Gesundheitswesen: Der Patient als Kunde

Folgen ökonomisierten Denkens in der Medizin

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Stellen Sie sich vor, Sie werden krank. Nicht einfach unpässlich, sondern richtig krank. Niemandem will man es wünschen, aber leider kommt es vor. Sie haben einen schweren Verkehrsunfall gehabt und werden hilf- und bewusstlos in eine Klinik transportiert. Sie erleiden einen Herzinfarkt und haben Glück, rechtzeitig in einem Herzzentrum eingeliefert zu werden. Sie erfahren die niederschmetternde Nachricht, an einem Krebs erkrankt zu sein und müssen sich einer gefährlichen Operation unterziehen.

Seit sich die Politik entschieden hat, Krankenhäuser primär unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität zu betrachten, sind Sie für die Verwaltung - das Controlling oder die meist verdächtig militärisch Stabstelle genannte Einrichtung für das Qualitätsmanagement - nicht etwa ein Patient - das wäre angeblich beleidigend, weil viel zu passiv -, sondern Sie sind ein Kunde.

Was ist ein Kunde? Es gibt verschiedene Definitionen. Es handelt sich um eine Person, die ein offensichtliches Interesse am Vertragsschluss zum Zwecke des Erwerbs eines Produkts oder einer Dienstleistung gegenüber einem Unternehmen oder einer Institution zeigt oder, nach einer Qualitätsmanagementnorm, den Empfänger eines vom Lieferanten bereitgestellten Produkts oder einen tatsächlichen oder potenziellen Nachfrager auf Märkten. Welche Definition man auch nimmt: Sie haben sich also entschieden, von einem Auto zerschmettert zu werden oder an einem Herzinfarkt oder Krebs zu erkranken und treffen daher jetzt freiwillig, aktiv und informiert die Kaufentscheidung. Das Gut, das Sie nachfragen und erwerben wollen, ist Gesundheit. Der Arzt ist der Lieferant dieses Produkts. Es kann natürlich in jedem Falle geliefert werden. Und Sie können selbstverständlich, nimmt man das ganze Konstrukt ernst, auch von der Kaufentscheidung zurücktreten. Es ist Ihnen sonnenklar,dass das alles kompletter Blödsinn ist. Aber es ist die Realität in deutschen Krankenhäusern.

Wikipedia schreibt sehr schön zum Begriff des "Kunden", er werde "manchmal beschönigend für Personen [...] verwendet,die kein eigentliches Interesse an einem Vertragsschluss oder einer Zusammenarbeit haben. Beispielsweise nennt die Polizei Beschuldigte oder Täter in einigen Zusammenhängen ihre 'Kunden' oder die öffentliche Verwaltung nennt Antragsteller ihre 'Kunden'. In beiden Fällen handelt es sich aber im eigentlichen Sinn nicht um 'Kunden': Die Zusammenarbeit ist in diesen Fällen zumeist nicht freiwillig,oft sogar alternativlos." Der früher Patient genannte Kunde hat gegenüber dem Arzt (im Unterschied zum Straftäter gegenüber der Polizei) sicherlich ein Interesse am Vertragsschluss, doch ist dieses in aller Regel freiwillig? Wie gesagt, die Rede ist nicht von Brustimplantaten oder den Hintern liften. In den eingangs genannten Beispielen ist die"Zusammenarbeit" zudem ohne echte Alternative. Es handelt sich also nur wohlwollend betrachtet um einen Euphemismus,sondern schon um einen kleinen Zynismus.

Warum dieser so durchschaubare Euphemismus des"Kunden" in der Medizin? Es handelt sich um eine Konsequenz aus der Übertragung ökonomischen Denkens auf die Medizin. Es ist dieselbe ökonomische Rhetorik, die aus dem Pförtner den "First Contact Manager" macht. Das Leiden und Dulden des kranken Menschen soll schön geredet werden. Man könnte meinen, das macht die Sache weder besser noch schlechter, aber dem ist nicht so. Wenn unter den Bedingungen der Neuen Institutionenökonomik "die soziale Realität [...] nur noch in den Kategorien von Verträgen[...] gesehen wird, dann werden sich die entsprechenden Akteure auch wie Vertragspartner [...] verhalten und alles vergessen, was vorher ihr Handeln, ihre Beziehungen und ihre soziale Praxis ausgezeichnet hat. [...] Die neuen Praxismodelle setzen sich dann nicht deshalb durch, weil sie die alten Zwecke besser erfüllen, sondern weil sowohl Zwecke als auch Mittel neu bestimmt worden sind" (Richard Münch). Der alte Zweck war primär medizinisch: Heilung oder Beschwerdebesserung; der neue Zweck ist primärökonomisch: Rentabilität. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.

