Nach dem „Brainswitch“ nicht mehr ernst zu nehmen

Der Politologe Herfried Münkler fällt durch eigenwillige Statements zum Terrorismus auf. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass er Berater der Bundesregierung ist. Wissenschaftler kommen immer in Gefahr, unseriös zu werden, wenn sie es auf politischen Einfluss abgesehen haben.

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Am 15. Juli schon gab Münkler im Fernsehen von sich, dass man solchen islamisch motivierten Massenmorden wie in Nizza mit „mürrischer Indifferenz“ begegnen und ansonsten wie immer weitermachen solle, das sei die beste Strategie gegen die Angst. Außerdem sei das Leben sowieso voller Risiken, der islamische Terror sei quasi auf einer Stufe mit defekten Haushaltsgeräten.

Dieser geistige Amoklauf war kein Versehen oder Black-Out. Heute liest man in der „Zeit“ einen Artikel von ihm, in dem er Nizza und die Terrorattacke von Würzburg, also von angeblichen „Einzeltätern” verübten islamischen Terror „messerscharf” analysiert, und zwar so: Das bedeute, dass jeder Opfer werden könne und - Achtung! - auch JEDER Täter! Also der Atheist, Buddhist und Christ genauso wie der Moslem. Das ist so unglaublich, dass man sprachlos ist. Man darf annehmen, dass die Bundesregierung ungefähr dieselbe Meinung hat. Man braucht in diesem Fall keine weiteren Feinde mehr. 

Wissenschaftler arbeiten im weitesten Sinne in Einsamkeit und Freiheit. Sie treiben sich jedenfalls nicht ständig in politischen Talkshows herum. Der Anschein der Wichtigkeit führt zuverlässig zu einem sogenannten „Brainswitch“, wie ich das nenne: Der Wissenschaftler beginnt seine Seriosität dem Effekt zu opfern, er verkündet einfache medien- und regierungskompatible „Wahrheiten“, von denen er meint, dass sie seine weitere Anwesenheit in den Talkshows oder als Berater fördern. Reine Eitelkeit. Dieses Schicksal hat bereits Wissenschaftler wie die Integrationsforscherin Foroutan gänzlich und den Soziologen Nassehi teilweise ereilt. 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: ropow

@Adorján Kovács

Ich habe Sie schon verstanden. Ich bezweifle nur, dass „der Anschein der Wichtigkeit“ die grundlegende Motivation für einen „Brainswitch“ ist.

Wenn, wie die Beispiele zeigen sollten, „Wissenschaftler“ die Signifikanz ihres eigenen Datenmaterials nicht einschätzen können (oder wollen), dann sind sie für diesen Beruf ungeeignet. Schon die Analysen und Thesenbildungen werden fehlerhaft sein, meist noch verstärkt durch eine selektive Wahrnehmung aufgrund eines durch persönliche Neigungen und Egos mangelhaften Reflexionsniveaus.

Dieses mangelhafte Reflexionsniveau zeigt sich bei diesen „Wissenschaftlern“ jedoch nicht erst in ihren öffentlich gemachten hanebüchenen Aussagen (Münkler), sondern bereits darin, dass sie damit überhaupt an die Öffentlichkeit gehen, um einer - nach ihrer eigenen (!) Einschätzung „guten Politik“ durch ihre eigenen (!) wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Durchbruch zu verhelfen.

Gute Wissenschaftler arbeiten „im weitesten Sinne in Einsamkeit und Freiheit“, weil der einzige Dialog, an dem sie wirklich interessiert sind, der mit der Natur ist, um ihr Erkenntnisse zu entlocken. Erst wenn Wissenschaftler im Laufe ihrer „Karriere“ irgendwann erkennen müssen, dass sie dafür doch nicht wirklich geeignet sind, wenden sie sich einem anderen Publikum zu - und geben damit ihre eigene Untauglichkeit zu erkennen.

Wenn Angela Merkel eine Wissenschaftlerin von Rang hätte werden können, dann hätte sie sich nie der Politik zugewandt - es hätte auch bei ihr nie einen „Brainswitch“ gegeben. Man kann sich wohl nur ansatzweise vorstellen, welch unglaublicher Glücksfall eine geniale Physik-Nobelpreisträgerin Angela Merkel hätte sein können: Für Angela Merkel, für Deutschland, für Europa - ja vielleicht für die ganze Welt.

Gravatar: Adorján Kovács

@ropow
Ich lese Ihre kundigen und ironischen Kommentare gerne, vielen Dank für die erfrischenden Beispiele. Mir ging es aber um die Disposition von „Wissenschaftlern“ in einer Zeit, die glaubt, eine „wissenschaftlich“ grundierte Politik sei immer eine gute Politik. Man wird eben immer zum Auftragswissenschaftler, zur Medienhure, wenn man sich darauf einläßt. Nichts gegen seriöse schriftliche Gutachten, die in Ausschüssen, möglichst öffentlich, besprochen werden, aber diese flotte, kurzatmige Interviewgeilheit ist katastrophal.

Gravatar: Werner N.

