Gregor Gysi und die Lüge

„Lügen haben kurze Beine, Gysi, zeig uns doch mal Deine“ war der Text eines Spottplakates auf den kommenden Parteichef der SED, Gregor Gysi, nachdem er auf der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz „Rechtssicherheit statt Staatssicherheit“ gefordert hatte.

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Gysi und sein Kumpel „Mischa“ Wolf, der ein paar Jahre zuvor sein Amt als Chef der „Hauptverwaltung Aufklärung“ der Staatsicherheit aufgegeben hatte, um sich , die mit Hilfe der Reputation seines verstorbenen Bruders, des Regisseurs Konrad Wolf, als „Reformer“ für den Ernstfall in Reserve zu halten, wurden von den Demonstranten einfach ausgepfiffen. Erfolgreicher war der bisher in der DDR nur Eingeweihten bekannte Anwalt, als er einen Monat später die Selbstauflösung der SED auf deren letzten Parteitag in Berlin verhinderte, hauptsächlich mit dem Argument, dass dann das (Milliarden)Vermögen der Partei verloren ginge. Die SED bekam einen Doppelnamen, SED-PDS. Was Ende 1989/1990 noch wie ein aussichtsloses Unternehmen aussah, die Rettung der DDR-Staatspartei, weshalb die Friedliche Revolution fatalerweise auf deren Enteignung verzichtete, gelang mit Hilfe der (westdeutschen) Medien. Der neue SED-PDS-Chef Gysi stieg dank seiner Eloquenz raketenhaft zum Dauertalkshowgast und permanenten Interviewpartner auf. Die Printmedien überschlugen sich in der Berichterstattung über den cleveren Anwalt. Man ergötzte sich an seine Wortspielen und frechen Vergleichen, ohne dem Inhalt seiner Ausführungen allzu große Beachtung zu schenken. So konnte es passieren, dass ein Mann, den einen begnadeten Demagogen man nicht nennen darf, wegen der zu erwartenden strafbewehrten Unterlassungserklärung, zum medialen Superstar avancierte, ohne den die SED- PDS alt ausgesehen hätte.
Sein nächster Coup, die Entsorgung der SED im Parteinamen nur wenige Wochen nach dem Parteitagsbeschluss, gelang schon mühelos. Wer, wie ich, damals geglaubt hat, der Taschenspielertrick würde niemals funktionieren, weil er vor aller Augen stattfand, war im Irrtum. Zwanzig Jahr und zwei Umbenennungen später ist die Linke im Kern zwar immer noch die alte SED, wird aber als solche nicht mehr wahrgenommen. Selbst hoch bezahlte Journalisten wie Peter Frey vom ZDF glauben, Gysi hätte zwei Parteien neu gegründet. Kürzlich trat ein Ortsverein der Linken geschlossen zu den Piraten über, als er erfuhr, dass die Linke nichts als die umbenannte SED ist.
Gysis dritter Coup war, Teile der Führung des damaligen Neuen Forums davon zu überzeugen, dass die erste Bundestagswahl nach der Vereinigung in zwei getrennten Wahlgebieten erfolgen müsse, angeblich, um die Chancen der Bürgerrechtsparteien zu wahren, in Wirklichkeit aber, um das Überleben der PDS zu sichern, die nicht über die 5%-Hürde gekommen wäre. Die Bürgerrechtler ließen sich hinter das Licht führen und von Gysi erfolgreich vor dem Verfassungsgericht vertreten. Das Überleben der SED im vereinten Deutschland war vorerst gesichert.
Gysis vierter entscheidender Coup war die Vereinigung mit der WASG, die der PDS als Morgengabe die Westausdehnung schenkte, die sie aus eigener Kraft 15 Jahre lang nicht geschafft hatte. Da der angeblichen „Volkspartei“ im Osten immer mehr Wähler wegstarben und fern blieben, saßen nach der Wahl 2002 nur noch zwei in den ehemaligen Stasi-Hochburgen direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag. Die Partei war nicht mehr über die 5% gekommen.
Gysi konnte das nur, weil es ihm gelang, die Tatsache, dass er Mitarbeiter der Staatsicherheit war, ob offiziell oder inoffiziell, wird er uns niemals verraten, erfolgreich wegzuprozessieren. Eine IM- Akte von ihm gibt es nicht. Was es gibt, weil die Staatssicherheit nicht in der Lage war, in der Kürze der Zeit zwischen Herbstrevolution und Vereinigung, alle belastenden Unterlagen zu vernichten, sind die zahlreichen Berichte von IM Gregor, Sputnik und vor allem Notar , in den Akten von Gysis Mandanten. Die Aktenlage ist bereits ohne die neuen Funde so eindeutig, dass die Untersuchungskommission des Immunitätsausschusses nach jahrelanger, gründlicher Recherche 1990 zu dem Schluss kam, die Stasimitarbeit von Gysi sei „erwiesen“. Gysi klagte gegen die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse vor dem Verfassungsgericht und unterlag. Seitdem kann der Bericht im Internet und in den Bundestagsdrucksachen nachgelesen werden. Warum es Gysi dennoch gelang, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, seine Stasimitarbeit sein zweifelhaft, davon demnächst auf der Achse des Guten.

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