Hype oder Totschweigen

Die bewährten Verfahren der Politik und der Mainstreampresse, sich unangenehmen Wahrheiten und ihren Konsequenzen zu entziehen.

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Die offizielle veröffentlichte Meinung geht zur Tagesordnung über. Der "Fall Sarrazin" ist erledigt. Etwas mehr als eine Woche hat gereicht, um dem Autor eines umstrittenen Buches, das noch nicht und dann gerade eben erschienen war, den Garaus zu machen. In der FAZ vergießt heute Günther Nonnenmacher über dem erlegten Wild Krokodilstränen. In seinem Leitartikel nutzt er die Gelegenheit, gleich auch noch Klaus Wowereit eins auszuwischen, der an der Entsendung Thilo Sarrazins in den Vorstand der Bundesbank prominent beteiligt war. Die Stoßrichtung ausschließlich gegen die SPD ist klar. Da kommt das Bekenntnis nicht wirklich glaubwürdig'rüber, dass es im "Fall Sarrazin" "Heuchelei" und in den von ihm angesprochenen Themen, allen voran der Behandlung der Einwanderung, ein "Politikversagen" gegeben habe. Das Bekenntnis ist verlogen. Die von Helmut Kohl (CDU) geführten Regierungen haben es in 16 langen und, wie wir heute wissen, entscheidenden Jahren versäumt, Deutschland zu einem Einwanderungsland mit harten Kriterien (qualifizierte Menschen in Berufen,die wirklich gebraucht werden, gute Sprachkenntnisse, Fördern der bereits hier Lebenden durch konsequentes Fordern) zu machen.

Ganz unabhängig davon, ob man mit Sarrazins Thesen nun in allen Fällen übereinstimmt oder nicht, war es nicht sachgemäß, vor dem Erscheinen des Buches, also noch bevor sich die Leser überhaupt ein Bild hätten machen können, ein Thema herauszupicken und mit diesem alle anderen zu erschlagen. Dieser allerdings mittlerweile gängig gewordene, kommerziell bedingte Schnellschuss vor der Zeit war so abstoßend wie ein Weihnachtsmann im Oktober, aber leider viel schlimmer. Was am konzertierten Vorgehen von Politik und Medien im "Fall Sarrazin" besonders erschreckt hat, war etwas, das mit dem Wort "Reflex" nicht korrekt beschrieben zu sein scheint. Der Ablauf des Tribunals war derart straff,dass hier der Eindruck eines bereits fest gefügten Verfahrens entstand.

Die Kanzlerin betätigte sich als Sachbuchkritikerin, der Bundespräsident riet,ja drängte frühzeitig zur Entlassung Sarrazins aus dem Vorstand der Bundesbank, die Kanzlerin lobte, als es mit der Entlassung dann endlich soweit war, die "unabhängige Entscheidung" der Kollegen Sarrazins, was schlicht ein Hohn ist. Die Reaktion der Systempresse war so einheitlich,dass man kein Verschwörungtheoretiker sein muss, um hier Absprache zu vermuten. Die Leute kennen sich ja ohnehin alle. Zu den Talkshows im Fernsehen schließlich wurden nur bewährte Kader geladen, oft dieselben Personen. Die Scharfrichter Sarrazins waren, egal, ob bei Beckmann,Plasberg, Illner in der Überzahl. Politik und Medien haben dieses Verfahren im Laufe der Jahre an den unterschiedlichsten, jeweils gerade aktuellen Themen offenbar so gut eingeübt, dass im "Ernstfall" alles perfekt organisiert ist und wie am Schnürchen läuft, bis das gewünschte Ergebnis, hier die Beseitigung Sarrazins als Vorstand erreicht und er als respektierte Person öffentlich unmöglich gemacht ist.

Es hätte auch eine andere Möglichkeit gegeben, die aber durch das(letztlich wieder durch die Presse selbst in Gang gebrachte) Bestsellerpotential des Buches verhindert wurde. Diesem Medienhype im Sinne eines Schauprozesses steht als zweites, ebenfalls bewährtes Verfahren das Totschweigen einer unangenehmen Wahrheit gegenüber.Vielleicht hat man diese Möglichkeit verpasst, wahrscheinlicher aber ist es,dass man sie im "Fall Sarrazin" gar nicht ernsthaft erwogen hat, weil auf diese Weise die eigenen Verkaufszahlen und die Einschaltquoten gesteigert werden konnten. So hat Stefan Luft, Politologe und von 1995 bis 1999 Pressesprecher beim Senator für Inneres in Bremen, am 30. Oktober 2001 in der FAZ Nr. 252, S. 10, erstaunlicher Weise einen Artikel mit dem Titel"Eine negative Dynamik" veröffentlichen dürfen, der eigentlich alles, was an politisch unkorrekten Wahrheiten über die Integration vor allem islamischer Ausländer in Deutschland gesagt werden muss, enthielt. (Er kann auf www.stefanluft.de gelesen werden.) Das war´s dann auch. Stefan Luft publiziert zwar unverdrossen weiter, aber die Wirkung lässt auf sich warten.Man geruht, ihn nicht wahrzunehmen. Dies ist nur ein Beispiel für viele, bei denen sich Politik und Medien entschieden haben, besser nicht lauter, am besten gar nicht zu reagieren.

Das Internet mit seinen Foren scheint dasjenige Medium zu sein, wo sich eine echte Diskussion kontroverser Themen ergeben kann. Das wird aber von den Politprofis in Berlin und den Landeshauptstädten, mache man sich nichts vor, nicht weiter ernst genommen. Eine Änderung der Politik kann nur durch etwas stattfinden, das die 68er richtig erkannt haben, die es geschafft haben, das politische Klima in ihrem Sinne zu drehen: Den Marsch von Änderungswilligen durch die Institutionen.

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