Lazarus ist überall

Das Beispiel vom reichen Mann und von Lazarus macht deutlich: Wir sind ganz persönlich verantwortlich für den Umgang mit der Not anderer Menschen.

Veröffentlicht:
von

Wenn der Papst über den Unterschied von Arm und Reich spricht, festgemacht am Beispiel Jesu vom reichen Mann und vom armen Lazarus, dann – muss ich zugeben – werde ich leicht nervös. Die Aussagen des Papstes zur Wirtschaft, zur Wirtschaftsordnung, zum Kapitalismus und zum Reichtum gehören nicht gerade zu meinen Lieblingslektüren. Ich bin in den Fällen immer froh, dass ich mich einerseits darauf zurückziehen kann, dass es sich dabei nicht um lehramtliche Aussagen handelt, und der Papst andererseits Recht hat, wenn er sagt, dass die aktuelle Wirtschaftsform „tötet“, wenn er auch die Ursachen an anderer Stelle sieht als ich.

Das vorweggeschickt: Die Katechese des Papstes vom 18.05.2016 zu dem Thema enthält – wenn überhaupt – nur sehr zwischen den Zeilen versteckt, derartige Kritiken. Seine Betrachtung bezieht sich konsequent auf den namentlich nicht genannten Reichen und den armen Lazarus – übertragen natürlich auf den einzelnen Menschen, der in relativem Reichtum lebt im Verhältnis zu dem, der arm ist. Der Papst stellt keine Forderungen nach Umverteilung oder „sozialer“ Staatsintervention auf, sondern macht deutlich, dass jeder, der im Vergleich reich ist, sich aufgefordert fühlen sollte, das Beispiel zu betrachten und sein Handeln und seine Reaktionen in der Konfrontation mit der Armut zu überdenken. Denn, das hat Jesus mehrfach deutlich gemacht, im Armen begegnet er uns selbst (Zitate hier wie im Folgenden von Zenit):

Arme und Reiche sterben, ihr Schicksal gleicht dem von uns allen. Niemand ist davon ausgenommen. Daher wandte sich jener Mann bittend mit der Anrede „Vater“ an Abraham (VV. 24.27). Er erhob den Anspruch, sein Sohn zu sein und dem Volk Gottes anzugehören. Im Leben hatte er Gott jedoch in keiner Weise berücksichtigt, sich selbst stattdessen in den Mittelpunkt von allem gestellt und sich in seiner luxuriösen und verschwenderischen Welt eingeschlossen. Mit dem Ausschluss des Lazarus hat er weder dem Herrn noch dessen Gesetz Rechnung getragen. Den Armen zu ignorieren bedeutet, Gott zu verachten! Dies müssen wir gut lernen: Den Armen zu ignorieren bedeutet Gott zu verachten.

Das ist der persönliche Anruf Gottes an jeden Einzelnen von uns: Nicht an eine unbestimmte Masse von „Reichen“, sondern an das Verhältnis jedes Einzelnen zu Gott. Wir stehen dem Herrn nicht als gesamte Christenheit gegenüber, wir haben eine persönliche Beziehung zu ihm, sollten auch persönliche Rechenschaft ablegen. Deutlich wird der Papst auch insofern, als er auslegt, dass der Reichtum an sich nicht das schlechte ist, allerdings das Böse zu fördern in der Lage ist:

Eine Einzelheit des Gleichnisses ist zu beachten: Der Reiche hat keinen Namen sondern wird nur mit dem Adjektiv: „der Reiche“ bezeichnet, während der Name des Armen fünfmal wiederholt wird: „Lazarus“ bedeutet „Gott hilft“. Der vor der Türe kauernde Lazarus ist ein lebendiger Aufruf an den Reichen, sich an Gott zu erinnern, der vom Reichen jedoch nicht angenommen wird. Daher wird er nicht wegen seiner Reichtümer verurteilt, sondern aufgrund seiner Unfähigkeit, Mitgefühl für Lazarus zu empfinden und ihm zu Hilfe zu kommen.

Darum geht es auch bei den anderen biblischen Aufrufen zum rechten Umgang mit dem Reichtum, auch beim Gleichnis vom Kamel, dass eher durch ein Nadelöhr kommt als ein Reicher das Himmelreich erlangt (vgl. Matthäus 19,24): Es geht nicht um den Reichtum an sich sondern darum, was der „Mammon“ aus einem macht. Der Reiche im Beispiel hatte die Gelegenheit, dem Armen – der Hintergrund seiner Armut wird übrigens nicht erwähnt, dies scheint aus Jesu Sicht also nicht entscheidend zu sein – zu helfen und hat es dauerhaft, quasi mit Überzeugung, nicht getan.

Aber ist das Beispiel nicht zu hart, zu unbarmherzig? Gibt es denn gar keine Rettung für den Reichen? Ich warne davor, solche Gleichnisse und Beispiel für sich genommen absolut zu setzen, denn in der Tat haben sich im Anschluss an das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr die Jünger Jesu gefragt, wer denn dann gerettet werden könne, und Jesu Antwort ist entscheidend: „Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.“ Das sollte uns einerseits beruhigen und uns nicht verzweifeln lassen, weil wir so oft an einem Armen und Bedürftigen achtlos vorbeigegangen sind. Dennoch bleibt Jesus in seinen Gleichnissen recht klar, wie es auch der Papst wiedergibt:

So lange Lazarus vor seinem Haus verharrte, existierte für den Reichen die Möglichkeit gerettet zu werden, die Türe zu öffnen, Lazarus zu helfen. Nun sind beide jedoch gestorben und die Situation ist nicht wiedergutzumachen. Gott wird niemals direkt auf den Plan gerufen, doch das Gleichnis enthält eine klare Warnung: Die Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber steht in Verbindung zu unserer Barmherzigkeit dem Nächsten gegenüber. Wenn diese fehlt, kann auch jene in unserem verschlossenen Herz keinen Platz finden; sie kann nicht eintreten. Wenn ich nicht die Türe meines Herzens für den Armen öffne, bleibt diese Türe verschlossen. Auch für Gott. Und das ist furchtbar.

