Patzelt: Pegida for President

Wenn es in Deutschland je eine Stadt gegeben hat, für die die Existenz einer Landeszentrale für politische Bildung keine Politfolklore, sondern geradezu eine Notwendigkeit ist, dann ist das Dresden.

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Und wann gab es das zuletzt in diesen Räumen an der Schützenhofstraße. Ein wie in Studentenzeiten bis auf den letzten Platz besetztes Auditorium, ein Dutzend Kamerateams, zahlreiche Hörfunkmikrofone und unzählige Printjournalisten. Selbst die Fensterbretter und später sogar freie Stellen auf dem Fußboden wurden als Sitzplätze gebraucht als Frank Richter, der Leiter der Dresdner Einrichtung, am Dienstagabend ans Rednerpult trat. Es war natürlich das Thema Pegida, das für ein so volles Haus sorgte. Kein Thema seit der Wende hat Deutschland in so kurzer Zeit dermaßen erregt wie dieses Kürzel. Unter dem zogen am Montag wieder rund 20 000 Menschen durchs das dunkle und verregnete Dresden. Wo ließe sich also besser über dieses Phänomen diskutieren als in dieser Stadt und in dieser Zentrale.

Aber am Dienstag zeigte sich, dass deren Leiter Frank Richter der richtige Mann am richtigen Ort ist. Bisher war er eher durch die merkwürdige Diagnose aufgefallen, bei den Pegida-Bewegten handele es sich um „Transformationsverlierer“. Also Menschen, die irgendwie noch die DDR nicht richtig verdaut hätten. Diesen Eindruck konnte Richter am Dienstag nachhaltig geraderücken.

Der ehemalige Pfarrer gehörte zur Gruppe der 20, die bei den Dresdener Protesten 89 erst ein Gespräch mit dem damaligen Oberbürgermeister Berghofer erzwangen und später den Protest in geordnete Bahnen lenkten. Richter sagte, er habe sich unter die Demonstranten gemischt und dabei ein „Erweckungsgerlebnis“ gehabt. Denn er traf dort einen Mitstreiter aus der Gruppe der 20 und dieser habe ihm gesagt: „Frank, ich fühle wie 89. Deshalb laufe ich hier mit“. Und mit dem 89-iger Gefühl sei das Unbehagen gemeint gewesen über die Art wie das Land sich entwickelt und wie die Medien darüber berichten.

Es sei also unverzichtbar, dass über Themen geredet wird, die die Menschen beschäftigen, so Richter. Und das tabulos, ohne Denkverbote und die pauschale Abqualifizierung des Anderen als zurückgeblieben, dumm oder gar Nazi.

Aufgrund der überbordenden Emotionen, die mit dem Thema Pegida einhergingen hatte er für diesen Abend eine Versuchsanordnung gewählt, die sich bei kontroversen Themen bewährt habe - das so genannte Fischglas (Fishbowl). Dabei sitzen vier Leute an einem quadratischen Tisch in der Mitte des Raumes und dürfen ihre Standpunkte vortragen. Ohne Zwischenrufe, und ohne unterbrochen zu werden. Jeder von außerhalb hat das Recht, zu einem der Sprechenden zu gehen, wenn ihm dessen Rede zu langatmig vorkommt und ihm auf die Schulter zu klopfen, damit er den Platz freimacht.

Herrschte anfangs noch etwas Skepsis bei den Versammelten, stellte sich schnell heraus, dass diese Idee nicht so schlecht war. Dadurch, dass die Leute sitzen konnten und nicht befürchten mussten, unterbrochen oder niedergebrüllt zu werden, entspann sich ein wohltuend ruhiger Austausch von Positionen, der dennoch gedämpfte Emotionen zuließ.

Frank Richter hatte auch Politikwissenschaftler Werner Patzelt eingeladen, der inzwischen so etwas wie der wissenschaftliche Doyen der Pegidabewegung geworden ist. Patzelt analysierte in seinem Eingangsreferat gewohnt prägnant, frei und bissig die aktuelle Lage rund um das Phänomen Pegida. Schonungslos sezierte er die Fehler der Medien und gab auch Ferndiagnostikern, die allerorten „Latenznazis“ sähen, und Gegendemonstranten eins mit. Sprüche wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ nannte er das, was sie sind: Versuche von Leuten allein zu bestimmen, worüber in Deutschland diskutiert werden darf und worüber nicht. Sätze wie „Deutschland verrecke“ fußten in ihrer Tiefe wohl auf der Ansicht, dass Deutschland nach Auschwitz kein Recht mehr habe, seine Identität und Kultur zu bewahren. Darüber müsse geredet werden. Und zwar sachlich. An die Adresse der Pegidaleute sagte Patzelt aber auch klar und unmissverständlich: „Wer tausende Menschen um sich schart, der hat die Pflicht zur Führung“.

Patzelt bekam Zustimmung aus beiden Lagern. In den Wortmeldungen der Anwesenden ging es dann um die ganze Bandbreite der pegidaspezifischen Themen.

