Ist "John Keating" ein Vorbild?

Es ist Wachsamkeit geboten, welche Lehren man aus einem Film wie "Der Club der toten Dichter" ziehen möchte, um nicht eine scheinbar überholte Weltsicht durch eine untaugliche einzutauschen.

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Über die Jahre hat sich die DVD-Thek unseres Haushalts zu einer recht umfangreichen Sammlung entwickelt. Ich glaube, es ist nicht übertrieben viel (zählen möchte ich es gerade nicht) aber es sind sicher überdurchschnittlich viele Filme, die sich dort eingefunden haben, was man ab und an an der Reaktion von Besuchern bemerkt, die die Sammlung betrachten. Wer einmal einen englischsprachigen Film im Original (wer sprachlich nicht ganz so gewandt ist, dem empfehle ich englische – nicht deutsche! – Untertitel zur besseren Nachvollziehbarkeit) gesehen hat, der tut sich mit dessen holpriger deutscher Synchronisation mit verbogenem Wortwitz ziemlich schwer.

Und so landete am Wochenende – anlässlich des Todes von Robin Williams in der vergangenen Woche – „Der Club der toten Dichter“ im DVD-Player. Der gehört zu den Filmen, die ich zwar schon mehrfach, aber auch nicht übertrieben viel („Schtonk“ beispielsweise kann ich mitsprechen!) und insbesondere auch schon lange nicht mehr gesehen habe. Der Film stammt aus 1989 und soweit ich mich erinnere, habe ich ihn damals, 18-jährig und noch Schüler, im Kino gesehen. Und er hat mich – wie vermutlich jeden jungen Mann kurz vor dem Sprung in ein halbwegs eigenständiges Leben - beeindruckt. Die Rollen in diesem Film sind schnell verteilt: hier die Schulleitung und konforme Lehrer einer amerikanischen Eliteschule in den 1950er Jahren, die viel Wert legt auf Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung (am Beginn des Films werden zu Beginn des Schuljahres Banner mit der Aufschrift Tradition, Honor, Discipline und Excellence in den Raum getragen), dort der neue Lehrer englischer Literatur John Keating (gespielt von Robin Williams), der versucht, seinen Schülern eigenständiges Denken außerhalb der vorgefertigten Bahnen des Curriculums und die Liebe zur Literatur nahezubringen.

Dazu noch der Vater des Schülers Neil Perry, der dessen Leben bis in die Freizeit hinein bestimmen will, ihm außerschulische Aktivitäten untersagt, ihn nach einem von ihm verbotenen Theaterengagement von der Schule nehmen will, worauf sich der junge Mann mit der Pistole des Vaters das Leben nimmt. Die anderen Schüler werden in dieser Situation bedrängt, die Schuld alleine auf den unorthodoxen Lehrer zu schieben, der darauf hin die Schule verlassen muss. Rührend die Schlussszene, in der die von ihm maßgeblich beeinflussten Schüler auf ihre Tische steigen und dem Lehrer mit der Anrede, die er sich selbst aus einem Whitman-Gedicht zum Tod von Abraham Lincoln erbeten hat, „O Captain! My captain!“ ihre Loyalität zum Ausdruck bringen, das Ganze unter dem Zetern des Schulleiters, der gedenkt, den normalen Schulalltag wieder aufzunehmen.

Die Figuren sind also einigermaßen plakativ schwarz/weiß gezeichnet – und nach 25 Jahren darf man sich durchaus selbstkritisch die Frage stellen, ob man heute einem solchen Lehrer Applaus zollen würde, oder ob es nicht ein bisschen kurz gegriffen ist, dem angestaubten Traditionsbewusstsein einer Eliteschule und den väterlichen Karriereanwandlungen für seinen Sohn, die alleinige Schuld für dessen Tod zu geben – jedenfalls genau so kurz gegriffen wie die Schuld alleine bei dem Lehrer und seinen „modernen Methoden“ zu suchen. Mich beschleicht bei derlei Darstellungen immer ein ungutes Gefühl hinsichtlich der „Verschrottung“ alter Werte zugunsten der Freiheit – noch dazu einer Freiheit, die auch Verantwortung einschließt, der 17-jährige Schüler möglicherweise noch nicht in vollem Umfang gewachsen sind.