In der Vergangenheit wurde zu wenig bemerkt, dass Lehrstühle häufiger denn je nach Parteibuch vor Qualifikation besetzt werden. Bei Prof. Münkler dürfte klar sein, welches ihn möglicherweise dorthin brachte.

Er verglich die Terrorakte mit "Unfällen", die nun einmal vorkommen. Man solle sich nicht so haben, sein Leben einfach weiter führen. Je nach Temperament darf eine "mürrisch indifferente" Miene aufgesetzt werden. Das Verhältnis zu seinen Studenten soll getrübt sein, aber der Bundeskanzlerin sagen solche Sprüche sicher zu, sodass der Machiavelli–Spezialist auf weitere Posten hoffen darf.

Gravatar: Lutz

Vielen Dank für diesen Artikel.

Allerdings darf man hinzufügen, dass zu solchen Auswüchsen immer zwei Seiten gehören.

Die Gesellschaft hinterfragt nicht mehr und ist - geistig/kulturell - unbedarft geworden. Konsum, Brot und Spiele sowie der sukzessive Verlust von Werten, haben Resultate geschaffen, die unglaublich sind.
Vielen ist alles egal, wenn sie 5 mal jährlich in Urlaub gehen können, der Bauch voll ist und der Status Quo so lange wie möglich aufrechterhalten bleibt. Dafür stehen Merkel & Co.
Hinzu kommt eine völlig verantwortungslose AfD, die sich zwar als "patriotisch" deklariert, andererseits aber mit Wählerstimmen umgeht, als handle es sich um Kieselsteine. In Baden-Württemberg etwa ist man mehr damit beschäftigt, den Etablierten gewisse Steilvorlagen darzubieten, um ja nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden. Anstatt rechte Wirrköpfe geschickt zu isolieren, entsteht dort bald die "unbedarfte" AfD und die Nummer 3b. Oder ist es die 4c? Es ist aber auch ein bisschen verständlich, da sich der feige Westdeutsche politisch sehr versteckt hält und sich nach außen hin unbedarft und obrigkeitsgetreu verhält. Beim Wählen kann man ja ein klein bisschen mutig sein, gell?
Rückendeckung für AfD-Politiker? Öffentlich null.
Viele Menschen sind aber auch - dies ist verständlich - orientierungslos geworden. Eine Krise jagt die nächste. Man getraut sich kaum, in solchen Situationen Merkel & Co abzuwählen. Die derzeitigen Vorkommnisse erinnern an Maßstäbe, die anzeigen, wie weit der Nerv schon abgestorben ist. Die Stimmung: auch wenn wir nicht wissen, ob wir es schaffen, wir geben nicht auf und ziehen uns in unsere privatmöglichste Welt zurück. Das kann vorübergehend helfen, schützt aber nicht vor einem ganz bösen Erwachen...

Gravatar: ropow

Vor geistigem Amoklauf ist niemand gefeit. Manche nennen in ihrer Raserei sogar Naika Foroutan eine „Wissenschaftlerin“, obwohl Foroutan die sie finanzierenden Steuerzahler immer wieder erfolgreich davon überzeugen konnte, dass ihr Zahlenanalphabetismus mit ihrer Stellung als Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität in Berlin völlig unvereinbar ist:

„Als in den 60er Jahren die ersten muslimischen Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind, konnten wir eine Abiturientenquote von 3% feststellen. Jetzt sind wir bei einer Abiturientenquote von 18% - das ist ein Steigerung von 900 Prozent!“ @ 0:27 in:

https://www.youtube.com/watch?v=6RPSbRb1vwc

„27% der Türken machen jetzt Abitur. Sind das ein Drittel oder sind das nicht ein Drittel?“ @ 1:10 in:

https://www.youtube.com/watch?v=EdHi1pyUvrU

Und der Soziologe Armin Nassehi „vergisst“ auch schon mal homogene Gesellschaften wie die der Japaner, nur damit niemand auf die Idee kommt, seine Vorstellung von der Sinnlosigkeit einer Gesellschaft mit starkem ethnischen und kulturellen Zusammenhalt durch einen Vergleich von Japan mit dem in Parallelgesellschaften mit Parallelkultur, Paralleljustiz und mit von Gewalt und religiösem Fanatismus auf den Straßen bestimmten No-Go-Areas versinkenden Deutschland zu überprüfen:

„Was man schon erkennen kann … scheint es einfacher zu sein, diese Idee von identitärer Homogenität heute sagbar zu machen. Das ist ja eine sehr … naive und simple Beschreibung der modernen Gesellschaft, zu glauben, dass wenn wir mehr ethnischen und kulturellen Zusammenhalt hätten, die Probleme dieser Gesellschaft, die Komplexität, die Steuerungsprobleme weg wären.“ @ 15:14 in:

https://www.youtube.com/watch?v=p-542eiztUU

Falls da überhaupt jemals ein „Brainswitch“ stattgefunden hat, dann muss er schon lange vor dem Eintritt in die Medienwelt passiert sein.

PS.: Zu Münkler & Co. kann man nach Broder eigentlich keinen treffenderen Kommentar mehr abgeben:

http://www.achgut.com/artikel/von_prof._dr._empfohlen_vergleichgueltigung_und_muerrische_indifferenz

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