So sprach beispielweise der pensionierte Pfarrer und ehemalige Superintendent des Kirchenbezirks Löbau-Zittau, Wilfried Weißflog. Er wurde zu DDR-Zeiten bekannt, weil er damals als Pfarrer in Dresden-Gittersee den Widerstand gegen das von der SED geplante Reinstsiliziumwerk anführte. Weißflog, unverdächtig nazistischer Umtriebe, legte dar, warum er überzeugter Pegida-Gänger sei. „Warum gehen die integrierten Muslime nicht auf die Straße gegen die Untaten, die im Namen ihres Glaubens verübt werden?“, fragte er.

In den Ring stieg am Dienstag auch ein Bürger aus dem winzigen Dörfchen Perba bei Nossen mit seinen 170 Einwohnern. Dieses Dörfchen, tief in der sächsischen Provinz, hat inzwischen das Zeug zum gallischen Dorf. Nach dem Willen des Landratsamtes Meißen sollen hier in einen fast leeren DDR-Block 50 Asylbewerber einquartiert werden. Wahrscheinlich sogar die in Sachsen inzwischen viel diskutierten tunesischen Jungmänner. Insgesamt würden wohl 100 Menschen in das Haus passen. Und es wird befürchtet, dass es auch so kommt. Die Perbaer wollen nicht als Ausländerfeinde per se gelten. Bei einer aufgeheizten Diskussion im Dorfgasthof zu dieser Problematik konnte ein Vertreter der NPD keine Punkte sammeln mit seiner Polemik. Man will drei Familien mit bis zu 15 Personen aufnehmen, so das Angebot. Mit mehr sei das Dörfchen, dessen einzige kulturelle Einrichtung das kleine Buswartehäuschen am Ortsausgang ist, überfordert. Doch die Befürchtungen und Einwände der Bevölkerung würden ignoriert. Mehr noch. Der Meißner CDU-Landrat habe gegenüber einem Parteifreund aus Perba gedroht, nochmal 50 Asylbewerber zu schicken, wenn sie nicht bald Ruhe gäben. Die Bemerkung, die auch in der örtlichen Presse publiziert wurde, offenbart auf zynische Weise, dass eben auch in den herrschenden Kreisen entgegen den eigenen Verlautbarungen gegenüber der Bevölkerung Zuwanderung nicht als Bereicherung gesehen wird. Und es zeigt auch, dass den Bürgern nur die Wahl zwischen einer moderaten oder einer brutalen „Einquartierung“ gelassen wird. Wenn überhaupt. Über das „Wie“ oder sogar das „Ob überhaupt“, haben sie die Mund zu halten. „Und deswegen gehe ich bei Pegida mit“, sagte der Perbaer und konnte nicht sehen, wie Professor Patzelt in seinem Rücken zustimmend nickte. Ein anderer Redner offenbarte das Motivationsspektrum der Pegidabewegten. Er lese jeden Abend in dem Buch von Heinz Buschkowsky. Danach sei er um den Schlaf gebracht. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass die dort geschilderten Zustände in Deutschland möglich seien. Aber seine Hauptmotivation sei eine andere. Er sei am 15. November bei einer Demonstration von Eltern gegen die Frühsexualisierung von Kindern auf dem Dresdner Theaterplatz gewesen (siehe dazu in diesem Blog „Besorgte Eltern unterm Regenbogen“).

Diese Menschen seien von Gegendemonstranten niedergebrüllt und getrommelt worden, dass es nur so eine Art war. Er habe dort Slogans gesehen wie „Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ oder „Rudelfick statt Physik“. Und am nächsten Tag habe er in seiner Zeitung gelesen, dass das alles o.k. war. „Deshalb gehe ich zu Pegida.“

Sind die Motivationen der Pegida-Demonstranten vielschichtig, die Rolle der Medien wirkt wie eine thematische Klammer. „Irre Leitmedien demaskieren“, war auf einem Transparent am vergangenen Montag zu lesen. Wie 89 werden die Medien als Teil des Problems wahrgenommen. Ich nehme sie erst wieder ernst, wenn ich bei Ihnen einen Artikel mit der Überschrift lese: „Wir entschuldigen uns“, sagte ein Redner. So hätte es eine Redakteurin der 89 in Dresden erscheinenden CDU-nahen Zeitung „Die Union“ getan. Das erwarte er heute wieder, sonst sei das Tuch zwischen Lesern und Zeitung zerschnitten.

Die örtlichen Medien reagierten unmittelbar auf die Veranstaltung in der Landeszentrale. Schon auf dem Nachhauseweg konnten die Teilnehmer im MDR Hörfunkprogramm hören, dass die Staatsregierung jetzt forciert den Dialog mit den Bürgern suchen will. Dazu soll es Foren mit bis zu 200 Menschen geben, wo sich Mitglieder der Staatsregierung ihren Bürgern stellen wollen. Start: Ende Februar. Eine erste Veranstaltung findet bereits am kommenden Sonnabend, 15 Uhr , auf dem Dresdner Neumarkt statt. Dort werden Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) sprechen.

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