Moral auf der Flucht

Manchmal ist die Suche nach der Wahrheit ein schwieriges Abwägen und Gewichten, manchmal springt sie einem ins Gesicht.

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"Es kitzelt ja nur..." Quelle: rainerunsinn.blogspot.deIn einer zunehmend wahnsinniger werdenden Gesellschaft lässt sich die Wahrheit aber auch mit einer Handbewegung virtuell ins Gegenteil verkehren. Es reicht dann nicht einmal zur ehrlichen Betroffenheit, dass schon im Jahr 2014 mehr als 60 Millionen Menschen weltweit und damit fast ein Prozent der Weltbevölkerung und mehr als jemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen ihrer Heimatländer verlassen haben. Im Gegenteil wird dieser Zyklus beschleunigt durch die aktuelle Einladungspolitik Europas und der USA, die die Zahlen schnell in dreistellige Bereiche und mehr transportieren wird. Angesichts des von der OECD und anderen interessierten Organisationen angeheizten Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt und besonders in Afrika führt dies zwar nicht zu einer Entvölkerung dieser Länder, wohl aber zu fortschreitenden Substanzverlusten durch Emigration, die die Unterentwicklung und das dort gehäuft anzutreffende Elend verstärken. Das hindert die Politikerkaste der entwickelten Länder und ihre Hintermänner nicht daran, das hohe Lied einer moralbasierten Flüchtlingspolitik zu singen, doch mit dieser Moral ist es nicht nur hier nicht weit her.

Die so geschaffene Realität jenseits des Realistischen ist so offensichtlich, dass wir sie hier nicht immer wieder in Faktenform vorbeten müssen. Wir kennen die (zumindest offiziellen) Zahlen der nach Europa strömenden Flüchtlinge oder Glücksritter. Wir kennen das Elend der Flüchtlingstrecks. Wir sehen die fehlende Perspektive und die teilweise desolate Unterbringung der Neuankömmlinge. Wir sind uns klar über die nicht seriös zu finanzierende Folgenbewältigung der Migration selbst durch gesunde Volkswirtschaften und ihr Wissen um die Unmöglichkeit solche Massen und ihre mitgebrachten fremden Kulturen in den Volkskörper zu integrieren. Wir bezweifeln die moralische und rechtliche Legitimation eines Großteils der Einwanderer. Wir sind entsetzt über die Aussetzung grundlegender nationaler und internationaler Gesetze. Wir befürchten und sammeln erste leidvolle Erfahrungen, welche Einbußen an Lebensqualität und Sicherheit damit verbunden sind. Und wir können antizipieren, welche fatale Progression die gegenwärtige Einladungspolitik weltweit verursachen wird.

Sparen wir uns also diesmal das mühsame  Argumentieren für oder mit Leuten, die um Fakten sowieso einen Bogen machen wie der Teufel um das Weihwasser. Diese Leute sind so faktenresistent, weil sie auf einer ganz anderen, nämlich ausschließlich moralischen Ebene denken oder zumindest zu denken vorgeben. Wirkliche Moral ist allerdings keineswegs faktenleugnend, im Gegenteil bedingen sich Moral und Realität untrennbar. Wenn aber die Moral wie hier als verkürzender Welterklärungsmechanismus missbraucht wird, kann sie gleich auch noch als eine psychologische Waffe benutzt werden, gegen die es, je nach Setzung der Prioritäten, kaum eine Verteidigung gibt.

Solches Auseinanderklaffen von Glauben und Glaubwürdigkeit kennen wir von diversen Religionen, wir kennen es sowohl vom Sozialismus als auch vom Nationalsozialismus, und wir lernen es gerade schmerzhaft vom neuen Glauben des Mainstreams, dem Gutmenschentum, kennen. Immer wird dabei einer komplexen Realität ein einfaches Welterklärungs- und Handlungsmuster entgegengesetzt. Und immer gibt es dann auch die Hohepriester, die ihre spirituellen, psychologischen und dinglichen Vorteile daraus ziehen.

