Muttertag, Frauentag, Feministentag

Vietnam. Hanoi. Drei Uhr in der Früh. Ich war mit dem Nachtzug gekommen, dem so genannten Wiedervereinigungs-Zug. Ich hatte Pech. Das Hotel hatte noch nicht geöffnet.

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Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf den kalten Boden zu setzen, darauf zu warten, dass die Stadt langsam erwacht und mich in aller Ruhe darüber zu ärgern, dass mich der Taxifahrer um mein Bargeld erleichtert hatte. Da kam langsam – es wirkte wie eine Erscheinung. Träumte ich etwa? ­– in der ansonsten menschenleeren Straße eine Frauengestalt auf mich zu, die wie die Verkörperung der Gerechtigkeit wirkte.

Sie balancierte eine Stange auf ihrer Schulter, die an beiden Ende mit je einem Korb beschwert war, von denen die Stange einigermaßen im Gleichgewicht gehalten wurde. Wir versuchten es redlich, wir konnten uns aber nicht verständigen. Sie schien meine Situation auch so zu verstehen, sie erbarmte sich und schenkte mir eine Banane. Es war nicht gerade mein schönstes Ferienerlebnis, aber bemerkenswert war es schon. Mir war durchaus klar, was es für ein Tag war, an dem das passierte: Es war der internationale Weltfrauentag.

Mit  Mingh Mingh im Frauenmuseum

Später an diesem historischen Tag sollte ich noch zusammen mit  Mingh Mingh (die eigentlich nur Mingh heißt, aber mit der Verdoppelung des Namens ihre Reize zusätzlich mit einem gewissen Südsee-Flair anreichen will) das berühmte Frauenmuseum besichtigten. Es hat mir gut gefallen. Ich kann rückblickend und zusammenfassend sagen: Es war mein schönster Weltfrauentag.

Das ist aber kein Grund, ihn beizubehalten. Es gibt Stimmen, die den internationalen Weltfrauentag abschaffen wollen. Vor allem eine Stimme. Ja, genau die. Man kann sagen, dass es die lauteste Stimme der Frauenbewegung ist und dass die Forderung nach einem baldigen Ende des Weltfrauentages damit quasi von höchster Stelle kommt. Sie kommt von Alice Schwarzer persönlich (und ist schon ein paar Jahre alt):

„Wie Schwarzer in der ‚Frankfurter Rundschau‘ schreibt, sei der Frauentag eine „sozialistische Erfindung“, die auf einen Streik von Textilarbeiterinnen zurückgehe - die Frauenbewegung sei aber Anfang der 1970er-Jahre im Westen nicht zuletzt aus Protest gegen die machohafte Linke entstanden. Das sei eine Linke gewesen, „die zwar noch die letzten bolivianischen Bauern befreien wollte, die eigenen Frauen und Freundinnen aber weiter Kaffee kochen, Flugblätter tippen und Kinder versorgen ließ", kritisierte Schwarzer. Auch die realsozialistischen Länder seien in den obersten Etagen bekanntermaßen frauenfrei gewesen. „Unter diesen Vorzeichen ist die Übernahme des sozialistischen Muttertags als ‚unser Frauentag‘ für Feministinnen, gelinde gesagt, der reinste Hohn.“ Darum solle der „gönnerhafte 8. März“ am besten einfach abgeschafft werden.“

Muttertag haben wir auch noch. Und den Girl’s day. Und..

Das finde ich auch. Es spricht einiges dafür, den „gönnerhaften 8. März“ abzuschaffen – wenn auch nicht das, was uns Alice Schwarzer auftischt. Ich möchte andere Gründe nennen. Doch sehen wir uns zunächst die Tradition dieses Gedenktages an und behalten dabei im Hinterkopf, dass Alice Schwarzer von einem „sozialistischen Muttertag“ gesprochen hat: Richtig! Muttertag. Den haben wir ja auch noch. Und den Girls‘ Day. Und den Gender-Pay-Gap-Gedenk-Tag. Da sollten wir mal ein wenig Ordnung in die Sache bringen.

Am 19. März 1911 gab es den ersten Frauentag, der insofern international war, weil er in vier Ländern, nämlich in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz begangen wurde. Er war im Jahr zuvor auf Initiative von Clara Zetkin auf der 2. internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen worden. Angeregt war Clara Zetkin dabei vom Kampftag für das Frauenwahlrecht, der am 28.2. 1909 in den USA stattgefunden hatte. Das Thema der ersten Aufmärsche war das Wahlrecht.

Werfen wir einen Blick in den Kalender: Der Termin änderte sich im Laufe der Jahre, einmal fiel er auf den 5. Mai, den Geburtstag von Karl Marx; im Jahre 1917 gab es gleich mehrere Tage, die Rote Woche fand vom 5. bis zum 12. Mai statt. Es gab inzwischen auch ein neues Thema. Die Proteste richteten sich nun gegen die Gewährung von Kriegskrediten. Nachdem 1918 das Wahlrecht durchgesetzt und der Krieg beendet war, wurde der Frauentag ausgesetzt.

Stiller Protest mit roten Socken auf der Wäscheleine

In Russland ging es weiter. Auf der Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau wurde im Jahre 1921 der Termin für künftige Frauentage auf den 8. März festgelegt (nach dem alten russischen Kalender auf den 23. Februar), um damit an einen Textilarbeiterinnenstreik in Sankt Petersburg zu erinnern, der als einer der Auslöser der Februarrevolution von 1917 gilt.

In der Weimarer Republik konnte der Weltfrauentag erst im Jahre 1926 seine Wiederauferstehung feiern – etwas später also, dafür aber gleich in doppelter Ausführung: in der kommunistischen Version mit dem 8.3. als Termin und in der sozialdemokratischen Version ohne festen Termin. Themen dieser Aktionstage waren die Forderungen nach regelmäßiger Schulspeisung und nach legaler Abtreibung.

Die Nazis verboten den Frauentag. Die Aktivistinnen tauchten ab, sie feierten den Tag im privaten Kreis und ließen am 8.3. demonstrativ rote Socken und andere rote Kleidungsstücke an ihrer Wäscheleine flattern (Sind die „roten Socken“ deshalb sprichwörtlich geworden? Ich weiß es nicht ...). 1946 wurde der Frauentag wieder eingeführt, jedoch nur in der SBZ, in der Sowjetischen Besatzungszone also. Er sollte helfen, den Zwei-Jahres-Plan zu erfüllen (später dachte man weiter und machte Fünf-Jahres-Pläne).

Der Frauentag im Dienste der Planerfüllung

In den fünfziger Jahren kam das Gerücht auf, dass der März-Termin nicht etwa an die Arbeiter in Russland erinnern sollte, sondern an die gewaltsame Niederschlagung eines Streiks von Textilarbeiterinnen in New York. Also: anderer Ort, dieselbe Branche. Mit dieser Umdeutung wirkte der Gedenktag nicht mehr so kommunistisch, er wurde sozusagen vom Osten in den Westen verlegt. Spätere Recherchen ergaben, dass der denkwürdige Tag des Streiks auf einen Sonntag gefallen sein muss. Nach anderen Quellen sollte gar nicht an einen Streiktag erinnert werden, sondern an einen Brand, bei dem es mehrere Todesopfer gegeben hatte.

Egal. Im ‚Jahr der Frau 1975‘ feierten die Vereinten Nationen den Internationalen Frauentag, zwei Jahre später, also 1977, wurde der Termin 8.3. als offizieller Gedenktag eingeführt, er wird heute vorwiegend in den ehemals sozialistischen Ländern gepflegt, in etwa 200 Ländern.

Werfen wir einen Blick in den Keller. Das heißt: In der Geschichte des Frauentages finden wir nicht nur verschiedene Termine, sondern auch verschiedene Anlässe, verschiedene Inhalte: Mal geht es um das Wahlrecht, mal um den Krieg, mal um Abtreibungen, mal um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen.

