Popcorn-Kultur

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Kultur soll heute in erster Linie Spektakel und Amüsierbetrieb sein. Mario Vargas Llosa rechnet in seiner Streitschrift „Alles Boulevard“ mit dieser Massenkultur ab. Der Autor ist ein eingefleischter Liberaler, doch in seinem Buch stimmt er durchaus kulturkonservative Töne an.

Die herrschende Weltkultur fördert den Einzelnen nicht, sie verblödet ihn, nimmt ihm die Klarsicht und den freien Willen, so der peruanische Schriftsteller. Er ist kein gläubiger Mensch, und so nimmt die Kultur bei ihm die Stelle der Religion ein. Die großen Schriftsteller wie Tolstoi, Thomas Mann, selbst Joyce und Faulkner hätten noch Bücher geschrieben, die den Tod besiegen und ihre Schöpfer überlebt hätten. Heute ist alles Popcorn.

Auch der Durchschnittsbürger wird sich dieser Feststellung nicht verweigern können. Denn in unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, welches mit einer sogenannten „Demokratieabgabe“ unterhalten wird, um horrende Pensionslasten der Intendanten zu finanzieren, findet fast nur noch Klamauk statt. „Meisterköche“ und „Modemacher“ sind an die Stelle von Wissenschaftlern, Komponisten oder Philosophen getreten.

Natürlich war früher nicht alles besser. Doch jeder Leser sogenannter „Qualitätsmedien“ kann bestätigen, dass zum Beispiel die FAZ oder Die Zeit längst nicht mehr das Niveau halten, welches sie vor 20 Jahren einmal hatten. Alles Boulevard: Vielleicht auch ein Grund für den Niedergang der Printpresse.

Die Banalisierung und die Kultur des Spektakels haben weder vor der Politik, noch der Literatur, dem Film oder der bildenden Kunst Halt gemacht. Der Siegeszug der Informationstechnologien ist hier mehr Fluch als Segen: „Vertrauen wir einer Software die Bewältigung aller kognitiven Aufgaben an, reduziert dies die Fähigkeit unseres Gehirns, stabile Wissensstrukturen aufzubauen. Mit anderen Worten: je intelligenter unser Computer, desto dümmer wir selbst.“

Vargas Llosa belebt seine These vom Niedergang der Hochkultur an verschiedenen Beispielen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Journalismus, Religion, Erotik. „Miteinander zu schlafen ist in der westlichen Welt heute der Pornografie näher als der Erotik, und so paradox es klingt, aber es ist dies das perverse Ergebnis einer fehlgeleiteten Freiheit.“ Der Generation Youporn ist auf diesem Feld offenbar nicht mehr an Stil und Form, Sublimierung und Privatsphäre gelegen.

Eine Lösung hat auch Vargas Llosa nicht zu bieten. Wahrscheinlich deshalb, weil es keine gibt. Es liegt in der Freiheit des Einzelnen, ob er bloßes Herdentier sein möchte mit einer Kultur für Herdentiere, oder ob er die Schätze des Entlegenen und der Hochkultur für sich entdeckt, wenn er die tiefe Sehnsucht nach einer Kultur verspürt, die den Tod besiegt und immer währt.

Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Suhrkamp Taschenbuch: Berlin 2014, 229 Seiten, 10,99 Euro.

 

 

 

 

 

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