Groll ist das treffendste Wort

Viele Autoren nahmen Bezug auf den Zorn des Peleiaden Achilleus, zuletzt etwa Peter Sloterdijk, indem er den Beginn der Illias zum Nukleus seiner weltgeschichtlichen Betrachtung Zorn und Zeit wählte. Aber stimmt denn die Übersetzung?

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Die abendländische Literatur, heißt es, hebe an mit dem Wort "Zorn". Mẹ̄nin aeịde, theạ, Pēlẹ̄iadeọ̄ Achilẹ̄os: "Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus" (Voß); "Singe Göttin, den Zorn des Peleiaden Achilleus" (Hans Rupé); "Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohnes Achilleus" (Wolfgang Schadewaldt); "Singe das Lied vom Zorn des Achilleus, himmlische Göttin" (Hans Georg Meyer); "Göttin, singe mir nun des Peleussohnes Achilleus/Unheilbringenden Zorn" (Roland Hampe); viele Autoren nahmen Bezug auf diesen Zorn, zuletzt etwa Peter Sloterdijk, indem er den Beginn der Illias zum Nukleus seiner weltgeschichtlichen Betrachtung Zorn und Zeit wählte. Aber stimmt denn die Übersetzung? Dem einen oder anderen mochte im Laufe der Jahrhunderte aufgefallen sein, dass "Zorn" die Seelenlage des Peliden ja nicht trifft, der Zorn will sofortige Stillung, sonst verraucht er. Wer sich lange Zeit nach der Kränkung rächt – bzw. wochenlang dem Kampfplatz protestierend fernbleibt –, handelt nicht mehr aus Zorn.

Auch die meisten angelsächsischen Übersetzungen lauten "rage",  Alexander Pope wählte "wrath", also ebenfalls Wut/Zorn. In der Ausgabe der Everyman's Library Classics allerdings entschied sich der Übersetzer Robert Fitzgerald für "Achilles' anger", ein etwas weiter ausgespannter Terminus, der zwar durchaus Wut und Zorn bedeuten kann, aber auch Ärger, Verdruss und – Groll. So nämlich übersetzt der Baseler Altphilologe Joachim Latacz mẹ̄nin. Gemeint sei, so Latacz, kein plötzlicher Affekt, "sondern eine anhaltende, schwelende, verbitterte Ergrimmtheit wegen erlittener Kränkung". Groll ist dafür das treffendste Wort. Und es liefert mir die Pointe, dass die Literatur des Abendlandes mit demselben Affekt beginnt, dessen Allgewalt sie nun in die Zielgerade trägt, nur dass Achilleus, der stolze Heros, niemals seinen einsam-majestätischen Groll zum egalitären Ressentiment vertieft und verfeinert hätte, der vorherrschenden, den gesamten Zeitgeist erzeugenden Daseinsstimmung unter den ultimativ myrmidonenfernen Intellektuellen der gegenwärtigen westlichen Welt.

Zuerst erschienen auf michael-klonovsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Das Buch habe ich mit großem Interesse kurz nach Erscheinen gelesen. Er sagt darin die Arabellion voraus. Und wenn man dann noch Prof. Dr. Gunnar Heinsohn und seine Statistiken zu Rate zieht ist alles ziemlich klar. Auch Boko Haram in Nigeria kann damit einfach erklärt werden. Es wird noch in zahlreichen Ländern der Erde zu Reichsbildungsversuchen von jungen frustrierten Männern kommen, mit viel Mord und Totschlag, leider. Safransky sträubt sich noch gegen diese Erkenntnisse.

Gravatar: Rüdiger Braun

Ich glaube dazu müsste man noch weiters die Wortbedeutungen hinterfragen und ob dann tatsächlich jede Übersetzung auch mit den Definitionen übereinstimmt.
Ich gehe tatsächlich davon aus das es hier um Abstufungen geht die viel feiner sind als dargestellt.
So sind Wut und Zorn meiner Ansicht nach eben nicht gleich und der Groll ist noch tiefer gehend.
Ira furor brevis est wird meiner Meinung nach falsch mit Zorn übersetzt, richtiger wäre Wut.

Die zeitliche Abstufung der Andauer wäre:
Raserei (sehr kurz, keine Eindringtiefe)
Wut (kurz, geringe Eindringtiefe)
Zorn (lang, mittlere Eindringtiefe reversibel)
Groll (sehr lang, hohe Eindringtiefe schwer reversibel)

Verdruss passt in diese Aufzählung nicht weil es eine gänzlich andere Gefühlslage beschreibt.

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