Geschichtsklitterung im Deutschlandfunk

Gestern vor 75 Jahren starb der Maler Heinrich Vogeler in Kasachstan. Er war vom NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei, wie viele andere Deutsche zwangsevakuiert worden. Er musste dem Kolchos Budjonny beitreten und wurde zur Arbeit an einem Staudamm eingeteilt, die seine Kräfte überstieg. Seine Rente wurde aus Moskau nicht mehr überwiesen. Die Unterstützung von Künstlerkollegen, wie dem Schriftsteller Erich Weinert, reichte nicht aus. Heinrich Vogeler verhungerte.

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Für den Deutschlandfunk war der Vogelers Todestag Anlass für einen Beitrag in seinem „Kalenderblatt“. Der ging sehr schön los mit einer Beschreibung von Vogelers berühmten „Sommerabend“ von 1905 und der Geschichte des Barkenhofes in Worpswede, wo der „spätromantische, märchengläubige“ Maler seine Utopie vom neuen Menschen und der neuen, alles gestaltenden Kunst zu leben versuchte. Vogeler gestaltete nicht nur Haus und Garten nach seinen Plänen, sondern auch Tapeten, Möbel, Geschirr, Besteck. Sogar die Kleidung der Bewohner wurde auf die Einrichtung abgestimmt. Das neue Leben mit den Mitteln der Kunst ging schief, das sieht man seinem „Sommerabend“ an. Später sagt Vogeler selbst, das Bild sei ein „schmerzhafter Abschied, ein Rückblick auf Verlorenes“ gewesen.

Das andere neue Leben startete, als der Barkenhof nach sozialistischen Prinzipien umgestaltet wurde. Der Jugendstilgarten mutierte zum biodynamischen Gemüsebeet, die Wände der Eingangshalle wurden mit sozialistisch-realistischen Wandgemälden verziert.

Vogeler wurde schließlich Mitglied der KPD, nicht der DKP, wie es im Deutschlandfunk fälschlicherweise hieß. Die Partei warf ihn aber bald wieder aus ihren Reihen, weil er sich der innerparteilichen Opposition angeschlossen hatte.

In den zwanziger Jahren bereiste der Maler, der sich immer mehr als Propagandist seiner kommunistischen Ideen sah, mehrmals die Sowjetunion. Er gelangte bis nach Karelien und Usbekistan, wo viele geschönte Bilder vom Alltagsleben im Sozialismus entstanden.

Nachdem der Barkenhof finanziell nicht mehr zu halten war, verkaufte er ihn an die „Rote Hilfe“, eine Organisation der KPD, die ihn zum Kinderheim umfunktionierte. Beruflich geriet Vogeler durch sein politisches Engagement in immer größere finanzielle Engpässe.

Er entschloss sich 1931 in die Sowjetunion umzusiedeln, wo er sich in den sowjetischen Kulturbetrieb einspannen ließ. Er malte Propagandabilder, die er später zum Teil selbst vernichtete oder umarbeitete.

Nach dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion wurde Vogeler wie die meisten der in der Sowjetunion lebenden Deutschen zwangsumgesiedelt. Das war ein Akt äußerster Willkür, angeordnet von Stalin, der mehr kommunistische Parteifunktionäre erschießen, in Lagern oder der Verbannung umkommen ließ, als die Nazis.

Der Deutschlandfunk erwähnt das mit keinem Wort, sondern erweckt den Eindruck, Vogelers Leben wäre durch die Nazis akut bedroht gewesen. Er stand zwar auf einer Todesliste, tatsächlich blieb die Wehrmacht aber 40km vor Moskau stecken. In Moskau hätte Vogeler von den Nazis nichts zu befürchten gehabt.

Am Ende geht der Deutschlandfunk-Beitrag so weit zu behaupten, die „Leute“ in Vogelers Kolchose, „die alles andere als überzeugte Sowjetbürger waren“ hätten den Maler „verhungern und verrecken“ lassen.

Damit wird das Verbrechen Stalins seinen Opfern zugeschoben, denn die Kasachen hatten ebenso sehr mit dem Hunger zu kämpfen, wie die Zwangsumgesiedelten. Sie hatten nur den Vorteil, Häuser und Gärten zu besitzen, die ihnen eine bescheidene Selbstversorgung ermöglichten.

Wie es den Deutschen in Kasachstan ging, hätten die „Experten“ des Deutschlandsfunks in den Büchern von Wolfgang Leonhard oder Wolfgang Ruge nachlesen können. Letzterer ist gerade wieder etwas im Focus, weil er einer der Haupthelden im Roman seines Sohnes Eugen „In Zeiten des abnehmenden Lichtes“ ist, der gerade von Matti Geschonneck genial verfilmt, im Kino gezeigt wird.

Die Frage bleibt, warum der Deutschlandfunk sich eine so krasse Geschichtsklitterung leistet.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ein unbequemer Geist

Die Geschichtsklitterung entsteht auch dann, wenn stets ganz beiläufig und sehr subtil, eine historische Unwahrheit dem interessierten Leser als Wahrheit vermittelt werden soll.
Dazu gehört die schon abgedroschene und wurmstichig gewordene Propagandathese des deutschen Überfälle auf die Sowjetunion.