Der letzte Satz – so scheint mir – ist der eigentliche Punkt des Beispiels: Es ist keines, um die Menschen zur Verzweiflung zu bringen, sondern um sie aufzurütteln. Die barmherzigen Arme Gottes sind immer offen, aber Gott ist auch gerecht, und wer sich dauerhaft von ihm abwendet, dies auch bewusst tut, der sollte nicht einfach darauf bauen, dass Gott ihn schon retten wird. Zu glauben, man könne anderen Göttern wie dem Mammon frönen und gleichzeitig von Gott am Ende des Lebens Barmherzigkeit einfordern, das muss man wohl unter den Begriff „Gott versuchen“ fassen.

Dieses Bewusstsein kann jeder haben, der die Bibel mit offenem Herzen liest – umgekehrt kann niemand aus einem christlich geprägten Umfeld so tun, als habe er von nichts gewusst. Man sollte nicht – weder für sich noch für andere, wie im Beispiel der Reiche für seine Brüder – eine Sonderbotschaft einfordern. Diese Botschaften sind alle schon da, man muss sie nur hören und nicht so tun, als wären sie missverständlich:

Das Wort Gottes kann ein ausgetrocknetes Herz wiederbeleben und es von seiner Blindheit heilen. Der Reiche kannte das Wort Gottes zwar, doch er hörte es nicht und nahm es nicht in sein Herz auf. Daher war er unfähig, die Augen zu öffnen und Mitleid mit dem Armen zu empfinden. Kein Bote und keine Botschaft werden die Armen ersetzen können, denen wir auf unserem Weg begegnen, da uns in ihnen Jesus selbst entgegenkommt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), so Jesus.

Wieder scheinen die Worte dramatisch, beinahe unbarmherzig und auf eine Art Leistungschristentum hinweisend, auf „Werkgerechtigkeit“, mit der man sich den Himmel verdienen könnte. Vor allem aber können wir die Worte Jesu auch als Gelegenheit nutzen. Gott macht kein Geheimnis daraus, wie ein gelungenes Leben aussieht, oder anders, etwas salopp gesagt: Wer sein Herz denen, die in Not sind, nicht verschließt, der hat den halben Weg in den Himmel schon geschafft.

So ist in der Umkehrung der Schicksale, wie sie im Gleichnis beschrieben wird, das Geheimnis unseres Heils verborgen, in dem Christus die Armut mit der Barmherzigkeit verbindet. Liebe Brüder und Schwestern, während wir alle gemeinsam mit den Armen der Erde dieses Evangelium hören, können wir mit Maria singen: „er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 52-53).

Ich mache mir auch nach dieser Katechese keine Illusionen: Der Papst wird kein überzeugter Marktwirtschaftler werden, und die Gründe dafür mögen in seiner Vergangenheit liegen oder in dem, was der Papst in der heutigen Zeit als Marktwirtschaft wahrnimmt. Entscheidend ist aber, dass es nicht immer gleich eine Systemfrage ist, die gestellt gehört, sondern eine Frage des individuellen – und damit freiwilligen – Verhaltens. Der Reiche im Beispiel wurde nie gezwungen, Lazarus zu helfen, aber er hat seine Freiheit dazu genutzt, ihn links liegen zu lassen. Wer an Gott glaubt, der wird auch glauben, dass ein solches Verhalten nicht völlig ohne Folgen bleibt. Freiheit ist eben auch nicht ohne Verantwortung zu haben, und die reicht über weltliche Konsequenzen weit hinaus.

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Joachim Datko

Die Weltwirtschaft erzeugt genug Güter für alle Menschen. Das soziale Problem bleibt, solange wir nicht über die UNO eine gute Grundversorgung in den armen Regionen bewerkstelligen. Es geht um ein Anrecht auf eine gute Grundversorgung und nicht um Almosen.

Gravatar: Baglafecht

Lazarus, der kranke, unverschuldet in Not gekommene, braucht die Hilfe seines Nächsten. Jeder ist verpflichtet, beim Elend seines Nächsten nicht wegzuschauen, sondern tatkräftig zu helfen, egal ob Christ oder nicht.
Damit aber nicht wild durcheinander geholfen wird, so daß der eine Hilfe von mehreren Seiten bekommt, der andere dafür nichts, gilt die Regel: hilf Deinem Nàchsten, also dem, der Dir räumlich am nächsten ist, zu deutsch: Nachbarschaftshilfe. Deinen Nachbarn hungern und frieren zu lassen, dafür aber Spenden auf andere Kontinente zu schicken, ist nicht christlich.
Nicht-Christen, die aus Not ihre Heimat verlassen und mehrere Grenzen überqueren, damit ihnen im christlichen Abendland geholfen wird, weil es in den Regionen ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft keiner tut, sollten zum Christentum übertreten, oder zumindest einmal darüber nachdenken.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang