Luxusdebatte über den Fachkräftemangel?

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Beim Thema Fachkräftemangel schrillen die Alarmglocken bei Wirtschaftsvertretern und so genannten Experten. Glaubt man ihren Analysen, dann wird unsere gesamte Berufswelt in naher Zukunft auf den Kopf gestellt. In ein paar Jahren, so der Tenor der Mahner und Warner, würden sich Unternehmen bei geeigneten Fachkräften bewerben – nicht umgekehrt.

Sicher ist dies noch Zukunftsmusik. Bewerber, die sich verzweifelt um eine Stelle bemühen, aber nur Absagen erhalten, werden eine solche Aussage vielleicht auch als Zynismus empfinden. Doch auch heute schon macht sich der Fachkräftemangel teilweise bemerkbar. Insbesondere mittelständische Unternehmen, die außerhalb ihrer Nische nicht sehr bekannt sind und ihren Sitz nicht in einer attraktiven Großstadt haben, können bestätigen, dass die Resonanz auf Stellenanzeigen für qualifizierte Bewerber geringer wird. Dies ist allerdings eher ein strukturelles Problem bestimmter Branchen und Regionen.

Was aber tun, wenn IT- und SAP-Experten oder Ingenieure verzweifelt gesucht werden? Der Personalberater Michael Zondler vom Beratungsunternehmen centomo rät dazu, nicht in Panik zu verfallen.  „Die Suche in Deutschland oder in der unmittelbaren Umgebung eines Unternehmens sollte Vorrang haben. Nach unserer Erfahrung kommen Unternehmen und Bewerber in der Regel auch zusammen. Wenn ein Unternehmen hingegen die Eier legende Wollmilchsau sucht, wird es eng. Überspitzt gesagt: Einen 23-jährigen IT-Experten mit Auslands- und mehrjähriger Berufserfahrung und hervorragenden Fremdsprachenkenntnissen findet man sicher nicht so leicht auf dem Markt. Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Und so habe ich manchmal den Eindruck, dass Wirtschaftsvertreter das Thema Fachkräftemangel etwas überstrapazieren, um Druck auszuüben. Und die Wirtschaftsseiten der Zeitungen lesen sich auch interessanter, wenn hier etwas dicker aufgetragen wird. Zurzeit ist das Problem aber noch nicht so akut, wie es vielleicht in 20 Jahren sein wird. Und bei Prognosen für die Zukunft sollte man auch immer vorsichtig sein.“

Beim Fachkräftemangel sollten keine Drohkulissen aufgebaut werden

Zondler bestätigt allerdings, dass die Personalsuche im Ausland in den nächsten Jahren wichtiger werden wird. Doch noch steckt das internationale Recruiting in den Kinderschuhen, wie Chris Pyak, Geschäftsführer der Immigrant Spirit GmbH, betont. Ohne Einwanderer sehe es für den Wirtschaftsstandort Deutschland düster aus. Das Arbeitskräftepotenzial werde bis 2025 um rund 6,5 Millionen Personen schrumpfen, hat die Bundesagentur für Arbeit errechnet. Allerdings dürfte Pyak dem Thema auch nicht völlig unvoreingenommen gegenüberstehen. Schließlich coacht er jährlich nach eigenen Angaben über 100 internationale Fachkräfte in Einzelsitzungen.

„Klar trifft es zu, dass Top-Kräfte sich ihren Arbeitgeber quasi aussuchen können. Diese müssen um sie buhlen, nicht umgekehrt. Aber dies ist eher ein Phänomen, welches einen geringen Prozentsatz der Fachkräfte betrifft“, so Zondler.

Andere Experten sprechen sich dafür aus, bei der Personalsuche auch einen Personenkreis in den Blick zu nehmen, dem man bisher links liegen gelassen habe. So hat die Bundesagentur für Arbeit nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung in größeren Städten wie Augsburg, Bremen, Dresden, Freiburg, Hamburg und Köln nun Modellprojekte gestartet, um qualifizierten Flüchtlingen und Asylbewerbern einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu verschaffen. Denn bisher dürfen sie in Deutschland nicht arbeiten.

Wie die SZ berichtet, registrieren die Experten des Bundesamtes für Migration im Rahmen des Modellprojektes nicht mehr nur die persönlichen Daten von Asylbewerbern, sondern fragen auch gezielt nach deren beruflicher Qualifikation und ihrem Interesse an der Teilnahme an einem solchen Projekt. Anschließend werden potentielle Kandidaten dann an die Arbeitsagenturen gemeldet -  bisher allerdings nur in den sechs Modellstädten.

