solle. Für eine weitere Anbindung an Petersburg plädierte die Kreuzzeitungspartei, der u. a. auch der junge von Bismarck* angehörte.

Die Punktation von Olmütz, erzwungen durch die Rückendeckung des russischen Zaren für das österreichische Ultimatum (Schwarzenberg*), beschwerte auf Jahre hinaus das öffentliche Bewusstsein in Preußen. Preußens Flügel wurden in der Bundesfrage beschnitten, ein Bündnis mit der Demokratie zurückgewiesen und dessen Ohnmacht in einem möglichen militärischen Mehrfrontenkrieg offenkundig. Die Konservativen sprachen sich im wesentlichen positiv über Olmütz aus. Ganz anders dagegen „die alten erbkaiserlichen Gothaer,“ die späteren Wochenblattparteiler und kleindeutschen Nationalen“, der Prinz von Preußen* und „amtliche Historiker des Kaiserreichs“ wie z. B. Heinrich von Sybel*, „die allesamt stets nur von einer 'Katastrophe' sprachen, und über die 'Schmach von Olmütz' wüteten. Ernst Ludwig von Gerlach* äußerte im Nachhinein, durch das „Raisonnement“ von Olmütz sei Deutschland nicht zur Dispositionsmasse für den künftigen Friedensschluss in der orientalischen Krise geworden; und ein Hinauswerfen Österreichs aus Deutschland lehnte er ab. Gerlach wandte sich gegen die liberale Partei, die diese Einschätzung vertrete, und gegen die andere Ostmonarchie hetze; das heißt, Preußen zum Bruch mit Russland treiben wolle. Es ging demnach in der politischen Diskussion der tragende Kräfte, im Preußen dieser Jahre, um eine Politik der „Grundsätze und Tendenzen“, und noch nicht um eine solche der „Staatsinteressen“ (Schoeps).

Obwohl von der interessenbestimmten Realpolitik der Interessen ausgehend, übernahm Bismarck nachgerade ein Amalgam dieser Grundanschauungen seiner Außenpolitik nach 1871 und stützte sein Bündnissystem auf die preußische Option für Russland. Diese Haltung ist um so verständlicher, als sie dem politischen Weltbild einer Generationen entsprach, die noch durch die schon mehr als ein Menschenalter zurückliegende Waffenbrüderschaft mit Österreichern, Russen und Engländern gegen Napoleon* bestimmt war. Es ging um nationalstaatliches Machtstreben oder das abendländische Staatensystem. War also einem Kulturschnitt vergleichbar, wie dem Übergang der Staatenpolitik während des 30-jährigen Krieges von der Suprematie der Bekenntnisse zu den leitenden Interessen zwischen Natioalstaaten. Der österreichische Staatskanzler Metternich* hatte „die drei Ostmächte“, „das heißt Mitteleuropa“, noch zusammen gehalten. Doch die europäische Pentarchie begann zu driften. Das bedeutet: mit den deutschen Staaten in Europas Mitte ein „Großreich“ sich zu bilden begann. Dabei war der Schwarzenberg-Brucksche* „Mitteleuropa-Plan“, nämlich der eines deutschen Staatenbundes von 70 Millionen, strukturiert um Österreich herum, keineswegs chancenlos. Dies war auch die Überzeugung Friedrich Wilhelm III.*, die dieser seinem Nachfolger in dessen außenpolitischem Testament von 1827 nahelegte. Und seinerseits suchte Zar Nikolaus I.* von Russland Friedrich Wilhelm IV.* 1850 zu verpflichten, an der Basis der gesetzlichen Ordnung in Europa festzuhalten, die durch den Vertrag von 1815 festgelegt sei.

Einfluss auf den künstlerisch gebildeten preußischen König übten zu Beginn des neuen Jahrzehnts die Vertreter der konservativ-liberalen Preußischen Wochenblattpartei aus, deren hauptsächliche Vertreter sich um Moritz August von Bethmann Hollweg* scharten, den rheinischen Staatsrechtler und protestantischen Kirchenpolitiker. In dieser Phase waren leitend der Londoner Botschafter Baron Bunsen*, der ein besonderes Verhältnis zum preußischen König unterhielt, und Albert von Pourtalès*, der, mit Bethmann Hollweg verwandt, sich als eine der schillernden politischen Begabungen des damaligen Berlin darstellte.

Es ging in diesen Jahren um den Kampf der Überzeugungen, preußische Politik sei einerseits nur mit dem autokratischen Russland, andererseits ausschließlich mit dem demokratischen England zu gestalten. Die führenden Politiker waren einerseits Moritz August von Bethmann Hollweg für die Wochenblatt Partei, und andererseits die Brüder Gerlach* mit Bismarck und Stahl*, als Vertreter der konservativen Kamarilla um den König. Pourtalès war ein besonderer Favorit Friedrich Wilhelm IV.  Als Mitglied der Wochenblatt-Partei verfolgte er das Ziel, Preußen, England und Österreich, an der Spitze Deutschlands, gegen Russland zu führen, und dieses zum Rückzug aus den Donaufürstentümern, wie zum Frieden zu zwingen.

Wie sehr Bismarck, der bekanntlich die Prinzipien der Heiligen Allianz ablehnte, dennoch aber in der Tradition dieses „politischen Regulativs“ stand, zeigt seine Vorstellung, die bis zu den späten, zaghaften Versuchen reicht – mit England ein Bündnis anzubahnen (1887). Dies ist in der Formulierung von einem „ostrheinischen Europa“ vereinigt, das „'zu einer Art von solidarischer Körperschaft' und 'zur defensiven Frontstellung nach Westen'“ zu vereinigen sei. Tatsächlich diente der preußischen „Heiligen Allianz-Politik“ vor Bismarck dieses Bündnis der drei Osstaaten (Preußen, Österreich und Russland) als Damm gegen die Revolution. So kam es, ganz den konservativen Prinzipien entsprechend, zu den Konzessionen an Österreich in Oberitalien und an Russland, in dessen Leitfunktion im Bündnis nach Metternich. Diese Verteilung von Gewichten und Funktionen durchbrach, gemessen am Rahmen der damaligen internationalen Beziehungen, Russland mit dem Einmarsch in die Donaufürstentümer Moldau und Walachei. Dem Ziel, Serben und Bulgaren vom Osmanischen Reich abzuspalten, opferte Petersburg bereitwillig die Heilige Allianz, die bisherige Basis europäischer Politik. Ein Schritt, der vergleichbar erscheint dem bereitwilligen Bruch internationalen Rechts durch Putin* 2014, mit der Besetzung der Krim und durch das Perforieren der ukrainischen Ostgrenze am Donezbecken.

Österreich und Preußen gerieten so in eine Mittel-Position zwischen den Westmächten und Russland. Frankreich und England dagegen hatten sich auf den weiteren Erhalt der Türkei, und die Blockade der Meerengen gegen Russland verständigt. In Preußen bedingte das Interludum der Wochenblattpartei am Berliner Hofe, mit Graf Pourtalès an der Spitze, der später als Sonderbeauftragter nach London ging, dass Bündnisbestrebungen Berlins mit London und Paris Aufwind bekamen.

Zunächst aber verstanden selbst die Mitglieder der Wochenblatt-Partei, wie z. B. Niebuhr*, die Beziehungen zu Russland und Frankreich als Einheit. Doch hatte inzwischen der Londoner Vertreter Preußens, Baron von Bunsen, engere Beziehungen zu Teilen der englischen Führungselite aufgebaut. So kam es 1852 zu vertraulichen Gesprächen mit Lord Granville*. Der preußische König seinerseits warb um England mit seiner Verfassungstreue. Das sollte heißen: Preußen sei auch gegenüber westeuropäischen Demokratien bündnisfähig.

Seinerseits aber durchaus interessiert an einem englischen Bündnis, das sein Botschafter bereits lebhaft betrieben hatte, entsandte er Niebuhr, einen weiteren Anhänger des Wochenblattes nach London, um die Chancen Preußens vor Ort zu sondieren. Dieser berichtete, zur allgemeinen Überraschung, von einem unerklärlichen Kriegseifer in England. Auch in Paris bestand durchaus Unklarheit, ob es innenpolitisch zur Revolution oder einem Krieg kommen werde. Diese Kriegsgefahr bestand zunächst zwischen Frankreich und Belgien, und wurde durch die dortige katholische Partei, mit Hilfe von Pressekampagnen, immer wieder angeheizt. Im besonderen bestand Ungewissheit über die künftige Politik des neuen Kaisers Napoleon III.*; ein spezielles Unsicherheitsmoment im Verhältnis zwischen England, Frankreich und Preußen. Es war also durchaus nicht klar, ob England sich, in einem künftigen Krieg mit Russland, auf Frankreich werde stützen können. Zudem war noch nicht erkennbar, wo Frankreich einen Krieg vom Zaune brechen würde. Ob im Norden gegen Belgien, im Osten am Rhein, oder in Norditalien gegen Österreich.

Die Haltung Englands, einer solchen Konstellation gegenüber, schien der Berliner Politik besonders aufschlussreich. Allerdings, die letzten Absichten Friedrich Wilhelms blieben äußerst unklar. So mahnte daraufhin der preußische Geschäftssträger in London seinen König, eine eindeutige Haltung vor der Geschichte einzunehmen. Bunsen spielt auf einen Plan an, der ihm (augenscheinlich bereits im Oktober/November 1852) bekannt geworden wäre. Preußen würde sich jedenfalls nicht für die Neutralität Belgiens in Dienst nehmen lassen. Keinesfalls, wenn dieses Frankreich provozierte. Bismarck, so Bunsen, wolle die Rheinprovinz den Franzosen opfern, um so in Italien über Kompensationen zu verfügen. Der Londoner Botschafter erkennt darin eine Wiederaufnahme der Politik Preußens seit dem Basler Frieden von 1795, die ungebremst in die Niederlage von Jena und Auerdstädt (1806) geführt habe. Bunsen spricht von einer herrlichen Zukunft Preußens, zunächst innenpolitisch, dann allgemein in Deutschland, und schließlich auch Europa. Friedrich Wilhelm IV., und die diesem nahestehende Kreuzzeitungspartei, schreckten vor einer Offensiv-Allianz gegen Russland zurück. Senft von Pilsach* legte dazu in seiner Denkschrift für den König, im Februar 1854 nieder:

„Preußen ist unmittelbar nicht beteiligt, aber gewiss nicht interesselos. Als deutsche Großmacht kann es nie gleichgültig dabei sein, ob die Donauausflüsse dem deutschen Leben gewonnen, ob die Länder an den Ufern des deutschen Stromes, vielfach berührt und angeregt von deutscher Kultur, dem germanischen Geist geraubt werden“.

Es klangen zu Jahresbeginn 1854, mit dem letzten Werben des Zaren um Berlin, jene    Töne an, die zum  Ende des Jahrhunderts zwischen Russland und Deutschland schließlich zum bündnislosen Zustand führen sollten. Der preußische Ministerpräsident Otto von Manteuffel* bemerkte dazu am 21. Januar 1854 etwas gereizt:

„Glaubt der Kaiser wirklich, dass wir in dem Maße und ergeben sind, um wegen der Händel, welche er doch wahrlich nicht auf unseren Wunsch angefangen hat, unsere Haut, unseren Handel und unsere Existenz zu Markte zu tragen, so mag er uns doch lieber gleich den Befehl geben, dann wird es sich finden, ob wir zu gehorchen in der Lage sind oder nicht“.

Doch auch das bewaffnete Ultimatum Österreichs, dem der alte Metternich zustimmte, das Wien am 3. Juli 1854 an Petersburg richtete, durchbrach den bisherigen Dreibund der Ostmächte und ließ den tiefen künftigen Interessengegensatz zwischen Wien und Petersburg aufbrechen, der 1914 unter anderem zum Ersten Weltkrieg führen sollte. Allein Preußen suchte weiterhin, wenngleich wenig überzeugend, Fäden nach allen Seiten zu spinnen.

Niebuhrs Erkundungen in London brachten die Erkenntnis, der eigentliche Gegner Preußens sei Österreich. Wien wende sich Paris zu, und zeige damit „Abneigung gegen England“. Gemein sei diesem Vorgehen eine Spitze gegen Berlin. Demgegenüber suche Preußen eine vertrauensvolle Verbindung mit London. Wien beschreite diesen Weg über die Anerkennung Napoleons. Daraus ergebe sich für Berlin, größere Nähe zu London zu suchen. Auch, da die österreichische Politik äußerst klerikal, das heißt päpstlich, orientiert sei, während die preußische und englische durchaus einig im Protestantismus wären. Aus der ungeklärten Haltung der französischen Politik, zusätzlich jener der großen kontinentalen Mächte und zunächst Russlands, ergebe sich für Preußen, abzuwarten bis England sich für die gefährdeten Kontinentalstaaten erkläre. Über allem stehe nämlich die Erwartung, Frankreich werde die napoleonische Politik wieder aufnehmen. Deshalb sei es, wie es auch geplant sei, richtig, dass Preußen seine Armee verstärke.

Englands Kriegsplan gegen Russland.

Im Dezember 1852 hatte auch Bunsen in London bereits mit Lord Malmsbury* Gespräche über Maßnahmen zur Verteidigung Belgiens geführt, einen gemeinsamen Operationsplan und die Zusage Englands, eine Flotte nach Antwerpen, wie an die Küsten Algeriens zu entsenden, damit 100.000 Mann französischer Truppen dort abzuschneiden, und so für einen, wie es heißt, „europäischen Krieg“ unschädlich zu machen. Allein die Unterstützung Preußens an der Westgrenze der Rheinprovinz gegen Frankreich blieb unsicher. Auch an einem italienischen Kriege zwischen Österreich und Frankreich werde sich London wohl kaum beteiligen. Letztlich fiel damit die Aufgabe einer Verteidigung Hollands, Belgiens und der Rheinlinie Preußen zu. Dafür Bündnispartner zu werben, bilde dessen Aufgabe, so die ernüchternde englische Position. Daraus leitete Bunsen ab, es sei geraten, weiterhin vorsichtig zu taktieren und sich nicht einseitig festzulegen. Letzlich hielt sich also London bedeckt. Doch andererseits erkannte der Gesandte, zu Anfang des Jahres 1853, England mache sich daran, einen Krieg mit Russland vorzubereiten. Parlamentarisch hatten sich dort die Fronten inzwischen geklärt. Ein Zusammengehen mit Frankreich schien allerdings noch nicht sicher. Was für die preussische Innenpolitik bedeuteten mochte, Bethmann Hollweg, Pourtalès und andere würden mit Manteuffel ein „starkes Coalitionsministerium bilden“.

England und Frankreich landeten Truppen in Konstantinopel. Österreich schloss am 2.  Dezember 1854 ein förmliches Bündnis mit Paris, und London machte mobil. So sah sich der Zar Nikolaus gezwungen, die Donaufürstentümer zu räumen. Der Restbestand der Heiligen Allianz war damit abgewickelt. In der dem Militär eigenen, gerafften Form fasste der preußische Militärattaché in Petersburg, Hugo Graf Münster*, am 16. September 1854 diese Entwicklung zusammen. Er schrieb an Edwin von Manteuffel*:

„Du sprichst immer von der Heiligen Allianz – ich legte sie längst zu den Toten. Sie wieder heraufbeschwören zu wollen, ist ein unfruchtbares Totengräberhandwerk. 1830 war die erste Bresche geschossen, 1848 die zweite, 1858 die dritte. 1853 in Warschau war der letzte Moment, um sie wieder auszuflicken und widerstandsfähig zu machen – die Architekten entbehrten einer höheren Auffassung, die moralische Kraft fehlte obendrein. So brach 1854 das Ganze zusammen. Hin ist hin“.

1851 in Warschau hatten sich Österreich und Russland noch näher gestanden, weil sie, ihrem verfassungspolitischen Entwicklungsstand nach, hinter Preußen zurückgeblieben waren. Das fand seinen Ausdruck in den Diktum des Zaren, er stünde den Österreichern näher als den Preußen, „weil jene mit dem Constitutionalismus gebrochen hätten“.

Die Mission Pourtalès in London. Preußen zwischen den Mächten.

Die Spannung mit Russland nahm zu, und der preußische König sah sich in den Gesprächen mit London gefangen. So kam es zwangsläufig, um die Jahreswende 1853/54, zu der geheimen Mission Albert von Pourtalès' nach London, der nun, in Zusammenarbeit mit Bunsen, die Rahmenbedingungen für eine Bündnisabsprache mit London prüfen sollte. Dabei erschien Preußen durchaus als ein starker Partner; und das sowohl innen- und wirtschaftspolitisch, wie militärisch. Durchaus nicht unkompliziert erschien darüberhinaus die Position Preußens in Europa. Es ging darum, die Gefahr eines Engagements gegen Russland nicht zu unterschätzen. Erstens bedeutsam erschien die Nachbarschaft Russlands, das traditionell Einfluss auf die Entscheidung Berlins nahm; und das moralisch wie auch materiell. Zweitens blieb die latent unklare Position Österreichs zu beachten, die mitbedingt werden mochte durch die Revolutionsfurcht, die aus Russland in Wien und Berlin geschürt werden könnte. Sowie drittens der andauernde Einfluss Petersburgs auf Deutschland, um dies zu neutralisieren. Viertens sei der mangelnde Wille der deutschen Staaten hinderlich, beeinflußt durch Österreich und Russland, der sich nachteilig auf eine unabhängige preußische Politik auswirke.

In den Gesprächen, die Pourtalès um die Jahreswende in London führte, trat zudem das preußische Interesse hervor, sowohl die Integrität des deutschen Territoriums, als auch die eigenen Küsten vor jedem Angriff gesichert zu sehen. Die Zeit, so die Überzeugung des Berliner Emissärs, arbeite für Berlin. Denn je näher der Krieg mit Russland rücke, desto gewichtiger würde sich die Rolle Preußens im Kalkül Londons gestalten. Dabei bleibe stets zu beachten, dass London, durchaus und jederzeit, mit Wien in vergleichbare Gespräche eintreten könnte. Schließlich ging es um nichts weniger als eine - dieser Begriff erscheint bedeutsam - „entente cordiale“ zwischen Preußen und Österreich. Doch das andauernde Misstrauen zwischen Berlin und Wien ließ eine solche Lösung tatsächlich in weite Ferne rücken. Das ganze Dilemma der unüberbrückbaren Dichotomie zwischen den beiden deutschen Staaten wurde deutlich, als ein englischer Gesprächspartner dieses Thema erneut betonte. Der später so schicksalhaft agierende preussische Botschafter in London, Baron Bunsen, trat dieser These von einem preußisch-österreichischen Ausgleich temperamentvoll entgegen, indem er unterstrich, dass sich gerade Österreich an der  Donau und den Karparthen eine starke Position geschaffen habe, auch und indem, Wien Preußen die Verteidigung Deutschlands am Rhein überlasse. Es handele sich um eine Lebensfrage preußischer Politik betonte Bunsen unüberhörbar. Auch er forderte eine Flotten-Demonstration gegenüber Russland; schließlich schien es immer noch möglich, dass so Russland vom Kriege abgehalten werden könne.

Derartig intime Kontakte zwischen Berlin und London blieben natürlich nicht geheim. So kam es zu einem Gespräch zwischen dem preußischen Geheimgesandten, Pourtalès und dem russischen Vertreter in London. In dessen Verlauf sich lediglich der Versuch Petersburgs herausstellte (am 2. Januar 1854), Preußen von einem Waffengang an der Seite der Westmächte abzuhalten. Das letztlich entscheidende, aber enttäuschende, Gespräch wurde am 3. Januar 1854 mit dem englischen Premierminister Palmerstone* geführt. Aus der Sicht des Preußen ging es zunächst um eine Kooperation mit England und deren Umfang. In erster Linie sah Berlin in Frankreich eine stetige Bedrohung der deutschen Rheingrenze. Diese Sorge konnte Palmerstone nicht zerstreuen, forderte Pourtalès doch verbriefte Garantien. So standen sich nun preußische und englische Interessen offenbar unvereinbar gegenüber. Einerseits plante Berlin einen militärischen Zusammenschluss aller deutschen Staaten, andererseits versuchte der englische Staatsmann dem Preußen Polen anzubieten, eine Kompensation, über welche Palmerstone überhaupt noch nicht verfügen konnte. Somit blieb letztendlich über der Mission Pourtalès eine große Enttäuschung zurück, denn keine der beiden Seiten konnte der anderen genügend Anreiz für den Abschluß eines Bündnisses bieten.

Englischer Pragmatismus, Preußische Doktrin.

Andererseits wurde erkennbar, in London wäre der Entschluss für einen Krieg gegen Rußland gefaßt. Interessant, wie unkompliziert, und quasi “deliberately“ sich eine westeuropäische Demokratie dieses Politikmittels bediente. Werden bislang doch diese Staatsform, und dieser Staat im besonderen, als moralisch so viel höher stehend dargestellt, als zum Beispiel mitteleuropäische Königshäuser. Also durchaus nicht ausschließlich mit Monarchien, Dynastien und Diktaturen ein Zusammenhang bestehen muß, wenn – allgemein gesagt - Kriege entstehen. Es galt nach der Ansicht Londons, den Krieg mit Russland so zu führen, dass am Ende der russische Einfluss auf Europa gebrochen wäre. Preußen sah dagegen eher den Weg dahin in einer „unité militaire“, das heißt einer Zusammenfassung der militärischen Kräfte Deutschlands.

Entscheidend war hier der geostrategische Ort, von dem die preußischen und englischen Positionen entwickelt wurden. Während Preußen auf Frankreich schaute und eine offensive Politik Napoleon III. befürchtete, suchte England möglichst viele Bundesgenossen zu aktivieren, um die Lasten eines Krieges mit Russland nicht allein tragen zu müssen. Dem entsprach die mit den Ansichten Londons unvereinbare doktrinäre preußische Forderung nach Verträgen und Garantien; während London, darin traditionell ganz  pragmatisch, darauf hinwies, da Frankreich mit im Boot sei, wäre zunächst einmal eine Konfliktlage mit Paris kaum vorstellbar.

Da die Kontakte offensichtlich an einen toten Punkt gelangt waren, fand Pourtalès in einem weiteren Gespräch noch einmal die Gelegenheit, die Forderungen Preußens, für den Fall eines englisches Bündnisses, zu formulieren. Am 6. Januar 1854 entwickelt der preußische Gesandte, Lord Clarendon* gegenüber, folgende Bedingungen:

„Il va se dire, que notre attitude entraînait une rupture avec la Russie, nous compterions sur une flotte anglaise pour couvrir notre côtes et protège notre commerce. De même nous devons être rassurés contre tout danger qui nous menacerait de la part du Danemarc. C'est à empêcher que Kiel, Flensb[ur]g. etc. deviennent des entrepots militaires russes et qu'une armée russe ne vienne par cette voie attaquer l'Allemagne.“

Weiter bestand offensichtlich die Gefahr, dass England in den preussisch-österreichischen Antagonismus hineingezogen würde. Preußen bot letztlich an: erstens eine Demarche in Petersburg durchzuführen. Zweitens werde sich Berlin auf eine bewaffnete Neutralität einrichten. Drittens, im Falle des Falles, würde es auch zu einer noch positiveren und aktiveren Kooperation zwischen beiden Ländern kommen können. Allerdings schob Pourtalès - wiederum einschränkend - nach, es gebe in Berlin eine bestimmte Gruppe, die Sympathien und Antipathien in diesen Fällen hege. Er wies damit auf die Kreuzzeitungspartei hin, und damit deren Einfluß auf den König.