Wenn Moral als eine der Realität übergeordnete Instanz definiert wird, liegt das Problem des Ganzen also genau in dieser logisch offensichtlich unzulässigen Definition. Wenn Gott die Welt erschaffen hat und immer noch überall die spirituellen Finger drin hat, sollte man ihm eben nicht widersprechen, wenn der Sozialismus behauptet das Elend der Welt abschaffen zu wollen und das Paradies auf Erden zu errichten, sollte man ihn machen lassen, und wenn die Menschen gut sein wollen, verbietet sich, danach zu fragen, wie viel Dummheiten sie dabei anrichten. Der Trick ist immer wieder so erfolgreich, weil die meisten Menschen in solchen abstrakten Denkmustern weder zu denken gewohnt noch gewillt sind. Und Gutsein ist heutzutage dann eben gut und Nichtgutsein falsch, Punktum.

Über die psychologischen Gratifikationen, die sie für ihren Kurz-Schluss erhalten, wird ein anderes Mal zu sprechen sein. Die Scherben nach einer solchen Reduktion sollen jedenfalls dann andere zusammenkehren. Nur zu behaupten, gut zu sein oder dies vordergründig zu demonstrieren, reicht aber zur Vorteilsgewinnung für die Allgemeinheit nicht aus, dafür muss man auch in der Gesamtbilanz Werte schaffen. Dazu gehörte in unserem Zusammenhang beispielsweise, die gerade im zweiten Absatz aufgezählten Bedenken zu berücksichtigen und Antworten zu suchen. Doch das kann hier leider nur im Konjunktiv geschrieben werden.

Wenn scheinbar gutes Tun für das Individuum so einfach und so einträglich ist, ist es trotz der quasireligiösen Grundausrichtung kein Wunder, dass es ein sich gegenseitiges Überbieten darin gibt. Dabei ist es unerheblich, ob einer noch mehr Gutes tut oder noch besseres Gutes, oder ob er einfach die Rolle der Inquisition übernimmt und auf Andersdenkende einprügelt. Auch zu diesen psychologischen Motivationen wird es hier demnächst noch einiges zu sagen geben. Vorerst wollen wir noch etwas bei der Frage der Glaubwürdigkeit dieser neuen Moralreligion verharren.

Konrad Adam von der AfD machte kürzlich bei Geolitico auf ein besonders unlauteres Argument aufmerksam. „Das Märchen von der fehlenden (Zuzugs-)Obergrenze ist nicht nur politisch verhängnisvoll; es ist auch juristischer Unfug. Denn wie jedes andere stößt auch das Grundrecht auf Asyl an Grenzen – dort nämlich, wo andere Grundrechte beginnen….Heute verbünden sich CDU und SPD, um unter Berufung auf das eine Grundrecht andere Grundrechte systematisch auszuhebeln. Das Demonstrationsrecht wird eingeschränkt, das Recht auf Meinungs- und Gesinnungsfreiheit kastriert, die Unverletzlichkeit der Wohnung missachtet, indem die Behörden Mietern, die jahrzehntelang Steuern und Sozialabgaben entrichtet haben, zugunsten von Leuten die Wohnung kündigen, die nichts dergleichen vorzuweisen haben und auch für die Zukunft nicht erwarten lassen.“

Erst recht ist der Glanz der Moral am Schwinden, wenn sich Trittbrettfahrer ihrer bedienen wollen. Natürlich sind sozusagen berufsspezifisch zum einen Politiker und Journalisten Trittbrettfahrer, wenn sie versuchen, mit angesagten Parolen ihrer eigenen Karriere zu nutzen. Widerwärtig wird es, wenn sich sogenannte Prominente das Recht nehmen, ihren Mitbürgern politische oder moralische Handlungsanweisungen zu geben, obwohl sie weder entsprechende politische noch moralische Kompetenzen vorweisen können. Nachhaltig in Erinnerung geblieben sind die Hasstiraden von Till Schweiger in der Allgemeinen Richtungsanstalt Deutschland (ARD) beim Maischberger-Talk, wo der Film- und Selbstdarsteller für Demonstranten gegen die Flüchtlingspolitik Standgerichte und Inhaftierungen ohne Gerichtsbeschluss forderte.

Nicht immer sind solche Medienopportunisten so aggressiv und selbstgerecht, so proto-faschistisch, wie Schweiger. Aber die Punkband Die Ärzte schaffte es im Rahmen der durchaus treffend bezeichneten „Aktion Arschloch“ mangels aktuellen Outputs einen Song von 1993 an die Spitze der Charts zu bringen. Auch anderswo arbeitet die neue Moral-Industrie in Sonderschichten, um nichts anbrennen zu lassen. Promiköchin Sarah Wiener beispielsweise verteilte 150 Portionen Bio-Gemüsesuppe an Flüchtlinge und erklärte dabei falsch, aber trendy: „Kein Mensch ist illegal“. Dass sie damit auch noch suggeriert, dass Flüchtlinge in den Heimen hungern müssen, ist eine dieser erwähnten offensichtlichen Wahrheitsbeugungen, eine andere die kühne Unterstellung, dass den solide Kost gewohnten Flüchtlingen dieser vegetarische Bio-Pamps überhaupt zusagen könnte. Ausdrücklich sei erwähnt, dass kürzlich Peter Maffay aus der Phalanx der Jet-Set-Gutmenschen ausgebrochen ist und sich erlaubt hat, nach einer Obergrenze für Flüchtlingszahlen zu fragen.

Dann gibt es natürlich noch sozusagen „natürliche“ Profiteure der neuen Wachstumsbranche. Die deutschen Psychotherapeuten forderten Mitte September scheinbar völlig uneigennützig mehr Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge. Die Hälfte von ihnen (den Flüchtlingen, natürlich) sei psychisch krank, erklärte die Bundespsychotherapeutenkammer, aber nur 4% erhielten derzeit eine psychotherapeutische Behandlung. 40-50% litten unter posttraumatischer Belastungsstörung, ebenso viele unter Depressionen, häufig beides gleichzeitig. Zwar ist die statistische Quelle trüb und es werden die Kriterien für eine solche Traumatisierung nicht genannt, doch ist allein der Anspruch, fremdsprachige Kulturfremde massenhaft sinnvoll therapieren zu können, ein Hohn. Angesichts jetzt schon langer Wartelisten für einheimische - tatsächliche oder eingebildete - Kranke ist das sogar völlig undurchführbar. Aber es tut eben gut, auch jenseits jeder Realisierbarkeit den Finger zu heben und auf die eigene Wichtigkeit zu verweisen, dann braucht man auch nicht mehr zu fragen, wer für eine mögliche therapeutische Aufrüstung per Beitragszahlungen und Wartezeiten aufkommen müsste.

Der CDU-Abgeordnete Maximilian Krah hatte die Realität schon vor fast einem Jahr aus Anlass der sich formierenden Anti-Pegida-Propaganda sehr schlüssig eingefangen: „Es ist deshalb an der Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass man ungesteuerte Einwanderung, oft genug von hoch problematischen, alleinreisenden jungen Männern aus islamischen Staaten, nicht gut finden muss. Dass es massive Probleme gibt, weil die Ankommenden nicht daran denken, sich zu integrieren, und dass diese Probleme von einer Toleranzindustrie, die jede Kritik als unmoralisch diskreditiert, tabuisiert werden, so dass sie ungelöst bleiben. … Und, ganz wichtig, dass nicht jede Bürgerin und nicht jeder Bürger, der auf diese schlichten Wahrheiten hinweist, dumm, ahnungslos oder Nazi ist.“

Die Realität wird die gut-gläubigen Verdränger ohnehin alle einholen. So wie schon jetzt bei den freiwilligen Flüchtlingshelfern, die sich immer zahlreicher aus den Flüchtlingslagern zurückziehen. Teilweise, weil sie dem Druck und der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft nicht mehr gewachsen sind, teilweise, weil sie den Kulturschock der Erkenntnis nicht verarbeiten können, dass nicht alle Flüchtlinge so unschuldig, dankbar und harmlos sind, wie man sich das gedacht hatte. In der Berliner Zentralstelle in Moabit verweigerten Hilfsorganisationen im Herbst sogar den Einsatz von Dolmetschern, weil ein „unbekannter Mann“ (man beachte das herkunftsbefreite Neusprech) auf einen Dolmetscher eingeschlagen hatte.

Trifft es hier noch sozusagen „freiwillige“ Opfer, wird das ganze Land zu Betroffenen, wenn beispielsweise wie im Herbst in Berlin in vielen Nächten die komplette Polizeibesatzung der Stadt zur Flüchtlingsregistrierung eingesetzt wurde und nur noch klagen konnte: „Wir mussten in einigen Nächten so viele Flüchtlinge nach Tempelhof bringen, dass kein einziger Funkwagen für den Streifendienst mehr verfügbar war.“ Welche Moral gilt dann, wenn die Räuber schon an der Haustür kratzen oder der Verkehrsunfall ungeregelt die Hauptstraße blockiert?

Aber es kommt noch schlimmer. Jede erfolgreiche Ideologie ist auch ein Metaorganismus, der danach trachtet, seine Herrschaft zu stabilisieren. Dazu bedarf es bekanntlich angemessener Unterdrückungsinstrumente, die Widerspruch im Keim ersticken, und letztlich den Aufbau einer neuen Diktatur, in diesem Falle der „Moralischen Diktatur“. Noch brennen keine Scheiterhaufen, und sie werden das wahrscheinlich auch nicht tun, denn so vergleichbar wie die Strukturen ideologischer Unterdrückung auch sein mögen, so unterschiedlich können die zeitgemäßen Mittel sein. In einer zunehmend virtuellen Gesellschaft wird die neue Diktatur versuchen vorerst mit psychologischem Druck auszukommen, der moralische Korrektheit einfach unhinterfragt einfordert.

Doch schon jetzt gibt es für die Opposition Berufsverbote und einseitige Gerichtsbarkeit. Es gibt Maßnahmen zur Gleichschaltung der Medien und des Internets. Es gibt Kürzungen öffentlicher Mittel für Demokraten und Zuflüsse für verfassungsfeindliche Gruppen, die behaupten, vornehmlich den Kampf gegen Rechts zu führen. Es gibt eine entsprechende Ausrichtung des Schulwesens und anderer Institutionen, besonders des Staatsschutzes. Gegen einen Beamten in Zivil wurde beispielsweise Ende Oktober in Brandenburg ein Disziplinarverfahren wegen eines Demo-Plakates eingeleitet, das ausdrücklich keinen Straftatbestand erfüllte. Das alles ist zwar nicht im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft und damit im eigentlichen Sinne unmoralisch, aber natürlich übersichtlich neu-moralisch sanktioniert: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und damit gegen unsere hehren Ziele.“

Letztlich muss sich ganz im Sinne des von Konrad Adam beschriebenen Helfens um jeden Preis am Ende auch noch die Demokratie unterordnen. So richtig ernstgenommen haben die Mächtigen die Volksherrschaft ja eigentlich nie, doch im Zuge der großen moralischen Vereinheitlichung fügen sich dann auch nominelle Volksvertreter nahtlos ein. Was mag ein IG-Metall-Chef eigentlich für ein moralisches Grundmuster haben, der glaubt, seine Klientel so beruhigen zu können: „Der Langzeitarbeitslose hier hat die gleichen Ansprüche und Chancen auf Förderung wie der Flüchtling, der zu uns kommt.“

Und weil er weiß, dass diese brutale Ignoranz irgendwann relevanten Widerstand hervorrufen wird, legte dieser Jörg Hofmann im Deutschlandfunk noch weitsichtig nach: „Die IG Metall fordert von der Wirtschaft ein kompromissloseres Vorgehen gegen Fremdenfeindlichkeit in der Belegschaft. Firmen sollten Arbeitnehmer entlassen, die offen fremdenfeindliche Kommentare im Netz veröffentlichen.“ Wir lesen richtig: Ein Arbeitnehmervertreter fordert die Arbeitgeber auf, politisch motivierte Entlassungen auf Basis diffuser, rechtlich undefinierter und beliebiger Anschuldigungen vorzunehmen! Moral ist, wenn man trotzdem lacht.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Markus B.R

Etwas mühsam zu lesen. Aber brilliant !

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