Derzeit beschränke sich die Auswahl noch auf Asylbewerber und Geduldete aus Herkunftsländern, wo die Wahrscheinlichkeit groß sei, dass sie so schnell nicht wieder dorthin abgeschoben werden. Laut dem Bundesamt für Migration sind dies Syrien, Ägypten, Iran, Irak, Somalia, Eritrea, Pakistan, Sri Lanka und Afghanistan.

„Grundsätzlich sind alle Maßnahmen zu begrüßen, die Menschen in Arbeit bringen und den Betroffenen helfen. Aber man sollte mit viel Fingerspitzengefühl an das Thema herangehen. Es wäre unlauter, wenn man sich von einer solchen Maßnahme Wunderdinge erhoffte. Dies würde den Betroffenen nicht gerecht und auch nicht den Unternehmen, die vielleicht dringend nach bestimmten Fachkräften suchen. Flüchtlinge haben ja oft traumatische Erfahrungen gemacht. Es erfordert viel Umsicht und auch Zeit, sie erst einmal in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt kann erst der zweite Schritt sein“, meint der centomo-Chef.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Florian Hohenwarter

Dass Sie von diesem System profitieren, scheint ja unbestritten. Zu hinterfragen wäre ja mal unser Bildungssystem, da es anscheinend nicht mehr möglich ist, geeigneten Nachwuchs/ Fachkräfte selbst auszubilden. Und um das demographische Defizit zu beheben müsste man an die Wurzeln des Problems herangehen und nicht durch Import von billigen Arbeitskräften eine Umvolkung durchführen.

Gravatar: Karin Weber

Sie sind nichts anderes als was man volkstümlich "Kopfjäger" nennt und profitieren von dieser Debatte um "Zuwanderung & Fachkräftemangel" erheblich.

Solange es Deutschland sich leisten kann, ..

- so ein Familienrecht zu haben, welches die männlichen Leistungsträger psychisch bedingt in ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft niederdrückt,
- z.B. Gender-Personal, Soziologen, Juristen und Frauenbeauftragte in Hülle und Fülle vorzuhalten

brauchen wir keine Zuwanderung, sondern kommen mit einheimischen Ressourcen aus.

Es ist zudem geradezu grotesk, dass man dem demographischen Wandel nicht die Wirtschaft respektive die Wirtschaftskraft anpasst. Wozu brauche ich Produktionsstätten die Waren produzieren, die hier in Deutschland mal keiner mehr verbrauchen kann? In der Merkelschen Energiepolitik sieht es ja nicht anders aus, denn da sollen Kapazitäten und Stromtrassen geschaffen werden, die in 10-16 Jahren vollkommen unwirtschaftlich sind und möglicherweise gar nicht mehr gebraucht werden.

Die Wirtschaft ist doch wohl dazu da, dass Leben der Menschen zu ermöglichen, also z.B. durch die Versorgung mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Lebens/Bedarfs. Logischerweise muss sich das doch an die schwindende Bevölkerungsstruktur anpassen, andernfalls gibt es unrentable Überkapazitäten. Viele Kommunen machen das mit Verwaltungsreformen schon vor, passen sich so also dem demographischen Wandel an. Warum kapiert das die Wirtschaft nicht? Ist des die Gier nach Profit?

In dem Sie mit Ihrer Firma „Fachkräfte“ aus dem Ausland nach Deutschland lotsen, vollziehen Sie aus meiner Sicht einen modernen Kolonialismus. Man bedenke dabei nur, dass diese Leute (meist kommen sie aus schwachen und unterentwickelten Regionen dieser Erde) hier oder in der westlichen Welt studiert haben, hier wieder durch Sie herkommen und damit im Umkehrschluss in ihrem Heimatland fehlen. Dort werden zur Entwicklung der Wirtschaft doch die Fachleute gebraucht und der Westen nimmt sie diesen gebeutelten Regionen wieder weg. Aber da stehen schon die Nächsten in den Startlöchern, die Hilfs- und Entwicklungshilfeorganisationen. Checken Sie einmal, wie viele Millionen die Bundesregierung in Entwicklungshilfe investiert. Ein Ingenieur der dort vor Ort aktiv wird, könnte vielleicht einen ordentlichen Batzen Geld sparen.

Gravatar: Chris Pyak

Sehr geehrter Herr Lange,

vielen Dank für ihren Beitrag zum Fachkräftemangel. Es ist wichtig das Problem und mögliche Lösungen von allen Seiten zu durchleuchten - und auch kritische Fragen zu stellen.

Natürlich haben Sie Recht: Ich habe eine klare Meinung zum Fachkräftemangel und zur Notwendigkeit von Einwanderung.

Meine Überzeugung ist dass unser Land dringend junge, tatkräftige Menschen braucht. Nicht nur wegen des Fachkräftemangels: Sondern ein Land ohne junge Menschen nicht gesund sein kann. Wenn die Gen Y nur noch halb so groß ist wie die "Babyboomer" Generation - dann verlieren wir viel mehr als Wirtschaftskraft:

Wir verlieren Optimismus, Mut, Tatkraft, Bereitschaft zum Risiko und den Willen "Das haben wir schon immer so gemacht" zu hinterfragen und Neues zu schaffen.

Für mich ist dieser Punkt so wichtig, "that I put my money where my mouth is" . Meine Kollegen und ich investieren unser Geld und unsere Arbeitskraft um Menschen die etwas leisten wollen einen Start in Deutschland zu ermöglichen. Das ist gut für unser Land.

Gravatar: Andreas Schneider

Der Begriff "Fachkräftemangel" erfährt einen geradezu inflationären Gebrauch. Ich würde mich daher brennend dafür interessieren, was denn nun eine "Fachkraft"konkret ist.

Meine beiden ältesten Söhne haben Ausbildungen zum Anlagenmechaniker bzw. Straßenbauer gemacht. Sind sie damit eine Fachkräfte? Beide arbeiten heute in anderen Berufen: der Industriebetrieb konnte dem (internationalen) Konkurrenzdruck nicht standhalten und wurde geschlossen, das Straßenbauunternehmen (ein Familienbetrieb alter Prägung) bekommt gegen die Übermacht der Großen auf dem Markt bei Ausschreibungen kein Bein auf die Erde und hält sich mit Klein- und Kleinstaufträgen mühselig über Wasser. Werfen wir einen Blick auf die dort Beschäftigten, so sind dies heute zu 2/3 "Fachkräfte" mit sog. "Migrationshintergrund".

Mir scheint, dass personelle Mangelerscheinungen in Bereichen mit hohen Qualifikationsanforderungen recht pauschal nach dem Motto "Masse statt Klasse" angegangen werden.

Aber auch einen anderen Aspekt lernte ich vor ca. 3 Jahren kennen. Unser Büro war mit der Vermietung des Hauses eines (tatsächlich) hochqualifizierten Mitarbeiters aus F&E eines großen deutschen Chemieunternehmens beauftragt worden. 6 Jahre nach dessen Bau sah sich der Konzern genötigt, den Fachbereich in Deutschland zu schließen und stattdessen ein Subunternehmen in den USA zu gründen. Der Mann verließ die Heimat mit Frau und beiden Kindern. Die Anfeindungen und Auflagen (genannt wurden in wildem Durcheinander "Ethik", "Nachhaltigkeit", "Umweltschutz" u. dgl. m.) am deutschen Stammsitz machten die Fortführung der zukunftsträchtigen Sparte unmöglich.

Die Ergebnisse der Forschung werden wir dann wohl in einigen Jahren importieren müssen.

"Fachkräfte" haben viele Gesichter. Die Hintergründe ebenfalls.

Gravatar: Florian Hohenwarter

Nach den Regeln des freien Marktes (Angebot und Nachfrage), müssten jetzt, da ja ein Mangel an Fachkräften herrschen sollte, die Löhne der offenen Arbeitsstellen steigen. Dann würden auch nicht mehr so viele einheimische Fachkräfte ins Ausland nach Österreich, die Schweiz oder sonst wohin abwandern. Aber lieber bindet man uns einen Bären auf, um durch massenweisen Zuzug von billigeren ausländischen Arbeitern die Löhne weiter zu drücken und so den Profit zu erhöhen.
Vorausschauende Unternehmen bilden sich ihren Nachwuchs selber aus. Ja das kostet Geld, ist aber meiner Meinung nach für die Allgemeinheit die bessere Lösung.

http://www.youtube.com/watch?v=FEUk8iqo-Yc

Gravatar: Karin Weber

Es gibt aus meiner Sicht keinen Fachkräftemangel und wenn, dann nur weil das staatliche Bildungssystem immer mehr abflacht und eben keine potentiellen Fachkräfte mehr vorbereitet. Ich kenne einen Handwerker, dessen Lehrlinge sind zu dumm, an einem Fahhrad die Glühlampen zu wechseln und wollen sogar während der Arbeitszeit ihre sozialen Stunden (Strafe) abarbeiten.

(Anm. d. Red.: gekürzt)

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