Ein Einweckglas mit der Bezeichnung „Birne 77“

Meine Oma hatte Einmachgläser im Keller. Arno Schmidt auch. Ich weiß. Ich habe mit Ehrfurcht und Bewunderung sein Häuschen in Bargfeld besichtigt. Arno Schmidt war sehr ordentlich, das kann man nicht anders sagen. Das zeigte sich nicht nur an seinen berühmten Karteikästen, das sah man auch in seinem aufgeräumten Keller. Da hatte er die Einweckgläser sorgsam mit Etiketten versehen und korrekt beschriftet. Da stand zum Beispiel, was mir – warum auch immer – besonders im Gedächtnis geblieben ist: „Birne ‚77“

Meine Oma machte das nicht so. Sie konnte vermutlich auch ohne Beschriftung erkennen, was in den Gläsern drin war und konnte sich noch erinnern, wie lange die da schon herumstanden. Was hat das mit dem Weltfrauentag zu tun? Nun, es ist eine bildhafte Umschreibung: Der Weltfrauentag ist nur ein Termin im Kalender, noch dazu einer, der nicht feststeht. Mehr nicht. Der Weltfrauentag ist ein leeres Einweckglas ohne Beschriftung. Arno Schmidt mit seinem Ordnungsfimmel hätte vermutlich Probleme damit gehabt, er hätte die Etiketten, die ihm offenbar wichtig waren, ständig neu schreiben müssen: „Frauenwahlrecht ‚12“, „Protest gegen Kriegskredite ‚17“, „Schulspeisung und Abtreibung ‚26“ ...

Meine Oma hatte solche Probleme nicht. Mal waren Birnen im Glas, mal Gurken. Auf den Termin kam es nicht an. Die Inhalte der Gläser wurden sowieso nicht für die Ewigkeit konserviert. Dem Andenken war ein absehbares Ende gesetzt. Die Birnen sind gegessen. Der Erste Weltkrieg ist inzwischen auch vorbei.

Ein Gedenktag als leeres Einmachglas

Der Internationale Frauentag ist nicht vorbei. Feministen gehen mit dem Gedenktag um wie mit einem leeren Einmachglas, in das sie – wie sie meinen – einfüllen können, was ihnen gerade so passt. Natürlich kann man sagen, dass sich lebendige Traditionen entwickeln und im Laufe der Zeit verändern. Man kann es aber auch so sehen, dass hier eine Tradition missbraucht und für andere Zwecke vereinnahmt wird.

Heute soll es bei diesem Tag um die Fortschritte der Gleichstellung gehen, um den Abbau überkommener Rollenbilder, um denSchwindel namens „Gender Pay Gap“, um bessere Gagen für die Stars in Hollywood und um eine Quote für die DAX-Vorstände. Es ist obendrein eine gute Gelegenheit für Schauspieler und andere Kulturschaffende, der ersten Frau im Staate in Dankbarkeit Blumen zu überreichen.

Daran sieht man, dass es um nichts Bestimmtes geht und dass es keine wirkliche Tradition gibt, es gibt keine „Invariante der Richtung“, um es mit Ernst Bloch zu sagen. Wenn man die Textilarbeiterinnen exhumieren und wiederbeleben würde und sie in einer Talkshow als Vorkämpferinnen für den leeren Stuhl präsentiert, der aufgestellt werden muss, wenn ein Unternehmen die Quote nicht einhält, dann ... egal. Es geht sowieso nicht. Die Heldinnen von 1917 sind tot und vermutlich inzwischen so vermodert, dass sie sich nicht mal mehr im Grab umdrehen können.

Es gibt keine verbindliche Gemeinsamkeit in der Welt der Frauen

Es gab nicht nur verschiedene Termine und verschiedene Themen, es gab auch verschiedene Gruppen von Protagonistinnen, die sich untereinander nicht einig und nicht grün waren, wie man an dem Termingerangel zur Zeit der Weimarer Republik sehen kann. Es gibt keine verbindliche Gemeinsamkeit in der Welt der Frauen. Die verschiedenen Frauen, auf die man sich am Weltfrauentag beruft, würden sicherlich, wenn man sie alle an einem Tag zusammenführen könnte, auf getrennten Gläsern bestehen, womöglich auf getrennten Regalen.