Noch ist es nicht gelungen, das Gesundheitswesen rentabel zu machen, obwohl dieses ökonomisierte Modell Erfolg haben müsste, aber eben im Sinne einer self fulfilling prophecy: die Zielkriterien sind dem Modell angepasst. Gemessen wird nämlich nur, was gemessen werden soll. Und: Die sogenannte Modernisierung muss noch wesentlich weitergehen: Wird sie ökonomisch verstanden, werden mittelfristig Angebote gestrichen werden. Die wie Unternehmen geführten Krankenhäuser, in denen entsprechend dem Primat der Ökonomie nicht die Ärzte, sondern die Verwaltungschefs das Sagen haben, spezialisieren sich auf einige wenige Therapien, die besonders viel Geld bringen. Auch diese sogenannten "Fallpauschalen" sind ökonomisch induziert: Ziel ist es, ein arbeitsfähiges Individuum wieder arbeitsfähig zumachen. Das ist kein klassisches medizinisches Kriterium mehr, soll es auch nicht sein. Es geht nicht um die Heilung von Menschen. Die Stabstellen denken quasi militärisch: Es ist wie die Wiederherstellung der Kampffähigkeit. Nicht arbeitsfähige Menschen, also besonders Alte mit den alterstypischen Krankheiten bringen heute schon weniger ein und werden mittelfristig aus bestimmten Versorgungen herausgenommen werden.

Es wird gespart werden müssen im Gesundheitswesen, keine Frage. Ich bezweifele aber, ob die Ökonomen die geeigneten Fachleute sind, die richtigen Weichen zu stellen. Den Ärzten schon hat man - zurecht oder zu unrecht - Geldgier unterstellt; Ökonomen aber ohne Hang zur Profitmaximierung gibt es einfach nicht. Sie wollen, dass an den „Kunden“ Geldverdient wird und freuen sich über jede neue Einnahmequelle. Eine der Hauptursachen für unnötige Geldausgaben ist die so genannte Medikalisierung der Gesellschaft, also die Entdeckung und Erfindung aller möglichen Krankheiten, die eigentlich gar keine sind und dennoch teuer auf Kosten der Allgemeinheit behandelt werden. Früher gab es den Zappelphilipp, heute das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom – sicher zu häufig diagnostiziert. Die Habsburger haben mit ihrer berühmten Lippe, wegen des prominenten Unterkiefers, problemlos Weltreiche regiert – heute würden sie krank geredet und operiert. An Zahnfehlstellungen stirbt man nicht,man kann sogar gut kauen – warum ist die Behandlung keine Privatleistung? Auch könnten nach Auswertung der den Krankenkassen vorliegenden Statistiken eine ganze Reihe an von den Bürgern freiwillig auf sich genommenen Risiken (z.B. Skifahren) ganz aus der Kassenversorgung herausgenommen und einer privaten Sonderversicherung zugeführt werden. Das ist lediglich eine Frage der Vereinbarung. Man könnte vernünftig sparen, doch dazugehört ärztlicher Sachverstand.

Aber auch bei den Ärzten zeigen sich die Folgen dieses ökonomischen Denkens. Früher undenkbar, streiken Ärzte heute. Die sakrale Aura ist dem trivialen Habitus des Gehaltsempfängers gewichen. Grundsätzlich ist die Demontage der "Götter in Weiß" zu begrüßen; diese Bezeichnung traf aber immer nur auf die Chefs und Ordinarien zu, nicht auf die kleinen Assistenten oder die Landärzte. Diese neue Ärztegeneration wird wohl auch bereit sein, die Beatmungsmaschinen deutlich schneller abzuschalten und großzügig Sterbehilfe zu leisten - das spart Geld. Dem Kunden muss man auch schon mal entgegenkommen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: kai

Patienten, Mandanten, Klienten? das Wording dient jeweils dem selben Zweck, der Einschüchterung und der Verdummung des Kunden!
Das Wort Patient soll lediglich der Emporhebung der Ärzte zum Status "Gott in Weiß" dienen. Natürlich sind Patienten "Kunden" des Arztes. Warum versuchen diese es tunlichst zu vermeiden, dass der Patient mitbekommt, dass er ein Kunde ist? Klar, weil jeder nicht ganz blind einkaufende Verbraucher, dass tun seines Lieferanten hinterfrägt, bei Ärzten soll es anders sein!

Ich jedenfalls möchte vom Arzt sehr gerne wie ein Kunde behandelt werden, denn dann kann ich ein Mindestmaß an Emphatie erwarten!

Mit Patienten gehen die "Götter in Weiß" oftmals arrogant und herablassend um.

Aber wir Kunden können selbstverständlich jederzeit den "Lieferanten" wechseln, also den Arzt! Kunden haben ein wahlrecht, Patienten auch!

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