Lügen als Berufskrankheit

Wer der Stasi gedient hat, muss auch einige Marotten mitgenommen haben. Ein flexibles Verhältnis zur Wahrheit zum Beispiel.

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Die Junge Welt kann es nicht lassen. Immer wieder muss sie in ihrer schicken Ladengalerie Bücher von ehemaligen Stasioffizieren vorstellen, auch wenn die so gar nichts Neues enthalten.

Diesmal war es der notorische Herr Kierstein, in seinem ersten Leben mehr als drei Jahrzehnte Vernehmer für die Stasi, hauptsächlich in der zentralen Untersuchungshaftanstalt in Berlin Hohenschönhausen. Im zweiten Leben Möchtegern-Buchautor, meist im Autorenkollektiv, nun allein.

„Drachentöter“ heißt sein neues Elaborat. Das Cover ist entsprechend dramatisch aufgemacht mit einer Fotografie des Heiligen Georg im Kampf mit dem Ungeheuer, wie er im einst vorzugsweise von Stasileuten bewohnten Berliner Nikolaiviertel zu besichtigen ist. Zum Ärger der Genossen befindet sich seit geraumer Zeit hier auch die Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus.

Macht sein Büchlein aus Herrn Kierstein einen tapferen Kämpfer gegen die aufgerüsteten Stasigedenkstätten? Nein, denn er ist ein Ritter von gar trauriger Gestalt, dessen Phantasie immer wieder mit ihm durchgeht.

Sein Verlag versucht, ihm einige Bedeutung anzudichten. Der Autor hätte sich in mehreren Gedenkstätten umgeschaut und lege nun seine Untersuchung vor. Tapfer, tapfer, wie sich der „Aufklärer“, wie er sich gern nennt, höchstpersönlich in die Drachenhöhlen wagt. Leider stellt man beim Anschauen der von ihm präsentierten Videos fest, dass sie heimlich von Jugendlichen angefertigt wurden, weil es Herr Kierstein doch vorzog, am heimatlichen Schreibtisch zu verbleiben und einen dritten oder vierten Aufguss aus den früheren Machwerken von Stasiobristen zu fertigen. Auch die Videos kennt man von früheren Buchpräsentationen. Die Hoffnung von Kierstein & Co ist offenbar, ihre Halbwahrheiten, Lügen, Verdrehungen und Unterstellungen so lange zu wiederholen, bis sie am Ende den Anschein von Wahrheit haben.

Leider darf man dieses Vorhaben nicht unterschätzen, denn die Herren sind in Desinformation ausgebildet worden. Sie beherrschen ihr Handwerk bis heute perfekt.

Das läuft so: auf einem der von Kierstein recycelten Videos werden Besucherreferenten der Gedenkstätte Hohenschönhausen gezeigt, die im Kellergefängnis die Haftbedingungen , wie sie geherrscht haben, als der sowjetische Geheimdienst NKWD hier der Betreiber war, erläutern, u.a. die vom NKWD angewandte Wasserfolter. In Kirsteins Kommentierung wird so getan, als ob behauptet würde, diese Methoden seien von der Staatsicherheit praktiziert worden, was keiner der gezeigten Referenten getan hat. Nach dem Tod von Stalin im März 1953 hat der Noch-Geheimdienstchef Berija die Anwendung von physischer Folter untersagt, weil es nicht mehr in die Zeit passte. Die Staatssicherheit hat sich dann bekanntlich auf psychologische Folter verlegt, die den Vorteil hat, dass sie kaum nachzuweisen ist.

Peinlich für die Stasitäter ist, dass mehrere ihrer Wirkungsstätten sehr gut erhalten sind und heute besichtigt werden können. Was man dort zu sehen bekommt, passt nicht zum Bild von der DDR als dem besseren Deutschland. Immerhin hat die Stasi den NKWD-Gefängniskeller in Hohenschönhausen zehn Jahre lang als ihr zentrales Untersuchungsgefängnis betrieben. Einige, die dort gefangen waren, leben noch. Die Mehrheit der Zellen im Inneren des Kellers ist ohne jede Verbindung zur Außenwelt.

Ehemalige  Häftlinge berichten von einer Stehzelle, in der  die Gefangenen bis zu 48 Stunden in drangvoller Enge und absoluter Dunkelheit zubringen mussten. Kierstein bringt es fertig, mit einem ehemaligen Gefangenen, Hans- Eberhard Zahn, der in einer solchen Zelle eingesperrt war, zu sprechen und doch die Existenz solcher Zellen zu leugnen.

Auf die gepolsterten Dunkelzellen, die während seiner Dienstzeit im so genanten Neuen Gefängnis, das 1961 in Betrieb genommen wurde, in Benutzung waren, geht er nicht ein.

Die Häftlinge mussten hier in absoluter Dunkelheit und Stille bis zu mehreren Tagen verbringen. Die Zellen sind rund, so dass man sich nicht orientieren kann. Es ist die ultimative Verschärfung der Dunkelhaft. Keine Stellungnahme von Kierstein & Co.

Dafür jede Menge Demagogie. In den Gedenkstätten würde die Gruselstory verbreitet, dass die Stasi mit „Strahlenkanonen“ auf Häftlinge geschossen hätte. Wieder erbringen die gezeigten Videos keine Beweise für diese Behauptung, sondern belegen im Gegenteil, dass die Besucherreferenten, die von möglichen Kontaminationen von Hohenschönhausenhäftlingen mit radioaktivem Material berichten, dies in aller Vorsicht und mit dem Hinweis tun, dass man wegen fehlender Akten und Aussagebereitschaft der Stasitäter nicht genau weiß, wie die Kontamination erfolgte. Ein in der U-Haftanstalt Gera gefundenes Röntgengerät soll laut Kierstein lediglich zum Durchleuchten von Gepäck der Gefangenen und Päckchen gedient haben. Wozu eine solche Durchleuchtung gebraucht worden sein soll, wo alle Gefangenen sich vollständig entkleiden mussten, ihnen in alle Körperöffnungen geguckt wurde und Päckchen, wenn denn welche in der U-Haft empfangen wurden, vorher geöffnet worden waren, ist für Kierstein kein Thema.

Er lässt auch unter den Tisch fallen, dass die statistische Wahrscheinlichkeit für die radioaktive Kontamination der Hohenschönhausenhäftlinge spricht. Drei Häftlinge, die Ende der siebziger Jahre dort einsaßen, starben  zwanzig Jahre später an einer seltenen Blutkrebskrankheit, die von einer erhöhten radioaktiven Exposition verursacht wird.

Jürgen Fuchs, einer der Betroffenen, hat diesen Verdacht als Erster geäußert.

Heute wollen Kierstein &Co, die in ihrem ersten Leben ihre absolute Macht über die Häftlinge sichtbar genossen, lieber rechtschaffene Untergebene  gewesen sein, die noch dazu staatsanwaltlich kontrolliert wurden.

Da lachten ja die Hühner, wenn  sie Kierstein verstünden. Die Staatsicherheit, die, das kann man nicht oft genug ins Gedächtnis rufen, jahrzehntelang von einem verurteilten Mörder angeführt wurde, der die Todesstrafe befürwortete, weil er Humanist sei, will heute mit ihrer zweifelhaften Vergangenheit nichts mehr wissen. Kierstein versteigt sich sogar zu der Behauptung, mit Berufsverboten hätte das MfS nichts zu tun gehabt.

Allzu gründlich kann der Aufklärer da nicht nachgeschaut haben. In meinen Büchern schildere ich, wie die Stasi mein Berufsverbot angeordnet und die Ausführung überwacht hat.

Manchmal widerspricht sich der selbsternannte Aufklärer in seinem Eifer sogar selbst.

Zu Beginn führt er selbst aus, dass das Gebäude, in dem sich das Kellergefängnis befindet, während der Nazizeit  eine Großküche beherbergte. Keine sechzig Seiten weiter hat er das vergessen und zitiert sich ein JW- Interview, in dem er behauptet: „Da gibt es ....im U-Boot angebliche Zellen zur Wasserfolter. In den Jahrzehnten, die ich dort gearbeitet habe, war dieser Trakt eine Großküche zur Versorgung des Personals.“

 Die logische Schlussfolgerung, dass die Büroräume der Gefängnisverwaltung, einschließlich des  Gefängnisdirektors, die sich 1990 über dem Gefängniskeller befunden haben, dann ein Fake gewesen sein müssen, um die Öffentlichkeit zu verwirren, zieht Kierstein lieber nicht. Er wird auch  wie alle anderen Vernehmer das Gefängnisgelände verlassen haben, um sein Mittagessen in der Kantine einzunehmen, die sich auf dem Nachbargrundstück befand.

Zum Schluss zur Erheiterung noch Kiersteins kühnste These, die geeignet ist, die Geschichtsschreibung aus den Angeln zu heben. Er behauptet, dass die DDR okkupiert worden sei, genau nach Plan eines „Forschungsbeirats für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands“, der im März 1952 von den Bonner Ultras gegründet wurde. Kierstein: „Der Forschungsbeirat hat das Programm zur Zerschlagung des Sozialismus formuliert, - und in der DDR hatte man dies begriffen. Darum gründete sie ein Ministerium für Staatssicherheit dass sich gegen diese Versuche zur Wehr setzte.“

Die Genossen müssen wahrhaft hellseherische Fähigkeiten gehabt haben, denn sie gründeten ihr Ministerium schon 1950, zwei Jahre bevor der Forschungsbeirat das Licht der Welt erblickte. Oder wird der „Aufklärer“ im nächsten Buch bereits behaupten, die Gedenkstätten des Stasiunrechts hätten , bezahlt von der Bundesregierung, ein falsches Gründungsdatum des MfS in der Öffentlichkeit lanciert, um zu leugnen, dass die Stasi aus purer Notwehr entstand?

Möglich wäre es , denn ein nächster Aufguss der Extrakte bereits erschienener Bücher wird ebenso wenig Neues erhalten wie das  eben vorgelegte Machwerk.

Eines ist nach der Lektüre klar: hier findet man alles, außer der Wahrheit.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Rießler

Dass man Lügen in gewisser Weise antrainieren kann, ist plausibel. Im Zuge der Wiedervereinigung haben wir m. E. jede Menge solcher verkorkster Existenzen in unser Land mit aufgenommen. Resozialisierung täte hier Not, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob unsere Gesellschaft damit nicht überfordert ist.

Gravatar: Nostalgiker

Wie flexiblel gehen Sie, Frau Lengsfeld, mit ihrer eigenen "Wahrheit" um?

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