Preußische Außenpolitik: Liberalismus gegen Konservatismus.

In Preußen kämpften die Kreuzzeitungs- und die Wochenblatt-Partei um die politische Macht. Leopold von Gerlach, einer der Vertreter der ersteren, wandte sich energisch gegen den Vorbehalt, diese sei einseitig pro-russisch orientiert gewesen. Schoeps wirft der Wochenblatt-Partei vor, sie habe “geradezu den Verdacht ausgesprochen, dass hinter der Heiligen-Allianz-Doktrin der russische Rubel stünde, der bis die Vorzimmer des königlichen Schlosses rolle. Die 'unheilig-heilige Allianz' habe nur den einen praktischen Erfolg bisher gehabt, dass Russland seine moralische Herrschaft bis an den Rhein habe ausdehnen können“.

Es standen sich kontroverse Äußerungen aus verschiedenen Richtungen gegenüber. So sollte das Sprachrohr der Konservativen, die Kreuzzeitungs-Partei, die “Bethmänner“  damit belasten, diese würden ihre Gegner „Spreekosacken“ nennen und diese geradezu beschuldigen, „sie wünschten 'Preußen Rußland gegenüber wehrlos zu machen, damit ein russisches Heer ungehindert nach Berlin gelangen könne, um die Partei [Kreuzzeitung] wieder in den Besitz der Regierungsgewalt zu setzen'“.

Es ging England offenbar darum, den Krieg gegen Russland derart zu führen, dass der russische Einfluss auf Mitteleuropa für längere Zeit nicht mehr spürbar wäre. Doch Preußens Sicht war einseitig auf Frankreich verengt und die Sorge, dieses könne seine Grenzen nach Osten vorschieben. Letztlich lag jedoch der Schlüssel nicht bei Pourtalès, sondern bei Friedrich Wilhelm IV. Der König lavierte weiter zwischen einer Parteinahme für Russland, die am preußischen Hofe seit 1807 Tradition hatte und einer Revision des gesamten preußischen Bündnissystems, die über ein Bündnis mit England eingeleitet werden würde. Dies bildete die Forderung der Wochenblatt-Partei um Moritz-August von Bethmann Hollweg, Josias von Bunsen, Albert von Pourtalès, Usedom,* Niebuhr, von Bonin, Robert von der Goltz*, Gruner*, Geheimrat Mathes* und Jasmund*. Die Spannung stieg auf ein Höchstmaß, was in einem Statement des Kriegsministers von Bonin gegenüber dem Ministerpräsidenten von Manteuffel zum Ausdruck kam. Dieser mahnte:

„Eine Neutralität oder eine Verbindung mit Rußland ist: - der Krieg. Eine Verbindung mit den Westmächten ist: - der Friede. Preußen hat Krieg und Frieden in einer Hand. Es wähle! -“

Die Wochenblatt-Partei glaubte sich 1853 in Berlin am Ziel. Sie befürwortete eine nackte Interessenpolitik, die Bündnisse mit den westeuropäischen Staaten vorsah. Das Übergewicht Russlands müsse im Interesse Preußens und Europas gebrochen werden. Involviert waren hier Vorstellungen, die zwischen 1949 und 1952  Wiederauferstehung feiern sollten. Von Seiten der Kreuzzeitung wiederum schlug Friedrich Julius Stahl 1861 zurück, indem er behauptete, die Wochenblatt-Partei habe während des Krimkrieges deren innenpolitischen Sieg mit Russlands Niederlage zu feiern gewünscht. Zumindest wurde sogar während des Krimkrieges die Aufteilung Russlands diskutiert. Gerlach belastet retrospektiv die liberale Konkurrenz mit der Behauptung, es sei immer mehr hervorgetreten, dass die Liberalen die Bethmänner und die Römer zum Krieg gegen Russland drängten und der Ministerpräsident von Manteuffel sich von ihnen drängen ließ.

Preußisch-Österreichischer Dualismus.

Die Politik Österreichs war offenkundig darauf ausgerichtet, Preußen in einem Bündnis mit Russland festzuhalten. Berlin stand zunehmend unter Zugzwang. Alle Welt erwartete ein entschiedeneres Auftreten Preußens. Schließlich würde eine Neutralität, zudem in Anlehnung an Österreich, die Erfolgsaussichten Russlands steigern. Es fällt auf, wie klar und deutlich erkannt wurde, was offenkundig unter ähnlichen Gegebenheiten vor 1914 nicht bewusst gewesen sein soll, dass nämlich der preußische Handel, in dieser Konstellation, unter englischen Druck geraten würde. Weiter herrschte innerhalb der politischen Führungselite Berlins die Sorge, in Ungarn, Italien und in Deutschland könnten revolutionäre Kräfte wieder das Haupt erheben. Es erstehen zusätzliche Parallelen zur Vorkriegssituation 1905/14. Wie Wilhelm II.* ist auch Friedrich Wilhelm IV. charakterisiert gewesen durch vieles Zaudern und Schwanken, seinen Mangel an Entschlusskraft  und Beständigkeit, den alle seine Minister und Berater zu spüren bekamen. Doch unverändert blieb der König, trotz allen Zick-Zack-Kurses in der Außenpolitik, stets der Idee des Bündnisses der drei miteinander verschwägerten Monarchien verbunden. Er blieb auf das Waffenbündnis der Freiheits-, bzw. Befreiungskriege gegen Frankreich fixiert. Andererseits schwankte der König zwischen der bündnispolitischen West- und Ost-Option. So äußerte Friedrich Wilhelm am 26. Februar 1854,

„das Schlimme sei, daß Rußland unrecht habe [in der Krimkrieg- Situation]; auch sei nicht zu vergessen, daß England ein evangelisches Land sei und mehr Christentum habe als Preußen“.

Doch Bunsen konnte aus London gleichzeitig berichten, Frankreich werde sich auf Seiten Englands an einem Krieg mit Russland beteiligen. So sah er, wenn denn nun „einmal Krieg“ geführt werden müsse, „und die Macht Rußlands unschädlich gemacht werden“ solle, eine „große Vereinigte Flotte das Werk der Zerstörung im Schwarzen Meer“ vollenden. Der Kaiser von Russland habe, „Krieg haben wollen“. Er müsse „also gezwungen werden, die Fürstentümer zu räumen“. England und Frankreich würden nun Preußen und Österreich fragen, wollt „ihr dazu mitwirken, wenn er sie nicht räumen will, oder nicht?“ Wenn Berlin weiterhin ausweichend antworten würde, käme die Antwort aus London: „so seid ihr entweder keine Großmacht oder feindlich.“ Der preußische Botschafter in London ging, nach diesen klaren Worten, noch einen Schritt weiter, indem er sagte, die gesamte englische Politik sei gegen Österreich gerichtet und die Antwort auf ein österreichisches „Nein“ zu einem Bündnis mit England und Frankreich würde „Krieg in Italien“ lauten. Ende des Monats Januar 1854 bestand der König auf einer klaren Antwort Englands, auch hinsichtlich seiner Ansprüche auf das Territorium Neuenburg in der Schweiz, das er als Preis für seine Beteiligung an einem Krieg mit Rußland forderte. Würde nun, was zu erkennen war, Bunsen diese seine Forderung nicht vertreten, so würde er  „die Sache durch Pourtalès besorgen“ lassen, lautete die Antwort des Königs.

Wie nah Berlin vor einem Kriegsentschluß stand, zeigt der Meinungsaustausch zwischen König und Kronprinz. Wilhelm* wurde, als Kommandierender General des VIII. Armeekorps in Koblenz, um „ein militärisches Gutachten“ gebeten. Er konnte seinem König allerdings nur bestätigen, die preußische Armee sei nicht kriegsbereit. Zudem wäre die Wehrorganisation in Preußen seit 1813 derart strukturiert, dass den Soldaten zuvor gesagt werden müsse, wofür gekämpft werden solle. Wilhelm führte aus:

„Bei unserer Kriegsorganisation können wir gar keinen Cabinettskrieg führen, - wir müssen im Stande sein unseren Leuten zu sagen, klar bestimmt 'um was wir einen Krieg führen'“.

Im Einzelnen berührt der Prinz ferner die personellen, funktionalen, finanziellen und logistischen Rücksichten, die zu beachten seien, wenn eine Armee von insgesamt 300.000 Mann ins Feld gestellt werden solle. So konnte sich der König, auch aus übergreifend politischer wie rein fachmilitärischer Sicht, des ungeliebten Themas eines Rußlandkrieges enthoben sehen. Möglicherweise waren damit Alpträume zerplatzt.

Bunsens Plädoyer für den Rußlandkrieg.

Um so mehr sah sich allerdings der Londoner Berater Bunsen ermutigt, nun verstärkt auf ein englisches Bündnis hin zu drängen. Der Botschafter nutzte das Argument der territorialen Expansion, das bei den politischen Führern allgemein zu zünden pflegt, nunmehr sei eine neue „Länderaufteilung in Europa“ zu erwägen. Bunsen schreibt im Januar 1854:

„In einem Augenblick jedoch, wo eine große politische Crise nicht nur die Tatsachen ändere, sondern auch die gesamte Politik umwenden zu wollen scheint, lohnt es sich wohl der Mühe, auch die bestehende Ländervertheilung einer Kritik zu unterwerfen“.

Bunsen fordert einen Plan für die Krise. Doch in London bricht Unbehagen aus. Binnen acht Tagen erwartete Lord Clarendon, der Kontaktmann zwischen den Preußen und der englischen Regierung, eine Entscheidung. Der ansonsten pro-preußische Gesprächspartner agiert unübersehbar ungeduldig. „Binnen 8 Tagen“ erwarte London

„eine Entscheidung … Das Zurückbleiben dieser beiden Mächte [Preußen/Österreich] ... würde eine große Partheilichkeit für Rußland an den Tag legen. Also das Gegentheil einer wahren Neutralität.“

Allerdings warnte der Vertreter Preußens davor, Frankreich zu unterschätzen. Die Ziele des preußischen Königs, hinsichtlich der „Freiheit der Christen“, des „Friedens Europas“, und des Bestrebens, Zar Nikolaus zu „Friedens Vorschläge[n]“ zu bewegen, schiebt Bunsen beiseite und geht direkt auf den Kern des europäischen Problems zu. Er bittet seinen englischen Gesprächspartner, „sich selber zu vergegenwärtigen“, dass Frankreich einen „Plan ... gegen Italien“ habe, und es könne „doch Preußen wahrlich nicht gleichgültig sein, daß Österreich in Italien angegriffen“ werde. Der preußische Botschafter wendet sich temperamentvoll gegen die Verfechter einer wie auch immer gearteten Neutralität Preußens. Er fordert, Preußen und Österreich müssten eindeutig „Stellung beziehen“. Doch andererseits bestünde die Gefahr, dass finanzielle Belastungen durch die Mobilmachung, und Verluste an den Börsen, wie bei „Handel und Gewerbe“, sowie der Schifffahrt, eintreten würden. Offensichtlich neigt Bunsen den „beiden Seemächten“ zu, die ganz anders erschienen, als das „unfreundlich, anmaßend und rücksichtslos“ auftretende    Russland. Die ganze wirtschaftliche Brisanz der Lage wird deutlich, wenn der Botschafter resümiert, bisher sei von „der großen Gefahr“, die von einem „Aufstand im Königreich Polen“ ausgehen würde, noch nicht gesprochen worden.

„Rüstungen im Osten wie im Westen: Millionen außerordentliche Ausgaben, welche neue Lasten notwendig machen: an Anleihen im Ausland ist nicht zu denken. Vertrauen wird sich weder im Osten, noch bei den Westmächten finden“,

schreibt Bunsen an den Ministerpräsidenten von Manteuffel. Zwischen Pro-West und Anti- Ost-Position hin und hergerissen, entwickelt Friedrich Wilhelm IV. daraufhin dem Londoner Botschafter die Grundlinien seiner Politik. Er, der König beabsichtige, zwischen den opponierenden Parteien entschieden neutral zu bleiben.

Mulitipolare Positionen in einem westlichen Bündnis.

Sehr wohl sah der Monarch, dass England den preußischen Handel jederzeit vernichten könne. Jedoch erwartete er in protestantischer Gemeinsamkeit, „das evangelische England“ werde „das evangelische Preußen nicht schwäche[n]“. Andererseits stand er fest zu dem österreichischen Partner, den er „nicht durch die Revolution angreifen“ lassen werde. Friedrich Wilhelm formuliert eindeutig, er erwarte für diesen Neutralitätsdienst „die Garantie europäischen Besitzstandes, die Unantastbarkeit des deutschen Bundesterritoriums“ und durch sein, in der Schweiz gelegenes, Land Neuenburg entschädigt zu werden. Falls aber die Westmächte zum Mittel der Insurrektion greifen würden, um das Zarenreich in die Luft zu sprengen, was Bethmann Hollweg dann 1917 tat, werde er sich mit Wien und Petersburg „auf Tod und Leben“ verbinden.

Irgendwie war die Situation festgefahren. In London wurde gesehen, dass der Krieg letztlich von der Entscheidung des Zaren abhing. Weiter, obwohl ein Waffengang in London durchaus populär war, hätten es die Franzosen vorgezogen, in Italien oder auch am Rhein zu kämpfen. Den deutschen Mächten traute London wenig. Die Gefahr schien real, dass ein Revolutionskrieg die gänzliche Auflösung Mitteleuropas im Gefolge haben würde. Weiter waren sich London und Paris durchaus noch nicht einig und so signalisierte Queen Victoria Berlin, sie wünsche, dass Frieden und Gleichgewicht Europas gewahrt blieben. Die insgesamt labile politische Lage war nämlich verursacht, durch die besondere Persönlichkeit des französischen Kaisers Napoleon III. Würde nun Frankreich England im Krieg mit Russland unterstützen? Bunsen war sich dessen, Mitte Februar 1854, durchaus noch nicht sicher. Dies, zumal immer noch völlig unklar war, inwiefern und inwieweit Österreich sich an den Aktionen gegen Russland beteiligen werde.

Doch am 26. Februar fiel die Entscheidung. Inzwischen waren England und Frankreich gerüstet, und Österreich wie auch Preussen wurden auf der Seite der Westmächte erwartet. Lord Clarendon erklärte im englischen Parlament, Russland stünde jetzt „ein Gewicht moralischer und materieller Macht“ gegenüber, „wie das noch nie in Europa stattgefunden“ habe. Russland und sein Zar hätten einen Krieg zu verantworten, da sie sich allen Ausgleichversuchen gegenüber unzugänglich erwiesen hätten. Demgegenüber handele England im Verein mit Verbündeten, namentlich mit Preußen und Österreich, die sich einen Anspruch auf das Vertrauen Englands erworben hätten. Hier war allerdings zunächst der Wunsch der Vater des Gedanken.

Der Verhandlungspartner Bunsens erklärt bei dieser Gelegenheit klar und eindeutig, Europa stehe „auf der Schwelle wichtiger Ereignisse“. Es gehe um die Lösung einer „lang vorhergesehenen Frage“, nämlich darum, die drohende Machtstellung Russlands „nicht allein gegen die Türkei, sondern das ganze übrige Europa“. Eine Frage der Macht, die offensichtlich über die Zeit aktuell blieb. Lord Clarendon enthüllt detailliert die Absichten Londons. Er führt aus:

„Die Absicht der Großbritanischen Regierung sei unter allen Umständen, das zu tun, was die Ruhe und Sicherheit Europas erheische, der aggressiven und anmaßen Macht Russlands entgegen zu treten, die Integrität des Osmanischen Reiches zu wahren, und sichere Garantien für die Erhaltung des europäischen Friedens zu fordern“ (Hervorh.v.m., B.S.)

Bunsens geheime Denkschrift: die Demontage Rußlands.

Es ging demnach erklärtermaßen darum, die Macht des russischen Reiches zu brechen. Dieses Signal begrüßte der preußische Gesandte in London seinerseits aus ganzem Herzen, war er doch, als Mitglied der Wochenblattpartei, ein strikter Verfechter des preußisch-englischen Bündnisses. Diese Westanbindung Preußens sollte sich bewähren in dem inaugurierten gemeinsamen Waffengang mit Russland. Die Entscheidung Englands veranlasste Bunsen, zu dem Mittel einer großen Denkschrift an seinen König zu greifen, und diesen quasi zu verpflichten, sein Lavieren aufzugeben, und eindeutig für die Westmächte Stellung zu beziehen; kurz, die sich aus diesem Bündnis ergebende historische Gelegenheit zu nutzen, so wie wir es heute sehen. Und er eröffnete seine Argementation in diesem, programmatisch zu nennenden Dokument, mit den Kernsatz, es handele „sich darum, das zu tun was Friedrich der Große*, Pitt*, ja selbst Napoleon* nicht“ hätten „thun können, [nämlich] Russlands Übermacht zu brechen“. Habe ja bereits Pitt von dem „unprecendeted aggrandissement of Russia“ gesprochen, was dazu führe, dass die Freundschaft Petersburgs sicherlich mehr schaden werde, als dessen Freundschaft London nutzen könne.

Das Ganze erhält dadurch einen gewaltsamen Anstrich, dass Bunsen keineswegs verschweigt, wie sehr sich die Situation innerhalb weniger Stunden in London und Paris verdüstert habe. Es herrsche in den westlichen Hauptstädten nunmehr eine Meinung, nämlich „der Zweck des großen Kampfes werde sein, Rußland auf seine natürlichen Grenzen zurückzuweisen.“ Und sein dramatischer Appell an Friedrich Wilhelm IV. verdichtet sich in den Worten: „Jetzt oder nie!“. Es gehe nicht darum, bereitwillig zu wählen, sondern es handele sich um eine „Notwendigkeit“. Als Grund wird die räuberische Politik des Zaren Alexander angeführt, der Preußen eine ganze Provinz und Schweden Finnland entrissen habe. Der jetzige Zar Nikolaus betrachte sich als Diktator Deutschlands. Wer könne das schwere Joch vergessen, unter das Russland Preußen und Österreich zwischen 1817 und 1848 gebeugt habe. Vor der Geschichte würden nicht diejenigen bestehen, die den Kaiser von Russland als „das rettende konservative Prinzip“ betrachteten. Die Leistung der Westmächte, und das wird von dem Diplomaten mit dem Gewicht seines persönlichen Schicksals, bekräftigt, bestünde darin, dass „jetzt oder nie“ die Gefahr für Europa, die russische Übermacht, beseitigt werden müsse. Russland aber wünsche kein starkes Deutschland. Das hätten der Zar und sein Botschafter offen gesagt. Trete Preußen an die Seite Englands und Frankreichs, dann würde das ein solches Gewicht ergeben, dass der Kampf kurz und schnell entschieden werde. Das Bild der kurzen, scharfen Kampagne, jenes der zurückkehrenden, siegreichen Truppen, „wenn das Laub fällt“, findet sich also schon hier, Anfang März 1854. Auch die Überzeugung des “Jetzt oder Nie”.

Bunsens Denkschrift vom 1. März 1854 handelte über „Orientalische Angelegenheiten“. Diese „Geheime Denkschrift“ „für den König“ betraf „Die gegenwärtige Lage und Zukunft des Russischen Reiches“. Der preußische Geschäftsträger in London behauptet darin ohne große Umschweife, „die Türkische Krise“ habe sich „in eine Russische umgewandelt“. Er spricht vom Kampf der Imperien um die künftige Gestaltung der Welt und „die Entscheidung des Weltkampfes“ sei „in diesem Augenblick in die Hände der deutschen Mächte gelegt“. Es handele sich um den Kampf Europas mit Russland, den Bunsen als „Weltkampf“ versteht. Der preußische Botschafter bedauert, Preußen habe „die vorliegende Aufgabe bislang noch nicht in ihrer höchsten Bedeutung“ erfasst. Das sei im Falle von Frankreich und England anders.

Es ginge eben weniger darum, wie bisher an die großen Ziele Englands in Indien und die Eroberungspläne Frankreichs zu denken, als vielmehr an die historische Stunde zu glauben, in der es möglich sei, das zu erreichen, was „Friedrich dem Großen, Pitt und Napoleon nicht gelungen sei; nämlich Russlands Übermacht zu brechen“. London und Paris gehe es darum, „Rußland auf seine natürlichen Grenzen in Europa zurückzuweisen“. Es gehe quasi um eine Restituierung des europäischen Gleichgewichts, zu Gunsten der von Russland geschädigten Mächte. Russland, als Führungsmacht Deutschlands, lehnt er ab und verweist auf die der Außenpolitik Preußens wenig förderlichen Machinationen Petersburgs in der Schleswig-Holsteinischen Frage. Deutschland als Bundesstaat unter der Duldung Russlands, die labile Machtposition Preußens in Europa, alles das ließe sich, durch mutiges Zugreifen, „im Augenblicke der Entscheidung“, korrigieren.

Schon 1854, so zeigt dieses Dokument, ging es darum, die Entscheidung - und damit das kriegerische Vorgehen - kurz, schnell, einschneidend und erfolgreich zu gestalten. Bunsen umwirbt seinen König, indem er ausführt:

„Schließt sich Preußen im gegenwärtigen Augenblicke an die Westmächte und Österreich an, … so legt es ein so entscheidendes Gewicht in die Waagschale, daß der Kampf kurz, die Entscheidung nahe und ohne große Erschütterungen möglich, ja sicher ist.“

Ja, wie 1914, wird für den Kriegsentschluß mit weitreichenden territorialen Überlegungen geworben. Es gehe um „große Veränderungen“. Es müsse, im Zuge dieses “renversement des frontières”, im Norden Schweden die Aaland-Inseln und Finnland zurückerhalten, die russische Herrschaft auf dem Schwarzen Meer gebrochen werden, und nicht allein die Krim, sondern auch Bessarabien, Etusien und Tamien verlieren. Eine neue „Weltdictatur“ solle aber so nicht aufgerichtet werden. Hier solle sich Österreich ausdehnen. Preußen müsse „die polnische Königskrone für sich erstreben. Dafür könne Österreich Galizien und „Preußen auch die polnische, östliche Hälfte des Großherzogtums zum Opfer bringen“. Alles Forderungen, die 1914-16 zwischen Berlin und Wien diskutiert wurden.

Über all dem schwebt jedoch unverändert die preußisch-österreichische Dichotomie. Was Bunsen zu der Forderung veranlaßt, „rechtzeitig in die Schranken“ zu treten, um „nicht gegen Österreich zurückgesetzt [zu] werden“. Der preußische Geschäftsträger sieht Österreich bereits weitgehend aus Deutschland nach Südosten abgedrängt, und fordert, Wien solle auf Böhmen und Mähren verzichten, sich verteidigungsfähige Grenzen verschaffen, und der Tatsache in die Augen sehen, dass man die „Erblande von Deutschland losgerissen“ habe. Preußen, und nicht Österreich, solle „Deutschland beherrschen oder leiten“. Preußens Führung in Deutschland, dieser Traum, wird von  Bunsen hier dem König lebhaft vor Augen gestellt. Eine zentrale europäische Konföderation, nachgerade seherisch vorausgesehen, bestehend aus den „Mittelmächte[n] Europas, Schweden, Dänemark, Holland, Sardinien und Neapel“, diese „eigentümliche Stellung“ Preußens würde es befähigen „sich an die Spitze einer bewaffneten Neutralität zu stellen“, „um zur rechten Zeit entscheidend in den Kampf einzutreten“. Doch diesen Weg bezeichnet der Diplomat als schicksalhaft und falsch. Würden doch die wirklichen Verhältnisse und Verbindlichkeiten dieses auf „die freiere Position der beiden Seemächte“ verweisen, die jederzeit „Einfluß genug“ besäßen, um „andere Mächte entweder für sich zu gewinnen oder ihnen jede feindselige Politik unmöglich zu machen“. Der Londoner Geschäftsträger betont:

„Preußen würde am Rhein wie am Njemen allein stehen, und – allein geschlagen werden: ja schlimmer, es würde fallen ohne Achtung bei Freund und Feind, ohne Bedauern bei Mitwelt und Nachwelt.“

1914/15: Kriegsziele aus der Umgebung Bethmann Hollwegs.

