Herr Binding wünscht sich ein besseres Volk

Lothar Binding hat ein Problem. Nicht mit den 100 Milliarden Euro zur Rettung maroder spanischer Banken, die der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg kürzlich abgenickt hat und für die der deutsche Steuerzahler mit 30 Prozent gerade stehen darf.

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Und auch nicht mit den Milliardenlasten aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, von dem eine der Marktschreierei eher unverdächtige Organisation wie der Bund der Steuerzahler sagt, das Vertragswerk sei „eine Art Ermächtigungsgesetz“ und hebe „den finanziellen Schutz des einfachen Bürgers hinsichtlich seines Einkommens und seiner Ersparnisse“ auf und habe „diesen zur Plünderung freigegeben.“ (Link)

Nein, Herr Binding hat ein Problem mit mir. Oder genauer gesagt: mit mir, ein paar tausend anderen Bürgern und der Art und Weise, wie wir unseren politischen Willen äußern. Ich bin nämlich einer von fast 5000 Petenten, die dem Abgeordneten im Rahmen der Anti-ESMKampagne auf abgeordnetencheck.de eine vorformulierte Protest-Mail gegen eine Euro-Rettung ohne Maß und Ziel geschrieben haben. Mehr als eine Million solcher E-Mails gingen insgesamt in den letzten Monaten in den Abgeordnetenbüros des deutschen Bundestages ein.

Direkt und ungefiltert mit Volkes Stimme konfrontiert zu werden, das findet Lothar Binding allerdings offenbar gar nicht gut. Und hat deshalb nun seinerseits vor ein paar Tagen zurückgeschlagen, „mit einer Massenmail“, schließlich gilt im Sandkasten wie in der Politik: Wie du mir, so ich dir!

In seiner Standardantwort unterstellt der SPD-Mann den Teilnehmern der Initiative pauschal, nicht selbst nachgedacht zu haben, sondern fremdgesteuert zu sein. Man lasse sich vor einen Karren spannen, „indem ihnen jemand vorgaukelt, dass selbst informieren, selbst nachdenken (...) doch gar nicht notwendig sei – schließlich gebe es dafür Leute, die einem dies abnehmen und ‚schon mal was vorbereitet’ haben ...“.

Genau das kommt dem langjährigen Abgeordneten Binding vermutlich aus seiner eigenen Tätigkeit nur allzu bekannt vor und so macht er sich große Sorgen um einen vermeintlich gleichermaßen von dunklen Kräften missbrauchten Bürger: „Vielleicht denken Sie einmal über Sinn und Zweck dieser Art der unreflektierten Vervielfachung von Kommunikation nach.“ Er selbst habe „eine Haltung zur Kommunikation im elektronischen Raum“, die man auf seiner Homepage nachlesen könne (Link: www.lotharbinding.de).

Die Antwort Bindings erstaunt dann doch: Erstens dass ausgerechnet ein Angehöriger jener gesellschaftlichen Randgruppe, die ein gehöriges Wort mitredet, wenn es um die unreflektierte Vervielfachung von Kommunikation geht, weil sie sich seit Jahren tagtäglich in deutschen Talkshows drängelt, um die abendlichen Wohnzimmer mit meist nichtssagenden Parolen zu fluten, dass also ausgerechnet ein Politiker glaubt, er dürfe die Art und Weise reglementieren, mit der andere kommunizieren oder er könne diesbezüglich sogar Vorbild spielen. Selbst wenn Bindings Vorwurf Substanz hätte: Der Bürger würde ja nur nachholen, was Politiker andauernd und mit Inbrunst tun.

Zweitens: Dass einem Vollzeit mit Politik beschäftigten und von ihr lebenden Bürger mit der Zeit offenbar jedes Verständnis dafür verlustig gegangen ist, dass Vollzeit arbeitenden Bürgern schlicht die Muße und manchmal auch die Lust fehlen, nach Feierabend auch noch persönliche Briefe an ihren Abgeordneten zu schreiben – um am Ende mit Versatzstücken aus dem Textbaukasten irgendeines Assistenten i.A. „belohnt“ zu werden.

Und drittens (und womöglich am erschreckendsten): Dass viele Politiker anscheinend nur mehr dann gewillt sind, dem Bürger zuzuhören, wenn es sich entweder nicht mehr verhindern lässt (Stuttgart 21) oder wenn das Volk zufällig ohnehin die selbe Meinung vertritt (Atomausstieg). Zitat Binding: „Vielleicht war es auch Ihre Absicht, durch eine hohe Zahl an Zuschriften zu beeindrucken; diese Bemühungen sind mit Blick auf zwei einfache Relationen wenig erfolgversprechend: in meinem Wahlkreis Heidelberg/Weinheim leben etwa 250.000 Menschen; häufig gelingt es Lobbyisten durch hohen Mitteleinsatz auch, noch mehr Aufmerksamkeit als die jeweilige Gegenseite zu erzeugen - und dann ist die große Zahl plötzlich die kleinere Zahl und damit weniger wichtig...?“

Meine E-Mail für Binding war ernst gemeint und bewusst verschickt. Weil ich in Sorge bin um diesen Staat, ohne dafür ein Lobbyistengehalt zu bekommen. Weil ich nicht einverstanden bin, wenn deutsche Steuergelder dazu verwendet werden, reiche Anteilseigner ausländischer Banken, die sich durch Fehlspekulationen in eine finanzielle Zwangslage gebracht haben, aus der Klemme zu pauken. Weil ich nicht glaube, dass immer noch mehr Geld, das an die Länder an der südlichen Peripherie der Euro-Zone ausgeschüttet wird, sie dazu animieren wird, ernsthafte Reformen anzupacken und statt mehr und mehr Schulden zur Abwechslung einfach mal tragfähig und zukunftsweisend Staat zu machen. Und weil ich möchte, dass das deutsche Parlament in Schicksalsfragen wie diesen nicht über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet, sondern zuvor das Volk, den Souverän dieses Staates, fragt.  

Vielleicht sollte sich die Politik im Raumschiff Berlin mehr mit dessen Botschaften beschäftigen – statt ihn zu schulmeistern, welche Form genehm sei.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jaques LeMouche

Ganz nach dem Motto von Muhammed Ali:
Es ist schwierig gnädig zu sein, wenn man so groß ist, wie ich es bin.

Gravatar: Karin Weber

Früher konnte man den "Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR" stellen. Wenn diesem Herren hier etwas nicht passt, dann kann er das Land verlassen und sich ein neues Volk suchen. Wir sind das Volk und nicht seine Sklaven.

Ein ungeheuerlicher Vorgang, der zweifelsfrei an die Strukturen und Machenschaften der Ex-SED erinnert.

Gravatar: Ulrike

Ein arroganter Sozi, dieser Herr Binding.

Gravatar: Arminius T.

Wenn Herr Binding die Meinung des Volkes
nicht verträgt , sollte er auf seinen Internet-Auf-
tritt verzichten oder noch besser sein Mandat
zurückgeben.

Gravatar: Frak K.

Danke, Christian Wimmer!

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