Griechenland sollte ausscheiden müssen

1. Unter den Mittelmeeranrainern demonstriert Griechenland am überzeugendsten, daß die Anreizmechanismen für regelkonformes Verhalten sowie die Sanktionsmechanismen für regelwidriges Verhalten

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der Mitgliedstaaten in der Europäischen Währungsunion (EWU) höchst ineffektiv sind. Das Ausmaß der negativen Externalitäten eines drohenden Staatsbankrotts, mit denen Griechenland – und  in ähnlicher Spur Italien, Spanien, Portugal – die Gemeinschaft der Euro-Zone belastet, hat die Grenze erreicht, die ein Nachdenken über die Möglichkeiten einer Abkoppelung der gemeinsamen Währung von der permanent vertragswidrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Performanz eines Mitgliedstaates – oder auch mehrerer – dringend erforderlich macht. Man muß das bisher Undenkbare denken: das Ausscheiden aus der EWU, also den freiwilligen Austritt sowie den unfreiwilligen Ausschluß aus der EWU.

2. Im Vertrag von Maastricht findet sich diesbezüglich keine Regelung. So schreibt der Vertrag nicht vor, daß die Erfüllung der Eintrittsbedingungen auch die Voraussetzung für das dauerhafte Verbleiben in der EWU bildet und also, im Umkehrschluß, die Nichterfüllung zum Ausscheiden aus der EWU führt. Deshalb ist allgemein die Meinung verbreitet, daß ein Ausscheiden aus der EWU rechtlich ausgeschlossen sei.

3. Diese Ansicht muß man nicht teilen, man sollte ihr sogar widersprechen. Denn ein Ausscheiden aus der Euro-Zone hieße lediglich, daß für den betreffenden Mitgliedstaat die gemeinsame Geldpolitik nicht mehr Anwendung findet. Das Land verliert also nicht seinen Status als Mitglied der EU. Die EWU selbst ist keine eigenständige Organisation, sondern stellt lediglich eine gemeinsame Politik der Europäischen Zentralbank dar. Das Land wird dann einfach in den Status der „Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung“ zurückversetzt, also der Staaten, die die Konvergenzkriterien als Voraussetzung für die Einführung des Euro nicht erfüllen (Art. 139 AEUV). Dazu gehören momentan z. B. Dänemark, Großbritannien und Schweden.

4. Kann ein Mitgliedstaat den Austritt aus der Euro-Zone freiwillig vollziehen? Darüber sagt der Maastricht-Vertrag nichts, schließt ihn demgemäß also auch nicht ausdrücklich aus. Der gescheiterte Verfassungsvertrag sah in Art. I 12 vor, daß ein Mitgliedstaat im Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten der EU durch Ermächtigung der EU „gesetzgeberisch“ tätig werden kann. Das impliziert die Möglichkeit, die Beteiligung an der gemeinsamen Geldpolitik zu suspendieren und eine eigene Währung erneut einzuführen. Der nunmehr geltende Vertrag von Lissabon hat diese Regelung in Art. 2 Abs. 1 AEUV übernommen.

5. Griechenland wird einen freiwilligen und mit den anderen EU-Mitgliedstaaten einstimmig zu beschließenden Austritt aus der Euro-Zone vermutlich nicht vornehmen wollen. Vielmehr vertraut es wohl – und nicht zu Unrecht – auf die Nichtbeachtung bzw. das Unterlaufen der „No-bail-out-Klausel“ durch manche politischen Funktionsträger und Regierungen in der EU (einschließlich und besonders Deutschlands) und also auf die solidarische Hilfe der EWU-Mitglieder. Dabei war es dezidiert die Intention des No-bail-out, daß die EWU keine transferzahlungsorientierte Haftungsgemeinschaft darstellt. Eine solche wäre für die Stabilität der gesamten Euro-Zone fatal. Denn abgesehen davon, daß eine Transfer-Haftungsunion gegen Geist und Buchstaben der EWU verstößt und das Moral Hazard unionsweit salonfähig macht, schwächt sie die gesamte EU in ihrer Stabilität, wenn sie sich nicht im Bereich der gemeinsamen Geldpolitik eines Mitglieds entledigt, das die Stabilitätskriterien extrem und notorisch verletzt und zudem einem drohenden Staatsbankrott entgegensieht. Der Fall Griechenland zeigt exemplarisch, daß und in welcher Weise Hilfe immer neue Hilfsbedürftigkeit erzeugt, weil die für Griechenland unumgängliche grundlegende Renovierung seiner gesellschaftlichen Infrastruktur (Korruption, Steuerhinterziehung, Statistiktäuschungen usw.); seiner formellen und informellen Institutionen (aufgeblähter Öffentlicher Dienst, sklerotischer Arbeitsmarkt, Korporatismus usw.) einschließlich seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Performanz (Überschuldung, hohes Zahlungsbilanzdefizit, geringe Wettbewerbsfähigkeit usw.) nicht erfolgt. Hinzu kommt, daß Hilfe für Griechenland über Transferzahlungen von Mitgliedstaaten zur Vermeidung eines Staatsbankrotts geradezu eine Einladung für andere Unionsmitglieder darstellt, es Griechenland gleichzutun. Die No-bail-out-Regel als Haftung ausschließendes Ordnungsprinzip des Maastricht-Vertrages impliziert, daß jedes Mitgliedsland seine individuelle Konkursfähigkeit behält und also selbst verantwortlich ist für die Wahl und potentielle Abwicklung eines Staateninsolvenzverfahrens außerhalb der Euro-Zone.

6. Deshalb stellt sich die Frage nach dem – unfreiwilligen – Ausschluß Griechenlands aus der Euro-Zone als ultima ratio der Sanktionsmöglichkeiten. Der Ausschluß impliziert, daß der frühere Beschluß des Europäischen Rates zur Aufnahme Griechenlands in die Gruppe der „Mitgliedstaaten ohne Ausnahmeregelung“, also in die Euro-Zone, wieder rückgängig gemacht werden kann. Der Beschluß wurde auf Basis der Feststellung des Rates getroffen, daß Griechenland die Konvergenzkriterien erfüllt hätte und somit den Ausnahmeregelungen nicht mehr unterliegen müßte. Es geht also um die Frage, ob eine Annullierung dieses Ratsbeschlusses möglich ist, der ja die Erfüllung der Konvergenzkriterien durch Griechenland seinerzeit explizit festgestellt und damit die Ausnahmeregelung außer Kraft gesetzt hat (Art. 140 AEUV). Ohne Zweifel ist für die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses vonnöten, daß Griechenland die Kriterien tatsächlich erfüllt hatte. Bekanntlich war dies, wie sich später herausstellte, nicht der Fall, weil Griechenland die Statistiken gefälscht und also den Rat vorsätzlich getäuscht hatte. Insofern war der Ratsbeschluß nichtig. Allerdings erscheint es wegen Fristablaufs (Art. 263 AEUV) zunächst nicht mehr möglich, diesen Nichtigkeitsgrund für die Annullierung des Ratsbeschlusses heranzuziehen. Aber Griechenland hat bis in die jüngste Zeit seine Praxis der Statistikfälschungen, der Täuschungen und der signifikanten Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien fortgesetzt. Damit signalisiert das Land in expressiver Weise seine offensichtlich dauerhafte Nichtbereitschaft zur Befolgung der die EWU tragenden Rechtsregeln. Auf   dieser Tatsachenbasis stellt sich dann erneut die Frage nach der Rückversetzung Griechenlands in den Zustand eines „Mitgliedstaates mit Ausnahmeregelung“ auf der Basis eine contrarius actus, also eines Beschlusses, der nicht den alten Ratsbeschluß aufhebt, sondern ex nunc für Griechenland die Mitgliedschaft mit Ausnahmeregelung neu beschließt.

7. Der mögliche Einwand, dies sei wegen der „Unumkehrbarkeit“ des Übergangs der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (Protokoll 15 zum Maastricht-Vertrag) nicht mehr möglich, geht ins Leere, denn mit der Suspension eines Mitglieds von den EWU-Regeln wird ja nicht der kollektive Integrationsweg der Gemeinschaft berührt, sondern nur die Beteiligung eines einzelnen Mitgliedstaates. Unabhängig davon gilt es anzuzweifeln, ob angesichts der historischen Erfahrungen mit gescheiterten staatenübergreifenden Währungsunionen  (Lateinische, Skandinavische, Deutsch-österreichische Münzunion und andere) die vertragliche Kodifizierung einer dem Ewigkeitsgedanken verhafteten „Unumkehrbarkeit“ eines speziellen ökonomisch-politischen Integrationsprozesses überhaupt als sinnvoll angesehen werden kann: Unumkehrbarkeit exkludiert die Chance des Lernens aus institutionellen Fehlern des organisierten Integrationsprozesses.

8. Insgesamt zeigt sich, daß der Vertrag über die Europäische Union ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zum Ausscheiden eines Mitglieds aus der Euro-Zone nichts aussagt. Dies kann man als Regelungslücke ansehen, die angesichts der genannten ineffektiven Sanktionsmechanismen, die der Vertrag vorsieht, durch die Notwendigkeit der Kodifizierung zusätzlicher Sanktionsarrangements auszufüllen wäre. Hier könnte und sollte man, wie mancherorts aus der Jurisprudenz vorgeschlagen wird, auf ein allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsames allgemeines Rechtsprinzip aus dem Gesellschaftsrecht rekurrieren: Ein Gesellschafter, der vorsätzlich dauerhaft Obstruktion betreibt, wird ausgeschlossen. Hingewiesen wird zudem auf das Völkerrecht, denn das Völkervertragsrecht sieht im Falle einer gravierenden Vertragsverletzung durch eine Vertragspartei die Suspendierung oder Beendigung des Vertrags vor.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 7. Februar 2010 auf "wirtschaftlichefreiheit.de"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Nabelschau!!
Man tue nicht so, als ob nur Deutschland Nettozahler der EU wäre. Wer nachdenkt der findet!

Gravatar: Dieter Ripp

Die Vorstellung das Deutsche Steuergelder gegen den Staatsbankrott von Griechenland eingesetzt werden sollen (noch nicht allgemein bekannt, aber so kommt es )
macht mich unglaublich böse.
Wo steht im Vertrag von Maastrich, dass wir Deutsche für alle den finanziellen Kopf hinhalten müssen.
Auschluss aus der Gemeinschaft EWU ist der einzig richtige Weg.

Wenn Griechenland die Kriterien für den Wiedereinstieg in die EWU erfüllt nehmen wir das Volk der Griechen gerne wieder auf.

Aber finanzielle "Sozialleistungen" aus Deutschland zur Erhaltung der bisherigen korrupten Finanzstruktur in Griechenland sind völlig fehl am Platze.
Wie lange lassen wir uns noch verars........

Gravatar: Johannes Falk-Friedrichs

Mich überrascht immer wieder die Naivität, dass gerade die Wortmelder wie Herr Westerwelle entweder schlecht informiert sind oder aber den erklärten Willen der Börsenumgebung der USA und des UK nicht kennen möchte, warum es Mißbrauch von Sozialleistungen gibt oder warum es hedgefonds gibt, Aneignung von sozialen Hilfsleistungen aus Faulheit oder Glücksspiel mit besonders verwerflicher Ambition, bzw. kriminelle Neigung mit sehr niedrigen Beweggründen, anders ausgedrückt will gerade z.B. die FDP die Freiheit von Kontrolle, z.B. auch bei Manager-Bonuszahlungen. Schauen Sie sich nur die 10 wichtigesten weltweiten Finanzinstitute an, vielleicht fallen dabei einige Namen von Verfügungsberechtigten auf, die bereits bei Bankenkrisen 1873, 1911, 1929 usw gut davon kamen und dann untersuchen Sie, warum dies so war. Der Bart ist lang... Wir sollten die 500¤-Betrüger nicht mit den 500 Mill $-Betrügern in einen Topf werfen, sondern letztere angemessen bestrafen, das hebt die Moral für alle.
Das ist soziale Gerechtigkeit - Mitglied einer C-Partei

Gravatar: Friedemann

Eine gute Analyse mit den richtigen Schlußfolgerungen. Aber auch Deutschland läuft in gefährlicher Weise auf den falschen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Irrwegen und es ist somit nur eine Frage der Zeit, wann dies Auswirkungen hat.

Gravatar: Freigeist

Meine Erwartung ist: Griechenland wird Reformen durchführen und den Euro behalten.

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