Litten die englischen, französischen, russischen, italienischen und österreichischen Staatlichkeiten unter den verschiedensten immanenten Problemen, so traf dies 1914 ebenfalls für Deutschland zu. Das Reich wurde durch herbe finanzielle Probleme beeinträchtigt, die auf Grund der föderalen Struktur des deutschen Staatenbundes auftraten. Die Rüstungsbereitschaft sei im Reichtag vordergründig immer wieder durch das anwachsende Finanzdefizit eingebremst worden. Stets wird auf Lothar Burchardts apologetisch motivierte Darstellung der angeblich unvollständigen Kriegsvorbereitungen des Reichs (1968) hingewiesen, dessen Bild ex post – ohne Bezug auf das vorherrschende Kriegsbild vom Kurzen Krieg - durch dessen immerwährende Wiederholung nicht richtiger wird. Es bleibt festzustellen, dass die Vorbereitung Deutschlands auf den mit Sicherheit erwarteten Krieg finanziell, wirtschaftlich und militärisch, selbst in der Frage der Volksernährung im Kriege, auf der Höhe des vor 1914 Machbaren stand. Versorgt werden sollte die Armee aus den eroberten Gebieten Belgien, Nordfrankreich, Champagne, Lothringen. Wie dies Friedrich II. 1756 mit der Besetzung Sachsen vorgeführt hatte. Einfach jedenfalls waren die Dinge nicht gelagert. Auch ist die vordergründige Geschäftigkeit der deutschen Industrie, trotz des heraufziehenden Krieges, nicht erhellend für den tatsächlichen Meinungsstand dieser „pressure group“. Schließlich erscheinen die übergreifenden Ziele der deutschen Politik entscheidender, als die Interessen verschiedenster Wirtschaftszweige.

Professor Riezler* dazu am 5. und 6. August 1930:

„Auf meine Frage, von wem die Idee eines mitteleuropäischen Staatenbundes unter deutscher Führung zuerst in die Debatte geworfen worden sei, ob von Roselius*, Mannesmann d.h. von der Wirtschaft oder ob von der Reichsregierung antwortete R. zurückhaltend. Das sei nicht so genau zu sagen; die Idee habe ‚in der Luft gelegen’ und dann – mit offensichtlicher Spitze gegen die Wirtschaft: die Wirtschaftsführer hätten nur imperialistische Ziele verfolgt und hätten sich deshalb hinter die Militärs gesteckt. Falkenhayn* sei politisch [absolut] kindlich-naiv gewesen.“

Im Hintergrund stand stets die Überlegung eines Ausgleichs mit England, dass - entsprechend der vordergründigen Rückwendung des Reichs seit 1904/05 auf das Feld kontinentaleuropäischer Interessen - und der damit verbundenen Reduktion militärischer

Aufwendungen, gleichzeitig sich auch das finanzpolitische Problem lösen würde. Es ging also keinesfalls um ein finales Szenario, sondern es wurden vielmehr die bestehenden Probleme gleichsam in die Zukunft verschoben.

Handelte es sich nun um den großen, patriotischen, deutschen Krieg? Arthur von Gwinner*, der einflussreiche Direktor der Deutschen Bank, ließ durchblicken, einige Persönlichkeiten im Auswärtigen Amt hätten den Ausbruch des Krieges gewünscht. Und gerade der Direktor der Deutschen Bank war in den Entscheidungs-Prozeß bereits in den vorangegangenen Jahren eingebunden gewesen. Demgegenüber hätten die Führer der Industriekonzerne für einen friedlicheren Weg plädiert, nämlich den der Ausbreitung deutschen Einflusses. Kommunikation und Austausch bildeten die leitenden Prinzipien der modernen Welt, so wurde vertreten. Es sollten sich damit die Roethgen, Rathenau, Kirdorf und Stinnes als Protagonisten einer friedlichen Expansion erweisen.

Stinnes* versuchte Class*, den Leiter des Alldeutschen Verbandes, 1912 von dessen Kriegsagitation abzubringen. Diese Interpretation erscheint nach Fischer* allerdings äußerst fraglich. Class führte andererseits aus, falls weitere 3-4 Jahre friedlicher Entwicklung möglich würden, werde Deutschland der unumstrittene Herr Europas werden.

Die Korrespondenzen  Bethmann Hollwegs und Kurt Riezlers mit dem Pressechef des Auswärtigen Amtes, Otto Hammann*, und Walter Rathenau*, dem Leiter der Kriegsrohstoff-Abteilung im Preußischen Kriegsministerium, sprechen demgegenüber, bereits vor dem „September-Progamm“, und zum Teil von der Hand Kurt Riezlers, eine andere, deutlichere Sprache. Kurt Riezler äusserte sich dazu 1930. Er führte unter anderem aus:

„Die Grundidee sei die Schaffung eines mitteleuropäischen Staatenbundes unter Führung Deutschland[s] gewesen. An diesen Bund sollten Frankreich und Belgien durch den Frieden angegliedert werden. Unter Schonung der Souveränität und unter Wahrung der territorialen Integrität dieser Staaten, sollten alle Staaten durch Zollunionen u.a. unter einander einen Block bilden gegen den 'angelsächsischen Wirtschaftsimperialismus’. Die Neutralen hätten diesem Bunde beitreten müssen; es sei ihnen nichts anderes übriggeblieben, da sie ja sofort in die Anhängigkeit dieses unter deutscher Führung stehenden europäischen Wirtschaftsbundes geraten wären. Das Ganze sei jedoch ein Maximalprogramm bei einem deutschen Sieg gewesen. Nur dann wäre es zur Debatte gestellt worden.“ Riezler legt diesen Plan vom August/September 1914 in das Ende „1916 Anfang 1917“.

Die Großherzogin Luise von Baden* wünschte zur Jahreswende 1911/12 dem Reichskanzler:

„Dass es Ihnen gelingen wird unentwegt das große Ziel im Auge die rechte Bahn weiterzuführen zur Wahrung unserer nationalen Ziele...“.

Es erscheint keineswegs gesichert, dass, wie es die nationalkonservative deutsche Historikerzunft lange behauptete, die ausgreifende Kriegszielplanung Berlins erst mit den Erfolgen der Armee im Westen einsetzte.

Ganz im Sinne dieser politischen Grundrichtung der deutschen Forschung äußerte sich der Kölner Historiker Peter Rassow*, Anfang Mai 1961 gegenüber Gerhard Ritter* dahin, Bethmann Hollweg sei keineswegs ein Annexionist gewesen. Vielmehr habe der unter Vorsitz Hans Delbrücks* durchgeführte „Mittwoch-Abend“, der engsten Mitarbeiter des Reichskanzlers, „das Hauptquartier der Anti-Annexionisten“ dargestellt. Er habe „vom   Frühjahr 1915 an angehört“ und könne „bezeugen, wie die Fäden von diesen Kreis zu Bethmann gingen und immer volle Übereinstimmung hergestellt“ worden sei. Rassow ergänzte seine Ausführungen durch eine Anekdote, die ihn 1920 im Gespräch mit dem früheren Pressechef Otto Hammann vorführt. Dieser habe ihm „eines Tages einen Brief von Bethmann“ gezeigt, er „glaube an Jagow*, September 1914, der sehr annexionistisch klang. Hamman[n] fügte hinzu: ‚Wenn solche Briefe nur nicht in die Hand von Historikern kommen! Die können ja nicht wissen, wie taktisch berechnet solche Briefe waren’“. Rassow schloss mit der bezeichnenden Wendung: „Nun ist mit Fischer geradeso ein Mann über dieses Material gekommen".

Ein Moment, das G. Ritter, Mitte des Monats Oktober 1961, gegenüber Paul Sethe*, dem ersten großen Rezensenten des „Griff nach der Weltmacht“ von Fritz Fischer in der ZEIT, eingehend erläuterte. Der Freiburger Historiker schrieb:

„Hiernach habe ich den vorläufigen Eindruck, dass Fritz Fischer, der immer zu radikalen Thesen im Sinn der Angelsachsen neigt, den Sachverhalt in sehr gefährlicher Weise vereinfacht. Man kann nicht, wie er es tut Bethmann Hol[l]weg mit den Annexionisten u. Ludendorff* einfach auf eine Linie bringen. Hans Her[t]zfeld* ist ihm denn auch gleich in der Hist. Zeitschrift entgegengetreten - leider mit etwas unzureichenden Argumenten. Überraschend neu ist nur - soviel ich sehe - die Annexions-Denkschrift, die Bethmann Hol[l]weg Anfang Sept. 1914 an Clemens Delbrück sandte. Man gewinnt daraus den Eindruck, daß er im Hauptquartier vor dem Wendepunkt der Marneschlacht, unter dem Einfluss viel zu optimistischer Berichte des Generalstabs immerhin ernsthaft den Gedanken erwogen hat, Frankreich ein für alle Mal unschädlich zu machen, nachdem er eben erst erlebt hatte, wie katastrophal die militärischen Pläne des Generalstabs durch das russisch-französische Bündnis bestimmt waren - mit der Folge einer vollkommenen Lähmung seiner eigenen politischen Bewegungsfreiheit”.

Der Schulfreund aus Schulpfortaer Jahren, und Berater Bethmann Hollwegs in wissenschaftlichen und kulturpolitischen Fragen, der Leipziger Universalgeschichtler Karl Lamprecht*, erhielt im September 1914 den Entwurf einer umfassenden Denkschrift vom 2. September 1914 zu den nunmehr anzustrebenden Kriegszielen aus der Feder des Wirtschaftswissenschaftlers Hermann Schumacher*/Bonn (Mitbegründers der jüngeren 'Historischen Schule' Gustav von Schmoller (*24.6.1838 in Heilbronn, †27.6.1917 in Bad Harzburg) sowie des Nationalökonomen Adolph Wagner* (*25.3.1835 in Erlangen, †8.11.1917 in Berlin).1 Diese zeigt eine auffallende Nähe zu den Überlegungen im Großen Hauptquartier um Bethmann Hollweg und fällt gleichzeitig bedeutend eingehender aus. Was zeigt, dass die Meinungsbildung dort weitaus umfassender ausfiel, als schließlich im Septemberprogramm vom 9. September 1914 fixiert. Eröffnet wird dieses Dokument, das „Erster Entwurf einer Denkschrift“ genannt wird, mit dem Gedanken:

„der gegenwärtige Krieg muss im Falle eines Sieges, wie die glänzenden bisherigen Waffenerfolge ihn verheißen, einen nationalen Gewinn zeitigen, der den gebrachten Riesenopfern unseres Volkes, die alle bisherigen weit übertreffen, entspricht.“

Diese politischen und wirtschaftlichen Ziele, sollten der Sicherung der deutschen Machtstellung dienen. Diese sei vor allem gegenüber England auszubauen (3.). Das, was der Generalstabschef Moltke* bereits in seinem Aufmarschplan aus dem Januar 1913 unterstrichen hatte, dass nämlich Deutschland, der britischen Insel gegenüber, am Kanal eine Machtposition zu gewinnen habe, wird hier wiederholt. Es findet sich erläutert:

„Für sie ist unerlässlich, unsere Meereslage zur englischen Inselwelt zu verbessern. In den  Seehäfen, die wir der englischen Küste und der Themsemündung gegenüber zwischen der Somme und der holländischen Grenze besitzen, müssen wir durch Erwerb oder Vertrag eine feste Stellung von Dauer uns schaffen, die nicht durch Widerstände offener oder versteckter Art beeinträchtigt werden kann.“

Weiter wurde gefordert, England auch die Kontrolle des Mittelmeeres streitig zu machen. Die „englische Stellung im Mittelmeer“ sei

„dadurch zu schwächen, dass wir an seinem westlichen Eingang, Gibraltar gegenüber, durch Erwerb von Marokko oder mindestens seiner Nordhäfen, festen Fuß fassen, sowie Tunis an Italien als Preis für seine Neutralität von Frankreich abtreten lassen.“

Dass damit keineswegs die Verlagerung auf eine einseitige Kontinentalpolitik verbunden sein würde, lässt sich daran ablesen, dass mit Hilfe einer Kriegsentschädigung, welche mit dem Friedensschluss zu fordern sei, „die Wiederherstellung und der Ausbau der [deutschen] Kriegsflotte auf erweiterter Grundlage“ anzustreben wäre.

Ferner sei Frankreich „unschädlich zu machen mit allen Mitteln, welche die Rücksicht auf die gesunde Entwicklung“ der „inneren Verhältnisse“ Deutschlands gestatte. Eine Überzeugung von Hitler* und Goebbels* im August 1939. Von besonderem Interesse erscheinen die näheren Bestimmungen zur geplanten künftigen Westgrenze des Reichs. „Selbstverständlich“ sei es daher zunächst, so die Formulierung, die „Westgrenze von Lüttich bis Belfort durch Festhalten eroberter Gebiete strategisch“ zu verstärken, „soweit das militärische Bedürfnis“ dies verlange, „und der Zuwachs an französischer Bevölkerung mäßig“ bleibe. Weiter müsse „Frankreich in seiner weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Geltung geschwächt werden“. Das geschehe

„bereits durch die mit Rücksicht auf England geforderte Minderung seines territorialen Bestandes an der Nordsee und am Mittelmeer, sowie durch die Auferlegung einer schweren Kriegsentschädigung.“

Damit solle „die Entwicklung einer lebensstarken ‚schweren’ Industrie“ verhindert werden. Auch sei das französisch-russische Bündnis (von 1892) zu sprengen.

Zu Russland wird formuliert, die deutschen Ansprüche müssten „massvoll“ ausfallen. Es sei „die Möglichkeit einer späteren Verständigung offen zuhalten (Lamprecht bemerkt dazu: ’ausgeschlossen Rassengegensatz’). Es wird betont:

„Russland darf nicht, wie Frankreich, in seinem Lebensnerv getroffen werden. Es dürfen ihm daher höchstens Gebiete entzogen werden, die nicht zum eigentlichen Russentum gehören. Auch muss das Streben stets darauf gerichtet bleiben, den Gegensatz zwischen Russen und Polen in alter Schärfe zu erhalten und nicht etwa das Gegenteil sich wandeln zu lassen.“ (Hervorh.v.m., B.S.)

Der Verlauf der künftigen deutschen Ostgrenze war bereits weitgehend fixiert. Diktiert schien dieser durch das „Bedürfnis eine Verbesserung der bisherigen ungünstigen Grenze“ zu erreichen. Die Einzelheiten seien „natürlich durch militärische Sachverständige festzustellen“. Es herrschte die Anschauung, eine „Grenzlinie“ zu ziehen, die

„etwa vom Treffpunkt der drei Grenzen im Südosten Schlesiens zunächst - den Grenzfluss des Gouvernments Petrikau etwa bis Thomaschew verfolgend - bis Nowo Georgiewsk am Einfluss des Narew in die Weichsel, von dort weiter im Tale des Narew und seines Nebenflusses Bobr bis   17 Grodno und endlich von dort, Wilna und Dünaburg ausserhalb liegenden lassend, an die Düna und weiter nach Norden an den Rigaer Meerbusen östlich von Riga“(Ebd., Bl. 5)

verliefe. Als Vorteile wurden zusammengefasst:

„a) Die neue Grenzlinie ist kaum länger als die bisherige und dürfte auch strategisch den Vorzug verdienen.

b) Sie schafft uns die Möglichkeit, in der östlichen Hälfte der Ostsee einen Kriegshafen zu bauen, von dem aus wir die russische Ostseeküste mit Petersburg bedrohen können.

c) Sie gliedert uns Gebiete an, in denen das Deutschtum bereits bisher eine große Rolle spielt. Bei Lods, das so oft ‚eine deutsche Industriestadt’ genannt worden ist, befindet sich eine größere deutsche Oase und die ungefähr 5000 deutschen Kolonien, die im russischen Weichselgebiet vorhanden sein sollen, ‚besetzen hauptsächlich den nordwestlichen Grenzstreifen’, der Deutschland mitangegliedert werden würde.

d) Das neue Gebiet würde insbesondere, außer einigen Festungsstädten, wie vor allem Kowno und Grodno, keine große Stadt umfassen, in der nicht das Deutschtum geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich eine Vorzugsstellung beanspruchen könnte. Riga war bekanntlich ganz eine deutsche Stadt und die Industriestädte in südwestlichen Polen danken nur deutscher Arbeit und deutschem Kapital ihre Blüte.

e) Wichtiger ist aber, dass sich auf die dargelegte Art auch für die Zwecke der inneren Kolonisation ein Tätigkeitsfeld gewinnen lässt, dass an Ausdehnung Ost- und Westpreußen bedeutend übertrifft. Mit Ausnahme des Lodser Industriegebiets scheint hier auf dem Boden Russisch-Polens die Bevölkerung nicht dicht zu sein und noch schwächer ist das Land der katholischen Littauer in den Gouvernements Suwalkie, Kowno und Wilna, sowie der protestantischen Letten in Kurland bevölkert. Schon an sich ist Raum für eine grosszügige Besiedlung mit deutschen Kolonisten vorhanden. Er muss aber - worauf noch zurückzukommen ist, [...] - künstlich noch beträchtlich vergrößert werden, damit aus unserem Bevölkerungsüberschuss hier ein starkes Germanenbollwerk geschaffen, dem Zuwachs an Industrie auch ein Zuwachs an Landwirtschaft gegenübergestellt und damit das politische Gleichgewicht gewahrt, die Volksernährung weiter verselbstständigt und eine Versorgung mit ländlichen Arbeitern vom Ausland emanzipiert werde.“ (Ebd., Bl. 6)

Russlands „künstlicher Freundschaftsbund“ mit Frankreich sei „möglichst zu sprengen“. Französische „Revanchelust“ und „russisches Geldbedürfnis“ hätten sich darin bislang verbunden. Diese „finanziellen Bande“ seien möglichst zu lösen. Doch sei anzunehmen, dass die „Geldfonds“ der russischen Zentralbanken, durch den Krieg, inzwischen geschwächt seien. Russland sei bei Kriegsende so in finanzielle Verpflichtung zu nehmen, dass ein starker „Kurssturz seiner Staatspapiere“ eintrete. „Ein solcher völliger oder teilweiser Staatsbankrott würde das besiegte Frankreich schwerer treffen, als alle anderen Länder zusammen. Es würde ihm für lange Zeit die Lust, vielleicht auch die Kraft nehmen, auf weitere finanzielle Abenteuer Russland gegenüber sich einzulassen.“ Sollten Frankreich und England als mögliche Geldgeber Russlands ausscheiden, wäre „für Deutschland der Augenblick gekommen, als finanzieller Retter [Lamprecht: „?“] in der Not der grossen Nachbarn zu nahen.“ Ziel wäre es, die momentan in Petersburg „unterlegene Friedenspartei Kriwoscheins“ zu „stützen und ... entwicklungsfähige Beziehungen zwischen Deutschland und Russland“ anzuknüpfen. „Als Preis für seine Neutralität“ sollte Schweden Finnland zurückerhalten [Lamprecht: „Schweden will Finnland nicht“], und sich verpflichten, „eine Kolonisation grossen Stils“ durchzuführen und dadurch dem „Germanentum Europas“ derart zurückgewonnenes Gebiet erhalten.                       

An eine Wiederherstellung Belgiens, in der alten Form, sei nicht zu denken. So wird betont:

„Lebensinteressen Deutschlands verlangen, dass wir die eroberten Stellungen an der Meeresküste, sowie an unserer bisherigen Grenze in Lüttich und wohl auch den Namur behalten. Aber auch sonst ganz allgemein dürften politische und, wie später darzulegen ist, [...] auch wirtschaftliche Gründe gegen die Wiederherstellung des belgischen Staates sprechen.“

Begründet wurde diese Maßnahme mit der zu erwartenden Gegnerschaft eines künftigen Belgien, das „noch fanatischer als bisher mit Frankreich gegen“ Deutschland arbeiten werde. Es sei ferner zu erwarten, dass Belgien, „durch sein blosses Dasein“, die weltpolitische und weltwirtschaftliche „direkte Schwächung Frankreichs“ wieder aufwiegen werde. Was solle nun, so wird gefragt, mit Belgien geschehen? Weder forme der westliche Nachbar Deutschlands als Staat „eine natürliche Einheit“, Noch sei dessen Bevölkerung kulturell als homogen einzustufen. „Nach Abstammung und Sinnesart“ aber gravitierten die, im Norden siedelnden „Vlamen“ ... nicht nach dem romanischen Westen, sondern nach dem germanischen Osten“. Es bilde daher die Aufgabe der deutschen Verwaltung, „die Vlamen aus den unwillig ertragenen Banden des Romanentums zu befreien und dem Germanentum wieder zu gewinnen“. Das bedeute aber „nicht, Flandern dem Deutschen Reiche einzuverleiben“. Ausführungen zu einer beträchtlichen inneren Distanz der katholischen Flamen Deutschland gegenüber, und daraus möglicherweise entspringenden Konflikten, quittiert Lamprecht am Rande mit einem Fragezeichen. Aus diesem Grunde müsse Deutschland diesem „kleinen, festabgegrenzten germanischen Stamm“ als Befreier gegenübertreten. Von einiger wirtschaftlicher Bedeutung seien für Deutschland lediglich die „zur See erreichbaren Städte Antwerpen und auch Gent“. Als Richtlinie für die Ausgestaltung des deutsch-flandrischschen Verhältnisses wird festgehalten:

„Unsere politischen und wirtschaftlichen Interessen können ausreichend durch Konventionen befriedigt werden, die uns ein Besatzungsrecht in bestimmten Städten, sowie maßgebenden Einfluss, wie in Luxemburg, auf die auswärtige Politik, insbesondere die Zollpolitik sichern. In der inneren Politik muss dagegen möglichst weitgehende Selbstständigkeit für Flandern erstrebt werden. Zwischen Deutschland und Flandern muss hier im Interesse beider Länder eine scharfe Scheidelinie gezogen werden“.

Schumacher zog für die flämischen Landsteile eine staatsrechtliche Lösung heran, die zwischen jener Luxemburgs und der einer preußischen Provinz liegen würde, etwa „einer ‚self governing colony’ des  Britischen Reiches“ vergleichbar. In diesem Zusammenhang gewinnen die Abtretung nordfranzösischen Gebietes, und die Inbesitznahme von Bodenschätzen durch Deutschland, die im Septemberprogramm Bethmann Hollwegs  von 1914 eine Rolle spielen sollten, offensichtliche Bedeutung. Es wird näher ausgeführt,

„dass Flandern auch das von Flamen bevölkerte Grenzgebiet Frankreich (bis zur Aire und Dünkirchen) angegliedert und ausserdem auf abgetretenem französischem Boden die Ansiedlung der Überschussbevölkerung des belgischen Flandern ermöglicht wird...“.

Bevölkerungspolitisch sei zu erreichen, die „Vlamen“ sich „vom Romanentum dem Germanentum zu[zu]wenden“. Demgegenüber seien die Wallonen, „in Zukunft noch mehr als bisher“ Frankreich zugewendet. Diese könnten allein „durch eine Machtpolitik beherrscht werden“. Bis ins Einzelne wird die Aufteilung des wallonischen Siedlungsraumes entwickelt. So wurde erwartet,

„das südliche Gebiet der Wallonen, die belgische Provinz Luxemburg, mit Teilen der Provinzen Namur und Lüttich, vielleicht sogar bis zur Maaslinie, an das Grossherzogtum Luxemburg“

anzugliedern. Außerdem seien die Wallonen, „in  möglichst grosser Zahl zur Auswanderung zu veranlassen“. Hierbei sollten die bereits erprobten Mittel der Beherrschung, Enteignung, Kolonisation und Nationalisierung, wie die Durchdringung durch die Großindustrie, analog zu Lothringen und Luxemburg, unterstützend wirken. Anders als 1870/71 sei hierbei auf die Vermischung „mit fremden Elementen, wie Italienern und Polen, wie auch auf die Landokkupation und die politische Herrschaft, in Kombination mit der Enteignung, zu setzen. Hierbei wurde als leitendes Prinzip „divide et impera“, teile den Staat Belgien in die sich konkurrierenden Wallonen und Flamen - und beherrsche diesen auf diese Art.

„Für die praktische Arbeit des Friedens“ sei „das Privatrecht noch wichtiger als das Staatsrecht“. Es sei die Aufgabe bei einem künftigen Friedenschlusse, „nicht nur unbegrenzte politische, sondern auch unbegrenzte wirtschaftliche Verfügungsgewalt über das abgetretene Gebiet zu bekommen“. Zum Prinzip wurde erhoben:

„Wir müssen also seinen Produktionsmitteln, seinem Boden, seinen gewerblichen Anlagen und Verkehrseinrichtungen, in unserem nationalen Interesse, wenn nicht ganz, so doch überwiegend, frei schalten und walten können. Mit der Abtretung der Herrschaftsrechte muss daher eine Enteignung Hand in Hand gehen.“

Der Börsenkrach von Wien (1874), der die Aufbauarbeit des neuen Reichs nach dem Friedensschluss von Frankfurt beendet hatte, lehrte Schumacher 1914, auf eine Kriegsentschädigung dieser Form zu verzichten, da diese „ungünstig auf die Volkswirtschaft des siegreichen Empfängerstaates“ einwirke. Ungesunder „Spekulantengeist“ sei „in alle Zweige positiver Arbeit“ eingedrungen und habe, neben „grossen künstlichen Wertverschiebungen Störungen“ hervorrufen, „die in ihrer Ausdehnung und Tiefe schwer“ vorauszusehen seien. Ein „Kriegsschatz[es] von fünfhundert Millionen Mark, [2] Mittel zum Neu- und Ausbau“ der Flotte“, ein „Fonds zur Versorgung der Kriegsinvaliden und“ Gefallener, sowie „zum Ausbau“ des „Kabelwesens“ und der „Nachrichtendienste[s]“, der „innere[n] Kolonisation“ und „für Enteignung in neuerworbenen Gebieten“, wurden als Verwendungszwecke für in Geldform entrichtete Kriegsentschädigungen ins Auge gefasst [Lamprecht vermerkt am Rand: „“Die ganze Darstellung ist durchaus einseitig wirtschaftlich, höhere Gesichtspunkte ... nicht berücksichtigt. ...sind anscheinend unbekannt“).

Die Zusammenfassung der herben finanz- und geldpolitischen Erfahrungen von 1870 gipfeln in der Bemerkung:

„Wo aber eine der ein Bedarf nach baren Zahlungsmitteln überhaupt nicht vorliegt, ist die Kriegsentschädigung gewissermaßen in Naturalien zu leisten: In Grund und Boden, gewerblichen Produktionsanlagen oder ihren Aktien, Eisenbahnen u.Ä..“

Stattdessen sollte „der besiegte Schuldner“, so Schumann, die zu zahlenden Mittel „zur Enteignung [Lamprecht: „Gut“] seiner bisherigen Untertanen“ verwenden. Dies mit dem Ziel, dass Deutschland damit „in diesen blutig erkämpften Gebieten wirklichen Kolonisationsboden“ und einen „Zuwachs an wirtschaftlicher Kraft“ wie einen „Zuwachs an nationaler Macht“ gewänne. [Lamprecht: „? Polen! Italien! Nationale Macht wir hoffen  indes nur mit geistigen Mitteln gewonnen...“.]

Schumacher will das Aktionsmittel der „Enteignung“, bezogen auf Frankreich, dann eingesetzt sehen, «wenn durch ihn [Landerwerb] die Entwickelung einer grossen Eisenindustrie unmöglich gemacht“ werde. Denn in concreto bedeutete das:

„Daran haben wir politisch wie wirtschaftlich ein gleich großes Interesse. Wir müssen daher von Frankreich zunächst die unmittelbar an unserer Grenze gelegenen reichen Eisenerzlager, die schon 1871 nur durch einen unglücklichen Irrtum uns entgangen sind, fortnehmen. Das sind die Becken von Briey, Crusnes und Longwy, die weit reichere Vorräte an Eisenerz enthalten, als wir in Deutschland besitzen. Hinter sie tritt das Becken von Nancy ... so außerordentlich zurück, dass wir darauf, meiner Ansicht nach, unbedenklich verzichten können.“

Lamprecht pflichtete ihm durchaus bei, wenn er ausführte, „grosse Städte mit rein französischer Bevölkerung, wie Nancy und auch Luneville“ sollten nicht erworben werden. Schumacher schloss an,

„denn wir können sie national nicht verdauen.“

Lamprecht merkte an: „Richtig“. Stattdessen bildete es das Prinzip des Wirtschaftswissenschaftlers, um die politischen Nachteile zu vermeiden, und alle „wirtschaftlichen Vorteile“ zu sichern, sich ganz auf den „Erwerb der Felder mit den meisten und reichsten Erzen“ zu konzentrieren. Selbst eine „Vollständigkeit des Besitzes“ sei nicht vonnöten. Um allerdings volle Verfügungsgewalt zu erreichen, sei es unabdingbar notwendig, dass „die französische Regierung zur Enteignung gezwungen“ werde. Das hieß, auch „die Aktien aller grossen dort tätigen, nicht deutschen Unternehmungen“, seien auszuliefern [Lamprecht merkt an: „?“].

In diesem Zusammenhang erhält die Annexion, oder das sogenannte „In-die-Hand-Nehmen“, der nördlichen Provinzen Frankreichs, mit den üppigen Kohlegebieten, eine besondere Bedeutung, die weit über das politisch-wirtschaftliche Argument, und auch den militär-strategischen Hintergrund des Krieges hinausgreift. Schumacher faßt dieses Element deutscher Kriegsplanung konzis zusammen:

„Wie durch die Fortnahme dieser Erzfelder Frankreich empfindlich geschwächt und unsere wirtschaftliche Kraft bedeutend gehoben wird, so ist gleiches zu erstreben im Norden beim zweiten Hauptrohstoff des wichtigsten heutigen Industriezweiges, der Kohle. Etwa zwei Drittel der französischen Kohleproduktion entfällt auf die Nord-Ost-Ecke Frankreichs, die gebildet wird durch das Departement du Nord und das Departement de Calais. Da wir aus dargelegten Gründen zur Sicherung unserer Existenz die Küste dieser beiden Departements in unserem festen militärischen Besitz behalten müssen, ergiebt es sich fast von selbst, dass wir auch auf die Kohlenindustrie dieser Gebiete, die eine Fortsetzung des wallonischen Industriebezirks in Belgien darstellen, die Hand legen.“ [Lamprecht: „Mag richtig sein“]

Den „westliche[n] Hauptteil“ beansprucht Schumacher entsprechend und überweist diesen der „Grossindustrie“, die diesen zu „erobern“ habe. Gleichwohl sei über die Kriegsentschädigung wiederum der Besitzwechsel „in der Form von Aktien bestimmt bezeichnete Unternehmungen“ vorzubereiten. Frankreich sei aufzufordern, diese Enteignungen selbst durchzuführen.

In den wallonischen Gebieten Belgiens habe ein analoger Akt stattzufinden. Lediglich in 21 Flandern lägen die Verhältnisse etwas anders. „Hier müssen wir in Antwerpen und in Gent bestimmte Hafen- und Industriegebiete als freies Eigentum uns ausbedingen“, entwickelt Schumacher. Außerdem müssten „auch hier, ähnlich wie im industriellen Südbelgien diejenigen grossen Unternehmungen, deren Leitung ganz in französischen Händen“ liege, „enteignet werden“.

Die Ausführungen Schumachers zu Russland treffen im Folgenden grundsätzlich nicht mehr auf die Zustimmung Lamprechts. Wie dieser am Rande bemerkt, würde der vorhandene Raum dafür nicht genügen. Der Bonner Wirtschaftswissenschaftler fasst hier zusammen:

„Was endlich Russland anbelangt, so spielt die Enteignung auch hier eine grosse Rolle. Einmal kommt sie auch hier für die grosse Industrie in Betracht. Auch hier sind die Aktien der großen einflussreichen Unternehmungen, die von Belgiern und Franzosen betrieben werden, als Kriegsentschädigung in der dargelegten Weise zu zahlen. Dem steht hier im Osten die innere Kolonisation an Bedeutung weit voraus. Aus den mancherlei Gründen, die schon dargelegt wurden, sind hier möglichst weite Gebiete für deutsche Ansiedler freizumachen. Das ist für uns wirtschaftlich und politisch das Wichtigste gegenüber Russland.“

Da im Kriegsverlauf mit dem Verlust der deutschen Kolonien zu rechnen war, unterbreitete Schumacher einen detaillierten Entwurf, welche „zukunftsreichen“ Kolonien zu erwerben seien. In enger Verbindung mit dem deutsche Operationsplan, für den Krieg gegen Frankreich, ist das Ziel zu verstehen, die „belgische Kongokolonie“ zu erwerben. Um so mehr muss der Ausspruch Bethmann Hollwegs gegenüber Goschen, vom 2. August 1914, es werde lediglich das Durchmarschrecht durch Belgien benötigt; nichts werde annektiert werden und die deutschen Truppen würden, nach dem Sieg über Frankreich, auf die früheren Grenzen zurückgehen, als bloße Finte betrachtet werden. Schumacher konkretisiert:

„ Sie[die belgische Kongokolonie] muss zum wichtigsten Haupt- und Mittelstück unseres afrikanischen Besitzes ausgestaltet und möglichst mit unseren alten Kolonien an der Ost- und Westküste zu einer geschlossenen Einheit verschmolzen werden.“

Grosse Teile der französischen Kongokolonie zog er sogar nicht näher in Betracht. Aus „politische[n] Gründe[n]“, was immer dies heißen mochte, forderte er die „Festsetzung“ Deutschlands in Marokko. Ja, gegen Ende seiner Überlegungen, schließt Schumacher sogar noch weiter ausgreifende Ziele ein; nun gegenüber England; diese seien schließlich nach einem Sieg über das Inselreich zu verwirklichen. Der Bonner Wirtschaftswissenschaftler formuliert:

„Sollten wir endlich England gegenüber einem Sieg erringen, der uns die Beanspruchung eines kolonialen Siegespreises ermöglicht, so dürften an erster Stelle die ehemaligen Burenstaaten mit Rhodesien zur Verbindung mit unserem übrigen Kolonialenbesitz und an zweiter Stelle Singapore und Ceylon in Frage kommen.“

Der politische Erdrutsch in Berlin.

Mit den excessiven Annektionszielen gegenüber Russland widersprach Bunsen jedoch frontal der Politik König Friedrich Wilhelm IV. Der Gesandte stellt sich damit eindeutig auf die Seite des Bündnisses mit den Westmächten und auch der Konfrontation mit     Russland. Mit dieser Denkschrift, deren Forderungen, deren inhärente Quasi-Nötigung des Königs, verbanden sich weitere Vorstöße von Mitgliedern der Wochenblatt-Partei, wie zum Beispiel Albert von Pourtalès'. Das führte zu einem Machtkampf zwischen den Parteigängern der Wochenblatt-Partei und der den König umgebenden, „russisch“ geprägten Kamarilla. Die Diskussion um die Pro-West- oder Pro-Ost-Orientierung der preußischen Außenpolitik überschritt damit deren Kulminationspunkt. Der Versuch, Friedrich Wilhelm das englische Bündnis abzupressen, scheiterte. Damit trat in Berlin ein schicksalhafter politischer Erdrutsch ein.

Der damit verbundene Verlust des liberal-konservativen Elementes in Preußen sollte eine nicht gering zu schätzende Langzeitwirkung auf die preußisch-deutsche Geschichte ausüben. Mit der Ablehnung des englischen Bündnisses konnte Bunsen fragen, wo nun Preußens „Stellung in Europa“ und Deutschland bliebe. Die Entlassung der Wochenblattmitglieder aus den preußischen Ämtern sollte diplomatisch-politisch die  Wirkung eines verheerenden Flächenbrandes entwickeln. Das kündigte Bunsen dem eher traditionell „russisch“ tendierenden Ministerpräsidenten von Manteuffel an. Lord Clarendon hielt dem preussischen Botschafter dementsprechend auch vor, Preußens

„Heer, das wisse man, könne in 14 Tagen jeden Einfall unmöglich machen. Außerdem rücke jetzt Österreich mit 150.000 Mann heran, an die Donaulinie. Am meisten aber aber hin betrübt, … daß Eure Exzellenz noch von der 'türkischen Frage' … sprächen. Er wolle sagen, es sei nicht allein eine europäische Frage, sondern besonders eine deutsche, und wieder insbesondere eine preußische Frage. Preußen solle sich nicht verhehlen, daß seine Freunde für es zitterten: seine politische Bedeutung, als erste deutsche, und größte protestantische Macht des Festlandes stehe auf dem Spiel. Er spreche als Engländer, als Protestant, als Freund. Österreich habe Preußen überflügelt: noch sei es Zeit anzuknüpfen an alles Gethane. Der Krieg könne nicht lange dauern: ... es werde nicht mal zweier Feldzüge bedürfen«. (Hervorh.v.m., B.S.)

Und es wurde eindringlich gewarnt, des Königs „guter Name steht[e] auf dem Spiele“. Nun, Bunsen war entmachtet. Er hatte, angesichts

„dem erneuten Russischen Druck auf Berlin, motu proprio den Kriegsschutz der englischen Flotte in der Ostsee u[nd] zum Schluß die preußische Erwerbung der russischen Ostseeprovinzen sehr [zu] deutlich zwischen den Zeilen verlangt[e]“. (Hervorh.v.m., B.S.)

Das war, aus der Sicht Friedrich Wilhelm IV., zu viel. Damit war die russische „Präponderanz an der Spree“ wiederhergestellt „u[nd] befestigt“, sowie der Versuch, „Preußen u[nd] den König unanhängiger von Russland zu stellen, völlig gescheitert“. Preußen sah sich zunehmend in der Gefahr, in ein „zemtraleuropäisches Kriegstheater“ hineingezogen zu werden. Einmal „auf der Heerstraße zwischen Ost und West“ gelegen,  zweitens, wenn Polen, der wohl verwundbarste Teil Russlands, von den Westmächten angegriffen werden sollte, und wenn Preußen sich weiter neutral hielte, würden die anderen Mächte keine Veranlassung haben, würde der Kriegsschauplatz nun an der Donau, der Newa oder am Rhein liegen, noch auf Berlin Rücksicht zu nehmen. Bis Mitte des Monats März 1854 klärte sich der Kriegswille Englands und Frankreichs bis zu einem Kriegshilfevertrag mit dem Osmanischen Reich. Gleichzeitig verstärkte sich der französische Druck an der Rheinlinie und gegen Ende des Monats schien es möglich, dass Paris auf Berlin marschiere.

Dem Londoner Geschäftsträger war zum Vorwurf gemacht worden , er habe „einen Plan zur Vergrößerung Preußens auf Kosten Rußlands zur Sprache gebracht“. Ja, es sei sogar „ein Abkommen getroffen“. Bunsen verwahrte sich dagegen, „Gebietsabtretungen       Rußlands zugunsten Preußens“ betrieben zu haben.

Die Genesis des englischen Kriegsentschlusses.

Demgegenüber aber sei es ihm darum gegangen zu betonen, Preußen möge sich über den Zweck eines Krieges deutlich äußern, und, wie die Dinge lägen, hätte nicht Preußen sondern England und Frankreich sich zu erklären. Ihm, Bunsen, habe der Prinzgemahl Albert*, bereits vor circa sechs Monaten, mitgeteilt was geschehen würde. Eben dies habe der Prinz auch gegenüber dem Prinzen von Preußen geäußert. Nach wie vor geht es um „Vorschläge“ und „Verhandlungen über Gebietserweiterung“, die der Botschafter eigenmächtig geführt haben soll. Weiter soll es in Berlin ein Leck gegeben haben, denn seine Berichte aus London seien in der russischen Botschaft aufgetaucht. Schließlich gibt Bunsen zu wissen, im Oktober 1853, das Osmanische Reich erklärt Russland den Krieg,  habe er auf Schloss Windsor, aus der Hand Palmerstones den Plan der Westmächte gelesen, wie mit Russland verfahren werden solle. Damals sei allerdings noch nicht an Preußen gedacht gewesen. Aber, an anderer Stelle bemerkt der Gesandte, es sei offenkundig

„der Beschluss der Westmächte [gewesen], im Interesse europäischen Gleichgewichts, eventuell zu einer Gebiets-Verringerung Rußlands alle Kräfte aufzubieten“.

Und, in einer speziellen Denkschrift, deckt der Diplomat die Hintergründe schließlich vollends auf. Danach habe, im November des Jahres 1853, auf Schloss Windsor, der Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, und Prinzgemahl der Queen Victoria, ihm, „im strengsten Vertrauen, vier Denkschriften über die orientalische Frage“ vorgelegt. Diese stammten von Prinzen Albert, und den Lords Aberdeen*, Russell* und Palmerstone. Lord Palmerstone habe „die Idee eines Austausches der Lombardei gegen die [Donau-] Fürstentümer“ vertreten. Im Monat Februar habe Prinz Albert ihm, Bunsen, mitgeteilt,

„der ursprünglich von Lord Palmerstone vorgeschobenen lombardisch-wallachische Plan, sei er von dem englischen Ministerium erwogen, und vorläufig angenommen worden. Nun aber werde dieser Plan von Paris dringend vorgeschlagen, und es seien alle Minister einig, über die Notwendigkeit seiner Annahme und Ausführung.“

Am 24. Februar habe Lord Clarendon eine Entscheidung gefordert und sich über die „Grund-Idee des Operations-Planes“ ausgelassen, „falls es zum Aeußersten kommen sollte“. Er, der preußische Gesandte in London, habe also lediglich, wie es seine Pflicht war,  über den „Beschluß der Westmächte“, berichtet, „im Interesse europäischen Gleichgewichts, eventuell zu einer Gebiets-Verringerung Rußlands, alle Kräfte aufzubieten“.

Nun, Bunsen bestätigt, dass „'Eroberungs-Pläne' der Westmächte seit dem Monat November 1853 kursieren. Er nun habe eine nähere Erklärung Englands dazu vermitteln wollen. Lord Clarendon habe sich, nachdem die Absprachen mit Frankreich getroffen seien, dafür bereit erklärt, und angekündigt, „in diesem Falle, nichts ohne Preußens Einwilligung thun“ zu wollen. Darüber, und über nichts anderes, habe er, Bunsen, nach Berlin berichtet. Seine Formulierung lautete:

„Preußen welches von dem unmittelbaren Kampfplatz an der Donau entfernt ist, und seine Ostgrenze offen hat, gegen Rußland, das mit einem starken Heere, schlagfertig in Polen steht, kann an den ersten Kriegs-Operationen nicht teilnehmen, und darf nicht gedrängt werden, während England und Frankreich zur See, und Oesterreich, - die angenommen wird – an der Donau einschreiten.

Dazu wirbt der Londoner Geschäftsträger beim Prinzen Wilhelm für „eine ehrgeizigere Politik für Preußen und dafür, die „bestehenden Einflüsse“ auf den König zu koordinieren und mit „strengerer Disziplin, Verschwiegenheit und Muth, sowohl gegenüber dem Auslande als namentlich gegenüber einer öffentlichen Meinung zu handeln, der man die letzten Zwecke nicht von Haus aus mitteilen“ könne. Bunsen warnt den Kronprinzen vor „eine[r] gefährliche[n] Zukunft“ und verharrt somit auf den Zielen, die er zunächst widerrufen hatte.“

Der Zweck des Rußlandkrieges.

An anderer Stelle konstatiert der Diplomat noch einmal, „die Westmächte“ hätten

„nicht allein mehr die Absicht, um der Integrität des türkischen Reichs halber an der Donau eine Lokalisierung zu führen, das begangene Unrecht Rußlands für diesmal zu ahnden, sondern sie wollen die Wiederkehr ähnlicher Übergriffe ein für allemal ein Russisches Übergewicht über Mitteleuropa auf sein Maß zurückzuführen.“

Ohne die Mitwirkung Österreichs und Preußens sei allerdings ein solches Unterfangen aussichtslos. In diesem Fall sei nicht nur die russische Westgrenze geschützt, sondern Petersburg sei auch „im Stande, auf der Ostsee und an der Donau seinen Feinden mit Übermacht zu begegnen“.

Die Westmächte stünden nun davor zu entscheiden, wie „diese eventuelle Nöthigung“, so „ungerecht und unmoralisch“ diese auch gefunden werde, zu beantworten sei. Es sei nun, da das „Wiener Protokoll ... jetzt à quatre“ sei, „das europäische Gleichgewicht gegen Rußland gerichtet“, das heißt, „als eine allen 4 Mächten gemeinsam obliegende Verpflichtung“. Der „Quadrupelverpflichtung“ müssen nun eine „Quadrupelaction“      entsprechen. Bunsen kommt nun zu seinem zentralen Anliegen, das er in dessen ganzer Angriffslust wie folgt formuliert:

„Jedenfalls wird der See- und Lokal-Krieg langwierig und unentschieden sein, deshalb ungeheure Opfer ohne entsprechendes Resultat verschlingen: der europäische General-Krieg gegen Rußland ist kurz und entscheidend. ... Der Zweck des Krieges gegen Rußland muß doch zunächst der sein, Rußland zu bezwingen. Ist dies geschehen, so legt man ihm solche Friedensbedingungen auf, als für die Ruhe und das Wohl Europas notwendig erscheinen. Aus diesem Gesichtspunkt kann nichts der Lokalkrieg am Schwarzen und Baltischen Meer, sondern allein der Generalkrieg von Finnland bis nach der Donau und Kaukasien hinunter, rational erscheinen“. (Hervorh.v.m., B.S.)

Das "renversement des frontières" in Berlin.

Der Gesandte sieht demgegenüber das Berliner Kabinett immer noch in der alten „Idee der Herstellung eines Neutralitätsgebietes von 70 Mill[ionen]. [in] der Mitte von Europa“ befangen.

