Neuer Lohn der Intervention

Mit Ablauf des vergangenen Jahres wurde das internationale Militärabenteuer in Afghanistan beendet. Wie sehr Afghanistan heute frei ist, und wie lange es diese Freiheit überhaupt behalten kann, wird von Pessimisten und Optimisten unterschiedlich beantwortet. Immer mehr stellt sich aber heraus, dass das menschliche Leid und die herben Verluste teuer bezahlt wurden.

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Laut Wikipedia (unter Bezug auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung) kostete allein die Deutschen zuletzt jedes Jahr am Hindukusch drei Milliarden Euro und damit das Dreifache der prognostizierten Summe. Bis 2016 will Deutschland jährlich weitere 430 Millionen Euro zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Stärkung der Regierungsführung fließen lassen. Weitere 150 Millionen Euro gehen an die nationalen Sicherheitskräfte. Gegen das, was westliches Einschreiten in Nordafrika und Nahost bewirkt hat, ist Afghanistan aber geradezu eine Erfolgsgeschichte. Jede neue Intervention in fremden Ländern entpuppt sich in kürzester Zeit als Katastrophe. Das war zumindest in diesem Blog schon am 11. Dezember 2011 klar, wenngleich es inzwischen noch mal ein ganzes Stück klarer ist:

Eine virtuelle Gesellschaft erfindet immer wieder neue Wörter, um missliche Dinge schöner aussehen zu lassen als sie sind. Umsiedlung statt Vertreibung, Lohnangleichung statt Lohnsenkung und Entsorgungspark statt Mülldeponie. ‚Intervention’ ist auch so ein Wort, suggeriert es doch, dass kompetente Kräfte eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern. Dabei liegt man mit dem deutschen Terminus ‚Einmischung’ viel näher dran: Leute, die sich einbilden, sie seien kompetent, oder die dies aus Eigeninteresse vorgeben, mischen sich mehr oder weniger ungefragt in die Angelegenheiten anderer Leute ein. Was dabei herauskommt, gehört meistens in den Entsorgungspark. In dieser Woche waren 1000 mehr oder weniger kompetente Leute in Bonn, um über die Folgen der Intervention in Afghanistan nachzudenken. Das konnte nur so erfolgreich enden wie die Rettung des Euro oder wie der Versuch, weggelutschte Bonbons wieder in die Tüte zu stecken.

Zehn Jahre nach Beginn der Intervention in der asiatischen Bergwildnis sieht die Bilanz so aus, wie sie zu erwarten war: Nicht endende Opfer an Soldaten (ca. 3000, mehr Tote als am 11. September) und Zivilisten (mehr als 100.000 und davon rund drei Viertel von Taliban bzw. durch pakistanisch unterstützte Truppen verursacht) und Milliardenkosten. Trotz einiger Erfolge wie aufgepfropfter Menschenrechte, Gleichberechtigung, neuen Fernsehsendern und Schulbildung ist die Macht der Taliban ungebrochen. Die Wirtschaft kommt nicht in Gang, der Bau der seit langem erhofften Öl-Pipeline wäre eine völlig neue Dimension des Begriffs Risikokapital, und der Hass der Einheimischen auf die Taliban fokussiert sich zunehmend auf die fremden Möchtegernwohltäter.

Da passt es tragisch, dass gerade der Präsident Afghanistans, Hamid Karzai, wegen eines weiteren Terroranschlags mit mindestens 19 Toten nach der Bonner Konferenz überstürzt in die Heimat abreisen musste. Einer Konferenz übrigens, für die rund 1000 Politiker und Diplomaten aus 85 Ländern angereist waren, ohne eine Entscheidungskompetenz, schlimmer: ohne Ideen. Solche immens teuren Aktionen sind vielleicht eine Lösung für die wirtschaftliche Situation Bonner Bordelle, nicht aber für die Probleme einer weit entfernten Krisenregion. So wird in einer virtuellen Gesellschaft auch noch der Krieg virtualisiert.

Für die Betroffenen – Afghanen und Soldaten – ist der Krieg allerdings höchst real. Und für die Einheimischen wird er mit Abzug der Intervenierer schlimmer sein, als vor zehn Jahren. Wie konnte es zu der Katastrophe kommen, bei der Geld und Menschenleben in einen offenbar kaum noch lösbaren, gleichwohl unerträglichen, Status quo transformiert wurden? Die USA haben sich das Engagement bisher mehr als eine Billion Dollar kosten lassen. Allein Deutschland ist nach aktuellen Angaben der Wirtschaftsforscher vom DIW mit 17 Milliarden Euro dabei. Im Vorjahr hatten die DIW-Experten übrigens 36 Milliarden Euro errechnet, was ebenso wie die strittigen Opferbilanzen zeigt, wie unkontrollierbar selbst die Zahlen geworden sind.

Strittig sind auch die ursprünglichen Motive der westlichen Staaten unter Führung der USA. Geht es um den Öltransport, den Opiumanbau, den Kampf gegen den Terror oder sogar die Verteidigung humanistischer Werte? Sicher wollten die Amerikaner nach dem 11. September ein Zeichen setzen, aber war nicht von Anfang an klar, dass Afghanistan dafür der falsche Ort war? Und mussten wirklich die Deutschen in das fragwürdige Unternehmen einsteigen, um „unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen“?

Unter dem Strich geriet der Krieg in den scheiternmüssenden Versuch, Wertkolonialismus zu betreiben. Die Verantwortlichen glaubten, dass mit Geld und Krieg Werte wie Humanismus, Gerechtigkeit und Friedlichkeit den Stammesgesellschaften eines der rückständigsten Gebiete der Erde eingeprügelt werden konnten. Diese Arroganz musste scheitern, weil sie schlicht unterschlug, dass Kultur Zeit zur Reife braucht. Viel Zeit. Jahrtausende haben die Europäer schmerzvoll seit ihrer Phase der sozialen Organisation in Stammesverbänden hinter sich gebracht; wie könnte das mit überlegenen Waffen, einer aufgepfropften Demokratie und einigen Schulneubauten in wenigen Jahren aufgeholt werden, wenn beispielsweise in Deutschland jederzeit erfahrbar ist, wie schon die Integration wesentlich ähnlicherer Kulturen scheitert?

Auch wenn die Intervention und die Globalisierung den Afghanen fast flächendeckenden Handyempfang brachte, hat das Land weiterhin eine Analphabetenrate von 70 Prozent. 49 verschiedene Sprachen werden gesprochen, die Dialekte nicht eingerechnet. Politische Entscheidungen werden traditionell von Stammesfürsten und Räuberbanden getroffen. Das Individuum gilt wenig, die Frau noch weniger. Ausdruck dieser Lebenssituation ist ein hier besonders intoleranter und kriegerischer Islam. Das Leben ist rau, die Lebenserfahrungen sind rau und so ist das Verhalten, unbeeindruckt davon, dass irgendwelche Westler Humanität für eine schicke Sache halten.

Ein Beispiel: Als ein Fernsehsender vor einem Jahr einen Film über die Taufe von islamischen Konvertiten zum Christentum ausstrahlte, riefen afghanische Regierungsvertreter dazu auf, „Abtrünnige“ vom Islam mit dem Tode zu bestrafen. Der gerade in Bonn hofierte Staatspräsident Hamid Karzai wies Regierung und Staatsschutz an, dafür zu sorgen, dass es keine weiteren Übertritte gebe. Der stellvertretende Parlamentspräsident forderte sogar die öffentliche Hinrichtung von Personen, die vom Islam zum Christentum übertreten. Und solch archaisches Selbstverständnis will der Westen mit einem Krieg beenden…

Kultur, Zivilisation, Freiheit und Demokratie wächst nicht unter der Schutzglocke eines wie auch immer gearteten fremden Einflusses. Das hat schon der Kolonialismus bewiesen. Zivilisation wächst aus unendlich vielen schmerzvollen eigenen Erfahrungen, aus unendlich vielen meist fehlerhaften eigenen Entscheidungen, aus einem ‚Trial and error’ aus der Freiheit, solche Entscheidungen treffen und daraus lernen zu können. Es bedarf eines Gleichklangs von Zivilisationsstatus und Produktivkräften, von Bedürfnissen, Möglichkeiten und Erkenntnissen. Jede noch so gut gemeinte Einmischung behindert diesen Lernprozess und ersetzt ihn durch auswendiggelerntes, nicht verinnerlichtes Wohlverhalten gegenüber dem fremden Prediger.

Wir können uns über die Ignoranz und Arroganz der westlichen Heilsbringer ärgern, aber das eigentliche Problem ist, dass deren Konzepte ganz konkret für die Betroffenen das Elend vergrößern und vor allem verlängern. Nur die weitgehende Nichteinmischung ist ein gangbarer Weg oder besser sogar die Unterbindung von Einmischung. Und wenn sich dort auch Hunderttausende die Hälse durchschneiden mögen und die Bevölkerung unter dem Terror Mächtiger leidet, müssen sie ihre eigenen Erfahrungen machen und solche Verhältnisse aus eigener Kraft überwinden lernen. Deshalb war die Intervention der Alliierten gegen das kriegführende Hitlerdeutschland auch richtig und in Afghanistan war sie falsch: In Deutschland musste die Zivilisation nicht erst hergestellt, sondern nur wiederhergestellt werden.

All das Gesagte unterstellt noch wohlwollend, dass die Konzepte der Intervenierer zwar wirkungslos, aber wertvoll und ehrenwert sind. Das sind sie aber nicht. Wer von den Heerscharen an fremden Experten kennt sich denn mit den örtlichen Bedürfnissen wirklich aus, kann angemessene Entscheidungen treffen? Letztlich baut sogar die Kernstrategie der Amerikaner auf einem völlig unverständlichen Fehler auf: Ausgerechnet der größte Kriegstreiber der Region Pakistan, der über Jahrzehnte mit größtem ideologischen und militärischen Einsatz Afghanistan immer weiter ins Chaos gestürzt hat, wird aus der US-Kriegskasse mit Millionenbeträgen subventioniert.

Pakistan erst hat die Taliban aufgerüstet und zu Einfluss gebracht. Im Bürgerkrieg, der der Intervention vorausging, kämpften geschätzte 28.000 Pakistani, 3000 Araber und nur 14.000 Afghanen für die Taliban gegen die gesetzmäßige Regierung. Internationale Beobachter unterstellen dem pakistanischen Geheimdienst ISI eine "offizielle Politik" der Unterstützung der Taliban. Ungeachtet dessen, hat sich Präsident Obama in seinem Etat gerade weitere ganz spezielle 400 Millionen Dollar für Pakistan gesichert: Für den „Kampf gegen islamistische Aufständische“.

Es sind immer wieder dieselben Fehler, die die Mächtigen machen: Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten, Fehleinschätzung der Situation vor Ort, Selbstüberschätzung und die Idee, mit Gewalt und dem göttlichen Recht auf der eigenen Seite werde es schon irgendwie klappen. Libyen ist der nächste Schauplatz dieser Arroganz, wo die NATO ein vielleicht ungerechtes, aber stabiles, ausrechenbares Regime unter dem Beifall der Medien weggebombt hat, ohne zu wissen, was sie sich und dem libyschen Volk dafür einhandelt. Und auch in Syrien werden sie demnächst ein neues Fass aufmachen – wieder ein Pulverfass.

Wer zahlt und wer profitiert? Die Antworten sind ganz ähnlich wie bei der Eurokrise und bei allen anderen Krisen der Niedergangsgesellschaft. Das Volk zahlt, die Politiker haben Spaß bei ihren höchstwichtigen Konferenzen, und die Mächtigen profitieren - aber in diesem Fall höchstens dann, wenn ihre destruktiven Strategien wenigstens für sie selbst aufgehen. Sonst verlieren sogar alle - außer von der Intervention direkt profitierende Individuen wie Söldner, Waffenhändler, Kompradorenpolitiker und Geschäftemacher vor Ort. Ein erster Schritt dagegen wäre, den Euphemismus ‚Intervention’ und anschließend die ganze dahintersteckende Philosophie zu enttarnen. Im Fall der Intervention bedarf es also tatsächlich der Intervention.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de/

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