„Mami, gib mir Geld oder ich schlage dich.“

75 Prozent der Deutschen glauben, dass wir auf dem Weg in eine Gesellschaft von Egoisten sind und dies vor allem dadurch, dass Eltern ihre Kinder verwöhnen.

Veröffentlicht:
von

So das Ergebnis einer Umfrage des Magazins "Familie&Co". Dabei birgt der Begriff "Verwöhnen" sehr viele Facetten, die auch zu Verwirrung und Missverständnissen führen können. Häufig kommt er in der Werbung zum Einsatz. "Lassen Sie sich verwöhnen", ob durch Wellness-Angebote, zarte Wäsche oder Blumen. An der Effektivität der Wirkung dieser Werbestrategien wird offenbar: Es muss ein tiefes Bedürfnis existieren, nicht ständig aktiv bzw. initiativ sein und funktionieren zu müssen, sondern einfach, ja, verwöhnt zu werden – wunderbar!??

Unabhängig von solchen Gedanken: Die Aufgabe von Eltern und anderen Erziehungskräften in Kindergarten, Schule und Berufsausbildung ist, Kinder so zu fördern, dass sie mit Handlungskompetenz, Selbstbewusstsein und Verantwortung ihr eigenes Leben in Beruf, Partnerschaft, Familie und Gesellschaft meistern können. Dazu ist Hinwendung und nicht Verwöhnung notwendig. Wachsen Kinder jedoch in einem zu behüteten Umfeld auf, fehlt es an altersgemäßen Herausforderungen. Der Entwicklung von Selbstwirksamkeit - ein Schlüsselbegriff der Resilienzforschung – fehlt somit die Basis. Denn ein Aufwachsen im Schongang  führt nicht zu Durchhaltekraft, Stabilität, Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung.

Aber was kennzeichnet ein Kind mit solchen sozialen Kompetenzen? Es lässt sich nicht vom ersten Gegenwind umpusten, sieht sich nicht als den Mittelpunkt der Welt, bringt sich förderlich in die Gemeinschaft ein, lernt mit Spannungen und Konflikten umzugehen, kann nachgeben ohne aufzugeben, erkennt mit dem Älterwerden immer deutlicher, dass Eltern nicht das Attribut der Vollkommenheit besitzen und demnach nicht immer alles richtig machen. Das hat zur Folge, auch mit eigenen Begrenztheiten besser umgehen zu können. So erhalten Kinder die besten Voraussetzungen, sich zu liebenswürdigen Erwachsenen mit einem stabilen ICH entwickeln zu können. Es geht also um die Vermittlung eines ‚ich pack das Leben an’-Faktor.

Besonders die so genannten Helikopter-Eltern verhindern eine mutmachende Lebensvorbereitung. Ständig sind sie mit ihrem: ‚Ich mach das schon für dich’, ‚das wird zu schwer sein’, ‚magst du dies wirklich noch essen’, ‚ wenn du nicht möchtest, dann brauchst du nicht …’ zur Stelle. In den USA wird schon zwischen elterlichen „Rettungs-, Kampf- und Transport-Hubschraubern“ unterschieden. Wer die Vergleiche mit diesem fast überall starten und landen könnenden Fluggerät nicht mag, sollte trotzdem sein eigenes Verhalten kritisch überprüfen. Denn dass Eltern anstelle ihrer Kinder – ob am Sandkasten, in der Schule oder beim Nachwuchs-Fußballclub – in die Kampf-Arena steigen oder ihre Töchter und Söhne ständig herumchauffieren, um ihnen eine mühelosen Leben zu ermöglichen, ist zur ‚Normalität’ geworden. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul, der als Verfechter einer entspannten Erziehung gilt, beschreibt in einem Spiegel-Interview die Folgen von Überbehütung so: ‚Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse’, so argumentiert er, ‚richteten gar weniger Schaden in Kinderseelen an als jener Narzissmus, der den Nachwuchs glücklich und erfolgreich sehen will, um sich selbst als kompetent zu erleben’. Wer jedoch Kindern ständig Hindernisse aus dem Weg räumt, ihnen Mühe und Schweiß, täglich notwendigen Arbeiten oder Mitwirkungen ersparen will - selbst die Erfahrung von Trauer, etwa beim Tod der Großeltern - der führt diese gezielt in ein Terrain von Misslingen und Zukunftsangst. Solche Kinder wissen nichts über andere Menschen und nichts über sich selbst. Sie spüren nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, kennen kein Mitgefühl, besitzen keine Herzenswärme, sind letztlich unter sozialen Aspekten lebensuntauglich.