„Dieses Neutralitätsgebiet würde Rußland volle Freiheit geben, den Krieg an der Donau u[nd]. etwa in Finnland mit überlegenen Kräften zu führen“.

Da nun der König Friedrich Wilhelm IV., und sein Ministerpräsident, diesen politischen Ideen nicht beiträten, sei es zu einschneidenden Personalveränderungen kommen. Der Kriegsminister von Bonin, Albert von Pourtalès, Usedom, Robert v.d.Goltz* und Bunsen seien in diesem Zuge entfernt worden, nachdem bereits 1850 eine unheilige Koalition, bestehend aus dem Ministerpräsidenten von Manteuffel und der Kreuzzeitungspartei,

„große aber vergeb[liche]. Anstrengungen gemacht, den K[öniglichen]. Ges[sandten]. Ch[evalier]. Bunsen von seinem Londoner Posten zu entfernen“.

Der Prinz von Preußen verließ daraufhin Berlin und beklagte sich bitter darüber, „daß die veränderte Richtung der Politik die Absetzung seiner politischen Anhänger“ mit sich gebracht habe. Die Kreuzzeitungspartei - um die Gebrüder Gerlach, Stahl* und Bismarck - betrachtete Bunsen als jene Kraft, die „es durch ihre Manöver dahin bringen“ wolle,

„einen Krieg der Heiligen Allianz gegen die Westmächte herbeizuführen“.

Der preußische König beharrte auf seiner Position einer „starke[n] feste[n] aufrichtige[n] ehrliche[n] selbstbewußte[n] und unbewaffnete[n] Neutralität“. Kurz nachdem die  personellen Entscheidungen gegen die Wochenblattpartei-Mitglieder gefallen waren, forderte Friedrich Wilhelm von Moritz August von Bethmann Hollweg Aufschluß, ob die gerade entmachtete Partei, das „Preußische Wochenblatt“, „gegen oder für diese“ seine „unwiderruflichen Entschlüsse“ stimme. Für die Diskussion in der preussischen Kammer bereitet Graf Robert von der Goltz die Stellungnahme des Wochenblattes vor. Axiomatisch gesetzt wurde erneut, die Westmächte könnten nicht ohne Preußen und Österreich erfolgreich sein. Deren Niederlage sei programmiert.

Lagebeurteilung durch Graf Robert v.d. Goltz (Wochenblatt).

Als ersten Fall betrachtete von der Goltz die „isolierten Neutralität Preußens“. In der Konsequenz werde Preußen seine Stellung als Großmacht verlieren, weil dieses an den Kampfhandlungen und Bündniskonstellationen nicht teilnähme. Österreich würde aufsteigen, arrondiert um die Donaufürstentümer und Teile Russlands; Preußen dagegen zur Inferiorität „hinabgedrückt“.

Der zweite Fall zeigt ein mit den Westmächten erfolgloses Österreich, das in der Konsequenz „das ringsum cernierte Preussen“ zur Teilnahme am Krieg gegen Russland zwingen würde. Auf diesen Kampf gegen die drei verbündeten Mächte würde der schwere Kampf gegen Russland folgen. Gelänge es Preußen, Österreich und Deutschland hinter sich zu bringen, würde es sich um eine „complementäre Neutralität“ handeln, die ledigich  scheinbar günstiger sei.

Die strategische Lage sehe allerdings anders aus. Von der Goltz entwickelt:

„Die Westmächte haben für sich gegen Rußland die Herrschaft zur See … Hierdurch wird Rußland verhindert, dem Neutralitäts Complex irgendeine bedeutende Hülfe zu leisten. ...

Sie haben gegen Oesterreich den Bestand von ganz Italien namentlich Piemont, die Blockade von Triest, so wie den Aufstand in Ungarn und der Lombardei.

Deutschland und dessen Zersplitterung und die geringe Widerstandsfähigkeit am Oberrhein, die Blockade der Nordseehäfen gegen Preußen: die Blockade im baltischen Meer, sowie die Vernichtung des maritimen Exports, die Beschäftigung mehrerer Armeekorps allein zur Besetzung der langen Ostseeküste: Endlich den englischen von Oesterreich nicht unterstützten Kampf am Rhein gegen das mit Belgien verbündete Frankreich. Dänemark wie Holland dürften wahrscheinlich von den Westmächten gleichfalls zum kriegerischen Einschreiten gegen Deutschland genötigt werden.“

Dieses Bild bezeichnete der Wochenblatt-Vertreter als sinnbildlich für die Gefahren der „Complentativen Neutralität“. Geradezu das Bild von 1914 entwickelt sich, wenn davon gesprochen wird, Frankreich könne

„sich damit begnügen, Oesterreich ... in Italien anzugreifen, wo Preußen die deutschen Interessen verteidigen müsste, oder die Westmächte begnügten sich die Häfen der Nord und Ostsee und des Adriatischen Meeres zu blockieren.“

Dazu seien, erklärtermaßen, die Westmächte entschlossen. Insgesamt drohten demnach, im Falle der Neutralität, Preußen härtere Kämpfe, als wenn Berlin am Rußlandkrieg unmittelbar teilnehmen würde.

Der Vorschlag der Wochenblatt-Partei tendiert nun dahin, innerhalb des Konzerns der europäischen Staaten, „nicht mehr rechtlos da[zu]stehen“, und über Österreich mit England verbunden zu sein. Damit wäre die Rheinlinie geschützt. Bliebe „dagegen Preußen isoliert oder complexiv neutral, so“ werde „es England mit Frankreich in allen seinen Verhältnissen gegen sich haben“. In Nordeuropa solle man sich mit Österreich verständigen, weil dort „die Interessen beider Staaten parallel“ gingen. Die Verbindung Österreich sei deshalb wertvoll, weil diese als wichtige Stütze gegenüber „den Anmuthungen der Westmächte“ dienen könne. Was bedeuten könne, dass die Westmächte von Preußen fordern würden, sich (in Polen) auf ihre Seite gegen Rußland zu stellen.

Von der Goltz sieht preußische und österreichische Armeen bereits mobil gemacht und erwartet, dass „den russ[ischen]. Armeen im Cauc[asus], an der Donau und [in] Finnland wie an der Ostsee“ der Rückhalt entzogen werde. Es sei

„dann leichter möglich, daß die Westmächte mit ihren Armeen im Verein mit Türken und Caracassen, vielleicht den Schweden[,] Erfolge erreichen“,

und, angesichts dieser Entwicklung, Russland sich doch noch zum Frieden entschließe. Österreich und Preußen, so erwartet von der Goltz, würden in Polen gemeinsam vorgehen. Dennoch, so bleibt stets gegenwärtig, herrscht ein stetes Misstrauen gegenüber den Westmächten in Berlin vor. So wird, selbst von der Wochenblatt-Partei angenommen, man dürfe nicht vorprellen, um nicht - unter Umständen - die Zeche allein zahlen zu müssen.

London: Die Nebenregierung des Prinzen Albert*.

So weit sich auch die Wochenblatt-Parteimitglieder hiermit aus dem Fenster gelehnt haben, und so wenig der preußische Hof sich einem Bündnis mit England öffnete, der Prinzgemahl der Queen Victoria*, Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, das Haupt der deutschen Partei am englischen Hof, betrieb zielbewusst das Bündnis mit Preußen und stützte den preußischen Botschafter Bunsen in London, auch noch nach dessen Entlassung, von seinem Posten.

a) das preußisch-englische Bündnis.

Der Briefwechsel mit den Verwandten des Prinzgemahls in Deutschland fördert einen regen Gedankenaustausch zutage, der anschaulich zeigt, wie entschieden und zielgerichtet die Londoner Führung auf den Krieg mit Rußland zusteuerte. Zunächst wird der allgemeine europäische Krieg erwartet, wenn die Westmächte ausschließlich gegen Russland stehen würden. England sei, nach den Schwinden seiner bisherigen Überlegenheit, darauf verwiesen mit einer kontinentalen Macht zusammenzugehen. Frankreich sei nicht verlässlich, doch

„in Preußen sei die Nation nichts, der König und sein Ministerium alles.“

Was allerdings zugleich auch bedeutete, dass es in Berlin an einer befähigten Persönlichkeit mangele. Mit deren Auftreten „stünde morgen einem Bündnis Englands mit Preußen nichts im Wege“. Allerdings, und das bekannte der vormalige österreichische Staatskanzler, Fürst Metternich*, sei Preußen 1814/15, auf dem Wiener Kongress, zu stiefmütterlich behandelt worden. Habe man doch damals mit Territorien gehandelt „wie [mit] Spielkarten“, so sei es ein großer Fehler gewesen, dass „Preußen nicht eine bessere Hand“ gegeben wurde.

England sei politisch nun einmal gebunden an das Votum seiner Volksvertretung, so Albert. Dabei gebe es keine letzte Gewißheit. Damit bricht hier bereits das Problem auf, das Bismarck in den Bündniserwägungen 1887/89 mit Salisbury* hatte und das Bethmann Hollweg bis zum Kriegsausbruch 1914 beschäftigen sollte. Die deutsche doktrinäre Sicht und englische Flexibilität. Es wird hierzu im März 1854 ausgeführt:

„Wenn Preußen unsere Allianz für den gegenwärtigen Konflikt sucht, so werden wir antworten: wir können die Allianz nicht versprechen ohne den Consens des Parlamentes zu haben, und wir sind – im Voraus gewiß, dass das Parlament für eine solche causa belli den Consens nicht geben wird. Anders wäre die Sache, wenn die Kriegsursache große Interessen berührte und Rußland oder Frankreich mit in den Kampf hineinzöge. Auch dann könnten wir nichts versprechen ohne Consensus des Parlamentes, aber dieses würde in einem solchen Fall die Zustimmung wohl ertheile“.

Dies ist die Haltung der offiziellen britischen Politik, jenes, charakterisiert das Interesse des Prinzgemahls an einem Bündnis mit Preussen andererseits quasi als Nebenregierung. So bedeutet dieser einem Verwandten, es könne „in dieser schweren Krise gar keine glücklichere Combination geben als die intime Allianz Frankreichs mit uns [England]“. Und er rückt die Verhältnisse und Maßstäbe zurecht, in dem er unterstreicht, Preußen habe

„ein viel directeres Interesse an der Frage als England oder Frankreich“.

Diese sei „für Deutschland eine Lebensfrage, während sie für uns ganz anderer Art ist; denn an der ganzen langen Linie der preußischen [und ] der oesterreichischen Grenze drückte der russische Coloss, während wir gar keine Berührung mit ihm haben außer die Indignation, welche [die] unglaublichen Rechtsverletzungen auf allen Theilen des Continents sehr erregen.“ Ja, die Situation ähnelt sogar jener im Jahre 1995, als der amerikanische Oberkommandierende Europa-Mitte dem Bundeskanzler Schröder* mitteilte, der Angriff auf Serbien würde, in any case, durchgeführt: „Herr Bundeskanzler, Sie haben 15 Minuten Zeit, zu entscheiden ob sie mitmachen“! Und so entwickelt Prinz Albert den Kriegsplan und die Kriegsvorbereitungen der Westmächte:

„Unsere Kriegsoperationen gehen vorwärts und zumal so schnell als die französischen. Die Flotte in der Ostsee wird ausgezeichnet schön, wenn nicht etwas zu schwer für das schwarze Meer. Die 25.000 Mann für Constantinopel [von denen] 10.000 [deren] gerade in Malta angekommen, die Artillerie wird durch Frankreich gehen und auf des Kaisers Wunsch durch Paris marschieren!! Wer hätte sich so etwas vor einem Jahre denken können!“.

b) Der Aufmarsch und Krieg gegen Rußland.

Der Aufmarsch der englischen und französischen Armee gegen Rußland läuft, wie das Bündnis zwischen London und Paris funktioniert. Auch hier vergleichbar der Entente Cordiale von 1904. Doch gleichzeitig werfen die Veränderungen in Berlin alle Würfel wieder durcheinander. Es schien möglich, dass Preussen nun „auf die russische Seite geworfen“ werde. In Coburg wurde deutlich gesehen, die wahre Schwäche Preußens sei der König Friedrich Wilhelm. Herzog Ernst schrieb an den Prinzgemahl, der König liebe es, „mit spitzigen Instrumenten zu spielen, sie aber nicht zu gebrauchen“. Auch führe der Ministerpräsident von Mannteuffel ein „System des faire semblant“. Stehe aber seinerseits zwischen Kreuzzeitung- und Wochenblatt-Partei. Zu diesem Zeitpunkt favorisiere die erstere „jetzt ein directes Bündnis und Rußland“. Manteuffel offeriere dieser jedoch lediglich eine Art von „Neutralität“. Herzog Ernst sah in dieser Entwicklung eine große Gefahr für Preußen, das „für den großen Kampf, der jetzt sich vorbereite“ verloren sei.

Das Lager der deutschen Kleinstaaten, der sich in den Kontakten der Coburger spiegelt, zeigt, Preußen entwickele sich an der Zeit vorbei. Die Konfusion in Berlin sei größer denn je, es werde vergessen, „daß Preußen nicht mehr ein deutscher, als europ[äischer]. Großstaat“ sei, das Misstrauen gegen Österreich grassiert weiter, und er Glaube, eine Neutralität könne den Krieg mit Russland verhindern, lebt neu auf. Preußen werde sich zwischen dem kriegsbereiten Österreich und den Westmächten in eine neutrale Sackgasse hineinentwickeln. Aber sei es dann noch „im Stande, eine freie Entscheidung zu fassen?“ Die Entwicklung im Osten erfordere keine schnelle Handlungsweise. Anders stehe das allerdings hinsichtlich der Entscheidungen im Westen. Friedrich von Baden fasst zusammen:

„Gut Ding will Weile haben – dies Sprichwort befolgt man trau[lich]. in Berlin, denn man sieht wohl die Unmöglichkeit ein mit Rußl[an]d zu gehen; nur will man die Wendung gegen dasselbe so lange als möglich verzögern, um der Verwandtschaft wegen sagen zu können, daß man gezwungen sei.“

Und das überrascht den heutigen Leser vor allem, wie eindeutig, trotz des „großen Unglück[es] eines jeden Krieges“ der Großherzog von Baden* „für das entschiedene Vorgehen gegen Rußland als den glücklicheren Weg“ votiert. Doch gleichzeitig wirkt die Lage in Frankreich zusätzlich beunruhigend auf die insgesamt labile Entwicklung zwischen West und Ost in Europa ein.  Frankreich, und damit Napoleon III., der außenpolitischen Erfolg sucht, um innenpolitisch seine Position zu stärken, stützt die revoutionäre Bewegung in Italien gegen Österreich. Er droht, Sardinien-Piemont in der Lombardei gegen Wien loszulassen, um so Österreich an die Seite der Westmächte zu zwingen. Das, was Bethmann Hollweg - seit 1911 mit England in der II. Marokkokrise – versuchte. Der Graf von Coburg gewann diese Eindrücke im Gespräch mit den französischen Kaiser, der es nicht unterließ, in diese Richtung zu deuten, indem er anklingen ließ, wenn der Geruch der Revolution, der ihm ahhinge, dazu führe, dass Rußland, Preußen und Österreich sich erneut zusammenschlössen, ein Krieg mit Österreich möglich werde, und, so Herzog Ernst*,

„möchte in einem solchen Falle ohne Zweifel den unangenehmen Rückschlag dieser Revolution auf Frankreich dem Interesse seiner europäischen Stellung unterordnen“.

Schließlich würde Österreich, wenn es „nicht tätig am Krieg theilnehme, es tatsächlich Rußland stütze“. Herzog Ernst erwartete dann auch, dass diese Entwicklung „in einen Krieg in der Lombardei“ münden werde, denn der französische Kaiser habe davon gesprochen, „wie er in einem solchen Fall, selbst wenn er wolle, die revolutionäre Partei Italiens nicht werde zurückhalten können“. Andersherum verstärkte dieser sogar noch diese unverhohlene Drohung, indem er, für den Fall, dass Österreich, an der Seite Westmächte, gegen Russland gehen werde, „dessen Stellung in Italien jeder Weise zu consolidieren suchen werde“.

Diesen Unwägbarkeiten stand andererseits Englands ernster Kriegswille gegenüber. Dieses sei, so der Graf von Coburg*, „mit größten Widerwillen in den Krieg gegangen. Nachdem derselbe aber unvermeidlich geworden“, werde „es ihn auch mit äußerstem Nachdruck mit einer nicht allein von der Nation, sondern vom Hofe geteilten Begeisterung führen“.

Die englische Politik sei nach wie vor eine „Interessen-Politik“. Es sei nicht das Ziel „einen betrügerischen Frieden“ herbeizuführen, „sondern die letzten Ursachen der Störung des Friedens gründlich zu entfernen und damit die Gefahr der Wiederkehr künftiger Störungen zu beseitigen. Diese Politik“ führe „dahin, die möglichste Verstärkung der militärischen und politischen Action gegen Rußland zu wünschen“.

Die Antwort des Prinzen Albert bestätigt den Nachdruck mit dem in London dieses Ziel verfolgt wird, ähnlich wie dies in Berlin 1914 den Handelnden vor Augen stand. Der Prinzgemahl betont:

„Die Hauptsache ist, den nun unvermeidlichen Krieg so schnell als möglich zu beenden. Das kann nur geschehen, wenn Europa fest zusammengesteht. Ein solches Zusammenhalten gibt zugleich die beste Garantie dafür,  daß die Frage, um derentwillen der Krieg geführt wird, nicht in andere ausarte, die ihr ursprünglich fremd sind. … Aber gewiss ist, daß wenn Europa jetzt gegen Rußland zusammenhält, die Lösung den Interessen Europas entsprechen muß, während sie die Realisierung der Interessen Rußlands unmöglich macht“.

c) Folgewirkungen für Deutschland, Österreich und Preußen.

Während sich Österreich, auf Grund seiner latenten Revolutionsfurcht, an Russland binde, so Prinz Albert, wecke eine Verbindung Preußens mit Österreich in Deutschland Erwartungen des dritten Deutschland, nämlich der süddeutschen und  mitteldeutschen Kleinstaaten. Diese Tendenz, entstanden unter der russischen Vormachtposition seit 1815, regt dazu an, die Verhältnisse von 1854 auch mit jenen von 2014 zu vergleichen. Stände eine derartige Entwicklung, unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse zu erwarten, und würde sich heute die allgemeine politische Erwartung erneut, auf Jahrzehnte, gegen Russland wenden? Hierzu regen die Ausführungen des Prinzen Albert an. Er schreibt dazu in den schicksalschweren Wochen des März 1854:

„Die öffentiche Meinung Deutschlands ist seit langem wesentlich anti-russisch. In der deutschen Nation ist ein intimer Haß gegen Rußland. Würde Deutschland in einen Krieg mit Frankreich für Rußland gerathen, so würde durch das entgegen stehende Nationalgefühl die Vertheidigung Deutschlands wesentlich und vielleicht entscheidend paralysiert werden.“ (Hervorh.v.m., B.S.)

Werde sich Österreich gegen Russland wenden, dann falle Preußen deutschlandpolitisch zurück. Das würde auch der absolutistische Anstrich der österreichischen politischen Verhältnisse nicht ändern - so Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha.

Die  Hauptproblematik, die bisher das preußisch-englische Bündnis verhindert habe, liege – so schreibt Prinz Albert – in Berlin. Er spricht von „große[n] Schwierigkeiten“, die „in dieser Beziehung zu überwinden“ sein würden. Österreich habe größeren Einfluss am preußischen Hof, als jemals zuvor. Hinzu käme im besonderen, dass sich „unterhalb des Königs … zwei Parteien“ bekämpften, „deren Siege oder Niederlagen die Schwankungen der preußischen Politik hervorbringen“.  Die eine sei die Kreuzzeitungspartei, welche „die russischen Intentionen“ verträte. Diese habe auch einige Zeit lang die österreichischen Interessen vertreten. Die Gruppe um die Brüder Gerlach habe gerade erklärt, „wenn sich Österr[ei]ch. gegen Rußand ausspreche“, würde sie „ein Bündnis mit Rußland dem mit Oest[errei]ch vorziehen“. Diese Partei habe „stets nur einen oesterreichischen Schein gehabt“, und würde sich sofort „bei Unglücksfällen der Coalition ... im Bunde mit Rußland gegen Oesterreich … wenden“.

Ähnlich wie zu Zeiten Kaiser Wlhelm II., seit 1888, litt Manteuffel unter der Neigung Friedrich Wilhelm IV., mit Hilfe von „Sonder-Gesandtschaften“ Politik zu machen; beziehungsweise unter einer gewissen Zweigleisigkeit der amtlichen Politik. So stand der Ministerpräsident zwischen den Einflüssen der Kreuzzeitungs-Gruppe beim König einerseits, und jenen der Wochenblatt-Partei andererseits. Seine Politik neigte, in der Krimkrieg-Phase den westlich orientierten Konzeptionen der Wochenblattpartei zu, die er sich – wie Schoeps meint - zeitweise zu Eigen zu machen versucht habe. Doch diese sollen, wie Schoeps meint, letztlich defensiv, und mit den Grundsätzen der Hochkonservativen weitgehend deckungsgleich, gewesen sein.

Dieser Zentralgruppe stände die preußische Wochenblatt-Partei, durchaus prowestlich orientiert, gegenüber, die stets für ein Bündnis zwischen Berlin und London offen sei. Diese, durchaus „anti-österreichisch“, „aber bei weitem mehr antirussisch“, sei „zum Theil nur deshalb bis jetzt anti-oesterreichisch, weil sie antirussisch“ sei. Jedenfalls aber würden sich die Wochenblättler „in der Action Oesterreichs gegen Rußland aufrichtig und ohne Hintergedanken anschließen“. Wie schon zu erkennen, so bedeutet der Prinz weiter, die den deutschen Verhältnissen eigentümliche preußisch-österreichische Rivaltät stelle das Haupthindernis einer zügigen Fortentwicklung dar. Dies Haupthindernis zu überwinden, sei eine Lebensbedingung für die Durchführung des bevorstehenden Krieges“ mit Russland. Für den Fall, dass sich Österreich auf Preußen zubewegen wolle, gelte es, „die russische Partei in Berlin“ zu entmachten.

Kreuzzeitung und Wochenblatt. Unterschiedliche Zukunftsschau.

Die Vorstellungen der Kreuzzeitungs-Partei fasste deren Chefideologe Friedrich Christian Stahl zusammen. Einerseits weist er der Wochenblatt-Partei keinesfalls nach, einseitig den Krieg mit Russland zu verfolgen. Andererseits jedoch unterstellt Stahl dieser eine eindeutige Inklination zu den Ideen der französischen Revolution. Der Chefredakteur des Preußischen Wochenblattes, Jasmund, reklamiert demgegenüber für seine Partei eine modernere, „eine  praktischere Auffassung der Politik“. So wendet er sich frontal gegen den Vorschlag Bismarcks, das Rheinland dem Frankreich Napoleon III. auszuliefern. Unerbittlich wird die, hinter diesem Vorschlag verborgene, sozialpolitische Verortung der konservativen Fronde gegeißelt. Jasmund schreibt:

„Haben wir nicht schon hören müssen, daß diesen Leuten Preußen jetzt bereits zu groß ist, und daß sie mit Freunden das herrliche Rheinland aufopfern würden, blos weil dort andere sociale Ansichten herrschen, als bei einzelnen Junkern Hinterpommerns“.

Tiefes Misstrauen gegenüber dem griechisch-orthodox bestimmten Zarentum durchherrscht die liberal-konservative Wochenblatt-Partei. Gleichwohl waren beide Opponenten, sowohl die konservativen Protagonisten der Kreuzzeitungs-, wie auch die liberalen Mitglieder der Wochenblatt-Partei, gegen eine weitere Machtvergrößerung Russlands. Stahl wie Jasmund waren sich darin einig, dieser, mit der Kriegserklärung an Rußland vom 27./28. März 1854 eröffnete Krieg, der Krimkrieg, hätte besser vermieden werden sollen. Während der Vertreter der Kreuzzeitung die Gefahr sieht, Rußland könne „als Sieger aus den jetzigen Conflikt hervorgehe[n]“, richtet der Chefredakteur des Wochenblatts seine ganze Aufmerksamkeit darauf, „daß das was Rußland verliere, nicht blos von den übrigen Großmächten allein gewonnen“ werden dürfe. Es sei nun einmal so, dass Russland aus Europa nie völlig ausscheiden werde. Stahl warnte davor, Preußen werde, falls es sich auf Seiten von London und Paris in den Krieg einmische, „bloß die Kohlen für die Westmächte aus dem Feuer holen“.

Demgegeüber vertrat Jasmund die Auffassung, Preußen werde „nicht bis zuletzt in unbedingter Neutralität verharren, sondern handelnd in die Ereignisse der Zeit eingreifen“.

Die Wochenblatt-Partei erkannte „die neue, durch ganz unerwartete und überraschende Combinationen dargebotene Gelegenheit“, als Chance, „einen Schritt vorwärts zu tun auf der Bahn zu preußischen Größe“; erreichbar „mit rascher männlicher Entschiedenheit“. Dieser Entscheidung standen jedoch, und dies ist die besondere Sicht des politischen Kopfes, Albert von Pourtalès, Rolle und Bedeutung Frankreichs entgegen. Schließlich ginge es darum, Frankreich in Schranken zu halten; und schließlich sei ein „englisches Bündnis“, geschlossen zwischen Berlin und London, nur unter Einschluß Frankreichs denkbar. Also, es ging zunächst um Frankreich, und, nach dem Zusammenbruch der Interessen und des Einflusses der Wochenblatt-Partei der preußischen Regierung, um einen - vielleicht unverhofften - Ausgleich innerhalb der Berliner Führungselite.

Preußen, so Pourtalès, habe eine besondere Stellung innerhalb des gegenwärtigen europäischen Konzerts der Mächte inne. England verfüge schließlich nur über einen Verbündeten - und dieser sei Frankreich. Daraus ergebe sich für Preußen eine einmalige Chance, die aber in einer zauderlichen Zwischenposition, zwischen den Fronten der Westmächte und Russlands, in der Gefahr sei, verspielt zu werden. Das Zarenreich habe einerseits die Hände so voll, dass dieses Preußen an der Elbe nicht unterstützen könne. England befürchte seinerseits, wie Preußen, die einseitige „Ausdehnung der franz[ösischen]. Macht nach Nordwest“. Diese sucht England „durch e[in]. aufrichtiges, enges Bündnis mit Frankreich in Schranken zu halten“. Der Wochenblatt-Anhänger erklärt sich eindeutig gegen eine Neutralität Berlins, die inhärent habe, dass Preußen zwischen zwei Fronten zerrieben werde. Frankreich allerdings sei und bleibe ein unsicherer Kantonist.

Seine Sicht künftiger aktiver preußischer Politik entwickelt er dem Ministerpräsidenten von Manteuffel, indem er ausführt,

„ wenn wir die ersten Schritte mit Frankreich gehen, wenn wir durch unsere Haltung England mit dem Continent e[inen]. neuen festen Stützpunkt bieten, so können wir späterhin noch immer bei Zeiten d[ann]. alsdann mit dem uns zu Dank verpflichteten Großbritannien nach Westen hin Front machen“.

So plädiert Pourtalès für eine Entente mit England – unter Einschluss Frankreichs. Napoleon III. sei „vorläufig … mit in den Kauf zu nehmen“. Das erklärte Ziel der Wochenblatt-Partei bildete damit der Aufstieg Preußens zu einer allseits anerkannten Grossmacht. Dieses stand hinter den Überlegungen von Albert Pourtalès, der mit dem Hinweis auf eine ausgeklügelte Verhandlungstaktik schloss, es müsse

„daher dahin gewirkt werden, daß man in London und Paris begreife, daß wir, was wir thun, nicht müßten, sondern wollen, folgl[ich]. als selbst ständige Großmacht behandelt zu werden, verlangen können.“

Die Wochenblatt-Partei leckt Wunden.

Auch Österreich drückte auf Friedrich Wilhelm IV., sich militärisch zu engagieren. In einem Schreiben des Kaisers Franz Joseph I., vom 31. Mai 1854, wird dieses ausschließliche Interesse deutlich. Dieser schrieb, er könne „nicht leugnen, dass“ er einen „großen Wert auf irgendeine militärische Demonstration von Seiten“ Preußens legen würde. Es ging ihm offensichtlich vordringlich darum, Österreich militärisch zu entlasten. Dazu diente der unverkennbare Versuch, Preußen in den Krieg hineinzuziehen. Vor diesem Hintergrund hatte der preußische Botschafter in London, Bunsen, zum Mittel der großen Denkschrift vom März 1854 gegriffen, um dem preußischen König deutlich zu machen, welche Möglichkeiten und Gefahren für seinen Staat bestünden. Usedom bemerkte gegenüber Georg von Bunsen, dem Sohn des Gesandten,

„wie man von Preußen erwarten könne, ohne weiteres eine Convention zu unterzeichnen, welche am Ende zu einem Kriege führen könne gegen Russland“.

Hinzu käme noch, dass Österreich „die Karparten und die Pässe von Siebenbürgen“ als „eine befestigte Grenze“ besäße, während Preußen „offene Häfen in der Ostsee und eine unbefestete Landesgrenze im Nordosten“ verteidige. Auch sei „noch kein Krieg von den Westmächten erklärt, viel weniger habe dieser angefangen“ und „noch weniger wisse“ er „mit welchen Zielen man den Krieg zu Wasser und zu Lande führen wolle“.

Der Vertreter der Kreuzzeitung, Stahl, wandte sich deutlich gegen die Argumente der englisch-französischen Presse und damit auch der Wochenblatt-Partei in Preußen. Er erklärte sich für eine Politik nach höherem Prinzip und gegen das Verfolgen blasser Interessen. Dazwischen stand Bismarck, der, wenngleich er nicht die Grundsätze der Wochenblatt-Partei übernahm, doch deren Methode folgte. Er redete einseitiger preußischer Interessenpolitik das Wort. Bismarck konnte das Ost-Bündnis, den sogenannten „nordischen Dreibund“, zwischen Preußen, Russland und Österreich, leichten Herzens bejahen, stand er doch in der europäischen Tradition der Jahre zwischen 1701 und 1887. Doch die Achsenzeit um die Mitte des Jahrhunderts bestätigte sich auch in den düsteren Perspektiven, die hinter der Politik des österreichischen Staatskanzlers stand. In Deutschland hatte diese alles Vertrauen verloren und damit gleichzeitig die Monarchie in Österreich auf Spiel gesetzt. Doch auch Bismarck lobte Friedrich Wilhelms letztlich zögerliche Neutralitätspolitik, die Österreich hinderte, sich den Westmächten in die Arme zu werfen, und die verhindert habe,

„daß dieser Missgriff damals begangen wurde, daß wir einen Krieg  führten -, der von dem Augenblick an, wo wir den ersten Schuß taten, der unsrige geworden wäre“.

Diese Pressionen von allen Seiten führten in Berlin zu „fürchterliche[n] Zuständen“. Prinz Albert bestätigte seinem Freund Bunsen, in Kenntnis von dessen Entlassung durch Friedrich Wilhelm, nach seiner „Überzeugung“ sei diesem „nichts übrig“ geblieben, „als den Schritt zu thun“, nämlich auf seiner Linie der Westoption zu beharren,  „welchen“ er getan habe und er müsse Bunsen „sogar bedauern, daß die Umstände“ es diesem „nicht erlaubten ihn schon früher zu thun“. „Als Vertreter einer solchen Politik“ könne „sich ein ehrlicher Mensch nur moralisch [distanzieren]“. Er, Bunsen, müsse sich „aufsparen“ für

„einen Augenblick, in dem wieder einige Selbstständigkeit, Würde und nationale Haltung in der Preußischen Politik vorherrschen“

möge. Er, Bunsen, habe in London alles getan, „um Preußen als einen ..., in der Civilisation[,] Aufklärung und Frömmigkeit fortschreitenden Staat der Englischen Nation gegenüber zu vertreten“. Das habe Bunsen bewiesen, während es überall ringsum einzig um „den steten Widerspruch zwischen Prätensionieren und Leistungen“ gehe. Es schloss sich das Zeitfenster für die West-Option Preußens. So konnte der Prinz Fraktur reden. Er fragt Bunsen, wieso dieser „nicht gerade zum König nach Berlin“ gehe, um diesem „persönlich die Augen zu öffnen?“ Pourtalès sei nach seinem Rauswurf nach Paris gegangen. Und:

„Das thut recht gut, wenn alle edel denkende Menschen den Hof verlassen und nur die Gauner bleiben!“

Und für „die Russische Partei“, die Gerlachs, Bismarcks und Stahls, und deren „Landesverräterische[n] Pläne“ bleibt nur Spott. Ja, dass der Kampf verloren schien, wurde auch Pourtalès deutlich, der „die 'deutsche Einheit' im Sinne der Karlsbader Beschlüsse und anderer Sainte-Alliance-Tendenzen“ sich verwirklichen sah; während namentlich „der Riß zwischen Deutschland u[nd]. den Westmächten“ sich „mit jedem Tage“ erweitere. Schließlich und endlich schließt Pourtalès diese Phase und Entwicklung in Preußen, mit der Feststellung ab, indem er ausführt, was alle wussten. Er äußert in einem vertraulichen Brief an den Chefredakteur des Preußischen Wochenblattes, „so unangenehm es auch“ sei, „zudringlich zu erscheinen“, so dürften die Wochenblättler Friedrich Wilhelm doch

„nicht fahren lassen u[nd]. toujours revenir à la charge, was bei schwachen, unklaren Naturen das einzige Mittel des Einflusses“ (Hervorh.v.m., B.S.)

sei. Offensichtlich befand sich die Wochenblatt-Partei im Umbruch, was dem Beispiel Robert von der Goltz und anderer zuzuschreiben war, die im Begriff waren, die Partei zu verlassen. Deren Auflösung drohte. Auch war der Kronprinz inzwischen nach Baden ausgewichen. Die verbündeten Flotten waren inzwischen in die Dardanellen hineingesegelt (Juni 1853), führten Vorstöße ins Schwarze Meer (3.1.1854) aus; zum Beispiel wurde Odessa im April bombardiert und folgte die Landung bei Gallipoli. Wenige Tage zuvor waren die Türken in Bukarest einmarschiert, da läßt Pourtalès erneut aus der Schweiz (Oberhofen) verlauten, Berlin behaupte

„heute, da sie seit der Räumung der Fürstentümer durch die Russen, nicht mehr verpflichtet sei zu rüsten und überhaupt gegen Rußland, sei es diplomatisch, strategisch zu operieren.“

Vor diesem Hintergrund äußert Pourtalès die Befürchtung, Österreich werde nun Preußen auch in Deutschland den Rang ablaufen. Einige Wochen darauf beharrt Pourtalès darauf, als unverändertes Ziel der Wochenblatt-Partei habe zu gelten, Russlands Macht an der Ostsee sei zu brechen. Österreich habe keine Interessen im Norden. Dafür benötigten die Westmächte Preußen. Geradezu 1914 vorgreifend, formuliert der Vertraute Bethmann Hollwegs, es gelte den „allge[meinen]. Kampf gegen die Übermacht Rußlands“; es sei dessen „Zweck“, „diese Übermacht“ Russlands dauernd zu brechen“; schließlich, und „da diese 'Brechung' nur an der Ostsee stattfinden“ könne, „u[nd]. am schwarzen Meer nichts wahrhaft gründliches“ zu erreichen sei, werde „aber Oesterreich“ Preußen, um seine Ziele zu erreichen, „an der Ostsee weder helfen“ können, „noch helfen“ wollen; „dagegen aber die Westmächte ohne Preußen im Norden nichts“ vermöchten. Im Juni hatte Österreich Russland aufgefordert, sich aus den Donaufürstentümern zurückzuziehen. Im Anschluß griff Wien zu, und okkupierte diese seinerseits. Im Oktober macht dann Österreich 300.000 Mann an der russischen Grenze mobil und bindet damit erhebliche Kräfte der russischen Kräfte. So revolutionär die Ziele, die russische Macht zu brechen, bereits zuvor aus dem Munde Bunsens gewirkt hatten, so geradezu umstürzlerisch gestaltete sich Pourtalès' Resümee, indem er weniger für den Königs-Staat, die Monarchie, als für die Demokratie, das Parlament, votiert.

Doch all dies täuscht nicht darüber hinweg, dass die Wochenblattanhänger ihre Wunden leckten und politisch kaum noch Einfluss besaßen. So träumte dann auch Moritz August von Bethmann Hollweg gegenüber Usedom im Dezember 1855 eher von künftiger Machtbeteiligung, als er eben daran glaubte.

Die Mission Usedom-Wedell*: Der Traum eines englischen Bündnisses.

Dennoch befinden sich, um die Jahreswende 1854/55 Usedom, der Anhänger des Wochenblatts, und der General Wedell zu einer erneuten Geheim-Mission in London. Es  geht wiederum um das Bündnis mit England. Erneut tritt der Ministerpräsident von Manteuffel als Gegner dieser Art von Königs-Diplomatie auf. Und nicht nur dieser, sondern auch verschiedene Botschafter, versagten diesem Vorgehen des Dynasten ihre Unterstützung. Doch schon die Begrüßung durch die Königin Viktoria zeigte, wie stark das englische Königshaus an einem Bündnis mit Preußen interessiert war. Als Ziel hielt die Königin gegenüber Usedom fest,

„die Schleifung von Sebastopol, [die] Reduction der Russischen Kriegsmarine im Schwarzen Meer etc. als 'Consequence' der 4 Garantie-Punkte Englands«.

Auch das Gespräch mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, dem Prinzgemahl, verlief äußerst „offen und erfolgreich“. Doch bekam im weiteren Verlauf diese preußische “Spezial-Mission“ in London auch Gegenwind. Es entstand der Eindruck, England sei nicht gut auf Preußen zu sprechen. Es wurde dort argumentiert, „die bisherige Politik“ Berlins „habe sich praktisch als bloße Schutzwehr Rußlands erwiesen“. Österreich wurde, nachdem sich Wien, zumindest indirekt auf die Seite der Westmächte gestellt hatte, als Gegner Preußens verstanden. „Welchen Wert“, so die Gesprächspartner Usedoms in London, ein Bündnis mit Berlin

„für die Westmächte habe, wenn Preußen sein Heer gegen Rußland aufstelle, wenn Rußland sich etwa darauf verlassen könne, daß dieses Heer doch niemals gegen Rußland, sondern entstehenden Falls vielleicht gar gegen Österreich gebraucht werden würde? In dieser Sicherheit könne Rußland dann seine ganze Kriegsmacht aus Polen herausziehen u[nd]. anderweitig verwenden“.

Russland werde also durch Preußen entlastet. Doch könne sich Preußen, aus dem gesamteuropäischen politischen Kontext, nicht herausstellen. Dies war der entscheidende und auch gefährlichste Vorwurf an die Adresse Berlins, der diesem gemacht werden konnte. So kam es im Januar 1855 zu direkten Vorwürfen Usedoms an die Adresse Manteuffels, dem nun unmittelbar vorgehalten wurde, mit der „Wirklichkeit der Dinge Verstecken zu spielen“. Im Gegenzug versuchte Mannteuffel, die preußischen Unterhändler in London zu desavouieren. Daraufhin ließ Usedom – wie zuvor schon Bunsen - durchblicken, es gebe in Berlin undichte Stellen in Richtung Petersburg. „Friedens- und Kriegsparteien“ gebe es aber so „ziemlich an allen Höfen, selbst London, Wien und Petersburg nicht ausgenommen“. Daraufhin bestätigt der König Usedom „die bisherigen Schritte in London bei Lord Clarendon als treffend und fortzusetzen“. Dies erscheint als Reaktion Friedrich Wilhelms auf den Vorwurf, „an den Höfen von England u[nd]. Frankreich und anderen Orts“ habe „das Gerücht Fuß gefasst“ der König habe „die Westmächte vorsätzlich düpiert u[nd]. Usedom/Wedel dazu als Werkzeuge benutzt“.

Anfang des Jahres 1855 oszilliert Friedrich Wilhelm dennoch weiter. Mannteuffel verfolgt unverändert seinen Kurs. Die Berufs-Diplomaten verweigern eine Zusammenarbeit mit der Spezial-Mission des Königs, Usedom/Wedell. Usedom meldet am Heiligabend 1855 nach Berlin, er fände

„die politische Stimmung in allen Regionen über die orient[alische]. Angeleg[enheit]. sowohl, als insbesondere in Betreff Preußens außerordent[lich]. überreizt und einer vernünftigen Erwägung der Umstände sehr wenig zugänglich“.

Darauf antwortete Friedrich Wilhelm IV., er denke an „eine mit der Spitze gegen Rußland gerichtete bewaffnete Neutralität“. Es ging dem König jedenfalls zunächst darum, die Selbständigkeit Preußens zu sichern. Außerdem wahrten die Fürstenhäuser der Zeit allgemein eine besondere Reserve, angesichts der möglicherweise aus Westen importierten Revolution. Der König will so, nach wie vor, ein besonderes Auge auf das, durch revolutionäre Propaganda insugierte, Polen gehalten wissen. Schließlich schien das berechtigt, denn eine revolutionäre Bewegung in Polen mochte geeignet sein, das „gesamte Staatensystem in den Grundfesten … [zu] erschüttern“. Das führte sogar dazu, dass – aus der Sicht der Mächte -, neben Preußen, England und Frankreich, selbst Russland, dort gegebenenfalls militärisch intervenieren sollte.

Preußens Nimbus sinkt. Kein Vertrauen in Berlin.

So bestimmten die konservativ-feudalen Vorstellungen des ancien régime nach wie vor die Prämissen preußischer, außenpolitischer Vorstellungen. Insgesamt, so erschien es in London und Paris, habe sich in Berlin die Russlandfreundliche Gruppe durchgesetzt. Preußen geriet mehr und mehr in England und Frankreich in den Verdacht, undurchsichtig zu sein. Ein klares Verhandlungsgebaren der preußischen Diplomatie hätte eine solche Entwicklung verhindert, das war die erklärte Überzeugung von Usedom und Wedel. Auch die Westmächte verlangten nun Garantien dafür, dass Preußen „sich nicht endlich gegen sie selbst“ wenden möge. Letztendlich war es der preußische Ministerpräsident gewesen, der die Missionen von Bunsen, wie jene von Usedom/Wedell scheitern ließ. So war das preußisch-englische Verhältnis im Begriff, in offene Gegnerschaft umzuschlagen; Graf Bernstorff* berichtete, nunmehr könne man sich in Berlin „im Frühjahr nur auf eine Blockade gefaßt machen“.

Während sich Russland in London die Türen selbst zuschlug, hatte die Wackelpolitik Berlins dazu geführt, dass das Verhältnis zu den Westmächten gekränkt war, da augenscheinlich die Linie verfolgt wurde, „inaktiv bis zum Eintreten des casus foederis ([der] Niederlage Österreichs und Invasion Galiziens)“ zu verharren. Träte der Frieden ohne einen solchen Fall ein, „so hatte sich Preußen ohne große Opfer gegen gefahrvolle Eventualitäten gesichert“. „Großmachtstellung“ und Mitspracherecht bei Friedensverhandlungen schienen in diesem Fall bestätigt. Trat jedoch der casus foederis ein, so wurde erwartet, „Preußen“ wäre „im Stande ..., mit seiner Militärmacht Rußland zurückzuwerfen“, und „die Friedensbedingungen zu diktieren“. Diese Politik führte dazu, das Misstrauen gegenüber den säumigen Preußen, in London und Paris, in „Geringschätzung des Staates“ umschlagen zu lassen. Zudem werde Wien die Entfremdung zwischen Berlin, Paris und London ausnutzen; und, vor dem Hintergrund der „Schwäche Rußlands … seine Machtstellung“ in Deutschland, „zum offenbaren Nachteil Preußens“ verstärken.

Der in sich widersprüchliche König, und dessen ebenso geartete Politik, überschatteten die Mission Usedoms und Wedells. Dementsprechend hatte sich Friedrich Wilhem auch wieder recht passiv verhalten, andererseits jedoch betont,

„Alles das für ein ... ein trächtiges Verhältnis zu Frankreich und England zu thun, was nicht die Ehre Preußens u[nd]. dessen Stellung als Europäische Macht gefährde[t]“.

Trotz des Dynasten schwankenden Interesses nahm dieser konzentrierte Einfluss auf Art und Weise des Vorgehens. Schlußendlich war die Beglaubigung Usedoms am Hof von St. James, sowohl vom König paraphiert, wie von dessen Ministerpräsident gegengezeichnet. Wie sehr in diesen Jahren in Berlin das Pendel gegen Russland ausschlug, zeigt sich daran, dass die offizielle Politik Manteuffels, der Wochenblattpartei zuneigend, auf das österreichische Bündnis überhaupt verzichten wollte; und, ganz „im Sinne Poutalès und Bunsens, den förmlichen Anschluss Preußens an die Westmächte“ ins Auge fasste. Diese Wendung in der Politik führte selbst zu der Überlegung des Königs, „die Demission Manteuffels zu akzeptieren und diesen durch Bismarck zu ersetzen.

Schließlich betonte Friedrich Wilhelm wiederum im Februar 1855, England dürfe „nicht, in diesem Falle wenigstens, hinter Frankreich drin laufen. Für Preußen“ sei Old England doch die Hauptsache“. Die bereits bekannten Punkte der preußischen Position für einen Vertrag mit England und Frankreich finden sich in dem Entwurf vom 4. Februar 1855, der über  Manteuffel an Usedom und Wedell gelangte. Einerseits mag der König auf diese Weise versucht haben, Zeit zu gewinnen, andererseits sei, so betont Manteuffel am 8. Februar 1855, „die Action Preußens von seiner Selbstbestimmung abhängig zu machen“. Der Ministerpräsident war nun offenbar entschieden, und das läßt er Ende des Monats Februar gegenüber seinem Botschafter in Paris, Hatzfeld, erkennen, nämlich sich seinem König anzuschließen und „einen Vertragsentwurf mit England und Frankreich zu verfolgen. Aber im nächsten Augenblick folgt ein Telegramm Friedrich Wilhelms, das fordert:

„Avant Tous pas de zèle“.

Der politische Ansatz, der hinter dem Krimkrieg von 1854/55 und teilweise dem Ersten Weltkrieg stand, ist nahezu identisch. Es ging darum,

„de repousser par la force des armes toute aggression future de la Russie“.

Es war nun einmal nicht dazu gekommen, dass sich Preußen an diesem Krieg beteiligte. Dennoch drückte Lord Clarendon, gegenüber Usedom und Wedell, die Hoffnung aus, dass Preußen seine Rolle als europäische Großmacht in der Zukunft doch noch ausfüllen werde. Es ging ihm um die Reduktion Russlands und da sollte Preußen teilnehmen

„in a better understanding that Prußia may think consistant with her honor and her interests“.

Schluß.

Mit der Landung von 60.000 Franzosen und Engländern auf der Krim, der Belagerung der Festung Sewastopol und dem Sieg, schloss sich Österreich in einem förmlichen Bündnis den Westmächten an. Hatte schon die Abmachung vom 1. August, 321 russische Bataillone an der Westgrenze des Zarenreichs, in Polen und Galizien, gebunden, so begründete dieser Vertrag endgültig die Totfeindschaft zwischen Petersburg und Wien, die während des 1884 auslaufenden Dreikaiser-Bündnisses zunehmend zur Wirkung gelangen sollte. Friedrich Wilhelm habe das als „Verrat und abgefeimten Betrug“ bezeichnet; „die preußische Ehrlichkeit sei übertölpelt worden“. Der König habe im Dezember 1854 von „Marschieren-lassen gesprochen“, und weiter gesagt, „heut sei der Jahrestag von Leuthen“.

Doch alle preußischen Beschwerden und Befürchtungen, die von Heinrich Leo und den Brüdern Gerlach ausgedrückt wurden, erfüllten sich nicht. Das „Unheilsjahr“ 1854 führte nicht zu dem erwarteten preußisch-russischen Bündnis, und mündete auch nicht in einen allgemeinen europäischen Krieg; es brachte vielmehr einerseits „Rußlands Schwäche“, andererseits „den Frieden von Paris“.

In Wien hatte die Kriegspartei gesiegt. Im Gespräch mit Bismarck analysierte Ludwig von Gerlach die Situation. Dabei gab Bismarck einige Striche seiner Lagebeurteilung preis. Gerlach fixierte dazu:

„Er fürchtet sehr Österreichs Abspringen. Bach sei ein gewissenloser Egoist, Buol eine Null; der junge Kaiser bonapartistisch und unter planmäßigen gegen K[aiser]. Nikolaus ihn einnehmenden Einflüssen. Er sagte, er mache sich darauf gefaßt, daß übers Jahr Kosaken und Pariser Gamins mit unseren Knochen Äpfel von den Bäumen würfen“.

Schoeps* warnt ausdrücklich davor, die Haltung der preußischen Konservativen zu England von deren Äußerungen über die Politik des Botschafters Bunsen in London herzuleiten. England als „Fixationspunkt“ den deutschen Liberalen zuzuordnen, treffe in gleicher Weise nicht zu, wie dies für die Konservativen mit Russland zu unternehmen. Tatsächlich seien mehr pro-englische, als pro-russische Tendenzen um die Mitte des Jahrhunderts auf Seiten der Kreuzzeitungs-Partei festzustellen. Eigentlich sei, so Schoeps, der Kreis der pro-englischen Konservativen auf den Norddeutschen K.Ch. Welcker und den halbkonservativen Historiker F. Chr. Dahlmann beschränkt gewesen. Ludwig von Gerlach war, anlässlich einer Studienreise, die ihn im Auftrage des Königs, zum englischen Gerichts- und Justizwesen, durch England führte, beeindruckt von dem „Modell für die kontinuierliche Entfaltung germanischer Freiheitsrechte“ dort gewesen. Er berichtete seinem Freund, dem Staatsrechtler Moritz August von Bethmann Hollweg,

„daß England, wo noch germanischer Geist lebe, immer neue Verfassungen auf die alten schichte, ohne doch diese zu beseitigen. 'Du findest die angelsächsischen Grafschaftsgerichte, Patrimonialgerichtsbarkeit etc. überbaut mit den neuen Rechtsbildungen bis auf die neueste: die Friedensrichter aus dem 14. Jahrhundert' (Brief vom 6. Juli 1846)“.

Auch Gerlach zog aus den Erfahrungen des Jahres 1854 die Folgerung,

„daß Preußen, wenn es die evangelische Großmacht des Kontinents sein wolle, mit England fest zusammenstehen müsse“.

Die Waage neigte sich gleichwohl in die Richtung von „Old England“ (nicht des England von Palmerstone, dem Alliierten Napoleon III.), das jedoch von moderner Dekadenz  überholt sei. Da Russland sich, nach dem Pariser Frieden, Frankreich zuwandte, blieb für das konservative Preußen nur England. Ganz anders noch Gerlach 1854, als er um das Bündnis Preußen-Österreich herum ein Mitteleuropa schaffen wollte. Ludwig von Gerlach fasste das komplizierte Gebilde seiner Außenpolitik in der Krimkriegphase als:

„Nicht blind losschlagen auf England und Frankreich, nicht begeistert für Rußland wie damals fast alle Conservativen, aber doch entschieden gegen die westliche Alliance, für die der ganze Liberalismus war und für Freundschaft mit Rußland und vermittelnde Neutralität, Hand in Hand mit Österreich“.

Die preußischen Konservativen verstanden das englische Bündnis immer als Gegengewicht zu Frankreich (und nicht als Alternative für das russische). Die Anlehnung an England sollte nicht eintreten, weil atmosphärisch England aus der Berliner Sicht immer wieder der Geschmack des moralisch Verächtlichen anhaftete. Seit 1815 wurde damit eine Option ausgelassen, die Europa vor dem Weltkrieg von 1914 hätte bewahren können.

Doch der preußische Konservatismus repräsentierte lediglich die Regierung und nicht das Volk. Mit der Einführung des Drei-Klassen-Wahlrechts war die liberale Demokratie in Preußen an den Wahlen zur zweiten Kammer, nicht mehr beteiligt. Sprachrohr des liberalen Bürgertums zu sein, übernahmen mit dem „ Preußischen Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“ die uns bekannten adligen Diplomaten und Offiziere – wie Graf Robert von der Goltz (preußischer Botschafter in Paris und Gegner Bismarcks), Albert von Pourtalès, Usedom, Jasmund und Bunsen. Dieser, als Gesandter in London, und hochgebildeter Freund des Königs, verfügte über besondere Beziehungen. Der Geheimrat Mathis und Moritz August von Bethmann Hollweg, welcher der eigentliche Gründer der Wochenblatt-Partei war, stammten sämtlich aus West- und südwestdeutschen Kreisen. Deren Gesichtskreis umfasste daher auch, und vor allem, ein allgemeiner Zug nach Westen. Es wohnte ihnen eine unverkennbare Tendenz zu Frankreich inne. Nach Olmütz griffen die Vertreter der Wochenblatt-Partei die Regierung frontal an. Graf Robert von der Goltz „sprach von Preußen als Neu- oder Westrußland, das von erblichen Statthaltern aus dem Hause Hohenzollern“ regiert werde. Die Bethmänner gingen sogar so weit, von „Novemberverrätern“ zu sprechen.

Sie griffen in der Folge die Kreuzzeitungs-Partei vehement an, die „ihnen als Wurzel allen Unglücks“ erschien. Als Argumente dienten ihnen die Aufgabe Schleswig Holsteins, das Ende „der nationalstaatlichen Einheitshoffnung“, die „erzwungene Abrüstung“ und „Übermacht Rußlands“ und die „Beeinträchtigung des preußischen Ansehens in Deutschland“. Die weltanschaulich orientierten Begründungen der Kreuzzeitungs-Partei erschienen als schicksalhaft. Die

„'Tendenzpolitik der unheilig-heiligen Allianz', deren einziger praktischer Erfolg die moralische Herrschaft Rußlands bis zum Rhein“

sei, war ihnen verachtenswert. Usedom sprach von dem „starren,“ 'fürstlichen Tugendbund des christlich-legitimistischen Absolutismus“. Die Gruppe empfahl Bündnisse mit westlichen europäischen Staaten wie Frankreich und England, um für Berlin die außenpolitische Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Russland dagegen war ihnen innenpolitisch-verfassungsrechtlich ein Greuel; ein „Hort der Reaktion“. England erschien demgegenüber als das Zentrum der Freiheit schlichtweg. Gegen Theorien und ideologische Überlegungen, so lautete die politische Lehre der Wochenblattpartei, hin zu eigenen Interessen. Diese Anschauungbildete den Grundstock der Politik des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg zwischen 1909 und 1917. Schoeps betont:

„Diese Politik der Tendenzen und Interessen forderte für sie eine Zurückdrängung des Übergewichtes Rußlands, wie es auch im Interesse Englands liegen müsse. In ihren Augen gaben die orientalischen Verwicklungen gleichsam den Startschuß ab für eine Aktivierung der preußischen Außenpolitik und ihrer einzugehenden Allianzen zwecks Neubestimmung der preußischen Machtstellung und Wiedergewinnung des alten Prestiges“.

Der liberale Historiker der Reichseinigungs-Epoche, Heinrich von Sybel, konkretisiert:

„Hier sei, meinte man, wieder einmal eine Gelegenheit geboten, wie Preußen durch eine kühne Politik sich mit einem Schlage an die Spitze Deutschlands emporschwingen könne und der ganz Europa beengenden russischen Übermacht für immer ein Ende machen könnte“ (Hervorh.v.m., B.S.).

Vor allem aber ging es um die Abgrenzung zwischen österreichischen Egoismen und  preußischen Verpflichtungen; die jeweiligen Interessen seien genau zu definieren. Österreich insgesamt wurde als schwacher Bündnispartner verstanden (analog Dietrich von Bethmann Hollweg in seiner Denkschrift vom 24.6.1914); darin folgte die Wochenblatt-Partei ihrerseits durchaus Bismarck. Ein Majorisieren Österreichs im Frankfurter Bundestag, dies mit Hilfe der Mittel- und Kleinstaaten, und unter Zuhilfenahme der Verbindung mit England, bildete das Szenario der Liberalen für eine preußische Vorherrschaft in Deutschland. In der Ausgabe des Wochenblattes aus dem Januar 1852 wurde geraten, „das preußische Heer England zur Führung seiner Kontinental-Kriege zur Verfügung“ zu stellen. Ein Gedanke, der noch wiederholt in deutsch-englische Verhandlungen einfließen sollte.

Den Zenit ihres Einflusses erreicht diese Gruppe um Bethmann Hollweg gegen Ende des Jahres 1853, als der Vertraute der Prinzessin von Preußen, Graf Albert von Pourtalès, im Auswärtigen Amt damit beauftragt wurde, die orientalischen Angelegenheiten zu bearbeiten. Dahinter stand der Wunsch des Ministerpräsidenten von Manteuffel, sich von den Vorstellungen dieser Gruppen zu lösen. Im Winter dieses Jahres wogte in Berlin der Kampf zwischen konservativen und liberalen Kräften. Gleichzeitig kennzeichnete das bereits erwähnte Zickzack der offiziellen preußischen Politik diese Wochen. Berlin stand mehrfach kurz vor dem Anschluss an die Westmächte. Dann allerdings verschwanden deren totalitären Ansprüche. Im März des folgenden Jahres, mit der entscheidenden Audienz vor dem König, gaben sie die ultimative Erklärung ab, eine Sondermission nach London nur annehmen zu können, wenn Friedrich Wilhelm zu einem förmlichen Bündnis mit den Westmächten, und, gegebenenfalls auch zum Krieg gegen Rußland bereit sei.

Friedrich Wilhelm IV., sah sich einer offensichtlich erpresserischen Aktion der Parteigänger des Wochenblatts gegenüber, die sich in dieser Erklärung Pourtalès einerseits, und andererseits in einer Denkschrift des Gesandten Josias von Bunsen „Über die gegenwärtige Lage und Zukunft der russischen Crise“, die nahezu gleichzeitig in Berlin eintraf, geradezu selbst überschlug. Bunsen entwickelte, in freier Verwertung Palmerstonscher Inspirationen eine Wiederherstellung Groß-Polens, das an die sächsischen Albertiner fallen sollte,

„während die Coburgischen Ernestiner, das Königreich Sachsen erhalten sollten, Rußland sollte zerstückelt werden die Ostseeprovinzen mit Einschluss von Petersburg an Preußen und Schweden kommen. An Preußen sollen ferner Österreichisch-Schlesien und Mähren fallen, Österreich sollte die Lombardei gegen die Donaufürstentümer tauschen, Schweden die Alandinseln und Finnland erhalten“ (Hervorh.v.m., B.S.).

Schoeps scheinen diese Vorstellungen, die der Politik des „polnischen Grenzstreifens“ und der Russland-Politik Bethmann Hollwegs zwischen 1909 und 1917 (Septemberprogramm, 1914, Fritz Fischer) zu Grunde lagen, in Friedens- und Kriegszielen Deutschlands in zwei Weltkriegen verwandt.

Herauskam aus dieser Kalamität, dass, wie Leopold von Gerlach berichtete, „die Bethmänner … für jetzt die Schlacht verloren“ hätten. Dieser,

„durch ein äußerst plumpes Auftreten von Bunsen, der den König vor den Kopf gestoßen und – beinahe zu dem Entschluss bestimmt“

hätte, „ihn und Manteuffel zu beseitigen“. Bismarck habe „zwei Tage später erzählt“, Friedrich Wilhelm sei „voller Zorn über Bunsen und Manteuffels Rückendeckung“ entschlossen, „ihn (Bismarck) an des Ministerpräsidenten Stelle zu setzen“. Gerlachs Aufzeichnungen lassen die dramatischen Vorgänge ermessen. Am 8. März 1854 legte er in seinem Tagebuch nieder:

„Abends Fraction, dann bei Vossens, wo Bismarck, der mir Bunsens dreistes instructionswidriges Schwanken nach links, seine Lügenhaftigkeit, vermöge deren Lord Clarendon nicht in einem Zimmer mit ihm sein wolle etc., wird des Königs Zorn darüber, dessen Erklärung ihn, wenn Manteuffel noch einmal so wie diesmal sich benehme, an Manteuffels Stelle zu setzen, Manteuffel's Kleben an seinem Posten etc. etc. erzählt“.

Damit, und ergänzt um einen Vorfall in der Kammer, wo der Kriegsminister von Bonin (ebenfalls Wochenblatt-Partei) sich zu brutal-ungeschickten Äußerungen gegenüber Russland hinreißen ließ, kam es zur Intervention des Prinzen von Preußen, gegen die Politik Friedrich Wilhelm IV. Im Tagebuch Varnhagen* finden sich schlagende Anmerkungen wie:

„In der Kredit-Kommission der Zweiten Kammer hat besonders der Kriegsminister von Bonin schlagenste Erklärungen gegeben, daß ein Anschluß an Rußland ein Verbrechen, eine Unmöglichkeit sei, daß niemand daran denken dürfe. Der König hat ihm diesen Eifer entsetzlich übel genommen, und dem Kriegsminister die bittersten Beinamen erteilt“.

Oder am 5. Mai 1854:

„Einen Monat später schrieb der Prinz an Manteuffel wieder einen erregten Brief, in dem er schon den Gedankengang entwickelte, daß die Kamarilla, die den König gefangen halte, ihn, den Thronfolger, verfolge, indem seine persönlichen und politischen Freunde entfernt werden sollten. Er nennt dabei Usedom und Pourtalès. Dann heißt es: 'Als mir vorgestern der Fürst (Hohenzollern) sagte, er habe den König gefragt, mit wem er hier offen sprechen könne und er erwartete, meinen Namen zu hören, sagte der König: 'Mit meinem Bruder Karl, der ist von Allem unterrichtet', da war es mir klar, wohin es kommen sollte und wohin es gekommen ist! Eine ähnliche Andeutung hatte mir auch schon der Herzog von Coburg gemacht“.

Am 18. November 1854 schreibt der Prinz von Preußen an Manteuffel:

“Ob Österreich im Frühjahr den Krieg wünscht, wie Hatzfeld* schreibt, wird wohl ganz von der Disposition der Westmächte, nach Anhörung der russischen Adaption der vier Punkte, abhängen. Neigt man sich zum Frieden, so will Österreich gewiss nicht losschlagen; andernfalls wird Österreich konsequent bleiben und alles anwenden, damit in dieser orientalischen Frage Rußland nicht recht behalte. Das ist auch unsere Aufgabe. Vergesse Preußen niemals über eine germanisierte Frage die europäische Frage. Darf Rußland triumphieren in derselben? Wäre dies der Fall, wer in Europa hätte dann noch einen Willen gegen dasselbe? Darin liegt die Quintessenz unserer Aufgabe!”

Im Ergebnis verschwanden daraufhin sämtliche “rein westlich orientierten Politiker. ... aus den praktischen Regierungsgeschäften”. Die Wochenblatt-Partei resignierte in der Folge mit dem Abschluss der österreichischen Konvention. Die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus von 1855 brachten zusätzlich “den Höhepunkt der Reaktion”. Erst mit der neuen Ära sollte erneut eine Chance für die liberalen Kräfte kommen. Im Jahre 1858 übernahm der liberal orientierte Prinz von Preußen die Regentschaft für den erkrankten König. Anlässlich der Neuwahlen erlitten die Konservativen einen tiefen Einbruch in der Wählergunst. Sie verloren 180 Sitze und gingen auf 60 zurück. Dem entsprach der Sieg der Liberalen, die von 57 auf 210 Sitze zunahmen.

Die Politik der “wohlverstandenen Interessen”, hatte über jene der “weltanschaulichen Prinzipien” triumphiert. Der Weg gegen ein parlamentarisches System, und dessen Fortentwicklung, begann und entsprach der Überzeugung des Legationsrates Küpfer, der im Herbst 1855 für den Prinzen von Preußen zusammengefasst hatte:

“Für die eigentümlichen Bedingungen der preußischen Macht und für den Militärstaat ist ein solches ausgebildetes politisches Parteiwesen recht eigentlich ein tödliches Gift”.

Ob die Wochenblatt-Partei und die Altliberalen voneinander getrennt gesehen werden oder nicht, alles läuft darauf hinaus, dass die außenpolitischen Vorstellungen beider Gruppen miteinander konform gingen. Georg von Finke, Max Duncker, und die Überzeugungen, die den Lexika Rotteck-Welckers und Hermann Wageners zugrunde lagen; die Grundrichtung der preußischen Liberalen favorisierte die Westmächte England und Frankreich, dahinter stehend möglicherweise schon die Vereinigten Staaten. Diese Richtung sah in dem Oststaat Russland, vor allem innenpolitisch, den verhassten Antipoden. Hier vorbereitet, finden sich die Grundpositionen des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, der auf den “Vorstellungen fast aller Liberaler der Jahrhundertmitte fußte”, nämlich der “Feindschaft gegen Russland”, und der die Sozialdemokratie mit dem Bild des autokratischen Russland, zwischen 1912 und 1914, in den Krieg manövrierte (August Bebel, Hugo Hase, Südekum). So spricht bereits die erste Auflage des Rotteck-Welcker von “Rußland als dem Hort des Absolutismus” und denken die Liberalen skeptisch über die Befähigung des Zarenreiches, sich zu reformieren, da dieses “ein zu schwaches Bürgertum besitze”. Nur liberale Reformen würden von innen heraus das despotische System – auch die Heilige Allianz der östlichen Monarchien – wie das liberale Bürgertum überzeugt war, zu Fall bringen.

Der preußische Gesandte in London, Schleinitz*, unterstreicht die preußisch-englischen Gemeinsamkeiten. Der Prinzregent will die Annäherung an England. Eigentlich steht heute – 2014 - die gleiche Frage an, Deutschland muss entscheiden, wohin es kulturell-weltanschaulich gehört. Die Zerschlagung und Vernichtung der Großmacht Russland ist auch das Ziel Theobald von Bethmann Hollwegs gewesen, der dieses Ziel im Weltkrieg von 1914-18 verfolgte. Spätestens seit dessen Besuch in Baltischport 1912, als dem Kanzler das Tempo der russischen Industrialisierung (mit französischem Kapital) deutlich wurde.

Konstantin Frantz, Beamter unter Manteuffel, und über weite Strecken von der deutschen Historikerzunft (Werner Frauendienst/Gerhard Ritter) nach 1945 als Außenseiter bekämpft, da dessen Äußerungen vorgeblich ohne Wirkung geblieben seien, vertrat letztlich die Position der Wochenblatt-Partei, wenn er “ein Zusammengehen Deutschlands mit England« forderte. Als preußischer Generalkonsul in Barcelona schrieb er:

“Wir proponieren ein System, dessen Basis die Allianz Preußens mit England bildet und wozu Österreich das Akzessorium ist”.

Weiter entwickelt, dachte Frantz an einen föderal ausgestalteten Staatenbund, dem

“alle der romanischen Staaten Nord- und Mitteleuropas … sich angesichts der Gefahr eines Zusammenschlusses der beiden Flügelmächte, Frankreich und Rußand, anschließen”

würden (Kontakte des Gr. Generalstabes vor 1914 in Richtung Schweden, von Lüttwitz). Eine Situation die 1875 und 1892/94 drohen, und schließlich eintreten sollte. Hier blitzt der von preußischer Seite entwickelte Plan des Konstantin Frantz, “das konservative Gegenstück zu Fürst Felix Schwarzenbergs Mitteleuropaplan, eines deutschen Staatenbundes mit 70 Millionen Menschen” auf. Im letzten Friedrich Naumanns, Walter Rathenaus und Theobald von Bethmann Hollwegs (Karl Lamprecht), zwischen die Flügelmächte gestelltes, und deutsch bestimmtes, Mitteleuropa von 1914/16.

Der konservative Parteigänger Senft von Pilsach hatte im Februar 1854 die unveränderte Haltung der Konservativen bekräftigt, und an Friedrich Wilhelm IV. geschrieben:

“Ich halte eine Allianz mit Rußlands Feinden oder auch nur eine Hinneigung zu derselben für einen folgenschweren politischen Fehler, weil ein solches Verhalten unausbleiblich zu einer Allianz Rußlands mit Frankreich führen wird”.

Dieser Ablehnung der Gedanken der Wochenblatt-Partei vor dem König entsprach Ludwig von Gerlachs Äußerung im Januar 1856, sein Bruder Leopold fürchte

“den Frieden, auf den  [die] Alliance mit Rußland und Frankreich folgen könne und wünscht wieder Anknüpfung mit England und Krieg mit Frankreich, wie alle 'ordentlichen Leute' ihn 1794-1813 gewünscht hätten”.

Allgemein ging unter den Konservativen, im Preußen jener Jahre, die Befürchtung um, die englische Politik könne “Rußland in die Isolierung treiben und eine französisch-russische Alliance heraufbeschwören”. Das würde sich dann letztendlich in “'ein polizeistaatliches Continental-System gegen England auswachsen”. Ein französisches Bündnis scheide deshalb aus, weil allein schon die Berührung zur Vergiftung führen könne. In der Auseinandersetzung Bismarck-Gerlach breche, so Schoeps, der ganze Gegensatz zweier Welten auf. Der Gegensatz Interessen- und Moralpolitik. Gerlach schrieb an Bismarck:

“Diesen (den Bonaparte) zu beurteilen, haben die Alten einen Vorzug vor den Jungen. Die Alten auf der Bühne sind hier aber der König und meine Wenigkeit, die jungen Fra Diavolo (= Manteuffel) u[nd] s[o] w[eiter], denn FD war 1806-1814 im Rheinbund und Sie noch nicht geboren. Wir haben aber den Bonapartismus zehn Jahre practisch studiert, uns ist er eingebläut worden. Unsere ganze Differenz liegt auch daher, da wir in der Wurzel einig sind, allein in der verschiedenen Ansicht des Wesens dieser Erscheinung”.

Preußen ging aus den wirtschaftlichen Rezessionen zu Anfang des Jahrhunderts gestärkt hervor. Der Niveauunterschied, der über drei Jahrhunderte mit Westeuropa bestanden hatte, wurde überwunden. Bevölkerungswachstum, verbesserte Produktionsmethoden der Landwirtschaft, und die Expansion von Verkehrswesen wie Industrie, erbrachten eine Wachstumsrate von linear 1,2% zwischen 1820 und 1850. Berlin errrang im Deutschen Bund wirtschaftlich die Suprematie. Die industrielle Entwicklung zeichnete damit den militärisch-politischen Sieg von 1866 über Österreich vor. Die staatliche Verwaltung, das Beamtentum, folgte nur zögernd dieser Entwicklung. Gleichwohl zeichnete sich die Regierung Mannteuffel durch die, wenngleich zögernde, Überwindung der merkantilistischen Staatspraxis aus.

“Die Tradition in Preußen war zählebig, und die Vorstellung, dass das ganze Land ein vom König und dessen Räten zu bewirtschaftendes Rittergut sei, hielt sich bis in das Zeitalter der Dampfmaschinen und Eisenbahnen”.

Bismarck ordnete das Prinzip der Legitimität dem des “Preußischen Patriotismus” vollständig unter. “Vorurteilsfreiheit und … Realismus” kennzeichneten seine Politik. Ihm oblag es, die Umorientierung der Berliner Außenpolitik, nach dem Frieden von Paris 1856, zu vollziehen. Frankreich, inzwischen zur ersten Macht in Europa aufgestiegen, sollte sein künftiger Bündnispartner werden. Bismarck schnitt damit den deutschen Mittelstaaten die Rheinbund-Option ab. Dass er damit durchaus auf verlässlichem Boden stand, wurde ihm während seiner Besuche in Paris, zur Industrieausstellung im Sommer 1855 und um Ostern 1857 klar. So begann etwas völlig Neues, was mit dem Krimkrieg, dem letzten “Kabinettskrieg alten Stils”, und den Feldzug von 1859 in Norditalien, begonnen hatte. Dass die überkommene Pentarchie der europäischen Mächte Vergangenheit war, wurde allseits anerkannt. Ob Staatsbeamter oder konservativer Bannerträger, sämtlich wurde nun gesehen, die Politik im metahistorische[n]m Sinn” habe ausgedient.

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Gravatar: Dr. Bernd F. Schulte

Lassen Sie mich bitte ergänzen:
a) um kein Mißverständnis über das Ziel dieses Beitrages aufkommen zu lassen und
b) einige Ergänzungen zu den handelnden Personen (mit Blick auf die Jahre 1852-55).

Es geht hier:
a) um die besondere Rolle Russlands in Europa seit 1815,
b) die politische Entschluss-Fähigkeit Preußens zwischen West- und Ostmächten,
c) die Annexions-Pläne der preußischen Liberalen um Moritz August von Bethmann Hollweg (1852-55), vor allem gegenüber Russland,
d) dies weiter (und hier der Bezug zu 1914) in Verbindung mit dem “September-Programm” Theobald von Bethmann Hollwegs; mit ausgreifenden Annexionen im Osten (Polnischer Grenzstreifen, Großherzogtum Polen, Baltikum etc.).
Auch erscheint der, quasi “deliberately” gefasste, Kriegsentschluss des demokratisch regierten England gegen Russland wesentlich; der Krimkrieg sollte Petersburg auf Dauer aus dessen überlegener Machtposition gegenüber Europa herauskatapultieren.

1 Beide Vertreter des sozialreformerischen ‘Kathedersozialismus’ in der deutschen Volkswirtschaftslehre, juristisches Examen und Promotion an der Universität Jena 1891, durch ein Stipendium des Reichskanzleramtes Aufenthalt in New York 1893, durch eine anschließende Studie über den Getreidehandel in den USA, unter Berücksichtigung der Einführung eines Börsengesetzes, Anstellung im Preußischen Ministerium für öffentliche Arbeit, Teilnahme an einer einjährigen Reise einer preußischen Handelsdelegation durch Ostasien (Japan, China und Korea) 1897-98, Berufung zum außerordentlichen Professor für Volkswirtschaftslehre an die Universität Kiel 1899, Wechsel nach Köln als Leiter der Handelshochschule in Köln und a.o. Prof. an der Universität Bonn 1901, Professor an der Columbia-University in New York im Rahmen des deutsch-amerikanischen Austausch-Programms “Kaiser-Wilhelm-Professur” 1906/07, die 1905 durch Prof. Dr. Friedrich Althoff (*19.2.1839 in Dinslaken, †20.10.1908 in Berlin) initiiert worden war, Studienreise nach Java, British-Malaya und Sumatra 1910-11, Ordinarius und Professor für Sozialpolitik an der Berliner Universität 1917-35.

Handelnde Personen.

* Albert Alexander Graf von Pourtalès, 1812-1861. 1838 Eintritt in den diplomatischen Dienst. Verschiedene diplomatische Stellungen 1838-41. Bis 1848 Legationsrat im Aussenministerium. 1851 Gesandter in Konstantinopel. Gründungsmitglied der liberal-konservativen Wochenblattpartei. Ende 1853 bis März 1854 im Staatsdienst. Dann kaltgestellt.

* Josias von Bunsen, 1791-1860. Aus kleinen Verhältnissen, in Korbach/Hessen geboren. Niebuhrs Sekretär und Nachfolger in Rom. Nach kurzer Vorstellung in der sSchweiz (1839-41) Botschafter in England (1841-1854). Berater König Friedrich Wilhelm IV. In der Revolution von 1848. Wollte Preußen vom Einfluß Rußlands und Österreichs befreien und ein Bündnis mit England schließen. Im Krimkrieg sollte Preußen im Nordosten aktiv werden (Geheime Denkschrift 1.3.1854). Doch Friedrich Wilhelm entschied sich für eine wohlwollende Neutralität zwischen den Westmächten und Rußland. Bunsen beharrte auf seinen Vorstellungen und demissionierte.

* Prinz Albert von Sachsen Coburg-Gotha, 1819-1861.

* Otto von Bismarck, 1815-1898. Die Entscheidung der preußischen Regierung im Jahr 1854 (vor dem Hintergrund des Krimkrieges), das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, stieß bei Bismarck auf Kritik. Als Österreich sich danach offen gegen Russland wandte, gelang es Bismarck 1855, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Russland abzuwenden. Dieser Erfolg ließ sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg plädierte er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hoffte.

* Der Schwarzenberg-Brucksche Plan: Zu dem Staatenblock sollten der Deutsche Bund, die bislang nicht dazugehörenden preußischen Gebiete und die gesamten Länder der Habsburger Monarchie gehören. In diesem neuen Reich, mit einer Ausdehnung von Ungarn über Norditalien bis an die Ost- und Nordsee hätten somit etwa 70 Millionen Einwohner gelebt. Es wäre somit das mit Abstand bevölkerungsreichste Land in Europa geworden. So betrug die geschätzte Gesamtbevölkerung Europas 1850 nur etwa 195 Millionen Menschen, davon lebten 39 Mio. in Russland, 29,3 Mio. in Frankreich und 16,6 Mio. in England. [1

* Prinz Wilhelm von Preußen (Kaiser Wilhelm I.). 1795-1888. Der liberale Hof von Koblenz.

* Heinrich von Sybel. 1817 - 1895 . Deutscher Historiker, Archivar und Politiker.

* Ernst Ludwig von Gerlach. 1795-1877. Preußischer Politiker, Publizist, Richter. Er gilt als einer der maßgeblichen Begründer und Vordenker der Konservativen Partei in Preußen.

* Zar Nikolaus I. 1796-1855. Verheiratet mit Charlotte von Preußen. Verschiedene Bündnisse mit nahezu allen europäischen Staaten erwiesen sich als nicht belastbar, als Nikolaus 1853 versuchte, die Türkei zu erobern. Großbritannien und Frankreich traten gegen ihn in den Krimkrieg, keine andere Macht unterstützte Russland. Die Heeresorganisation Russlands erwies sich als ungenügend, der Einfall in die Türkei misslang, die Krim wurde von den Verbündeten angegriffen und die russische Armee in der Schlacht an der Alma und der Schlacht von Inkerman geschlagen. Noch vor dem Ende der Kämpfe starb der mittlerweile an Schüttelfrost und an einer Lungenentzündung erkrankte[1] Nikolaus I. am 18. Februar 1855.

* Friedrich Wilhelm IV. 1794-1861. Die erste große Zäsur im Leben des Kronprinzen sollte die Niederlage der preußischen Armee gegen die französischen Truppen Napoleons I. in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 werden. Die königliche Familie floh nach Ostpreußen. Eine besondere Rolle fiel Friedrich Wilhelm während der Revolution von 1848/49 zu, als er die von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone ablehnte. Aus gesundheitlichen Gründen übergab er am 7. Oktober 1858 nach 18 Regierungsjahren die Regentschaft an seinen jüngeren Bruder Wilhelm.

* Friedrich Julius Stahl. 1802-1861. Stahl war 1848/49 Mitbegründer und Organisator sowie Programmgeber der Konservativen Partei Preußens. Er war Mitglied des Preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit. Dass Stahls Einfluss als Rechtsgelehrter groß war, geht u. a. daraus hervor, dass seine Definition des Rechtsstaats bis heute die in Deutschland meistzitierte ist. Stahls herausragende Rolle für die Entwicklung einer modernen konservativen Staatslehre bestand demnach vor allem darin, dass er die – im Übrigen auch im Lager des gemäßigten Liberalismus beliebte – Organismus-Metapher nicht bloß für restaurative Zwecke heranzog, sondern sie als Ausgangspunkt für den Aufbau eines normativen Rechtssystems einschließlich Konstitutionalisierungs-Perspektive produktiv nutzte. Als erster Konservativer differenzierte Stahl zudem zwischen Staat und Gesellschaft und erfüllte damit ein zentrales Kriterium modernen politischen Denkens. Das Scheitern der Unionspolitik durch die Olmützer Punktation war ihm nur recht; so wurde das Einvernehmen in der Heiligen Allianz mit Österreich und Russland wiederhergestellt. Aus diesem Geiste heraus setzte er sich auch 1854 für die preußische Neutralität im Krimkriege ein, als Bunsen und andere Parteigänger Englands Friedrich Wilhelm IV. zum Eingreifen drängten. Der König hatte 1840 verheißen: „Ich will Frieden halten in meiner Zeit.“ und hielt dies nun ein. Preußen war bewusst neutral geblieben, und Stahl begründete dies in einer Rede vor der ersten Kammer als „Fazit einer Politik nach höherem Prinzip“.

* Napoleon III. Französischer Kaiser. 1808-1873. Der Versuch Russlands, sein Gebiet auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reiches zu vergrößern, sollte durch den Einsatz einer alliierten Streitmacht unter französischer Führung verhindert werden. Im Mai 1854 landeten die alliierten französisch-britischen Truppen bei Warna und im September 1854 auf der Krim. Nach mehreren Schlachten und fast einjähriger Belagerung konnte im September 1855 Sewastopol eingenommen werden.

* Senfft von Pilsach, 1795-1882. Als der Kronprinz im Jahr 1840 König von Preußen (Friedrich Wilhelm IV.) wurde, ernannte er Senfft von Pilsach zu seinem Berater. Von 1845 bis 1848 war er Geheimer Oberfinanzrat im Ministerium des Königlichen Hauses. 1848 war Senfft von Pilsach Mitbegründer der Kreuzzeitung. Von 1852 bis 1866 schließlich war er Regierungspräsident in Stettin und amtierte gleichzeitig als Oberpräsident der preußischen Provinz Pommern in Stettin und ab 1855 war er Mitglied des Preußischen Herrenhauses.

* Moritz August von Bethmann Hollweg, 1795-1877. Bethmann Hollweg versuchte, politisch eine Position der Mitte zu vertreten: Seine ab 1852 zusammen mit Robert Graf von der Goltz im Wochenblatt publizierte Haltung bestand in der Forderung des kontrollierten Ausbaus eines Verfassungsstaates in einem konservativ-liberalen Sinne. In den 1850er Jahren war er der Kopf der Wochenblatt-Partei. Er galt als Haupt seiner Fraktion, die trotz geringer Anzahl durch geistige Bedeutung ihrer Mitglieder und ihrer politischen Gesinnung hervorragte. Von 1858 bis 1862 war Bethmann Hollweg preußischer Kultusminister.

* Hugo Graf Münster-Meinövel, 1812-1880. 1850 erfolgte seine Versetzung zur königlichen Adjutantur. Im gleichen Jahr erhielt er die Beförderung zum Major und war Flügeladjutant von König Friedrich Wilhelm IV. Ab 1850 war er für sechs Jahre Militärbevollmächtigter in St. Petersburg. In dieser Zeit wurde er 1853 Oberstleutnant, zwei Jahre später Oberst und nach Rückkehr 1856 Kommandeur des Regiments der Garde du Corps. Die Beförderung zum Generalmajor erhielt er 1859. 1863 wurde er außerordentlicher Gesandter am Kurhessischen Hofe.

* Karl Gero Ludwig Graf von Usedom, 1805-1884. Nach 1854 lebte U. einstweilen ohne amtliche Verwendung zu finden, als Wirklicher Geheimer Rath, wurde aber 1859 vom Prinz-Regenten wieder in den activen Staatsdienst gezogen und zunächst an den Bundestag in Frankfurt geschickt. U. gehörte seiner geistigen Abstammung nach in jene Reihe preußischer Staatsmänner, die aus den ersten Decennien des Jahrhunderts, in welche ihre Jugendeindrücke fielen, das politische und sittliche Erbe jener großen Zeit in die Enge und Sprödigkeit späterer Zustände unverkümmert mit hinüber nahmen. Bei aller persönlichen Verehrung für König Friedrich Wilhelm III. und IV. war er doch ein bestimmter Gegner ihrer Politik. In dem Unterlassen der zugesagten Einführung der Verfassung, in dem bedingungslosen Anschluß an Oesterreich erblickte er hauptsächlich die Ursachen des Verfalls der preußischen Monarchie, wie ihn das Jahr 1848 in so trauriger Weise darstellt.

* Robert Graf von der Goltz, 1817-1869. Er schloss sich während der Reaktionszeit der gemäßigt-liberalen Partei an, übernahm jedoch 1854 die Stelle als Ministerresident in Athen und wurde 1857 Gesandter am griechischen, 1859 am osmanischen Hof in Konstantinopel.

* Dr. Karl Albert Julius Hellmuth von Jasmund, 1827-1879. Nov. 1851-Jan. 1858 Redakteur des Preuß. Wochenblattes. Leitung des Preuß. Wochenblattes. Jan. 1858-Mai 1859 Direktor der Zentralstelle für Preßangelegenheiten beim Staatsministerium. Seit 1859 zweiter, später erster Sekretär der preuß. Gesandtschaft am Bundestag in Frankfurt/Main.

* Eduard Wilhelm Ludwig von Bonin, 1793-1865. wurde im März 1852 zum Generalleutnant und Kriegsminister ernannt. Als solcher bemühte er sich um Einführung größerer taktischer Beweglichkeit bei der Infanterie. 1854 trat er zurück, weil er während des Krimkriegs die preußische Politik von russischem Einfluss zu befreien gesucht hatte, erhielt das Kommando der 12. Division in Neisse und wurde 20. März 1856 Vizegouverneur der Festung Mainz. 1858 wurde er vom Prinzregenten wieder mit dem Kriegsministerium betraut, aber im Dezember 1859 wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Reorganisation der Armee wieder entlassen und zum Kommandierenden General des VIII. Armee-Korps in Koblenz ernannt, wo er am 13. März 1865 starb.

* Wilhelm II., 1859-1941.Letzter Deutscher Kaiser. 1918 autorisierte er den Plan, Russland nach Abtretung Polens, des Baltikums und des Kaukasus in vier unabhängige „Zarentümer“ zu teilen: die Ukraine, den Südostbund als antibolschewistisches Gebiet zwischen der Ukraine und dem Kaspischen Meer sowie in Zentralrussland und Sibirien. Diese Form der Beherrschung ergäbe eine „Brücke nach Zentralasien zur Bedrohung der britischen Stellung in Indien“. Der Plan eines „Südostbundes“ stand dabei in Konkurrenz zu osmanischen Absichten.[19] Kanzler Hertling, der Livland und Estland „in gewisser Ferne als freundschaftlich uns angeschlossene Staaten“ bezeichnete, wurde von Wilhelm zurückgewiesen: „Unsinn! Das Baltikum ist eins, und ich werde sein Herr und dulde keinen Widerspruch, Ich habe es erobert und kein Jurist kann es mir nehmen!“

* Friederich II. von Preußen, 1712-1786. Preußischer König. Entscheidung 1762: Die endgültige Wende kam, als am 5. Januar 1762 überraschend die russische Zarin Elisabeth starb und Russland daraufhin aus dem Kreis der mit Österreich Alliierten ausschied. Elisabeths Nachfolger Peter III. war bis zu seiner Ermordung im Juli 1762 drei Monate lang sogar mit Friedrich verbündet; auch dessen Witwe und Nachfolgerin Katharina II. nahm die antipreußische Politik Elisabeths nicht wieder auf. Damit war das antipreußische Bündnis auseinander gebrochen, Maria Theresia und Friedrich schlossen 1763 den Frieden von Hubertusburg, der den Status quo ante festschrieb.

* William Pitt (der Ältere), 1708-1778. Earl of Chatham. Nachdem er 1755 aus dieser Stellung ausgeschieden war, wurde er 1756 zum Ersten Außenstaatssekretär (Secretary of State for the Southern Department) ernannt, erhielt aber schon nach zwei Monaten seine Entlassung, da er den Krieg nur mit Rücksicht auf die englischen Interessen und ohne Berücksichtigung der Hannoverschen Erblande des Königs geführt wissen wollte.

* Lord Clarendon, 1800-1870. 1853 war er maßgeblich für die Verwicklung Großbritanniens in den Krimkrieg verantwortlich. Sodann wirkte er aber daran mit, den sogenannten Dritten Pariser Frieden zustande zu bringen, durch den dieser Krieg beendet wurde. Mit dem Ende der Koalition schied auch er 1858 aus dem Amt.
Erst 1864 in der Regierung Palmerston. Nach dessen Tode wurde er erneut Außenminister, nunmehr wieder unter Lord Russell. Letztmals bekleidete Villiers in der ersten Regierung Gladstone ab 1868 das Amt des Außenministers.

* Ludwig Roselius, 1874-1943. Gründer Kaffee HAG (entkoffeiniert), Bremer Kaffeeröster und -händler. Stinnes, der ohnehin energisch für die Annexionen in Belgien eintrat, lieferte Roselius Angaben über Erz- und Kohlelagerstätten in Belgien und Frankreich. … Es ist schwer zu sagen, wie ernst Stinnes die Zusammenarbeit mit Roselius und das Eintreten für dessen anti-russisches Programm meinte. Was ihn offenkundig nicht besonders interessierte.

* Kurt Riezler, 1882-1955. Legatinosrat im Auswärtigen Amt. Nach einer Weltreise trat er 1906 als Pressereferent ins Auswärtige Amt ein und wurde nach Gesandtschaften ab 1910 in Ostasien, Stockholm und Moskau 1915 Vortragender Rat in der Reichskanzlei unter Theobald von Bethmann Hollweg. Als dessen engster Berater verteidigte er die Kriegs- und Außenpolitik Wilhelms II. im Ersten Weltkrieg; etwa als Verfasser des “Septemberprogramms” 1914. Riezler setzte sich unter anderem für die Förderung einer Revolutionierung Russlands ein, die mit der Unterstützung Lenins im Vorfeld der Oktoberrevolution auch erreicht wurde.

* Erich von Falkenhayn,1861-1922. Preußischer Kriegsminister. In der Julikrise des Jahres 1914 gehörte Falkenhayn zu den Schlüsselfiguren um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wie die meisten Militärs rechnete er damals nicht mit einem europäischen Krieg und hielt die Zeit dafür mit dem Attentat von Sarajevo wohl auch zunächst nicht für günstig. Trotzdem gehörte er dann aber sehr bald zu denjenigen, die Kaiser Wilhelm II. Zur Kriegserklärung drängten.

* Hugo Stinnes, 1870-1924. Rheinisch-westfälischer Industrieller. Kurz nach Kriegsbeginn begann Stinnes, umfassende Annexionspläne, insbesondere gegenüber Belgien, zu unterstützen und zeigte, entgegen früheren Überzeugungen, Sympathien für den Alldeutschen Verband unter dem Krupp-Manager Alfred Hugenberg. Der Wandel ist wohl im Wesentlichen auf ein wirtschaftliches Kosten-Nutzen-Denken, auch in Bezug auf seine eigene unternehmerische Situation, zurückzuführen.

* Arthur von Gwinner, 1856-1931. Vorstand Deutsche Bank. Gwinner war an der Finanzierung der Bagdadbahn, der AEG und von Siemens beteiligt. Aufgrund seiner Auslandserfahrung war er insbesondere für das Auslandsgeschäft der Deutschen Bank zuständig und galt so zur damaligen Zeit auch als deutscher Außenminister.

* Heinrich Class, 1868-1953. Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes. 1908 übernahm er den Vorsitz des Verbandes, den er vor dem Ersten Weltkrieg in scharfen Konflikt mit der Reichsregierung unter Theobald von Bethmann Hollweg brachte. Insbesondere die Zweite Marokkokrise 1911 zeigte deutlich die radikale Position des Alldeutschen Verbandes. Im September 1911 trieb er zusammen mit August Keim die Gründung des Deutschen Wehrvereins voran, um die Heeresrüstung zu forcieren. Claß war der Auffassung, dass ein großer Krieg unvermeidlich sei. Er propagierte die Erbfeindschaft mit Frankreich und die Perfidie Englands.

* Otto Hammann, 1852-1928. Pressereferent im Auswärtigen Amt von 1894 bis 1916. Zu Arthur von Huhn als Vertreter der Kölner Zeitung und August Stein von der Frankfurter Zeitung hatte er ausgezeichnete Verbindungen. Eine Änderung zum Amt des Reichskanzlers trat mit dem Amtsantritt von Bernhard von Bülow am 17. Oktober 1900 ein. Ab jetzt erhielt Hammann bei von Bülow ein direktes Vortrags- und Zugangsrecht. Damit war aber auch eine Auseinandersetzung mit von Holstein gegeben, der kein “Neben-Kabinett” dulden wollte. Der Konflikt in der Regierung eskalierte in der Marokkokrise im Frühjahr 1905.

* Walter Rathenau, 1867-1922. Industrieller, liberaler Politiker, Kriegsrohstoff-Abteilung des Preuß. Kriegsministeriums, Reichsaußenminister der Weimarer Republik. Da die AEG stark an der deutschen Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg beteiligt war, war Rathenau als ihr Aufsichtsratsvorsitzender auch in die Kriegsplanungen der Reichsregierung eingebunden. Am 16. September 1916 nahm er an einer Konferenz im preußischen Kriegsministerium teil, auf der Carl Duisberg und andere führende Industrielle angesichts des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland forderten. Rathenau unterstützte ihre Forderung in einem Brief an General Erich Ludendorff, in dem er sich für scharfe Maßnahmen gegen die belgische Zivilbevölkerung aussprach.

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