Landwirtschaft in Deutschland im Licht von Regulation und Deregulierung

Warum sollten sich heute noch viele mit Landwirtschaft in Deutschland beschäftigen? Die Landwirtschaft hier trägt kaum noch 1 % zur Gesamtwirtschaftsleistung bei, stattdessen ist die Landwirtschaft hoch subventioniert, - von den fast 60 Milliarden € an jährlichen EU-Agrarbeihilfen gehen mehr als 6 Milliarden an die deutsche Landwirtschaft.

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Ein niedriger Anteil an der Wirtschaftleistung und hohe Subventionen, daraus folgt: Landwirtschaft ist unwichtig und uninteressant.

Doch so einfach liegen die Dinge nicht!

Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland geht immer weiter zurück. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, so ist absehbar, daß in Zukunft weniger als 50.000 Betriebe die notwenigen Nahrungsmittelrohstoffe in Deutschland erzeugen.

Es ist weder zwingend, daß die Anzahl der Betriebe auf 50.000 zurückgeht, noch ist es zwingend, daß die Landwirtschaft vor allem oder sogar allein Rohstofferzeuger ist.

Wenn nur noch 50.000 Betriebe die Rohstoffe für Nahrungsmittel in Deutschland produzieren, so bedeutet dies bei angenommenen 2 Personen je Betrieb, die den gesamten Produktionsprozess überblicken, daß rund 100.000 Personen, wenig mehr als 0,1% der Bevölkerung in Deutschland, in der Lage sind, die Grundlage unserer Ernährung sicherzustellen. Es geht um nicht weniger als die Sicherung der Ernährungssouveränität, eine Frage, die mindestens thematisiert werden sollte.

Stattdessen verweisen die Befürworter dieser Entwicklung, die Befürworter agrarindustrieller Rohstoffproduktion, darauf, daß heute ein Landwirt in Deutschland rund 140 Menschen versorgt, während Anfang der vorigen Jahrhunderts dieses Verhältnis bei 1:4 lag. Dabei jedoch nicht berücksichtigt sind, neben dem Nettoimport von Lebens- und Futtermitteln (Deutschland importiert allein jährlich 3,7 Millionen t Soja, vor allem als Eiweiß- Futtermitte) die Arbeitsplätze der der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereiche, die mit dem Verschwinden landwirtschaftlicher Betriebe stark angestiegen sind. Dies gilt für die Unternehmen der Düngemittelindustrie im Besonderen, der Chemischen Industrie insgesamt, der Landtechnik, im nachgelagerten Bereich beispielsweise für die Mühlen, Molkereien oder Schlachthöfe.

Das Agrarlexikon der Agrarindustrie (Information Medien Agrar, i.m.a) gibt als Zahl der Beschäftigten im vor- und nachgelagerten Bereich 4,5 Millionen Beschäftigte an (Abfrage am 29.1. 2017), wobei vermutlich hier nur ein Teil der Beschäftigten erfasst ist. Beispielsweise die Mitarbeiter von Werbeagenturen, die für (bearbeitete) Nahrung im weitesten Sinne Werbung konzipieren, diejenigen, die diese Werbung umsetzen, aber auch der große Komplex des Handels mit Nahrungsmitteln und ihren Rohstoffen ist Teil der Beschäftigung im nachgelagerten Bereich. Mit dem Verlust an landwirtschaftlichen Betrieben steigt besonders die Produktion des nachgelagerten Bereichs an, Verbraucher kaufen heute eher Kartoffelfertigprodukte, statt frischer Kartoffeln, sie kaufen eher „veredelte“ und stark verarbeitete Milchprodukte statt frischer Milch. Die Aufgabe der Höfe, die Reduzierung der landwirtschaftlichen Beschäftigung ist mit einem überproportionalen Zuwachs an Beschäftigten im nachgelagerten Bereich verbunden.Und es ist fraglich, ob die bisherige Erfassung der Beschäftigten dieses Bereichs tatsächlich zu realistischen Zahlen führt. Die Aussage, daß ein Landwirt 140 Verbraucher ernährt, stimmt jedenfalls nicht.

Und es ist nicht zwingend, daß die Landwirtschaft allein Erzeuger von denjenigen Rohstoffen ist, die in der Industrie verarbeitet werden.

Für eine Ernährungsindustrie, die anstrebt, die landwirtschaftlichen Rohstoffe möglichst billig einzukaufen, ist der größte wirtschaftliche Gegner derjenige landwirtschaftliche Hof, der einen Teil, vielleicht einen Großteil seiner Rohstoffe selbst verarbeitet, und vielleicht auch direkt vermarktet. Auf landwirtschaftlichen Höfen, die Weiterverarbeitung und Direktvermarktung zu einem wichtigen Wirtschaftszweig des Betriebes gemacht haben, können jährliche monetäre Hektarerträge (1 Hektar, ha = 10.000 m2) von bis zu 30.000 € erreicht werden. Solche Hektarerlöse erreichen vor allem direktvermarktende Öko- Betriebe, aber auch eine Reihe von konventionellen Betrieben, z.B. solche mit Spargel und Blaubeeren in Direktvermarktung.