Der kompetente Historiker, Herr Scheil, hat hierzu gewichtige Gegenargumente formuliert und kommt zu einem ganz anderen Schluss, belegt durch eine Vielzahl historischer Dokumente und Archivaufzeichnungen.

Interessanterweise wird immer gerne von einem Deutschen "Überfall" gesprochen, wenn sich ein deutscher Feldzug sich erfolgreich gestaltete, wie etwa in Frankreich oder zunächst erfolgreich war, wie etwa in der Sowjetunion.

Tatsächlich war dieser deutsche Einfall ein echter Präventivschlag, da auch den Deutschen die gefährliche Konzentration der Roten Armee an der Grenze zur deutschen Einflusszone nicht unbemerkt geblieben ist und es im Vorfeld diverse und provozierende Vertragsverletzungen des sowjetisch-deutschen Nichtangriffsvertrages durch Stalin gegeben hat.

Außerdem wurde die geheime Korrespondenz zwischen England und der Sowjetunion abgehört und entschlüsselt.

Das Hitler nur wenige Tage oder Wochen Stalin zuvor gekommen ist, belegen ebenfalls viele Verhöre der Soldaten der Roten Armee und das bei ihnen gefundenen Kartenmaterialien und diverse verräterische Dokumente.

Einzig das Ausmaß der Bedrohung wurde sogar von der deutschen Seite noch unterschätzt.
Die kühnsten Schätzungen über die Anzahl der russischen Panzer lag immer noch weit unter der tatsächlichen Zahl von 27.000 russischen Panzern, über die die Rote Armee verfügte und der allergrößte Teil dieser Panzer war an der Westgrenze in einer Angriffsposition versammelt, ähnlich wie das Gros der Kampfflugzeuge, ein deutlicher Beweis für deren tatsächliche Absicht.

Gravatar: Gast

Zitat: "Die Frage bleibt, warum der Deutschlandfunk sich eine so krasse Geschichtsklitterung leistet."

Vielleicht weil den "Befreiern" -auch, aber nicht allein- mit Unterstützung der Frankfurter Schule und dem, was damit in -insbesondere ideologischer- Verbindung stand und steht, gelang, sie in diesem Lande zu einer eigenständig gepflegten und staatlich geförderten Tradition zu machen?

Oder lag die Betonung auf "krasse", sehr geehrte Frau Lengsfeld?
Diese Wertung kann ja aber doch nur treffen, wer überhaupt um Geschichtsklitterung weiß.

Gelernt hat die Mehrheit in diesem Land, daß es die nur im ehemaligen Ostblock und finsteren südamerikanischen Diktaturen gab und geben konnte. Niemals jedoch im demokratischen Westen mit seinen überlegenden Werten, welche in die Welt zu tragen -und sei es mit militärischen, das Grundgesetz und Völkerrecht mißachtenden, Anstrengungen auch über den Hindukusch hinaus- allemal Aufgabe auch von Vasallen, von dem Streben nach einer Global-Governance-Dystopie Ergriffenen und willfährigen Mitläufern ist. Koste es, was es wolle: auch die Freiheit und das Recht.

Der Mehrheits-Michel hat verinnerlicht: Geschichtsklitterung und Propaganda gab es nur bei den Kommunisten des Ostblocks, niemals im Westen. Er kennt z.B. Bernays (Propaganda) oder Lippmann (Public Opinion) nicht; hat von der Geschichte vor 1933 nicht einmal mehr den Hauch einer Ahnung. Und wüßte er mit den Begriffen Konstruktionismus, Nudging, Social Engineering, Sozialistische Transformationsstrategien, etc. etwas anzufangen, würde er dies auch dem Ostblock –alternativ allenfalls noch den „Nazis“, die für Rechte zu halten, ihm eingebleut wurde- vermutlich zuordnen, ohne sich zu gegenwärtigen, daß die UdSSR längst Vergangenheit ist, während ihr zugrundeliegende Gedankengespinste fortleben und Fäden nicht nur aus Brüssel spinnen.

Wie sollte Michel Geschichtsklitterung erkennen (können), wenn er noch einmal in der Lage oder willens ist, die Gegenwart sachlich, unvoreingenommen und nüchtern zu betrachten und zu beurteilen? Nicht nur das staatliche Unbildungssystem (dazu u.a. Prof. Konrad Paul Liessmann) war erfolgreich.

Beinahe jede Kultur und mit ihr der sie abgrenzende organisatorische Rahmen (meistens aber nicht immer: ein Staat) gingen in der Geschichte dann unter, wenn das beides tragende Volk sich dazu entschied oder ihm beides und damit das Eigene einerlei geworden war (Von den Fällen, im Kampf unterlegen zu sein, wie z.B. die Indianer in Amerika, einmal abgesehen).
Die Mehrheit mag zwar die Richtung nicht handelnd bestimmt haben oder derzeit zu bestimmen; mittels Unterlassen, Dulden und Hinnahme bestimmt(e) sie sie dennoch, auch wenn ihr dies nicht klar wurde und heute nicht bewußt ist.

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