Der Irrglaube, dass eine Ausgrenzung von kindgerechter Anstrengung und Mühe den Start ins eigenständige Leben erleichtern könne, verbreitet sich rasant. Aber wie können sich Kinder auf die Herausforderungen des Lebens als Erwachsene in Beruf, Familie und Freizeit vorbereiten, wenn ihnen das notwendige Einübungsfeld verwehrt wird, sie kaum Konsequenzen – ob positive oder auch negative - ihres Handelns erfahren? Der Lebensalltag verdeutlicht immer wieder neu: Wer Selbstverantwortung und Eigenständigkeit nicht erlernt, kann nicht in gutem Zusammenwirken mit Anderen zielorientiert und erfolgreich handeln, wird kaum zu Selbstwirksamkeit und innerer Zufriedenheit gelangen. Insofern führt dieses allgegenwärtige Vorenthalten von altersgerechten Herausforderungen unsere Kinder gezielt zu Nichtkönnen und Versagen. Viele Probleme in Beruf und Partnerschaft haben dort ihren Ursprung.

Das erzieherische Unvermögen im Umgang mit unseren Kindern ist extrem steigerungsfähig. Hier zwei aktuelle Belege zu verwöhnten Kindern aus der Schweiz: „Mami, gib mir Geld oder ich schlage dich. - Das neuste Smartphone, die teuerste Tasche: Bekommen Kinder und Jugendliche nicht, was sie wollen, ticken sie aus.“ - Ein Kinderpsychologe: „Verwöhnte Teenies kriegen keine Lehrstelle. - Kritikunfähig, zart besaitet, zu wenig ehrgeizig: Viele Jungs müssen ihre Lehre abbrechen, weil sie zu verwöhnt sind“, sagt Psychologe Henri Guttmann (beides Beiträge der Zeitung „20 Minuten“ vom 11.3.2015). Dazu titelt „DIE WELT“: „Die Schule geschafft, aber der Arbeitswelt nicht gewachsen. - Seit Jahren sollen ‚unnötige Härten’ vermieden werden: keine Grundregeln beim Schreiben, keine schriftlichen Prüfungen, kein Sitzenbleiben. Mit der wahren Arbeitswelt sind Jugendliche so überfordert“ (vom  26.03.15). Und wenn dann die exklusiv im Auftrag des Stern durchgeführte tiefenpsychologische Kinderstudie als Resultat formuliert: "Eltern, erzieht uns endlich wieder!" (vom 28.1.2015) und folgert: „Nicht Leistungsdruck überfordert unseren Nachwuchs, sondern Eltern, die ihren Job nicht richtig machen“, dann ist adäquates Handeln angesagt.

Dies ist jedoch leichter formuliert als umgesetzt. Denn eingefahrene Verhaltensmuster, eine zu starke Identifikation mit dem eigenen Nachwuchs, permanent Zeitdruck zu empfinden, selbst keine Spannung oder Anstrengung aushalten und sich nicht wirklich auf das eigene Kind mit seinen jeweiligen Bedürfnissen einlassen zu wollen bzw. zu können, werden vielfältige Abwehrmechanismen aktivieren. ‚Schließlich geht es um meine Kinder, da hat sich niemand einzumischen’, ist der häufigste Verteidigungs-Versuch. Aber ein tiefer gehender Blick macht deutlich, dass es meist nicht um die Kinder, sondern ums eigene Wollen und Wohlbefinden geht. Um die notwendigen Veränderungsschritte einzuleiten, ist eine kräftige Portion Selbst-Kritik und Umorientierungs-Bereitschaft notwendig. Hier die mutmachende Praxis-Konkretisierung einer Journalistin und dreifachen Mutter:

„Es ist ja nicht so, dass, bloß weil etwas stimmt, man es auch automatisch gerne gesagt bekommt. Bisher hatte ich immer gemütlich gedacht, dass es in Ordnung sei, wenn ich meine Kinder ab und zu verwöhne. Hier ein Eis außer der Reihe, da eine halbe Stunde länger Fernsehen. Wird schon nicht so schlimm sein, dachte ich, sofern ich überhaupt darüber nachdachte, bis ich Dr. Albert Wunsch anrief, den Erziehungswissenschaftler und Autor des Buches ‚Die Verwöhnungsfalle’. - ‚Ist Verwöhnen denn immer schlecht?’ frage ich und bin mir dabei noch keiner Gefahr bewusst. Zunächst täuscht mich der bezaubernde, rheinländische Singsang des Gelehrten über die Schonungslosigkeit seiner Aussagen hinweg: ‚Verwöhnung macht asozial, lebensuntüchtig und einsam,’ sagt Wunsch und ich ziehe den Kopf ein. Zu spät. Volle Breitseite. ‚Sie haben den Auftrag, Ihre Söhne in ein eigenständiges Leben zu führen und das ist nicht im Schongang erlernbar. Stehlen Sie den Kindern ihre Probleme nicht! … Dadurch erziehen Sie sie zu unselbstständigen Menschen, die alles wollen aber nichts geben und später in der ersten eigenständigen Wohnung erschrocken feststellen, dass der Mülleimer nicht von alleine leer und der Kühlschrank nicht von alleine voll wird. Kinder brauchen Herausforderungen, um stark zu werden’.“ - Die Brigitte Problemzonen-Kolumnistin ist aktiv in die Selbst-Auseinandersetzung eingestiegen.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: H.Roth

Ein Großteil der Eltern hat keine Orientierung bei der Erziehung ihrer Kinder. Da wird ein Ratgeber nach dem anderen gelesen, ein populärer Kinderpsychologe nach dem anderen ernst genommen, und am Ende bleiben frustrierte Elten und irritierte Kinder.
Es gibt nur ein Buch, dass sich als wirklich hilfreicher Ratgeber sowohl für Eltern als auch für Kinder bewährt hat, nämlich die Bibel. Vielleicht ist unser Mangel einfach der, dass wir uns zu weit von Gottes Ratschlägen entfernt haben...

Gravatar: Karin Weber

Ich sehe das Problem grundsätzlich darin, dass der Staat in Familien eingreift, diese zerstört und elementare Aufgaben dieser den Eltern wegnimmt bzw. diesen deren eigenverantwortliche Wahrnehmung nicht ermöglicht.

Mal ehrlich, was erwartet man von Kindern, die sich den ganzen Tag selber überlassen sind, weil die Eltern beide Fulltime zur Familienexistenzsicherung arbeiten müssen bzw. wie heute üblich getrennt sind? Wie sollen die denn ihre Kinder "erziehen"? Die Schule sagt, dass ist Aufgabe der Eltern, das können wir nicht leisten, schon gar nicht unter den heutigen Umständen. Die Eltern sagen, dass die Kinder mehrheitlich fern von zu Hause, also in Schule und GTA geparkt werden. Im Endeffekt ist es tatsächlich so, dass die Kinder sich selbst überlassen sind. Regel, Werte und Prinzipien lernt man aber nur innerhalb von sozialen Strukturen und der Staat selbst ist nun mal asozial, also kann man da auch nix lernen.

Was wir seit Jahren alle machen ist nicht mehr oder weniger, als das wir die Symptome wahrnehmen, aber es bisher als Eltern nicht gepackt haben, dafür die Ursachen zu beseitigen. Die Ursache liegt beim Staat und die Eltern müssen sich ihre Rechte wieder zurückholen.

Gravatar: Thomas Rießler

Das Imperium schlägt zurück: Eroberung der Lufthoheit über die Kinderbetten der Helikopter-Eltern durch Dr. Albert Wunsch, Erziehungspapst und langjähriger Leiter des katholischen Jugendamts Neuss.

Gravatar: Ursula Prasuhn

Sie sprechen mir aus der Seele, Anne. Vielen Dank für den Buchtipp!

Gravatar: Anne R.

Es ist einfach, Eltern, mit der Psychoanalyse aufgewachsen, an den Pranger zu stellen. Selten einmal werden Glaubenssätze z.B. eines Jesper Juul hinterfragt, für den Kinder kompetent sind, nur die Eltern, die sind es nicht.
Es wurde Eltern über Jahrzehnte eingeflüstert, auf die Lebensäußerungen ihrer Kinder nicht dauernd mit Verboten zu reagieren, denn ein so repressives Verhalten der Eltern könne Kindern schaden....

Der in Schweden lebende Psychiater David Eberhard, Vater von sechs Kindern, hackt nicht ständig auf den Eltern herum, er hat ein hervorragendes Buch geschrieben und räumt gründlich auf mit den Dogmen moderner Erziehung:
"Kinder an der Macht. Die monströsen Auswüchse liberaler Erziehung"

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang