Kritik einer Kritik: Musik und Gender

Warum die Komposition von Musik nicht von den Geschlechtsorganen abhängt

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Es ist schön, wenn sich über persönliche Gemeinsamkeiten zeigen,Gemeinsamkeiten, die möglicherweise auf eine höhere Wahrheit deuten. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich Gemeinsamkeiten ganz unerwartet finden. Am 3. Februar 2010 veröffentlichte ich eine Kundenrezension bei amazon Deutschland, die Reclams neu erschienenes Komponistenlexikon zum Gegenstand hatte. Meine damals getroffenen Feststellungen, insbesondere dass die Herausgeberin Melanie Unseld ein feministisches und damit ideologisches Werk produziert hat, finden nun in einer Kritik anlässlich des nächsten Buchs der Arbeitsgruppe (Annette Kreuziger-Herr / Melanie Unseld (Hg.): Lexikon Musik und Gender,Bärenreiter, Kassel 2010) eine unverhofft vollständige Bestätigung.

„Das erste der Gender-Forschung in der Musik gewidmete Lexikon im deutschsprachigen Raum“ erhielt jüngst in der renommierten Neuen Zeitschrift für Musik eine ausführliche Rezension(„opferstatus oder emanzipation? Das neue >Lexikon Musik und Gender<“, S. 58-59, 1/2011). Maria Kostakeva hat ihre Kritik (dem Gegenstand entsprechend) in 2 große Teile gegliedert: im ersten begleitet sie die Darstellung der Musikgeschichte, im zweiten die der in ihr agierenden Personen.

Frau Kostakeva zitiert gleich zu Beginn ihres Artikels einige entlarvende Kernaussagen des Lexikons: Musikgeschichte soll in einer erweiterten „Frauenperspektive“ beleuchtet und „rectificiert“werden. Was soll das heißen? Frauen schreiben also nach Maßgabe der Geschlechtsorgane die Musikgeschichte neu, deren Prozesse ein„vielfältiges musikalisches Ökosystem“ seien: der übliche Freibrief,um jede Frage nach musikalischer Qualität aus der Diskussion zu verbannen und dem Relativismus das Wort zu reden.

Der Gang durch die Geschichte beginnt mit dem 12. und 13.Jahrhundert, in dem u. a. die auch Männern bis dato schon nicht unbekannte und von ihnen meines Wissens auch nicht verschwiegene Hildegard von Bingen wirkte. In der Behandlung des 14. Jahrhunderts findet Frau Kostakeva weitere Lächerlichkeiten:„Instrumentalistinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen waren im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen in der Überzahl.“ Na und?Was sagt das aus? Geht es jetzt um den Proporz? Zum 16.Jahrhundert stellt das Lexikon fest, Frauen hätten einen „vielfältigen und differenzierten weiblichen Umgang“ mit der Musik. Worin, fragt man konsterniert, besteht ein weiblicher Umgang mit Musik? Frau Kostakeva selbst stellt all diese meine Fragen nicht direkt, aber implizit. Ihre Kritik wird dann aber sehr schnell explizit: Die Herausgeberinnen des Gender-Lexikons stülpen „historisch bedingten Stereotypen“ undifferenziert ihre ideologischen Postulate„außerhalb des konkreten historischen Kontexts“ über. Frau Kostakeva weist nach, dass Ideen z. B. der„Heroengeschichtsschreibung“, der „geschlechtsabhängigen Teilnahme am musikalischen Leben“ und der „Isolierung der Frau von der musikalischen Professionalisierung“ nur zu bestimmten Epochen und in bestimmten Schichten gültig waren. Anstatt dies klarzustellen, verfälscht die Gender-Forschung die Geschichte,indem sie unzulässig verallgemeinert. Ebenso wenig also Frauen perse z. B. in der Renaissance im Musikleben benachteiligt waren, sind sie es heute. Deshalb ist es grotesk, wenn die Gender-Forschung die Frauen des 20. Jahrhunderts als „Opfer der Diskriminierung“darzustellen versucht.

Im letzten Drittel ihrer Kritik sieht Frau Kostakeva sich zu Formulierungen gezwungen, die wirklich vernichtend zu nennen sind. Berühmte Musikerinnen wie Nadia Boulanger oder Cathy Berberian, stellt sie fest, kämen offenbar deshalb im Lexikon zu kurz, weil sie einen künstlichen Hype durch die Genderideologie nie nötig hatten. Sie zählt dann eine ganze Reihe von bekannten und anerkannten Komponistinnen der Gegenwart auf, die es einfach nicht nötig haben, als „wegen ihres Geschlechts übersehen“ oder mit einem „falschen“ Geschlecht ausgestattet oder als „weibliche Aussenseiterinnen“ bezeichnet zu werden. Diese Opferrolle existiert einfach nicht. Schließlich zweifelt Frau Kostakeva auch an der„sachlichen Kompetenz“. Ausführliche Zitate: „Einigen Sachartikeln fehlen fundamentale musiktheoretische Kenntnisse“, „von den biografischen, mit Gender-Information reichlich garnierten Materialien ist wenig über die Musiksprache und die stilistischen Besonderheiten der Komponistinnen zu erfahren. Die Werklisten sind meistens so mangelhaft, dass sie den Dirigenten und Interpreten nicht viel nützen können.“

Ich schrieb damals über das Komponistenlexikon, eine seiner Besonderheiten sei die "Hervorhebung der Alltagsgeschichte. Es konzentriert sich nämlich innerhalb der Kurzbiografien auf Angaben zu den Lebensumständen, manchmal bis zum Klatsch. [...] Diese Funde können im gesamten Lexikon beliebig fortgesetzt gemacht werden. Teilweise machen sie den größten Anteil der Kurzbiografien aus, die darum zur Musik der Komponisten manchmal erschreckend wenig mitteilen." Es ist traurig, dass die Herausgeberinnen für ihr neues Buch offenbar nichts dazugelernt haben.

Zuletzt beschwert sich Frau Kostakeva zurecht darüber, dass viele wichtige Namen aus Osteuropa und den ehemaligen sowjetischen Republiken überhaupt nicht vorkommen. Auch hier ist evident,warum die Herausgeberinnen diese Frauen unterschlagen. Frauenaus dem ehemaligen Ostblock verstehen nämlich gar nicht, was eigentlich das Problem der Frauen hierzulande ist, wozu Feminismus, Gender und Quoten gut sein sollen – diese Frauenwaren im real existierenden Sozialismus schon seit jeher emanzipiert und haben sich durchgesetzt. So ist klar, dass das Lexikon Gender und Musik den Ausfluss einer westlichen Sonderproblematik darstellt, die auch noch weitgehend eingebildet ist, und Musikgeschichtsschreibung in ein vom „Kampf der Geschlechter“ geprägtes „Korsett“ presst. Es handelt sich um ein ideologisches Korsett. Ein Buch wie dieses dient leider zu wenig anderem als die Daseinsberechtigung der Gender-Forschung zu behaupten. Über Professorinnenprogramme oder Genderforschungsförderung in ihre Stellung gelangte GenderForscherinnen müssen ja produzieren, und natürlich: Ihr einziges Thema sind ihre Geschlechtsgenossinnen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie dieses Thema überfordert.

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