Mittwochsteilzeitpapa

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Sigmar Gabriel mutiert zum Vorzeigepapa. Signal an die Väter im Land oder nur Medienspektakel?

Sigmar Gabriel hat angekündigt, sich auch weiterhin Mittwochnachmittags um seine Tochter kümmern zu wollen, da sei er dran. Wow, toll. Seine Frau sei berufstätig. Noch ein SPD-Pluspunkt. Moderne Ehe. Die Presse überschlägt sich, die Parteikollegen auch. Ja da geht ein Karrieremann mutig den Schritt voran und zeigt, wie wichtig ihm die Familie ist.

Oder doch nicht? Dies Zurschautragen einer elterlichen Selbstverständlichkeit baut leider gleich zwei falsche Illusionen auf. Zum einen erweckt es den irrtümlichen Eindruck, ein Spitzenjob als Minister, stellvertretender Bundeskanzler und Parteichef ließe sich mit dem Aufziehen eines Kindes vereinbaren. Zum anderen die Illusion, man könnte Kinder artgerecht mit Mittwochnachmittagsteilzeit groß ziehen.

Papieinsatz mit einer Vorbildfunktion?

Fast hat man das Gefühl, die Berliner Ministerien seien bald verwaiste Häuser, sieht man sich an, mit welchem Überschwang nun auch weitere Ministerkolleginnen es Gabriel gleich tun in der Ankündigung, ihre Arbeit so strukturieren zu wollen, dass noch Zeit für die Familie bleibe. Tun wir das nicht alle? Arbeitsministerin Andrea Nahles, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und auch Familienministerin Manuela Schwesig wollen das jetzt auch mal versuchen.

Man weiß ja nicht, ob Gabriel sich mit der medialen Terminankündigung seiner Vaterfreuden selbst einen Gefallen getan hat. Misstrauisch wird ihm die Medienmeute jetzt jeden Mittwoch an den Fersen kleben, um zu überprüfen, ob Papa tatsächlich präsent ist. Ich nehme an, es ist einkalkuliert im Papahappening und wir werden demnächst in der BILD einen „ganz zufällig“ entstandenen Schnappschuss vorfinden, wie er klein Mariechen aus der Kita trägt – so wie Millionen Väter das übrigens auch machen, aber ohne es vorher der Lokalpresse zu melden. Der Gabrielsche Papieinsatz mit einer Vorbildfunktion, die manche nun herbeireden, wäre allerdings viel überzeugender, würde das allen Vätern des Ministeriums zustehen. Einfach mal frei machen, weil Vatertag ist. Bezahlt natürlich. Vermutlich wird aber der Rest der Besatzung die Stellung halten im Ministerium, so wie auch an Wochenenden und wie Minister Gabriel im Übrigen auch. Denn Minister zu sein ist kein Teilzeitjob und wird es auch niemals sein.

Und so ist es zwar einerseits ehrenvoll, sich vorzunehmen, Zeit für die Familie zu schaffen als Minister. Aber es ist in diesem Amt selbstverständlich, dass man immer erreichbar ist, dass man an Abenden, am Wochenende und notfalls auch im Urlaub auf Abruf steht. Denn Politik entscheidet sich nicht nach Kita-Öffnungszeiten oder nach Wochenendplänen, sie ist unberechenbar. Das weiß auch Herr Gabriel, er ist lange genug in der Politik. Er hat somit einen der Topjobs der Republik vergleichbar mit Führungspositionen in der Wirtschaft, die sich ebenfalls nicht in einer „9 to 5 world“ bewegen und in der Regel dem Inhaber Freizeit und Familienzeit rauben. Das weiß man, es ist ein Abwägen von Machtoption und Geld gegen Privatleben. Es stellt sich allein die Frage, ob man das haben will oder gar aushält. Ein Sigmar Gabriel ist auch deswegen kein Beispiel, weil es dazu auch noch sehr einfach ist, als Chef des Hauses zu bestimmen, wann man sich eine Auszeit gönnt. Der Rest der deutschen Bevölkerung steht in der Regel am anderen Ende der Nahrungskette und muss die Frage, wann man nach Hause darf und wann man frei bekommt mit ebendiesem Chef mühsam und nicht selten erfolglos aushandeln.

Viel wird in letzter Zeit über die sogenannte „Präsenzkultur“ am Arbeitsplatz diskutiert. In der Tat wäre sicher bei einigen Arbeitsfeldern die Frage des Homeoffice eine machbare Option. Nun heißt aber Arbeit nach Hause verlegen nicht, dass man dann Zeit für die Familie hat, sondern nur, dass man den Arbeitsplatz verlegt. Das macht manche Dinge einfacher, die Arbeit aber nicht weniger. Auch dieser Artikel entsteht gerade am heimischen Schreibtisch nebst schlafenden Kindern. Arbeit ist es trotzdem.

Führungspositionen und dann auch noch in der Politik kommen ohne Präsenz wiederum gar nicht aus. Weil es dann bei Papa Gabriel gar nicht mehr die Frage wäre, ob jemand an seinem Stuhl sägt, während er in Goslar den Poohbär gibt, sondern nur wer. Das erkannte seine Parteikollegin Andrea Nahles übrigens recht klug schon vor Jahren. Sie kehrte bereits zwei Monate nach der Geburt ihres Kindes in die Politik zurück mit der ganz klaren Begründung, dass ihr klar sei, dass es Begehrlichkeiten um ihren Job gäbe und sie sich der Solidarität der eigenen Leute nicht sicher sei.

Wirklich spannend wiederum wäre das Experiment eines Minister Gabriel in der 32-Stunden Familienarbeitszeit, die SPD-Kollegin Manuela Schwesig gerade als „Vision“ vorgetragen hat.

Kinderbedürfnisse passen in keinen Terminkalender

„Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen“ empfahl einst Helmut Schmidt. Und in Sachen Machterhalt am Arbeitsplatz könnte Gabriel dann spätestens in zwei Monaten bei Parteikollegin Nahles vorstellig werden – in der Agentur für Arbeit. Denn länger gebe ich ihm in seinen Ämtern nicht bei einer 32-Stunden Woche.

Verheerender aber, als die Illusion der Vereinbarkeit von Machtposition und Kindern ist bei all der Lobhudelei zu diesem Mittwochnachmittag fürs Kind der Irrglaube, dass man damit dem Kind gerecht werde. Wir sind ja alle schon so geübt darin, das schlechte Gewissen in „Quality Time“ mit den Kindern zu packen, dass darüber immer wieder ignoriert wird, dass sich die Bedürfnisse von Kindern nicht in Zeitfenster und Terminkalender zwängen lassen. Kinder leben im hier und jetzt. Je kleiner, je mehr. Ihre Bedürfnisse sind spontan. Sie brauchen Antworten und Liebe und Zuwendung gleich und nicht Mittwochnachmittags, wenn wir gerade unser enges Zeitfenster öffnen. Ihre Bedürfnisse, ihre Sorgen, ihre Nöte und ihre Freuden lassen sich nicht aufschieben und ihre Mitteilsamkeit leider auch nicht.

Es war auch eine Ministerin die dies erkannt hat: Kristina Schröder, die in die zweite Reihe zurück getreten ist, um ihrer kleinen Tochter die Aufmerksamkeit schenken zu können, die sie ihr als Ministerin nicht geben konnte. Und deswegen ist es ganz egal, ob wir nun eine 32-Stunden-Familienzeit schaffen, oder sie stattdessen „Teilzeitnahe Vollzeit“ nennen, denn diese Diskussionen lenken von dem eigentlichen Problem ab: Dass wir nicht bereit sind, die elterliche Erziehung aufzuwerten und finanziell möglich zu machen. Dass wir nicht bereit sind, Kindern Zeit mit ihren eigenen Eltern zu ermöglichen und stattdessen lieber Milliarden dafür versenken, sie anderswo, aber bloß nicht zu Hause groß werden zu lassen.

Beitrag erschien zuerst auf: theeuropean.de

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