Hinter einer demokratischen Fassade

Was in Deutschland alles fehlläuft und wohin das wieder führen kann - Nachdenken über die Diskrepanz zwischen Theorie und Wirklichkeit

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Zur Wahl des neuen Bundestages am 22.September und damit auch der nächsten Bundesregierung sind es nur noch wenige Monate.Vieles, zu vieles läuft in der deutschen Politik fehl: „Der Rechtsstaat ist unterhöhlt, die Gewaltenteilung ist eine Farce.Die Meinungsfreiheit ist durch die Political Correctness stark eingeengt.Die Relativierung und damit die Abwertung der ‚Institution’ Familie läuft auf Hochtouren.Die Parteien beherrschen alles.“ Mit diesen knappen Sätzen im Vorwort sucht ein kleines Büchlein, Denkanstöße zu geben.Jetzt in den Monaten vor der Wahl ist Gelegenheit, sie aufzugreifen, zu beherzigen und sich über das eine oder andere klar zu werden.

In Generationen denken statt in Wahlperioden

Der Autor Carl Friedrich Albrecht versteht sein kleines Buch als Anregung, über die Diskrepanz zwischen Theorie und Wirklichkeit in Deutschland nachzudenken.Er sieht Deutschland auf einem abschüssigen Weg in den geistig-moralischen Verfall von Politik und Recht, von Staat und Gesellschaft.Aber viele Menschen seien unfähig zu begreifen, dass, sobald die Demokratie in die geistig-moralische Anarchie übergehe, eine Diktatur entstehen könne.Wenn man eine neuerliche Diktatur - in welchem Gewand auch immer - nicht wolle, dann solle man sich an Formen erinnern, „die den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung dauerhaft garantieren und unter welchen die Staatsspitze statt in Wahlperioden in Generationen denken kann“.

Erinnern an eine ferne Zeit

Welche Formen Albrecht dabei im Blick hat, erschließt sich auch daraus, daß er in der Politik die großen Persönlichkeiten vermisst.Er denkt dabei an die Jahre nach 1806 und an Männer wie Stein, Hardenberg, Yorck, Bismarck.Damals seien die besten Deutschen nach Preußen geeilt.In diesem Staat hätten sie den Kern und die Grundlage für das Wiedererstarken Deutschlands gesehen.Trotz größter außenpolitischer Anspannung sei hier ein innenpolitisches Reformwerk von äußerst weittragender Bedeutung konzipiert und verwirklich worden.Das Staatsoberhaupt, der König, habe Helfer als Staatsmänner gesucht und gefunden, die in das Ehrenbuch der Geschichte eingegangen seien.Er und seine SöhneFriedrichWilhelm IV.und Wilhelm I.hätten Genies, hätten solch schwierige Charaktere wie Stein, Yorck und Bismarck ertragen können.„Das können Demokratien nicht, und das können Diktatoren nicht.“ Albrecht setzt auf das Vertrauen in Gottes Eingreifen in die Geschichte im rechten Moment und darauf „daß Er uns wieder große Persönlichkeiten und damit neue Vorbilder schenkt“.Auch dieses Vertrauen und der darin schlummernde Optimismus erinnert an eine ferne Zeit.

Zurück zur strikten Gewaltenteilung – mit einem Monarchen

Welche staatliche Verfassung Albrecht bevorzugt, findet der Leser unter der Überschrift „Wer soll der Souverän sein?“ Es ist die der strikten Gewaltenteilung mit einem Monarchen an der Spitze.Friedrichder Große sei der erste gewesen, der dieses Prinzip von Montesquieu in die Praxis umzusetzen begonnen habe: „indem er die Rechtsprechung unabhängig machte“.  Es folgten in Preußen in der gleichen Richtung die Stein-Hardenberg’schen Reformen, 1850 die preußische Landesverfassung, dann die des Norddeutschen Bundes von 1867  und die Reichsverfassung von 1871: „Die vom Monarchen berufenen Minister hatten zu regieren, das Parlament hatte zu kontrollieren und Gesetzesvorlagen zu beschließen. Mit anderen Worten: Klare Trennung der Gewalten und Zuständigkeiten.“

Das Volk ohne Vorbilder, ohne Ideale - ratlos

Doch soll es nicht die parlamentarische Monarchie wie in England sein; dort habe der Monarch so gut wie keine Befugnisse.Auch nicht die Scheinmonarchie wie in Schweden; dort dürfe der König noch nicht einmal die vom Parlament gewählten Minister formell ernennen.„Die einzige empfehlenswerte Form“ ist für Albrecht die konstitutionelle Monarchie.Hier sei der Monarch einer der Träger der Machtbefugnisse unter dem Prinzip echter Gewaltenteilung.Die Parteienherrschaft von heute sieht Albrecht am Scheitern: „Der Rechtsstaat ist unterhöhlt, die Gewaltenteilung durch das Parteienregiment aufgehoben, die Staatsfinanzen sind hoffnungslos zerrüttet, das Volk ist ratlos, ohne Vorbilder und ohne Ideale.“ Im Kapitel „Konstruktion auf falschem Fundament“ macht er seine Kritik an der parlamentarischen Demokratie von heute fest.

Eine Würdigung des russischen Zaren Alexander

Der Reiz, das kleine Buch zu lesen, besteht nicht nur in dem, was es inhaltlich bietet, sondern auch darin, daß die Kapitel wohltuend kurz und  - im besten Sinn - sprachlich schlicht gehalten sind.Der Autor beginnt mit dem russischen Zaren Alexander I., der nach einem Staatsstreich von Offizieren gegen seinen VaterPaul1801 mehr nolens als volens vorzeitig auf den Zarenthron geraten war.Unter seiner Herrschaft scheiterte Napoleons Feldzug gegen Russland und führte zu dessen Ende.Albrecht beschreibt Alexander als einen Zaren „zwischen Revolution und Autokratie“, würdigt ihn als einen guten Herrscher, guten Diplomaten und erfolgreichen Außenpolitiker.Den sehr hohen Standard der russischen Diplomatie im 19.Jahrhundert habe Alexander gesetzt.Die Verhandlungen auf dem Wiener Kongress habe er selbst geführt. Alexanders Tod umgibt Rätselhaftes.Offiziell gestorben ist er mit 48 Jahren 1825 in Taganrog am Asowschen Meer nach einem Fieber.Doch scheint dieser „Tod“ ein Vorwand gewesen zu sein, sich vom Thron zurückzuziehen, weil Abdanken nicht infrage gekommen war.Unerkannt und bescheiden soll er in Sibirien weitergelebt haben und dort  als betagter und hochverehrter Weiser 1864 gestorben sein.

Was das Prinzip „Mehrheit ist Mehrheit“ anrichten kann

Das Kapitel über Alexander hat Albrecht, wie er schreibt, als Einführung zum Thema gedacht.Sein Porträt von Alexander und seiner Zeit ist einfühlsam, die Dichte der knappen Darstellung beeindruckt.Komprimiert schildert er das Zusammentreffen verschiedener geistiger Strömungen jener Zeit: die Ideen der Französischen Revolution, Vorstellungen Napoleons, den Beginn der slawophilen Bewegung in Russland, die Stein-Hardenberg’schen Reformen in Preußen und die auf Zeitgewinn ausgerichtete Politik Metternichs.Weitere Kapitel befassen sich unter anderem mit dem „entscheidenden Jahr 1932“ und der Regierung Papen, mit politischen Beobachtungen in den Vereinigten Staaten, ferner damit, was in der Politik Links, was Rechts, was Mitte bedeutet, wie Parteienpolitik 1990/91 den Rechtsstaat aushebelt und was das Prinzip „Mehrheit ist Mehrheit“ anrichten kann.

Hoffnung auf eine geistig-moralische Erneuerung

In seinem Vorwort schreibt der Autor, die einzelnen Beiträge könnten dem Leser „eine Sicht auf die Entwicklung der egalitär-demokratischen Ideologie und -  wie ich meine – auf deren Scheitern am wirklichen Leben geben“.Das Buch solle Hoffnung auf eine geistig-moralische Erneuerung vermitteln.Aber um Hoffnung auf eine solche Erneuerung zu haben oder zu schöpfen, muss man schon ein sehr großer Optimist sein.Ohnehin mag das, was Albrecht  denkt und  schreibt, heute vielen als altbacken, hoffnungslos gestrig, erzkonservativ, utopisch vorkommen.Gewiss, das ist es.Aber ist es darum schlecht, unbeachtlich, überflüssig? Natürlich nicht.Denn anregend ist es allemal.Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass das Buch  schon vor sieben Jahre erschienen ist.1)

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 1) Friedrich Carl Albrecht. Politische Wendepunkte. 1806 / 1932 / 2008. Klosterhaus-Verlag , Wahlsburg 2006. 9,80 Euro. (ISBN 3-87418-211-8)

Dieser Beitrag ist zuvor auf meiner Blog-Seite www.kpkrause.de erschienen. Hier sind auch meine sämtlichen Beiträge seit dem 18. März 2008 verfügbar.

 

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klimax

Bismarck? Der Urgründer des Wohlfahrtsstaats mit paternalistischer Entmündigung? Puhh, so einer hätte uns gerade noch gefehlt. Aber Würger des allerletzten Quentchens Liberalismus hat dieses Land nun wahrlich genug.

Gravatar: Klaus Kolbe

Bis dahin wird es wohl, wenn überhaupt, ein langer, steiniger Weg sein, den das deutsche Volk noch zu gehen hat. Aber – wer weiß schon, was das Schicksal noch bereithält. Die Hoffnung jedenfalls sollte man nicht aufgeben, denn die stirbt bekanntlich zuletzt.

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