Vergleicht man die Rolle des John Keating mit einer anderen filmischen Lehrerrolle, kommt mir leider eine etwas unrühmliche Figur in den Sinn: die des Oberlehrers Dr. Brett aus der Feuerzangenbowle, der ob der ganzen schrägen Lehrerfiguren als guter Lehrer erscheint, von Heinz Rühmann als Schüler Pfeiffer explizit als "feiner Kerl" bezeichnet wird, und der – in Abwandlung der Originalgeschichte – doch der Vertreter der damaligen Naziideologie war, wenn er beschreibt, dass die Jungen wie „junge Bäume“ wären, die man mit Disziplin „schön gerade wachsen“ lassen müsse. Natürlich, um das gleich zu sagen, ist das nicht die gleiche Kategorie von Ideologie, die hier vertreten wird, John Keating ist keine Nazifigur, aber es ist eine Weltsicht, die das Alte ablehnt, und am Ende in den Kindern auch nur „Material“ zur Ausbildung sieht.

John Keating fordert seine Schüler heraus, er will sich nicht mit auswendig gelernten Inhalten zufrieden geben, er dringt dabei in ihre Seelen vor und bestärkt sie in ihrer eher stillen Opposition gegen die schulischen Regeln, indem er die Neugründung des von ihm einst als Schüler geleiteten „Clubs der toten Dichter“ unterstützt. Keating setzt kleine Impulse und beobachtet dann die weitere Geschichte – er ahnt, dass ihn Neil Perry anlügt hinsichtlich der Erlaubnis seines Vaters, in einem Theaterstück auftreten zu dürfen, er sieht dessen Seelennöte – und ist doch unfähig einzugreifen, um die familiäre Katastrophe zu verhindern. Hat er mit einem Gespräch zu seinem Schüler wirklich alles getan, um ihm zu helfen? Man darf Zweifel haben!

John Keating zu glorifizieren – und ich weiß nicht, ob das eine Absicht des Drehbuchs und der Schauspieler war – ist darum nicht gerechtfertigt. Der Film endet mit der eben beschriebenen Szene und der Zuschauer wird alleine gelassen mit der Frage, wie es in der Schule, mit den Schülern, die ihm gefolgt sind, weiter gehen wird. Werden sie das Gefühl der Freiheit, an dem sie geschnuppert haben, weiter tragen und in ihr Leben und auch in ihre Schullaufbahn integrieren, werden sie am Durst nach Freiheit an dieser Schule zerbrechen – geben sie am Ende diese Freiheit wegen quasi erwiesener Schädlichkeit sogar auf? John Keating ist dann jedenfalls nicht mehr da, seine Schüler zu begleiten auf ihrem Weg, auf dem sie Begleitung brauchen gerade wenn sie auf ihre Freiheit setzen.

Der Eindruck des Films ist für mich also eher durchwachsen – ich kann den Film weiterhin empfehlen, sehe darin heute Aspekte meines eigenen Vater-seins in einem neuen Licht, die ich beim ersten Sehen naturgemäß nicht entdecken konnte. Es ist aber Wachsamkeit geboten, welche Lehren man aus einem solchen Film ziehen möchte, um nicht eine scheinbar überholte Weltsicht durch eine untaugliche einzutauschen. Ich hoffe, dass ich den Film eines Tages gemeinsam mit meinen Kindern ansehen kann um sie dann zu begleiten in dem, was sie daraus machen.

Und was Robin Williams angeht: ich glaube, er war ein begnadeter Schauspieler, ich hätte nach seinen Anfängen als „Komiker“, die immer auch zumindest ein bisschen Tiefgang hatten, gerne gesehen, welche Rollen er als „Elder Statesman“ der Schauspielerei, gespielt hätte. Ihn aber durch das Steigen auf einen Tisch ehren zu wollen, verkennt die Tatsache, dass er nicht John Keating war! Ob er es - damals oder heute - gerne gewesen wäre, würde ich ihn gerne noch gefragt haben …

Zuerst erschienen auf papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Coyote38

Lieber Herr Honekamp,

es tut mir sehr leid, Ihnen das zu sagen, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie weder den "Club der toten Dichter" noch "Die Feuerzangenbowle" richtig verstanden haben.

Erinnern Sie sich an daran, wie die Szene in der Feuerzangenbowle weitergeht, aus der Sie das Zitat von "Dr. Brett" entnommen haben? - "Prof. Bömmel" fragt Dr. Brett in seiner rührseligen Art: "Aber haben Sie denn keine Angst, dass Ihnen Ihre Bäume in den Himmel wachsen?" Darauf antwortet Dr Brett: "Nein. Dafür sorgt schon das Leben."

Und so greift auch Ihr Vorwurf gegen "John Keating" ins Leere. Selbst WENN er Nonkonformismus predigt und seine Schüler mit Freiheitsliebe in Leben entlässt, dann "sorgt schon das Leben dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen".

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