Journalisten und die "Vier-Augen-Gesellschaft"

Letzte Woche nahm ich in London an einem Treffen britischer und deutscher Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Medien teil.

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Natürlich ging es um Europa, die EU und den Euro. Während ich dort darlegte, was der Euro alles so in Europa anrichtet, sang Altbundeskanzler Gerhard Schröder beim gemeinsamen Abendessen das hohe Lied auf die Einheitswährung. Er tat das in gewohnt eloquenter Weise, in ausgezeichnetem Englisch und bekam den verdienten Beifall. Die meisten der anwesenden Briten reagierten trotzdem genauso kritisch auf Schröders Thesen, wie die deutschen Teilnehmer auf meine.

Für mich war es trotzdem eine Wohltat, in einem toleranten Umfeld unverkrampft die Für und die Wider der Währungsunion und über Alternativen zu ihr diskutieren zu können, ohne mit den hier üblichen Keulen (z.B. „D-Mark-Chauvinist“) eins über die Rübe zu bekommen. Was mich am meisten wunderte, einige der anwesenden Deutschen sagten mir am Schluss („ganz im Vertrauen“), dass es mit dem Euro nicht so weiter gehen könne. Auch ein bekannter Journalist, von dem man so Ungeheuerliches bisher nicht lesen konnte.

Wir sind, zum Glück, ein freies Land. Zu Recht sind wir stolz auf die Errungenschaft der Meinungsfreiheit in der man das, was von der offiziellen Sicht abweicht, offen sagen darf. Wer aber allzu sorglos aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, kann sich ganz schnell im Abseits wiederfinden: Wie man in vergangenen dunklen Zeiten missliebige Menschen einfach verschwinden ließ, entfernt man sie heute aus der Öffentlichkeit. Die Ansichten, mit denen sie Anstoß erregen, finden sich nicht mehr in den Medien. Eva Herman, Martin Hohmann, Thilo Sarrazin. War da was? War da wer? Sie leben noch, gewiss, aber sie existieren nicht mehr.

Wer das vermeiden möchte, gewöhnt sich im Kontakt mit den Medien eine doppelte Buchführung an: Offen sagt man, was man sagen kann, ohne Anstoß zu erregen. Und off the record, sozusagen hinter vorgehaltener Hand, fügt man hinzu, was man eigentlich gern auch offen sagen würde. Aber nicht kann, ohne die eigene Position zu gefährden.

Diese vorsichtige Zweiteilung scheint nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar zu sein. In Wahrheit jedoch ermöglicht sie es: Wer klug ist und nicht alles offen sagt, was er denkt, dem bleibt die „Meinungsfreiheit“ erhalten – die Freiheit nämlich, seine Meinung auch weiterhin gedruckt und gesendet zu sehen. Diese simple Verhaltensregel wird von allen beherzigt, die vor Mikrofonen und Kameras stehen und auch nach dem Interview noch ihre Posten als Politiker, Mandatsträger oder Beamte innehaben möchten. Auch von mir, der schon lange keinen Posten mehr hat.

Beim Thema „Euro“ hat sich seit ungefähr einem Jahr das Blatt gewendet. Nun sind es die Journalisten, die bei mir nach dem Interview gern etwas off the record loswerden möchten. Es drängt sie förmlich dazu, mir einzugestehen, dass sie der offiziellen, auch von ihrem jeweiligen Medium vertretenen Sichtweise, nicht länger folgen können. „Ich sehe das ganz ähnlich wie Sie, Herr Henkel“, sagen sie dann. „Aber ich kann das nicht schreiben.“ Oder: „In unserer Redaktion wäre diese Sichtweise vielleicht sogar mehrheitsfähig, aber wir bringen das nicht“ – wobei sie offenlassen, ob das eine selbst auferlegte Beschränkung ist.

Nur in Deutschland wurde der Euro mit solch tiefer, geradezu sakrosankter Bedeutung befrachtet. Bei uns ist er Glaubenssache, scheint über Krieg und Frieden, Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Jahrelang waren die Journalisten der offiziellen Meinung treu gefolgt. Bis die Krise kam, die eine Eurokrise war, aber den harmloseren Titel „Schuldenkrise“ verpasst bekam. Dass viele meiner Ex-Kollegen aus der Industrie mir sagen, dass sie den offiziellen Kurs der Regierung nicht gutheißen, öffentlich aber dazu schweigen, ist nichts Neues. Neu ist, dass auch viele unserer Journalisten jetzt Teil der deutschen „Vier-Augen-Gesellschaft“ geworden sind.

Beitrag erschien zuvor auf: handelsblatt.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Tom

Meinungsfreiheit wie zu Zeiten der DDR!

Gravatar: Y.Y.

Ermutigender Artikel. Danke, Herr Henkel.

Gravatar: Klimax

"Bis die Krise kam, die eine Eurokrise war, aber den harmloseren Titel „Schuldenkrise“ verpasst bekam."

Das ist nicht korrekt. Die Krise ist genauso eine Euro- wie eine Schuldenkrise. Beides gehört zusammen, und zwar derart, daß der Euro das Schuldenfaß zum Überlaufen bringt. Ohne Euro keine Krise sagen Sie, doch ohne Schulden leine Euro-Krise, sage ich. Die Staatsschulden Deutschlands waren auch schon zu D-Mark-Zeiten beträchtlich, und sie sind weiter angestiegen. Auch ohne Euro ist einmal Schluß. Mit Euro wird das nur sehr viel schneller gehen.

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