Vielleicht sogar auf verschiedenen Kellern. Die einen Frauen wollen nichts mit den anderen Frauen zu tun haben. Es zeigt sich immer wieder: Es gibt sie nicht: DIE Frauen. Michel Houellebecq sagt es so: „Die Frauen bilden keinen einheitlichen Block. Sie wollen nicht alle dasselbe. Der Feminismus hat kein überzeugendes Narrativ, keinen geschlossenen Diskurs hervorgebracht.“

Halt. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe es nicht ganz richtig dargestellt. Es gibt doch etwas Gemeinsames bei all den internationalen Frauentagen. Es gibt – leider, leider – doch so etwas wie eine Invariante der Richtung. Es ist aber nichts, das man pflegen und beibehalten sollte: Was es durchgängig gibt, ist ein Irrtum. Nämlich? Es ist der Irrtum, dass man Frauen und Männern voneinander trennen und mit der auf diese Weise künstlich herbeigeführten Trennung langfristig etwas bewirken könne. Das Gemeinsame ist die feministische Apartheidpolitik, die all diesen Aktionen zugrunde liegt. Die ist falsch. Die kann weg.

Wir brauchen eine Wiedervereinigung der Geschlechter

Wir brauchen keine Tradition der Trennung. Wir brauchen eine Wiedervereinigung – auch eine der Geschlechter. Der Kampf um das Wahlrecht wird gerne so dargestellt, als hätten alle Männer dieses Recht gehabt und als hätten die vernachlässigten Frauen es den störrischen Männern abtrotzen müssen. So stimmt das nicht. Vergessen wird dabei, dass es bis 1918 ein Dreiklassenwahlrecht gab, das auch die meisten Männer ausschloss. Im Jahre 1871 beispielsweise waren überhaupt nur etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt. Das lag allerdings auch daran, dass Deutschland damals – anders als heute – eine sehr junge Bevölkerung hatte und das Wahlalter bei 25 Jahren lag.

Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte das Wahlrecht für Frauen und für Männer. Es wurde gemeinsam erkämpft. Man kann sogar sagen, dass es vor allem von Männern erkämpft wurde – für die Frauen gleich mit. Der Beitrag der Suffragetten bestand in erster Linie aus Selbstdarstellungen und Terror – oder wie es bei Wikipedia heißt: in der Entwicklung von „neuen Formen des Protests“. Was wollten sie denn? Zunächst protestierten sie gegen verordnete Untersuchungen zum Gesundheitszustand von Prostituierten und machten auf sich aufmerksam, indem sie demonstrativ rauchten: Blauer Dunst und blaue Strümpfe – das waren ihre Erkennungszeichen.

Dann radikalisierten sie sich im Kampf um das Wahlrecht, sie verübten Brand- und Bombenanschläge, brachten die Feuerwehr durch Fehlalarm außer Gefecht und kappten Telefonverbindungen. Mary Richardson ging mit einem Schlachterbeil auf das Gemälde ‚Venus vor dem Spiegel‘ von Diego Velázquez los („I didn’t like the way men visitors gaped at it all day long“). Emily Davidson warf sich in einer spektakulären Aktion vor das Pferd des Königs und starb als Märtyrerin, nachdem vorangegangene Selbstmordversuche erfolglos geblieben waren.

 Die Mittel verraten die Wahrheit über den Zweck

Manche Feministen glauben immer noch, dass es unbedingt so sein musste und dass es auch weiterhin so sein sollte. Beispielhaft wird das in einem Text wie „LIEBER FEMINISMUS, BITTE BLEIB LAUT UND UNBEQUEM“ (alles in Großbuchstaben) deutlich, der ein Beitrag zum Weltfrauentag 2016 aus feministischer Sicht sein will (mehr dazu in meinem Postsciptum). Demnach werden verstörende und zerstörende Akte als notwendig angesehen, um die Not zu wenden. Denn sonst, so meinen solche Stimmen, tue sich nichts. Sonst gehe es einfach nicht voran. Eine radikale Aktion ist in deren Augen ein Stürmerfoul, das nicht gepfiffen werden muss.

