Gott und Mensch in Yale

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Ein Buch aus den 1950er-Jahren mit einer Botschaft für heute und morgen.

William F. Buckley Jr. God and Man in Yale. Regnery/Gateway: Washington, 2002. 300 Seiten. Euro 15,90.

Der Leseanlass war ein ganz besonderer: Ich bekam das Buch von meinen Freunden geschenkt. Auf Anhieb war ich von der Titelskizze angesprochen. Ebenso war ich neugierig, etwas von der Atmosphäre Yales‘ zu erfahren. Drittens gehört das Gebiet “Glaube und Bildung” zu meinem primären Forschungsbereich. So begleitete mich das Buch auf einigen Busfahrten und war auch im Urlaub mein treuer Begleiter.

Etwas soll vorneweg gesagt sein: Die ersten 50 Seiten bestehen aus einer längeren Einleitung von Buckley selbst, die er anlässlich der Neuauflage nach 50 Jahren geschrieben hat. Ausserdem gibt es ein Vorwort des Autors zur Erstauflage sowie zwei Geleitworte von Drittpersonen, eines zur Erst- und eines zur Neuauflage. Es brauchte schon etwas „Gummi“ sich durch diese Seiten zu lesen und nicht gleich mit dem Kerntext zu beginnen. Trotzdem lohnt es sich den Vorspann zu lesen, um sich mit dem Kontext vertraut zu machen.

Der universitätspolitische Kontext

Wer kämpfte gegen wen? Der damals frisch gebackener Yale-Absolvent Buckley, der sich als Vertreter der grossen christlichen Tradition sah und sich überdies den (christlichen) Zielen Yales‘ verpflichtet wusste, trat im Alleingang gegen die liberal-protestantische Elite der Fakultät an (xii). Es ist erstaunlich, dass ein Mann Mitte Zwanzig den Mut dazu aufbrachte. Das Buch löste eine formelle Untersuchung in Yale aus. Buckley wurde in die Schranken verwiesen, was den Erfolg des Buches nicht schmälern konnte. Buckley unterlegte seine Argumente mit zahlreichen Zitaten aus Syllabi der unterschiedlichen Disziplinen. In journalistischer Manier schreckte er auch nicht davor zurück, Namen zu nennen. Das macht es für den europäischen Leser von heute etwas schwieriger zu folgen. Doch als ich mir vorstellte, welchen Mut es hierfür brauchte, nahm ich diese Erschwernisse gerne in Kauf.

Die Argumentationslinie

Im Buch entfaltet Buckley drei Hauptargumente: Yale untergräbt den christlichen Glauben der Studenten; Yale fördert den Kollektivismus (ein schwer wiegender Vorwurf, wenn man bedenkt, dass er in den 50er-Jahren just zu der Zeit erhoben wurde, als die USA offiziell dem Schreckgespenst des Kommunismus den Kampf angesagt hatte). Drittens fordert Buckley die Alumni der Universität in Übereinstimmung mit den Zielen von Yale einzugreifen und ihre Führung wahrzunehmen (xiii). Buckley stellt sich auf folgende Positionen: Christlicher „Individualismus“, verbunden mit einem Misstrauen gegenüber einem allwissenden Staat, verteidigt auf der Grundlage der jüdisch-christlichen Tradition (xix). Er fordert die Rückkehr zur wahren religiösen Tradition der Universität (xxxiiii). Dabei merkt Buckley an, dass in seiner ganzen Argumentation eigentlich nichts enthalten sei, was mit seinen Überzeugungen als Katholik zusammenhänge (xxxv). Er wendet sich gegen den „educational drift of modern times“ – den Kurswechsel der modernen Bildung (xxxix). Eine moderne Universität wisse nichts Besseres zu tun, als sich nach der neusten Mode zu richten (xlvii).

Was war die „Hauptsünde“ dieser Anklage? Chamberlain bringt es in seinem Vorwort auf den Punkt: Buckley hielt einige alte Wahrheiten für selbst-evident, nämlich dass eine freie Wirtschaft besser als die kontrollierte Planwirtschaft sei oder dass der Mensch über eine bestimmte Natur und einen moralisch-religiösen Charakter verfüge (lix). Schon als „Undergraduate“ brachte Buckley starke christliche Überzeugungen und Respekt gegenüber amerikanischen Institutionen auf (lxiii). Er plädiert für die Aufrechterhaltung der „akademischen Freiheit“, die er stark gefährdet sah. Wo ortete er die Linie der wahren Auseinandersetzung? „Ich selbst glaube, dass das Duell zwischen dem Christentum und dem Atheismus das wichtigste in der Welt ist. Ich glaube ferner, dass der Kampf zwischen Individualismus und Kollektivismus derselben Streit auf einer anderen Ebene darstellt.“ (lxvi).

Erstes Kapitel: Religion in Yale

Die Frage lautet: Festigt oder zerstört Yale den Respekt des Studenten vor dem Christentum? (3) Die Antwort: Wie sollen Professoren den Glauben ihrer Studenten stärken, wenn sie selber mehr oder weniger offen gegen diesen Glauben ins Feld zogen oder zumindest ihre Überzeugungen für sich behielten (8+18)? „Es gibt sicherlich kein Department in Yale, das nicht von der absoluten Überzeugung kontaminiert ist, dass es keine Absolutas gibt, keine intrinsischen Rechte, keine endgültigen Wahrheiten.“ (23) Religion wurde im besten Fall als „bevorzugter Lebensstil“ betrachtet (26). In den Curriculas wurde deshalb Religion auf den Status eines Kurses in griechischer Mythologie reduziert (31). Die Studenten verliessen die Universität als Naturalisten, Skeptiker oder Zyniker (32).

Zweites Kapitel: Individualismus in Yale

Die These: Es gibt in Yale die Tendenz, den Staat zu verherrlichen. Der „net influence“ des Wirtschaftsdepartements ist kollektivistisch (42). Buckley selbst bekennt sich zur klassischen Wirtschaftslehre, die zwischen dem unlimitierten Appetit und den limitierten Ressourcen das Optimum sucht. Voraussetzungen dazu sind Privateigentum, Produktion mit Gewinn, private Eignerschaft der Unternehmen sowie Regulierung durch eine freie, kompetitive Wirtschaft (46). Buckley bezichtigt die Fakultät, sklavisch dem „Guru“ Lord Keynes zu folgen und seinem Programm religiösen Stellenwert einzuräumen (58). Die praktische Folge: Die Absolventen verlieren an Unternehmergeist und gehen in Staatsbetriebe (75). Sie sind mehr an Sicherheit interessiert (77). In den Kursen wird grosser Wert auf Technik gelegt – auf Kosten von potenziellen Kursteilnehmern, die vor allem nicht-technisches wirtschaftliches Interesse aufweisen (80).

Drittes Kapitel: Yales und ihre Alumni

Wenn die aktuelle Generation von Yales Absolventen den ideologischen Kurs nicht zur Kenntnis nehme, würde sich eine nächste einmal damit beschäftigen müssen (103). Der Hauptvorwurf von Buckley war die mangelnde Einsicht des Aufsichtsrates in den Alltag von Yale und die Wirklichkeit der vermittelten Inhalte. Punktuelle Kontakte mit einzelnen Yales-Gremien vermittelten ein verzerrtes Bild. Das führte dazu, so der Einwand Buckleys, dass die Männer, welche den Kurs von Yale überprüfen sollten, sich kein wahres Bild vor Ort machten und so ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden. Dazu kam, dass man Mitglieder v. a. wegen deren guten politischen und wirtschaftlichen Verbindungen ins Aufsichtsgremium wählte. Dahinter stand die ständige verzweifelte Suche nach Geld (109).

Viertes Kapitel: Die sogenannte akademische Freiheit

Wie kann man eine Person zum Schweigen bringen? Man etikettiert ihn mit dem Label „Gefährdung der akademischen Freiheit“ (127). Buckley argumentiert: Qualifikationen können letztlich nicht von Charakter getrennt werden (127-131). Zudem: Kein Unternehmen würde leitende Angestellte anwerben, die der Grundphilosophie des Unternehmens feindlich gegenüber stehen (148). Es sei ein falsches Verständnis akademischer Freiheit, wenn Lehrende angestellt werden, die den Grundpositionen der Universität widersprechen. Die Prognose: „The presumption, of course, is that the values behind individualism and Christianity will not endure, and that therefore, Yale, stubbornly clinging to an outworn creed, would one day find itself a desert inhabited by deadened and spiritless intellectual prostitutes.“ (155) Darum: “Akademische Freiheit muss die Freiheit von Männern und Frauen bedeuten, die Bildungsaktivitäten und Ziele der Schule, der sie vorstehen und die sie unterstützen, zu überwachen.“ (169)

Fünftes Kapitel: Das Problem der Alumnis

Die Universitäten vermitteln Leitideen der nächsten Generation (171). 1. Die Überzeugung Buckleys in Kurzfassung: Die Verantwortung Yales zu regieren, obliegt den Alumnis. 2. Yale ist einer wertemässigen Orthodoxie verpflichtet. 3. Zu jeder Zeit muss ein verantwortungsbewusstes Indidividuum diese Werte oder denen, die ihnen möglichst nahe kommen, anstreben. 4. Die Wahrheit muss zu jeder Gelegenheit und auf jeder Ebene vertreten werden. 5. Orthodoxe Werte führen nicht zwangsläufig zu einer Unflexibilität gegenüber neuen Erfahrungen. 6. Orthodoxe Werte führen nicht automatisch zur Glaubwürdigkeit bei den Studenten, noch wird der Wert von Skeptizismus verneint. 7. Die Freiheit ist in keiner Weise durch das Beharren auf der Bejahen dieser Werte beeinträchtigt. (173-174)

Fazit

Es war einige Abstraktionsfähigkeit für das Lesen des Buches gefragt, weil viele Namen und Ereignisse erwähnt werden. Doch die Mühe lohnte sich. Nehmen wir einmal an, wir würden diese Diskussion in unsere universitäre Landschaft hineintragen. Bei uns dominiert der Staat die gesamte Landschaft. Er ist jedoch entgegen naiver Annahmen kein neutraler Vertreter, sondern ideologischer Gigant. Durch die Ausbildung werden die Leitideen der kommenden Generationen geformt und geprägt. In mir sind neue Fragen aufgetaucht. Sie sind es wert gestellt zu werden – egal, welche Ausbildungsstätte es betrifft:

     

  • Wie ist eine Fakultät geprägt?
  • Wo steht sie weltanschaulich?
  • Was sind die Vorbilder der Lehrenden?
  • Was sind die tagesaktuellen Strömungen?
  • Wer passt sich an, wer nur mässig?
  •  

Eine zusätzliche Frage beschäftigt mich. Was passiert, wenn die Minderheit die Mehrheit brüskiert? Wird die Minderheit ruhig gestellt? (95) Ich befürchte, dass gerade im tertiären Bildungsbereich die Luft zum Atmen dünn geworden ist. Das alles wegen der „political correctness“. Kein guter Nährboden für das Ringen um Wahrheit.

Erschien zuerst unter www.hanniel.ch.

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