Dreißigtausend €/ha jährlich an Erlösen ist mehr als das Zwanzigfache, das große konventionelle Ackerbaubetriebe in Ostdeutschland mit Schwerpunkt Druschfruchtproduktion (Getreide, Raps) erreichen.

Entsprechend machen die jährlichen EU-Agrarsubventionen bei den großen Druschfruchtbetrieben 20- 30% der Verkaufserlöse aus, während sie bei den kleineren Intensiv- Anbauern und –Vermarktern bei 1-2 % liegen.

Die vermeintlich weltmarktfähigen großen, ostdeutschen Ackerbaubetriebe betreiben also tatsächlich eine subventionsgetriebene Landwirtschaft, während die kleinen Intensivvermarkter- Betriebe auf einem „freien Markt“ ihre Produkte anbieten.

Hier bewahrheitet sich einmal mehr die Aussage des Agrarwissenschaftlers Hermann Priebe von 1985, daß der Bauer zur Begründung der Agrarsubventionen vorgeschoben wird, diese Subventionen aber tatsächlich fast ausschließlich den Großbetrieben zugute kommt. Die Diskussion um die in der bisherigen Form unsinnigen Agrarsubventionen ist in Deutschland bis heute lobbygesteuert, wobei unter Agrarlobby der Deutsche Bauernverband, der Raiffeisenverband und die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft als wesentliche Teile zusammengefasst werden.

Solange die EU-Agrarsubventionen vor allem bei Großbetrieben ankommen (20% der größten Betriebe in der EU erhalten 85% der Agrarbeihilfen), und solange die Agrarsubventionen vor allem bei den großen Druschfruchtbetrieben einen hohen Anteil an den Einnahmen ausmachen, kann nur in sehr eingeschränktem Sin oder gar nicht von Märkten für landwirtschaftliche Produkte geschrieben werden.

Die agrarpolitische Ausrichtung der EU auf den Export von Nahrungsmitteln aus Deutschland und aus der EU wird angetrieben von den hohen Subventionen für die Landwirtschaft. Mit den EU- Subventionen im Rücken kann die „Agrarlobby“ trefflich für Globalisierung auch der Landwirtschaft streiten, sinnvoll ist diese export- und subventionsgetriebene Politik nicht.

Und dabei sind die EU-Agrarbeihilfen nur ein Teil im Gesamtsystem der EU-weiten und nationalen Agrarsubventionen. Weitere Subventionen sind solche für die Mais-basierte Stromerzeugung, die Abnahmegarantien für „Biodiesel“ und „Bioethanol“ als PKW- Kraftstoffe, die Subventionen für die ländlichen Räume, die weniger Strukturentwicklung statt wiederum verdeckte Agrarsubventionen darstellen, Zuschüsse zum Bau großer industrieller Tierhaltungsanlagen und Schlachteinrichtungen, während kleinere Schlachthöfe durch bürokratische Überregulierung aufgeben müssen.

Die Schlussfolgerung, die gezogen werden muß, lautet: Die Agrarwirtschaft ist innerhalb der EU subventioniert und reguliert wie keine anderer Markt.

Und diejenigen, die berechtigte Kritik an der gegenwärtigen Landwirtschaft und Agrarpolitik üben, verbinden dies häufig mit einem Appell an eine verstärkte Regulierung der Landwirtschaft. Aber auch für Deutschland gilt, daß die Landwirtschaft reguliert ist, wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich. Mit einem riesigen jährlichen Subventionsberg im Rücken läuft agrarpolitisch nahezu alles schief.

Und es gibt seit mehr als 25 Jahren eine Region der EU, die im landwirtschaftlichen Bereich noch stärker reguliert ist als andere - es ist Ostdeutschland.

Zu den oben erwähnten Subventionen kommen in Ostdeutschland noch Regulierungen und Subventionen aus der „Landverteilung“, der Bodenpolitik nach 1990.Die Bundesregierung hat nach 1990 mit den Institutionen Treuhand und später BVVG lange Zeit über mehr als 40% der landwirtschaftlichen Flächen in Ostdeutschland verfügt. Sie verwaltete, verpachtete und verkaufte später einen großen Anteil dieser Flächen. Damit wurde eine kleine Gruppe von Großagrariern bedient, der Boden wurde erfolgreich als Instrument zur Agrarindustrialisierung Ostdeutschlands verwendet und damit wurde dort eine breite landwirtschaftliche Eigentumsstreuung verhindert. Es handelt sich hierbei um Subventionen für wenige Tausend Leiter und Eigentümer von Großbetrieben, vorwiegend ehemalige DDR-Agrarkader in einer Größenordnung von 20 Milliarden EUR (Gerke, 2008, Kap. IV., Gerke, 2012), mehr als die EU-Agrarsubventionen für Gesamtdeutschland in mehr als 3 Jahren.

Nach der Aufnahme einer Reihe von Osteuropäischen Staaten in die EU im Jahre 2004 zeigen neuere Untersuchungen zur Agrarstruktur in der EU (Martens und Tossdorf, 2011; Gerke, 2015), daß die ausgeprägte Agrargroßstruktur auch in den meisten Osteuropäischen Staaten besteht. Eine bemerkenswerte Ausnahme innerhalb von Osteuropa stellt Polen. Als einziges Land innerhalb des ehemaligen Sowjetischen Blocks wurde dort nie eine flächendeckende Kollektivierung der Landwirtschaft durchgeführt (Gerke, 2015). Und die Ausnahme Polen bietet einen Schlüssel zur Großbetriebsstruktur Osteuropas. Und in den Ländern mit einer „sozialistischen“ Vergangenheit der Landwirtschaft ist heute der Ausverkauf an externe Investoren am stärksten ausgeprägt (Kay et al., 2015). So liegt in einigen Regionen Ostdeutschlands wie der Uckermark in Brandenburg oder in Regionen Vorpommerns der Eigentumsanteil von externen Investoren in der Landwirtschaft bei über 30%. Wer wie Kay et al. (2015) in einer Analyse des „Farmland Grabbing“ in der EU für das Direktorat der Europäischen Union für Internationale Politik auf den Befund stößt, daß dieses Landgrabbing ausschließlich in Osteuropa einschließlich Ostdeutschlands stattfindet, der sollte der Frage nachgehen, was in Osteuropa das Landgrabbing fördert. Diese Frage wird in der Publikation von Kay et al. (2015) nicht gestellt, so daß die Bedeutung der Vernichtung der Bauern im ehemals sowjetischen Einflussbereich Osteuropa für das Landgrabbing heute noch nicht einmal in den Blick kommt.

Die Regulierung der osteuropäischen Landwirtschaft ist auch eine Regulierung gegen die Bauern und damit eine Regulierung zugunsten von externen Investoren.

(zuerst erschienen auf ostdeutsche-bodenpolitik.de)

Literatur:

Gerke, Jörg (2008): Nehmt und euch wird gegeben, Das ostdeutsche Agrarkartell. Hamm.

Gerke, Jörg (2012): Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990. Das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Verwaltung. Hamm.

Gerke, J. (2015): Die neuen Großgrundbesitzer. IN: Bodenatlas. Berlin, Potsdam.

Kay, S., J. Peuch, and J. Franco (2015): Extent of farmland grabbing in the EU. Brussels. Martins, C. and G. Tossdorff (2011): Large farms in Europe. eurostat, statistics in focus, 18/2011.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Wenn ein Landwirt in Rente geht, mit 65, dann sollten seine Eigenflächen aus der Flächen-Prämien-Regelung fallen. Flächenprämie dann Null. So entstünden auch in den alten Bundesländern größere Betriebe, die wegen der Technisierung notwendig sind. Gibt es dann keine Kleinbetriebe mehr, kann man die Flächen-Prämie von Jahr zu Jahr fallen lassen bis auf Null. Dies schadet den Direktvermarktern nicht, denn Rot- oder Erdbeeren-Anbau etc.. ist eher Gärtnerei denn typische Landwirtschaft. 30.000 Euro je Hektar sind okay, da braucht man keine Subvention von lächerlichen 300 Euro als Flächen-Prämie.
All diese Erkenntnisse nützen nichts, die Lobby, vor allem die CSU, werden weiterhin für den Geldregen sorgen.

Gravatar: Hans-Peter Klein

Ich lese aus Ihrem Beitrag ein Plädoyer für mehr Dezentralisierung heraus, die EU-geförderte Zentralisierung ist verantwortlich für Einseitigkeit und Machtkonzentrationen, in diesem Fall der Agrarbranche.

In diesem Fall. Es gibt auch andere Fälle: Die Energiewende. Hioer haben sich durch zunehmende Liberalisierung der Strommärkte die Machtverhältnisse doch tatsächlich verschoben: Weniger Große, alles bestimmende EVUs, mehr Flexibilität und kleiner Stromanbieter.

Wie kann das Alles sein? Mal so mal so.

Ich denke hier sieht man eindeutig den Einfluss der Groß-Lobby und die scheint auf dem Agrarsektor noch unglaublich mächtig zu sein.

Auf dem Energiesektor hingegen hat sich sehr viel getan und bewegt, auch die Groß-EVUs haben sich bewegt, bewegen müssen, sie haben mittlerweile alle ihre Erneurerbare Sparte, wer will sich dieses Geschäft schon entgehen lassen.

Warum soll das as auf dem Energiesektor funktioniert, nämlich immer mehr dezentrale Anbieter auf liberalisierten Strommärkten, nicht auch auf dem Agrarsektor funktionieren?

Es bräuchte einen ähnlichen Bewusstseinswandel wie bei den EE, die Einsicht, das gesunde Grundnahrungs-Lebensmittel aus regionaler Produktion dem Land nützen und es stabilisieren.

Kauft und esst mehr Bio.

MfG, HPK


MfG, HPK

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