Mir ist das zu einfach. Denn damit wird jede Geschmacklosigkeit, jede Falschbeschuldigung und jede Dummheit nicht nur pauschal entschuldigt, sondern gerechtfertigt. Dahinter steht die Terroristen-Weisheit, dass der Zweck die Mittel heiligt.

Hegel dagegen meinte, dass die Mittel die Wahrheit über den Zweck verraten. Große gesellschaftliche Wandlungen sind letztlich nur mit vereinten Kräften möglich. Sie werden durch faire Zusammenarbeit von Männern und Frauen erreicht und nicht dadurch, dass ein künstliches Gegeneinander behauptet wird, wenn doch in Wirklichkeit alle dieselben Interessen haben und gerne in einer Gemeinschaft leben wollen, die sich grundsätzlich einig und nicht in permanenter Feindschaft eingerastet ist.

  Die Entkoppelung von Pflichten und Rechten

Ein Plakat der SPD aus dem Jahre 1919 zeigt das: Da stehen Mann und Frau einvernehmlich nebeneinander unter einer roten Fahne. Dazu heißt es: „Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten“. Diese „gleichen Pflichten“ waren es übrigens, die in der Schweiz dazu geführt haben, dass das Frauenwahlrecht erst in den siebziger Jahren eingeführt wurde. Nicht etwa, weil die Schweiz rückständig gewesen wäre, sondern weil das Wahlrecht an den Wehrdienst gebunden war und man erst einmal zugunsten der Frauen eine Entkoppelung von Pflichten und Rechten vornehmen musste.

Gemeinsam geht’s. Warum sollten auch Männer ausgeschlossen werden, wenn es um eine fröhliche Sause zum Geburtstag vom ollen Karl geht? Oder wenn es gegen den Krieg geht? Warum sollten Frauen auf die Unterstützung von Männern verzichten, wenn sie etwas durchsetzen wollen, das schließlich allen nützen soll? Ohne die Hilfe und aktive Unterstützung von Männern hätte es auch keine Änderungen in Sachen Abtreibung gegeben.

Esther Vilar findet es peinlich, wenn es eine Feministin als großartigen Erfolg für sich reklamieren will, dass sie lautstark eine offene Tür eingerannt hat und die Lorbeeren für den gesellschaftlichen Fortschritt für sich ganz alleine haben will, weil ihr Horizont nicht größer ist als ihre Selbstbezogenheit. Sie vergleicht so jemanden mit einem kleinen Jungen, der mit seiner Trillerpfeife auf dem Bahnsteig steht, kurz pustet und sich einbildet, der Zug würde seinetwegen abfahren. Ich sage es so: Der Feminismus ist der schrille Ton in einem Konzert, das sowieso auf dem Spielplan stand. Da müssen viele Musiker mitwirken.

Schmücken die Raudau-Schwestern sich mit fremden Lorbeer?

Also – wie ist es? Haben wir das Wahlrecht, wie wir es heute haben, wegen der spektakulären Grenzüberschreitungen der Suffragetten oder trotz dieser Radau-Schwestern, deren Mätzchen in Wirklichkeit, wie Angela Merkel sagen würde, „nicht hilfreich“ waren? Ihr Konzept, sich gegen Männer in Stellung zu bringen, hat sich jedenfalls nicht durchgesetzt. Das ist auch gut so. Denn es ist einfach nur schädlich, es behindert politisches Handeln und gefährdet den Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Das gilt im Großen – ebenso im Kleinen. In der großen Politik – und in der kleinen Familie. Gerade da zeigen sich die Auswirkungen der Trennungspropaganda besonders deutlich, da hat der Feminismus eine Schleimspur der Verwüstung hinterlassen. Denn wenn die Gemeinschaft von Mann und Frau ausbleibt, dann fehlen wenig später die Kinder. Je mehr sich der Feminismus ausbreitet, desto weniger Nachwuchs gibt es. Deshalb ist der Lapsus von Alice Schwarzer, die von einem „sozialistischen Muttertag“ sprach, besonders aufschlussreich.

Muttertag – Frauentag. Was denn nun? Eine Mutter ist täglich eine Mutter. Werfen wir noch einmal einen Blick in den Terminkalender. Der Frauentag ist am 8. März, der Muttertag dagegen am zweiten Sonntag im Mai. Es sind nicht nur verschiedene Tage, es sind auch verschiedene Traditionen und unterschiedliche Sammelbegriffe, unter denen Frauen zusammengefasst werden – es sind, um das Bild erneut aufzugreifen, verschiedene Einmachgläser.

„Mütter sind keine Frauen“. Oder vielleicht doch?

Ein „sozialistischer Muttertag“ ist Unsinn. Alice Schwarzer bringt die beiden Begriffe deshalb zusammen (und durcheinander), weil sie Aversionen gegen beides hat (gegen den Sozialismus und gegen Mütter) und weil sie in ihrer Ablehnung nicht zimperlich und in ihrer Ausdrucksweise schlampig ist. Ein befreundeter Schriftsteller, der allerdings nicht genannt sein will und allgemein als ausgewiesener und feinsinniger Frauenversteher gilt, hat mir einmal im Vertrauen verraten: „Mütter sind keine Frauen“. Oder vielleicht doch? Na ja, ich weiß schon, wie er das meint. Sehen wir uns die Mütter näher an.

Der Muttertag ist noch älter als der Frauentag, erste Ursprünge reichen bis 1865 zurück. 1914 wurde er als offizieller Feiertag in den USA begangen, ausgehend von einer Initiative von Müttern aus der methodistischen Kirche, die sich gegen den Krieg aussprachen, aber unpolitisch bleiben und nicht Partei ergreifen wollten. 1923 gab es den ersten Muttertag in Deutschland, in anderen Ländern Europas wurde er schon früher gefeiert. Der Muttertag ist also keine Erfindung der Nazis, auch wenn es gelegentlich so dargestellt wird.

Alles, was mit Müttern zu tun hat, wird immer noch gerne mit Nazis in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang will ich auf eine besonders hässliche Polemik hinweisen – diesmal nicht von Alice Schwarzer, sondern von Thea Dorn –, auf die Gleichsetzung von Eva Hermann mit Eva Braun. Beide Frauen haben nämlich (Wenn man darauf aufmerksam gemacht wird, erkennt man es auch ...) denselben Vornamen. Na dann. Das reicht dann schon als Beweis.

Alles, was mit Müttern zu tun hat, wird immer noch gerne mit Nazis in Verbindung gebracht

Das ist Frauenkabarett. Da kann man nicht mehr erwarten. Das Niveau lässt sich aber noch unterbieten. Wiglaf Droste hat es mit einem Anglerwitz geschafft: Es ist ein kurzer Weg, schreibt er, von „Petri Heil zu Heil Petry“. Ha, ha, ha!

Wie war es wirklich? Die Last-minute-Ehefrau des Führers mit dem damals häufigen Vornamen „Eva“ blieb bekanntlich kinderlos. Hitler selber wollte nach eigenem Bekunden keine Familie und auch keine Kinder. Kinder aus anderen Familien wollte er als Kanonenfutter. Sein Ideal war nicht die Familie, sondern die Volksgemeinschaft. Dennoch wird mit solchen Kabarett-Nummern so getan, als wären Mutterschaft und Kinderreichtum nicht nur erzkonservativ, sondern geradezu faschistisch. Doch so ist es nicht. Der Muttertag ist keine Hinterlassenschaft der Nazis, aber – beispielsweise – das Jugendamt ist eine.

Diese ewigen Hitler-Scherze sind dämliche Provinz-Nummern. Die Kabarettisten, die davon nicht lassen können, glauben offenbar, Hitler wäre immer noch der Nabel der Welt – und wenn die Welt schon nicht am deutschen Wesen genesen soll, dann soll sie wenigstens bitterlich über das deutsche Unwesen lachen. Aber – Überraschung! – Mütter gab es auch außerhalb der Grenzen des tausendjährigen Reiches. Mütter gab es nicht nur da, wo es Nazis oder Katholiken gab. Es gab und gibt sie überall auf der Welt. Seit mehr als tausend Jahren.

Vatertag! Prost!

Von allen Gedenktagen, die wir uns angesehen haben, hat der Muttertag den stärksten gemeinsamen Nenner. Er ist überzeugender und besser begründet als etwa der Vatertag, der von Richard Nixon zum offiziellen Feiertag in den USA gemacht wurde, wo er als Parallele zum Muttertag entstanden war, aber schon von Anfang all das nicht hatte, was der Muttertag hat.

Bei uns ist der „Vatertag“ halb religiös, halb weltlich, mal wird er „Herrentag“ genannt, mal „Männertag“, mal „Christi Himmelfahrt“. Es fehlte aber von Anfang an das Verbindende, das Sinnstiftende, und aus Verzweiflung darüber stürzen sich die Männer an diesem Tag regelmäßig in den Suff. Die Erfahrung der Geburt dagegen ist etwas Starkes, das Frauen in aller Welt gemeinsam haben: Näher kommt der Mensch nicht an das Schöpfungsgeheimnis heran. Ich glaube, dass sich Frauen deshalb leichter als eine große Gemeinschaft sehen, als Männer das tun. Mutterschaft ist tatsächlich ein bedeutender gemeinsamer Nenner, den Frauen teilen ­– oder teilen könnten. Feminismus mit seinen wechselnden Modeartikeln und seinem Trennungsgebot ist es nicht.

Feministen mochten Mütter von Anfang an nicht. Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Eine Mutter kann dem Feminismus immer nur „ein Stück weit“ folgen, wie Björn Engholm gesagt hätte. Auf Dauer können sie den tief im Feminismus eingeschriebenen Männerhass nicht teilen, spätestens dann nicht mehr, wenn sie im Kreissaal die frohe Botschaft hören: „Es ist ein Junge“. Ein Baby ist ein Mysterium, die Geburt eines „Kindes der Liebe“ ist keinesfalls ein Akt der Unterdrückung. Auch wenn sich eine Mutter zeitweilig gewissen feministischen Moden zuneigt – ihre Neigung wird immer im Spannungsverhältnis zu ihren Muttergefühlen stehen.

Der Muttertag blüht besonders im Kapitalismus

Der Muttertag gedeiht am besten in Gesellschaften, in denen sich der Staat nicht in die Familie einmischt. Länder mit sozialistischer Vergangenheit, in denen es keine klare Trennung vom Privaten und Politischen gab und die eine übergriffige Staatsmacht hervorgebracht haben – wie etwa Russland –, kennen keinen Muttertag. Der Muttertag dagegen blüht besonders im Kapitalismus, als Festtag des Kitsches.

Er war eine erfolgreiche Geschäftsidee, in Amerika übersteigen die Umsätze zum Muttertag sogar die Umsätze zu Weihnachten. Wenn ich meine Mutter am Muttertag nicht regelmäßig angerufen habe, dann nicht etwa deshalb nicht, weil ich etwas gegen sie gehabt hätte oder mich unbedingt vom Warmduscher-Vorwurf des Mamma-Anrufers unterscheiden wollte. Es lag einfach daran, dass mir der Muttertag irgendwie zu kitschig war. Wenn ich mit meiner Mutter telefonieren wollte, konnte ich das auch an anderen Tagen tun.

Noch kitschiger und noch kommerzieller ist der Valentinstag am 24.2., der als „Tag der Liebenden“ gilt. Schon wieder ein Tag, an dem Alice Schwarzer in den Terminkalender und dann in den Spiegel schaut und seufzt: „Das ist heute aber gar nicht mein Tag.“

Mingh Mingh wünscht sich übrigens drei Kinder

Ihr würde – im Unterschied zu mir – auch das Frauenmuseum in Hanoi nicht gefallen. Überhaupt nicht. Da machen sich die Frauen für die Wärme in der Familie stark, they keep the fire burning. Da heißt es auch: „Be graceful, capable, responsible, unyielding, sentimental, tolerant, able to sacrifice“. Übersetzen muss man das nicht. Wir verstehen es auch so. Für Feministen bleibt es eine Fremdsprache.

Ein Sprichwort habe ich mir notiert, es besagt sinngemäß, dass man erst mit seinen eigenen Kindern das Opfer der Eltern versteht und so seine Eltern neu sehen kann. Mingh Mingh wünscht sich übrigens drei Kinder. Das Frauenmuseum ist zugleich ein Familien-Museum zum Lob der Mutter. In Vietnam geht das. Erstaunlicherweise. Vielleicht liegt es daran, dass Vietnam ein sozialistisches und nicht-sozialistisches Land zugleich ist. Die Familie hat überlebt. Und lebt weiter.

Ich kann es nur empfehlen: Besuchen Sie, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, das Frauenmuseum Hanoi! Besuchen Sie auch meine Seite Frau ohne Welt und werfen Sie einen Blick auf den Text: Vietnam. Und der Traum von der Familie.

P.S.

Ach so, ich wollte noch auf eine aktuelle Äußerung zum Frauentag hinweisen, damit wir sehen, wie Feministen heute denken und wie hier die Stimmung ist:

Die Kolumne von Margarete Stokowski auf ‚Spiegel-Online‘ unter dem Titel „Nichtig? Wichtig!" fängt so an: „Das Geilste, was Antifeministen sich in ihren feuchtesten Träumen ausdenken können, sind Frauen, die sich gegenseitig bekämpfen und beschimpfen ... Es wirkt wie der Super-GAU des Feminismus, wenn nicht mehr nur Männer ihm vorwerfen zu übertreiben, sondern auch Frauen. Am besten: zum Frauentag. Woohooo.“

Es soll kein Vorwurf sein, aber ich finde, es wirkt ein winziges bisschen übertrieben: „das Geilste“ und „feuchteste Träume“ – kann man noch höher pokern, noch weiter steigern, noch stärker übertreiben? Ja. Schon im nächsten Satz: „Super-GAU“. Woohoo!

Dazu ein Hinweis meinerseits: Frauen, die sich gegenseitig bekämpfen und beschimpfen sind überhaupt nicht geil. So richtiggehend gar nicht. Sie sind für niemanden geil. Erst recht nicht für Antifeministen. Die haben ganz andere Sehnsüchte und andere Sorgen.

Noch ein kleiner Hinweis: Was ist ein „feuchter“ Traum? Klar: Damit ist ein mit erotischer Fantasie aufgeladener Traum gemeint. Ich weiß schon. Aber kann man das steigern: feucht, feuchter, am feuchtesten? Ich würde es nicht tun. Ich bin aber nicht sicher. Vielleicht sagt man das bei Frauen so. Oder bei Bettnässern. Wie auch immer: Man denkt sich Träume nicht aus. Man träumt sie. Träumen ist etwas anderes als Denken. Na, ja, ‚Spiegel‘-Niveau halt.

Das ist inzwischen auf Feministen-Niveau abgesenkt: Hauptsache es geht um irgendwas mit Sex und es wird gereizt auf Männern rumgehackt. Daran erkennt man Feministen. Das ist ihr Stil. Ihr Alleinstellungsmerkmal. Da habe ich eine bescheidene Frage: Liebe Feministen, könnt ihr das Ausleben eurer zänkischen Launen nicht auf einen Tag im Jahr beschränken? Vielleicht am 8. 3. oder am 19.3. – falls ihr euch nicht untereinander einigen könnt, dann auch gerne an beiden Tagen. Das müsste dann aber reichen.

Das wäre mein Vorschlag, mein kleiner Beitrag zu der Diskussion, die Alice Schwarzer einst angeregt hat. Unter diesen Vorzeichen bin ich für die Beibehaltung des Weltfrauentages. Oder auch für zwei Weltfrauentage. Da gedenken wir dann all denen, die Männer und Frauen gegeneinander aufhetzen wollen. An all den anderen Tagen des Jahres können wir dann wieder entspannt aufeinander zugehen.

Meine Mutter lebt nicht mehr. Ich würde sie sonst am Muttertag anrufen. Weil ihr das wichtig ist. Dass ich es früher nicht immer getan habe, lag auch an einer gewissen Bockigkeit meinerseits.

Beitrag zuerst erschienen auf achgut.com

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